Analyse der frühen Hämatopoese (PD Dr. rer. nat. Bernd Giebel) Lernziele: Nachweisverfahren unterschiedlicher myeloischer Vorläuferzellen (Colony Forming Cell Assay) Das hämatopoetische System Das menschliche Blut besteht zu ca. 55% aus Blutplasma und zu ca. 45% aus verschiedenen Blutzellen. Der zelluläre Bestandteil des Blutes repräsentiert das hämatopoetische System, das sich in mehrere Linien ausdifferenzierter Zelltypen unterteilen lässt. Im Lichtmikroskop können die zellulären Komponenten des Blutes phänotypisch in zwei grobe Kategorien, Leukozyten und Erythrozyten unterteilt werden. Des Weiteren sind kleinere Partikel, Thrombozyten, erkennbar. Alle reifen Blutzellen leiten sich von multipotenten Stammzellen ab, die sich zum einen selbst erhalten können und zum anderen weiterentwickelte, multipotente Vorläuferzellen hervorbringen, die zur weiteren Reifung spezifiziert sind. Aus solchen Zellen leiten sich Vorläuferzellen der myeloischen bzw. der lymphatischen Zellreihe ab. Aus den myeloischen Vorläuferzellen entwickeln sich Erythrozyten, Granulozyten (neutrophile, basophile und eosinophile), die Thrombozyten bildenden Megakaryozyten, Monozyten, Makrophagen und die Zellen der roten Blutzellreihe (Erythroblasten, aus denen Erythrozyten hervorgehen) sowie ein Subtyp der Dendritischen Zellen. Der lymphatische Entwicklungszweig bringt B- und T-Lymphozyten sowie Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) und einen weiteren Subtyp der Dendritischen Zellen hervor. Die Hierarchie der humanen Hämatopoese nach dem klassischen Modell ist schematisch in Abb. 1 dargestellt. Die meisten Leukozyten, genauer Lymphozyten, Granulozyten, Monozyten, Makrophagen und Dendritische Zellen sind die Hauptbestandteile des Immunsystems der körpereigenen Abwehr. Dabei wird zwischen angeborener (unspezifische Abwehr) und erworbener (spezifische Abwehr) Immunität unterschieden, die beide jeweils über humorale und zelluläre Effektormechanismen erfolgen. Erstere umfasst als zelluläre Effektoren die Phagozyten (Monozyten, Neutrophile und Makrophagen), die Bakterien und Trümmer abgestorbener Zellen umfließen und verdauen, Zellen die Entzündungsmediatoren freisetzen (Basophile, Mastzellen, Eosinophile) und NKZellen. Die erworbene Immunität ist durch Proliferation antigenspezifischer B- und TLymphozyten, die durch Bindung der Antigene an spezifische Rezeptoren an der Zelloberfläche ausgelöst wird, gekennzeichnet. Dabei sind die zellulären Effektoren 1 zytotoxische T-Lymphozten und die humoralen Effektoren die Antikörper der BZellen. Bei der Abwehr von Pathogenen (Bakterien, Pilze oder Viren) und bei der Zerstörung veränderter Körperzellen (maligne Zellen) arbeiten angeborenes und erworbenes Immunsystem meist zusammen. Die Lebensdauer der Leukozyten kann zwischen wenigen Stunden und mehreren Jahren betragen. Unter normalen Umständen sind in einem Mikroliter Blut etwa 7000 Leukozyten enthalten. Abb. 1: Schematisches Modell der adulten humanen Hämatopoese und Darstellung verschiedener hämatopoetischer Zelltypen. (LTC-IC: long-termculture-inititating-cell; CFU: colony-forming-unit; GEMM: granulocyteerythrocytemacrophage-megakaryocyte; BFU: burst-forming-unit). Das Blut eines gesunden Menschen enthält ca. 5 Millionen Erythrozyten pro Mikroliter, die eine mittlere Lebensdauer von rund 120 Tagen besitzen. Die Throm2 bozyten haben eine Lebensdauer von ca. 5-10 Tagen. Bei gesunden Menschen enthält das Blut ca. 200.000 bis 300.000 Thrombozyten pro Mikroliter. Die relativ niedrige Lebensdauer der verschiedenen Blutzellen und der daraus folgende hohe Umsatz im Organismus im Vergleich zur Lebensdauer eines Menschen zeigt, dass die Hämatopoese beim Menschen in der Lage sein muss, den Verlust an Blutzellen über den gesamten Lebenszeitraum permanent auszugleichen. Nachweis und Quellen hämatopoetischer Stammzellen Bereits in den frühen 1960er Jahren gab es erste Hinweise, die zu dem heute gängigen Modell der hämatopoetischen, multipotenten Stammzelle führten. In Experimenten mit Mäusen wurde entdeckt, dass einzelne Zellen aus dem adulten, murinen Knochenmark in der Lage sind, Kolonien auf der Milz von bestrahlten Empfängermäusen zu bilden, die sowohl Erythrozyten als auch weiße myeloische Zellen enthielten. In folgenden Experimenten wurde gezeigt, dass aus den Kolonien gewonnene Klone wiederum in sekundären Empfängermäusen erneut in der Lage waren, Kolonien hervorzubringen. In weiterführenden Experimenten konnten die Kolonie-bildenden Zellen näher als myeloische Vorläuferzellen charakterisiert werden. Letztendlich wurde mit Hilfe weiterentwickelter Transplantationsmodelle nachgewiesen, dass einzelne isolierte Zellpopulationen in der Lage sind, das vollständige hämatopoetische System von letal bestrahlten, immundefizienten Mäusen zu rekonstituieren. Diese und weiterführende Arbeiten halfen dadurch, Funktion und Phänotyp muriner hämatopoetischer Stammzellen näher aufzuklären. Mangels Durchführbarkeit entsprechender Experimente am Menschen wurden zur Untersuchung des Potentials humaner hämatopoetischer Stammzellen xenogene in vivo als auch diverse in vitro Analyseverfahren entwickelt. Durch Transplantationsexperimente mit frühen humanen hämatopoetischen Zellen an immunodefizienten NOD/SCID- (engl. non-obese diabetic/ severe combined immunodeficiency) Mäusen können bestimmte Subpopulationen von Zellen detektiert werden, die in der Lage sind, sich in das Knochenmark solcher Mäuse einzunisten, menschliche Blutzellen über einen längeren Zeitraum hervorzubringen und das Immunsystem der Mäuse zu rekonstituieren. Dementsprechend wurden diese Zellen als SCID repopulating cells (SRC) bezeichnet und stellen zur Zeit eine der besten funktionellen Annäherungen an humane hämatopoetische Stammzellen dar. 3 Primitive hämatopoetische Zellen mit SCR-Potential tragen auf Ihrer Oberfläche das Glykoprotein CD34. Dieses Protein ist Mitte der 1980er Jahre als Marker für frühe hämatopoetische Zellen beschrieben worden und spielt vermutlich eine Rolle bei Adhäsion und zielgerichteter Wanderung (engl. homing) dieser Zellen. Die Subpopulation der CD34-positiven (CD34+-) Zellen enthält sowohl myeloische als auch lymphatische Vorläuferzellen und stellt ein heterogenes Gemisch aus primitiveren hämatopoetischen Zellen und determinierten linienspezifischen Vorläuferzellen wie z.B. Pro-B-Zellen, die bereits das B-Zell spezifische Oberflächenantigen CD19 exprimieren, dar. Da für jede hämatopoetische Entwicklungslinie charakteristische Oberflächenmarker, so genannte lineage-Marker (lin) bekannt sind, lassen sich durch Negativ-Selektion mit Hilfe entsprechender Antikörper CD34+-Zellen, die keinen linienspezifischen Marker exprimieren, aufreinigen. Es zeigte sich, dass in dem Pool dieser lin-CD34+-Zellen die Zellen mit SRC-Potential stark angereichert sind. Eine weitere Anreicherung konnte durch die Verwendung des Oberflächenantigens CD38 erzielt werden, das äußerst heterogen in der Population der CD34+-Zellen exprimiert ist. Während in der Population der CD34+-Zellen mit geringer CD38 Expression die Zellen mit SRC-Potential weiter konzentriert sind, ist die Frequenz in der CD34+CD38+-Fraktion deutlich reduziert. Neben der Population der lin-CD34+CD38-Zellen wurden auch CD34--Zellen beschrieben, die SRC Aktivitäten besitzen. Diese exprimieren wie die meisten CD34+-Zellen den Stammzell-Surrogatmarker CD133, der somit die Population der primitiven hämatopoetischen Zellen besser beschreibt als der Marker CD34. Obwohl CD133 der bessere Marker ist, ist traditionell bedingt CD34 nach wie vor der gebräuchlichere Marker, so dass meist aus Referenzgründen der klassische Marker CD34 zur Anreicherung hämatopoetischer Stamm- und Vorläuferzellen verwendet wird. Andere Möglichkeiten zur Charakterisierung humaner hämatopoetischer Stamm- und Vorläuferzellen bieten verschiedene in vitro Zellkulturanalyseverfahren, in denen das Koloniebildungsverhalten, genauer die Proliferation von Vorläuferzellen nach Stimulation mit bestimmten Wachstumsfaktoren, analysiert wird. Da spezifizierte reifere Zellen oftmals bereits zur Differenzierung determiniert sind, während primitivere Zellen noch in der Lage sind, sich über einen längeren Zeitraum zu teilen, ohne zu differenzieren, wurden verschiedene Analyseverfahren etabliert: Primitivere Zellen können durch 5-wöchige Kultivierung auf unterstützenden Stromazellen in Anwesenheit von bestimmten Wachstumsfaktoren erhalten werden und werden dann 4 durch Zugabe von Differenzierungsmedium zu Proliferation und Differenzierung angeregt. Die in diesem Versuchsansatz über das Auslesen der so gebildeten Kolonien detektierten Zellen haben die Fähigkeit, über mehrere Wochen hinweg ihr Differenzierungspotential und somit Koloniebildungspotential aufrechtzuerhalten und werden deshalb LTC-IC (long term culture initiating cell) genannt. Um das Potential späterer, bereits determinierter Vorläuferzellen zu analysieren, werden diese über einen Zeitraum von zwei Wochen in Differenzierungsmedium kultiviert. Die jeweilige Koloniebildung lässt dann jeweils retrospektiv Rückschlüsse auf den Differenzierungsstatus der ursprünglich in den Versuchsansatz eingebrachten Zellen zu. Dieses Analyseverfahren wird nach der primitivsten dort detektierbaren Kolonieform CFU-GEMM- (Colony-forming-unit-Granulocyte-Erythrocyte-Macrophage-Megakaryocyte) oder CFC(Colony forming cell)-Ansatz genannt. Die charakterisierte humane hämatopoetische Stammzelle bleibt trotz aller Annäherungen durch verschiedene gefundene Marker und Methoden, die die tatsächliche Stammzelle näher eingrenzen können, nicht klar definierbar. Deshalb ist bei Erwähnung der hämatopoetischen Stammzelle im eigentlichen Sinne die nach aktuellem Wissensstand größtmögliche Annäherung daran durch Isolierung der Fraktion der primitivsten definierten Vorläuferzellen gemeint, in der die hämatopoetischen Stammzellen enthalten sein müssen. Als Quellen für humane hämatopoetische Stammzellen dienen vor allem das Knochenmark, das Restblut aus der Nabelschnurvene Neugeborener (engl. umbilical cord blood – UCB) und das periphere Blut G-CSF- (Granulocyte-colony stimulating factor-) mobilisierter Menschen. Die Behandlung mit dem Cytokin G-CSF bewirkt beim Menschen eine Mobilisierung hämatopoetischer Stammzellen aus dem Knochenmark ins periphere Blut und ermöglicht die Gewinnung der Zellen durch Apherese ohne Punktion. Dieses Verfahren wird therapeutisch bei Spendern vor peripherer Blutstammzelltransplantation eingesetzt, ferner bei Patienten mit schweren Neutropenien. Der Anteil der CD34+-Zellen liegt im peripheren Blut üblicherweise bei weniger als 0,5 %, im Knochenmark bei 0,5-2 % und bei Nabelschnurrestblut ebenfalls bei ca. 0,5-2 %. Nach jüngeren Erkenntnissen scheinen aus UCB gewonnene CD34+-Zellen im Vergleich zu solchen aus adulten Individuen ein deutliche höheres Repopulationspotential und größere Immunverträglichkeit zu besitzen. 5