Differenzierung, Entwicklung, gewebespezifische Genaktivität, die

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Individualentwicklung/Ontogenese
Die Entwicklung eines vielzelligen Organismus (Pflanzen und Tiere, inkl. Mensch) aus der befruchteten Eizelle
bedeutet die Durchführung eines kompliziertes, genetisches Entwicklungsprogrammes, durch das bestimmte
Gene zeitlich und räumlich ein- oder ausgeschaltet werden. Mithilfe der klassischen und molekularen Genetik
wurden Gene identifiziert, die an den Entwicklungsprogrammen beteiligt sind. Während dieses Prozesses sich
unterschiedliche Zelltypen und Gewebearten entwickeln, die die Organe und den Körper eines Organismus
ausbilden.
Während der Individualentwicklung (Ontogenese) entwickeln sich Gewebe und Organe. Zusätzlich, diese
Strukturen besitzen bestimmten Ort innerhalb des Körpers des Organismus; deshalb die Zellen oder Gruppe der
Zellen „wissen“ es, wofür, wann und wo sich entwickeln müssen. Um diese Frage beantworten zu können, ab
Anfang achtziger Jahren Biologen eine systematische Untersuchung der Drosophila Embryonalentwicklung
durchgeführt haben. Anschliesslich kamen die Entwicklungsbiologen zu einer erstaunlichen Schlussfolgerung:
Die Gene, die die Entwicklung von Drosophila steuern, kommen in nahezu unveränderter Form in den Genomen
anderer Arten, einschliesslich den Menschen vor.
Die Frühentwicklung des Drosophila Embryo fängt mit Zellkernvermehrungen ohne Furchung und ohne
individuelle Zellenbildung an, und ein s.g. syncytiales Blastoderm entsteht. Nach zehn synchronen
Kernteilungen wandern die Kerne an die Oberfläche. Schliesslich von aussen nach innen Zellmembranen
zwischen den Kernen eingezogen werden, und befindet sich der Embryo im vielzelligem Stadium des zellulären
Blastoderms (Abb. 11). Der Anlagenplan / Schicksalskarte (Fate map) eine zytologische Karte ist, die bestimmt,
welche blastoderm-Zelle an welchen Körperteil der Larvae entspricht. Wenn die Zelle beschädigt wird, der
dementsprechend Körperteil fehlt.
In dem zellulären Blastodermstadium setzen Zellbewegungen ein, die als Gastrulation bezeichnet werden. Nach
Abschluss dieser Bewegungen beginnt eine Unterteilung des Embryos in aufeinanderfolgende Zellpakete, aus
denen sich schliesslich die Segmente der Larve und letzendlich auch der Fliege differenzieren (Abb. 12).
Während dieses Prozess verkürzt sich der Embryo durch rückläufiger Gastrulationsbewegung bis die Segmente
in der Längsachse angeordnet sind. Ab diesem Stadium kann man die Zellkapete den späteren Segmenten
zuordnen, und die weitere Entwicklung zur Larve auch verfolgen kann. Es sind 3 Kopf, 3 Thorax und 9
Abdominalsegmente, von denen die Kopfsegmente bei den Larven nicht zu sehen sind, sie sind nach innen
verlagert, die Larve ist azephal (kopflos) (Abb. 12). Auf der ventralen (Bauch) Seite der Larve findet man die
Zänchenbänder, jeweils am Vorderrand jedes Thorax- und Abdominalsegments. Ein Segment reicht vom
Vorderrand eines Zänchenbändes bis zum Vorderrand des nächsten (Abb. 12). Bei einer jungen Larve kann man
innerhalb eines Segments eine weitere Furche erkennen, die das Segment in einen vorderen (anterioren) und
einen hinteren (posterioren) Bereich unterteilt. Diese Bereiche heissen Kompartimente. In der Frühentwicklung
spielt die Unterteilung in s.g. Parasegmente eine wichtige Rolle. Ein Parasegment aus einem posterioren
Kompartiment und aus dem folgenden anterioren Kompariment besteht (Abb. 12). Der Lebenszyklus setzt sich
von der Larve zur Puppe fort. Im Verlauf der Metamorphose werden larvale Strukturen abgebaut und Strukturen
der adulten Fliege (Imago) aufgebaut. Die adulten Strukturen entstehen aus imaginalen Vorläuferzellen, die
entweder als kleine Zellengruppen in den larvalen Geweben zu finden sind, oder als Imaginalscheiben
organisiert sind (Abb. 13).
Christiane Nüsslein-Vollhard und Erich Wieschaus waren von der plausiblen Überlegung ausgegangen, dass
Gene, die an der Segmentierung beteiligt sind, auch mutierbar sein müssen. Aber, wenn die Mutation ein
wichtiges Gen im Segmentationsprozess betrifft, sollte die Larve aufgrund der Entwicklungsstörung aus dem Ei
nicht zu schlüpfen. Deswegen wurde eine sichtbare Veranderung am Kutikulamuster der Zänchenbänder
gewählt, als dieses Muster wird lange vor dem Schlüpfen der Larve differenziert (Abb. 12); damit war es
möglich die gefundenen Mutationen der Segmentierungsgene in drei prinzipiell unterschiedlichen Klassen
zuordnen, wie folgt: Die Gruppe der Gap-Gene (Lückengene), bei denen ein zusammenhängender Bereich der
Segmenten defekt ist; die Gruppe der Segmentpolaritätsgene, bei denen in jedem einzelnen Segment ein Defekt
auftritt; in der Gruppe der Paarregelgene jedes zweite Segment fehlt (Abb. 14). Was hier fehlt oder vorhanden ist
sind nicht die Segmente, sondern Parasegmente, die in Richtung anterior-posterior die Zänchenbänder begrenzen
(Abb. 12).
Die nächste wichtige Frage
Die Antwort ist ja, und das
ftz-Gen enthält eine 9 kbp
kodierende Region besteht
lautet: Werden die Segmentationsgene zeitlich-räumlich reguliert und exprimiert?
fushi-tarazu-Gen (ftz; Japanisch: Wenige Segmente) wird als Beispiel dienen. Das
regulatorische Region und eine ~2 kbp transkribierende Region (Abb. 15). Die
aus zwei Exons und ein Intron. Die homozygoten ftz-Embryonen den Wildtyp
annehmen, wenn das Transgen die gesamte Kontrollregion enthält; das in 5’-Region verkürzte Transgen es nicht
leisten konnte (Abb. 15). Die Verteilung der ftz-mRNA in den Embryonen entspricht der ParasegmentSpezifizität. Die Darstellung der Ftz-Proteinverteilung wurde indirekt, mithilfe des lacZ-Reportergen aus E. coli
unter der Kontrolle des ftz-Kontrollregion gezeigt, und das Ftz-Proteinmuster als -Galaktosidase Muster
sichtbar gemacht (Abb. 15).
Das Expressionsmuster der Segmentierungsgene, wie ftz, ermöglicht die Vermutung, dass die Oozyten ein
anterior-posteriores Koordinatensystem besitzen, welches schon im synzytialen Cytoplasma die Genexpression
aktiviert oder reprimiert. Die an der Etablierung des Koordinatensystems beteiligten, s.g. maternalen Gene
produzieren mRNAs, die in der Oozyte in unterschiedlichen Position lokalisiert sind, und erst in der Zygote
translatiert wird. Moleküle, die vom Translationsort im Cytoplasma diffundieren und einen
Konzentrationsgradienten (Koordinatensystem) bilden, werden als Morphogene bezeichnet. Nach diesem Modell
die Morphogene Bicoid und Hunchback ein am anterioren Pol lokalisiertes Proteingradient bilden, und das
Gradient von Caudal und Nanos befinden sich am posterioren Pol (Abb. 16). Die mRNAs der Morphogenen
werden durch den Nährzellen ins Ei deponiert; während der Reifung der Oozyte die Nährzellen werden abgebaut
und verschwinden. Die Translation der morphogenen-mRNAs fängt gleich nach der Eiablage an (Abb. 17).
Die dorso-ventrale Achse wird auch während der Oogenese festgelegt, und erfolgt im Übergang von synzytialen
zum zellulären Blastodermstadium. Dabei wird ein Dorsal-Gradient in den ventralen Zellkernen aufgebaut (Abb.
18). Das Dorsal-Protein ist ein Transkriptionsfaktor, der den Zellen entlang der dorso-ventralen Achse
Positionsinformationen vermittelt. Die dorsal Mutanten sind „dorsalisiert“, weisen keine Zänchenbänder auf.
Das Bicoid Protein die Translation von caudal-mRNA verhindert, gibt es Caudal Protein am posterioren Pol.
Nanos Protein hemmt die Translation von hunchback-mRNA, so dass der Hunchback-Gradient am anterioren
Pol liegt. Dadurch entsteht ein mit Bicoid überlappender Hunchback-Gradient, und ein gegenläufiger, mit Nanos
überlappender Caudal-Gradient (Abb. 19). Die ersten zygotisch exprimierten Segmentierungsgene sind die GapGene, wie z.B. Krüppel. Experimentelle Daten zeigen die Beschränkung der Krüppel Expression im Synzytium
auf die zentrale Domäne. Obwohl der Morphogenengradient Bicoid und Hunchback krüppel-Transkription
aktiviert, die durch auch diesen Gradient aktivierten, benachbarten giant- und knirps-Expression reprimieren
anterior und posterior krüppel-Expression. Die krüppel-Kontrollregion besteht aus zahlreichen aktivator- und
repressor-Protein-Bindungstellen, die das Expressionsmuster von krüppel steuern (Abb. 20). Dabei entstehen
keine scharf abgegrenzte Expressionsbereiche, sondern glockenförmige, überlappende Bereiche (Abb. 19).
Die Paarregelgene weisen ein messerscharfes Expressionsmuster in den Parasegmenten auf. Davon fushi tarazu
exprimiert in den geradezahligen, even-skipped in den ungeraduzahligen Parasegmenten. Die Aktivatoren
Hunchback und Bicoid würden anteriore Expression von even-skipped ermöglichen, aber die als Repressoren
wirkenden, schon vorher gebildeten Giant und Krüppel Proteine beschränken die Expression von even-skipped
in dem zweiten Streifen des dritten Parasegments. Die Kontrollregion des even-skipped-Gens enthält zahlreiche
Aktivator- und Repressor-Bindungsstellen, die die koordinierte Expression ermöglichen (Abb. 21).
Die Segmentpolaritätsgene engrailed and wingless wirken in der Stabilisierung der Kompartimentsgrenzen. In
den Parasegmenten, welche durch Fushi tarazu und Even-skipped Expression schon etabliert wurden, wird die
anteriore Grenze der Parasegmenten Engrailed-Expression definiert, und durch die aktivierung von Wingless die
posteriore Parasegmentgrenze festgelegt (Abb. 22). Die Expression von Fushi tarazu und Even-skipped wird
beendet, und ein Segment besteht aus einem anterioren und einem posterioren Kompartiment, wo EngrailedExpression stellt die posteriore Segmentgrenze dar, damit das endgültiges Segmentationsmuster entsteht. Ein
entwicklungsgenetisches Kompartiment is eine Gruppe von Zellen, die schon genetisch determiniert ist, und ihre
mitotische Zellnachkommenschaft ein bestimmtes Entwicklungsschiksal besitzt. Mit anderen Wörter, die
genetisch identischen, determinierten somatischen Zellen unterscheiden sich wesentlich phenotypisch.
Das im Embryo etablierte Segmentationsmuster wird in der Larve, und später in der adulten fliege
wiedergespiegelt, aber wie bekommen die Segmente ihre spezifische genetische Identität? Die Antwort war die
Entdeckung der homeotischen Gene. In der bithorax mutanten Fliege wurde das gesamte Thoraxsegment T3 in
T2 transformiert, damit eine vierflügige Fliege entstand. Die antennapedia-Fliege trug zwei Beinen anstelle der
Antenne (Abb. 23). Die homeotischen Mutationen treffen die homeotischen Selektorgene, oder die Kontrollgene
der Segmentdifferenzierung. HOM-C, der Genkomplex der homeotischen Gene aus den Genen von
antennapedia-C und bithorax-C besteht (Abb. 24). Die Gene der Komplexen sind in derselben Reihenfolge
angeordnet, wie die von anterior bis posterior die Körpersegmente bestimmen.
Das erstenmal klonierte homeotische Gen war das Antennapedia-Gen. Das letzte Exon des Gens kodiert für die
s.g. Homeobox, eine DNA-bindende Protein-Domäne, die aus 60 Aminosäuren besteht (Abb. 25). Mithilfe dieser
Sequenzinformation wurden schliesslich homeotische Gene in Vertebraten, Pflanzen und Pilzen gefunden,
welche die hochkonservierte Homeobox aufwiesen (Abb. 26). Die Bindung der Antennapedia-Homeobox an die
DNA stellt Abb. 27 dar. In dieser Protein-DNA-Wechselwirkung nehmen Arginin 5 (R5), Isoleucin 47 (I47),
Glutamin 50 (Q50) und Methionin 54 (M54) teil (Abb. 27). In den Genomen vieler Tierarten findet man
Homeotische Gene, die ebenso wie bei Drosophila in einem Komplex, oder Cluster angeordnet sind und
entsprechend dieser Lokalisation ebenso sequenziell entlang der Körperachse exprimiert werden. Im Unterschied
zum HOM-C-Cluster von Drosophila werden sie Hox-Cluster in Maus und HOX-Cluster in Mensch genannt. Bei
den Säuger gibt es vier Hox-Cluster auf vier verschiedenen Chromosomen. (Maus: 2, 6, 11 und 15; Mensch: 2, 7,
12 und 17) (Abb. 28). Während der Entwicklung der Vorder- und Hinterbeine der Maus verschiedene Bereiche
der Extremitäten werden durch Hoxa- und Hoxd-Gene kontrolliert. Ausfallen einige genaktivitäten verursacht
schwere Fehlentwicklung (Abb. 29). Die Hoxc-8 -/- homozygot Mutant Maus sich eine extra Rippe entwickelt,
und haltet ihre Zähen Faust-ähnlich (Abb. 30). Wegen ihrer Konzervativismus die Segment-Spezifizität
homeotischer Gene können in Drosophila und in Maus verglichen werden (Abb. 31, Tab. 1).
HOXA11 homeo box
A11
7p15p14.2

Radioulnar synostosis with amegakaryocytic
thrombocytopenia, 605432
HOXA13 homeo box
A13
7p15p14.2


Hand-foot-uterus syndrome
Guttmacher syndrome, 176305
HOXD13 homeo box
D13
2q31-q32


Synpolydactyly, type II
Brachydactyly, type E, 113300
Einige menschliche homeotische Gene und ihrer mutanter Phenotyp.
Es ist sicher, dass jeder Körper von mehrzelligen Organismen einem komplizierten Genaktivitätmuster nach
gebildet wird, die jetzt nur in einigen Aspekten bekannt ist. Wie hier beschrieben, ist natürlich nur ein kurzer
Blick von einem sich rasch entwickelnden Gebiet der Entwicklungsbiologie.
Grundanforderung:
Wichtige Fachausdrücke
Individualentwicklung, Ontogenese
syncytiales Blastoderm
zelluläres Blastoderm
Anlagenplan / Schicksalskarte (Fate map)
Segment, Parasegment
Segmentierungsgene
Zeitlich-räumliche Exprimierung der
Segmentationsgene
Maternale Gene
Anterior-posteriores Koordinatensystem der
Oozyten
Bicoid, Nanos, Hunchback, Caudal Morphogene
Dorsal, Dorsalisierung
Paarregelgene
Segmentpolaritätsgene
Homeotische Selektorgene
Segmentdifferenzierung
Apikalleiste (apical ectodermal ridge)
Sonic hedgehog
Fibroblastenwachstumsfaktoren (FGF)
polarisierende Zellgruppe (ZPA, zone of polarizing
activity)
ZPA Einpflanzung, Spiegelsymmetrische Finger
HOLT-ORAM SYNDROME
Atavismus
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