Molekularbiologie An- und Abschalter in der Zelle Voll entfaltet ist ein menschliches DNA-Molekül über einen Meter lang. Zusammengeknäult und im Zellkern verstaut, misst das Lebensmolekül nur noch einen Hunderttausendstel Zentimeter. Das Kunststück, lange Stränge genetischen Materials platzsparend zusammenzupressen, vollbringen Histone. Das sind Proteinen, die eng mit einer weiteren, lebenswichtigen Aufgabe verknüpft sind: dem An- und Abschalten der Gene, die auf der DNA aufgereiht sitzen. Dieser Steuerung der Gen-Aktivität verdanken wir es, dass jede Zelle die für sie typischen Aufgaben erfüllt: Gallensäure, Insulin oder Cortisol zu produzieren. Im emsigen Betrieb einer lebenden Zelle erledigen Proteine die meisten Aufgaben. Foto: PhotoDisc Nachwuchswissenschaftler untersuchen Proteine, die Gene in Schwung bringen oder in Schach halten Gen-Dirigenten 28 Bei Knock-out-Mäusen werden gezielt Gene ausgeschaltet. An ihnen lässt sich studieren, ob und wie die An- oder Abwesenheit bestimmter Gene sich auf Zellabläufe auswirkt. le hat: das Retinoblastom-Protein (RB). Ein ganzer Stoffwechselablauf ist nach ihm benannt, der Retinoblastom-Weg. Er ist bei fast allen Tumoren gestört. Das gab dem Protein seinen Namen. Ein Retinoblastom ist ein bösartiger Tumor im Auge, der bei Kindern auftritt, deren RB infolge einer Gen-Mutation nicht richtig arbeitet. Das RB kontrolliert die Zellteilung in ihrer Anfangsphase. Es signalisiert der Zelle, einen Teilungszyklus in Gang zu setzen oder nicht. Meist lautet der Befehl: Nicht teilen! Denn eine Zelle hat üblicherweise keinen Grund dazu, es sei denn, sie muss repariert werden oder sie gehört einer Zellart an, die stets neu produziert werden muss, wie rote und weiße Blutkörperchen. Solche Aktivitäts-Hemmer heißen in der Biologie Inhibitoren. Zellen und Gene in Schranken zu halten ist für geregelte physiologische Abläufe mindestens so wichtig, wie sie gezielt zu stimulieren. Eine fehlgeleitete Gen-Aktivität oder eine gestörte Zellteilung kann Krebs verursachen. Typisch für Zellabläufe ist auch ihre kaskadenartige Abfolge. Hat ein molekularer Schalter erst einmal eine Aktion in Gang gesetzt, folgen ihr meist sturzbachartig andere, oft über einen „point of no return“. Auch bei der Zellteilung ist das so. Deshalb sind die Stadien, die sie vorbereiten, so wichtig. In dieser Anfangsphase nun bindet RB an die E2F-Proteine und verhindert so die Zellteilung. „Man hat jedoch festgestellt, dass das E2F-6 allein wie eines seiner E2F-Verwandten mitsamt dem Retinoblastom-Protein wirkt, nämlich als Inhibitor“, erläutert Stefan Gaubatz. Er und seine Mitarbeiter wollen nun herausfinden, ob E2F-6 bösartiges Zellwachstum ver- Foto: Graßmann Doch nicht nur Histone dirigieren das Gen-Verhalten. Sie wetteifern mit anderen Proteinen darum, Gene in Schwung zu bringen: den Transkriptions-Faktoren. Transkription ist ein grundlegender biologischer Prozess, durch den Gene „angeschaltet“ und ihre Informationen „abgelesen“ werden. Gene sind eine Art Blaupause für Proteine; sie enthalten die Informationen, wie Eiweiße hergestellt werden müssen. Dazu muss die DNA in Ribonukleinsäure (RNA) „umgeschrieben“ werden. Erst mit diesem Informationsformat können die Ribosomen arbeiten, die Eiweißfabriken der Zelle. Eine Gruppe von jungen Wissenschaftlern um den Biologen Dr. Stefan Gaubatz erforscht am Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung (IMT) der Philipps-Universität eine Klasse dieser Transkriptions-Faktoren: die E2F-Proteine. Von ihnen wurden bislang sechs identifiziert. Zwei davon untersuchen die Marburger Forscher näher: das E2F-4 und vor allem das E2F-6, das Dr. Gaubatz isoliert hat. Das fünfjährige Forschungsprojekt wird mit über zwei Millionen Mark von der Volkswagen-Stiftung finanziert. „E2F-6 könnte bei der Entstehung und Verhinderung von Krebs eine wichtige Rolle spielen“, formuliert Stefan Gaubatz die Forschungshypothese. Dazu muss man ein weiteres Eiweiß kennen, das eine wichtige Aufseher-Funktion über die Zel- hindern kann, wenn es vorhanden ist, und ob Krebs entsteht, wenn es fehlt. Dazu hat der Molekularbiologe am Dana-Farber Cancer Institute der Harvard-Universität in Boston (USA), wo er nach seiner Promotion fünf Jahre geforscht hat, so genannte Knock-out-Mäuse gezüchtet, denen das E2F-6-Protein fehlt. So heißen Versuchstiere, bei denen eine Erbanlage gezielt ausgeschaltet wurde. An diesen Mäusen wollen die Marburger Molekularbiologen nun einiges studieren: Ist das E2F6-Gen für eine normale Mausentwicklung nötig oder nicht? Wie verhalten sich Zellen dieser Mäuse, wenn sie in einer Petrischale kultiviert wurden? Wenn man E2F-6und RB-Knock-out-Mäuse kreuzt, bilden dann ihre Nachkommen mehr und andere Tumoren aus? Diese Tierexperimente werden durch Untersuchungen mit einer „Micro-Array-Einheit“ ergänzt. Sie besteht aus einem Computer und einem Roboter, mit denen sich das Gen-Expressionsmuster von Zellen und Geweben präzise analysieren lässt. Die Expression von Genen ist eine andere Bezeichnung für die Transkription. Wenn ein Gen transkribiert und das entsprechende Protein aus der RNA-Blaupause hergestellt wird, ist es exprimiert. Das menschliche Erbmaterial enthält etwa 30 000 bis 50 000 Gene. Doch in den einzelnen Gewebetypen sind nie alle aktiv. In einer Leberzelle operiert ein anderes Set als in einer Herz- oder Muskelzelle. Diese Unterschiede bezeichnet man als Gen-Expressionsmuster eines Zelltyps. Mit dem Micro-Arrayer wollen Stefan Gaubatz und sein Team untersuchen, welche Gene exprimiert werden, je nachdem, ob in der Zelle E2F-6 vorhanden ist oder nicht. gn Dr. Stefan Gaubatz Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung (IMT) Emil-Mannkopff-Straße 2 35037 Marburg Telefon: 06421 / 28-66987 Fax: 06421 / 28-65196 E-Mail: [email protected]