DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 9. März 1916. . 283 Tuberkulinreaktion zeigen, ohne je sichtbare tuberkulöse Krank- heitserscheinungen gehabt zu haben, so müssen sie die tuberkulöse Infektion überwunden oder es wenigstens bis zu einem latenten Stadium gebracht haben. Dabei braucht es sieh nicht Von Prof. Dr. H u g o S e 1 t e r, z. Z. Korpshygieniker und Stabsarzt im Felde. Aus Imnunitätserscheinungen, die bei Reïnfektion bereits tuberkulöser Tiere auftreten, haben Römer2) und Hamb u r g e r3) in mehrfachen Arbeiten versucht, Schlüsse auf die Verhältnisse beim Menschen zu ziehen. Bei der subkutanen ReIn- fektion fand man, daß die zweite Infektion entweder örtlich überhaupt nicht in Erscheinung trat, oder daß sich an der Inj ektionssel1e ein Abszeß bildete, der sich rasch abstieß und verheilte. Hamburger und Toyofuku4) sahen bei pulmonaler Reïnfektion eine relative Immunität, indem vorher subkutan infizierte Meerschweinchen eine viel geringere Tuberkulose der Lungen und Bronchialdrtisen zeigten als die Kontrolitiere. In einigen Fällen war die Inhalationsinfektion wirkungslos. Wir stellten zahlreiche Untersuchungen über Remnfektion an, wobei verschiedene Infektionswege gewählt wurden, der subkutane, intravenöse und die Inhalation, ebenso für die Remnfektion. Bei subkutaner Reïnfektion konnten wir die Beobachtungen von Römer bestätigen. Bei Meerschweinchen, die mit einer tödlichen Dosis voll Tuberkelbazillen infiziert sind, tritt nach einiger Zeit eine veränderte Reaktionsfähigkeit der Haut auf, die darin besteht, daß die später in oder unter die Haut gebrachten Tuberkelbazillen je nach der Menge entweder nicht zur Geltung kommen oder nach Entstehung einer Entzündung nach außen geschafft werden, wonach der Entzündungsprozeß ausheilt. Die zugehörigen Lymphdrüsen bleiben meist unbeteiligt. Was mit den durch die Reinfektion von der Unterhaut in die Lymphdrüsen und dann weiter gelangten, sowie mit den auf anderen Wegen in den infizierten Organismus gebrachten Bazillen geschieht, können wir bei Tieren, die schon das erstemal mit sicher tödlichen Dosen infiziert sind, kaum beantworten. Meerschweinchen, die so schwach mit älteren Bazillen (acht Wochen alte Kultur) infiziert waren, daß es zu einer sehr langsam verlaufenden und anscheinend nicht tödlichen Tuberkulose kam, verhielten sich - vier Wochen nach der ersten Infektion reïnfiziert - fast wie nicht infizierte Tiere. Die tuberkulösen Erscheinungen an Drüsen und Organen waren bei ihnen genau so stark, wie bei den Kontrolltieren; nur bei der subkutanen Remnfektion um eine einmalige Infektion zu handeln. Man könnte annehmen, daß die erste Infektion nur in einem geschwächten Organismus Krankheitserscheinungen setzt, einen kräftigen aber nur um- stimmt, ohne daß es zu einem bedeutenden Wachstum der ersten Bazillen im Körper und damit zu einer Entziindung (Tuberkelbildung) kommt Wahrscheinlich dringen die ersten Bazillen durch die Schleimhäute der Atmungswege in das Körperinnere ein, ohne an der Durchgangsstelle Merkmale zu hinter- lassen. Nachfolgende Infektionen führen dann in düm umgestimmten Körper zu lokalen Reaktionen an der Eintritts- stelle (in Lunge oder Bronchialdrüsen, da die Inhalationstuberkulose sicherlich das Gewöhnliche ist). Der kräftige Körper überwindet auch diese lokalen Entzündungserscheinungen, in- dem er sie begrenzt und zur Latenz bringt, und. allmählich kommt es zu einer Immunität, welche die weiter vordringenden Tuberkelbazillen spurlos überwinden läßt. Von den in den Entzündungsherden (Tuberkel der Lunge, Drüsen etc.) lebend zurückbleibenden Tuberkelbazillen können im disponierten Körper (Schwächung nach Masern, Keuchhusten u. a.) wahrscheinlich Autoinfektionen entstehen, und manche Fälle tödlich verlaufender Tuberkulose im Kindesalter, z. B. tuberkulöse Meningitis, sprechen hierfür, wie ja auch bei Typhus und anderen Krankheiten Rezidive auftreten, die vermutlich durch die im Körper zurückgebliebenen Krankheitserreger bedingt sind. Daß nun aber die im Mannes- alter auftretende Phthisis vornehmlich Folge einer metastasierenden Autoinfektion sei und nur ausnahmsweise einer von außen kommenden Ansteckung, wie Römer und Much behaupten, scheint uns nicht begründet. Nach Kruse') fehlt es an Beweisen dafür, daß von den tuberkulösen Herden der Kindheit die späteren offenen Tuberkuloseerkrankungen herstammen. Er hält mit Recht den Anhängern der Tuberkuloseimmunität entgegen, daß die tuberkulös infizierten Menschen, sobald durch irgendwelche Gelegenheitsursachen ihre Immunität durchbrochen ist, j etzt ebenso empfänglich gegen die Infektion mit neu ein- geführten Bazillen geworden sind als gegen die mit ihren eigenen, von älteren Herden stammenden. Daß die Phthisis gewöhnlich erst im Uebergangsalter oder bei Erwachsenen beobachtet wird, könnte auf verschiedene Weise erklärt werden, z. B. dadurch, daß die in der Kindheit erworbene Immunität, wo die Bedingungen für ihre Entstehung vielleicht allein vorhanden sind, in den Entwicklungsjahren nachläßt. Oder aber die erreichte Widerstandsfähigkeit ist nicht groß genug, um der machte sich an der Injektionsstelle eine gewisse Immunität erhöhten Ansteckungsmöglichkeit, verbunden mit bemerkbar. Atmungsorgane im Berufsleben, Von der Anschauung ausgehend, daß bei den meisten Schädigung der Auch die Beobachtung, daß aus tuberkuloseMenschen eine Tuberkuloseansteckung in der Kindheit entsteht, was j a auch durch die Tuberkulinstatistiken bewiesen zu sein scheint, haben Römer5) und Much6) dann versucht, die Remnfektionsergebnisse für die Menschen geltend zu machen. Eine in der Kindheit erworbene Tuberkuloseinfektion soll Immunität gegen weitere Tuberkuloseinfektion verleihen, und zwar so, daß kleine Mengen des relnfizierenden Virus ohne Wirkung abprallen; gegenüber großen Dosen soll sich der Schutz dadurch bewähren, daß es nicht zum Ausbruch galoppierender Tuberkuloseformen kommt, wie beim früher nicht infizierten Menschen, sondern zum Bilde der chronischen Lungenschwindsucht. Die standzuhalten. freien in tuberkulosedurchseuchte Gegenden kommende Menschen besonders leicht an schweren Formen der Tuberkulose (galoppierende Schwindsucht, Miliartuberkulose) zugrundegehen, ist damit zu vereinigen. Der erwachsene Mensch bewegt sich frei und hat ganz andere und häufigere Gelegenheit, Tuberkelbazillen aufzunehmen als das Kind; bei ihm werden dann die sich immer wiederkehrenden Infektionen verheerender einwirken als bei den Menschen, die von ihrer in der Jugend überstandenen Infektion eine gewisse Immunität behalten, auch wenn deren Grad nachläßt. Jedenfalls scheint uns eine wiederholte Reder Phthisis zu sein als eine Autoinfektion aus alten tuberkulösen Herden des Körpers, die von spätere Ansteckung gehe gewöhnlich aus von den in der Kindheit entstandenen Herden. Infektion eher die Ursache für das Zustandekommen Bazillen vorinfizierten Meerschweinchen sprechen nicht hierfür; der jugendlichen Infektion zurückgeblieben sind. Unsere Beobachtungen an den mit schwach virulenten die reïnfizierten virulenten Bazillen wirkten auf diese fast in derselben Weise ein, wie auf nicht vorbehandelte. Trotzdem mag es unter Umständen zu einer gewissen Immunität kommen Wenn Menschen am Ende des Kindesalters positive 1) Die Untersuchungen sind mit Mitteln der Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose ausgeführt. Die ausführliche Arbeit z. Klin erscheint in den Veröffentlichungen der Stiftung. ') Beitr. 5) Beitr. z. 4) Ebenda 18. d. Tbc. 17. 3) Ebenda 12 u. 17. Klin d Tbc. 17. - 6) Handb. d. Tbc. von Brauer, Schröder, Blumenfeld 1. Kap. Immunität, S. 313. Es müßte auch erst bewiesen werden, ob die darin befindlichen Bazillen noch ihre frühere Virulenz besitzen. Die Lösung dieser Fragen werden wir weniger durch Reïnfek- tionsversuche bei bestehender Tuberkulose als nach überstandener Infektion erreichen können. Hierfür ist das Meerschweinchen wegen seiner Empfänglichkeit ein weniger gut geeignetes Versuchtier; immerhin ist es, wenn in der richtigen ') Kruse und P. Selter, Die Gesundheitspflege des Kindes. Stuttgart, 1914. S. 394. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Aus dem Hygienischen Institut der Universität in Leipzig (Direktor: Geheimrat Kruse). Reïnfektion und Immunität bei Tuberkulose1). 284 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 10 Weise (sehr kleine Bazillenmengen oder abgeschwächte) vorgegangen wird, möglich, auch bei Meerschweinchen eine heilbare Tuberkulose zu erzeugen. Das wesentlichste und wichtigste Ergebnis unserer Tuberkuloseuntersuchungen ist daher die Tat- sache, daß bei Meerschweinchen Ueberstehen und Ausheilung einer Tuberkuloseinfektion beobachtet werden kann. Dies soll uns die Grundlage für weitere Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Untersuchungen sein.