SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Musik und Astronomie Irrsterne (5) Von Sabine Weber Sendung: Redaktion: Freitag, 13. November 2015 Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 SWR2-Musikstunde mit Sabine Weber 13.11.2015 Musik und Astronomie 5 Irrsterne Signet: SWR2 Musikstunde MODERATION Ich bin Sabine Weber und begrüße Sie zur letzten Folge Musik und Astronomie. Wir reisen durch unser Sonnensystem. Oder „irren“. Denn Irrsterne haben die Griechen die merkwürdig wandelnden Lichter in den fixen Sternbildern genannt. Irrsterne – Planetes. Aber wir bringen sie in eine musikalische Ordnung. Titelmusik kurz (10.sec) MODERATION Neun Planeten kreisen um unsere Sonne. Merkur, Venus, Erde und Mars in relativ engen Bahnen. Daher heißen sie die vier inneren Planeten. Dann kommen die riesigen Wasserstoff-Planeten. Jupiter, mit seinen vier galileischen Monden; Saturn, mit seinem auffälligen Ringsystem und Mond Titan, Uranus mit seinen dünnen Ringen und Neptun. Ganz außen der winzige Pluto auf einer exzentrischen Bahn. Er wurde erst 1930 entdeckt, ist vermutlich ein Gesteinsplanet und wird von dem fast ebenso großen Trabanten Charon begleitet. Forscher haben ihn ja inzwischen zum Zwergplaneten degradiert. Bis zu diesen beiden schafft es die heutige SWR2 Musikstunde leider nicht. Auf unserer kosmischen Klangreise machen wir nämlich noch ein Swing By Manöver zu den Musen. Und treffen auf Sphärenmusiknebel. Die sind weniger ein kosmisches als ein terrestrisches Phänomen. Musik, wie sie auf der Erde erfunden in den Himmel geträumt wurde. Das All selbst ist ja schalltot, was der Begeisterung für fantastische kosmische Musikphänomene keinen Abbruch tut. Das konnten Sie in den vergangenen Folgen vielleicht schon feststellen. Heute beginnen wir auf der Erde. Und mit der Erde. Auf dem bisher einzigen Planet, auf dem es nachweislich Leben gibt. Er ist auch der geologisch aktivste 3 Planet. Vulkane brechen aus. Gesteinsplatten reiben sich und formieren ständig neue Gebirge und Meeresbecken. Ständig neu ist natürlich auf astronomische Zeiträume bezogen. Auf ein relativ kurzes Zeitmaß hat Igor Strawinsky die Eruptionen und Ausbrüche unseres Planeten gebracht. Weil es gerade eine neue aufregende Aufnahme davon gibt, tanzt jetzt die Erde mit MusicaAeterna unter Teodor Currentzis. 1 LC06868 SONY 88875061412 Länge: 1'05 Igor Strawinsky, Erdentanz aus Sacre du printemps, MusicaAeterna, Teodor Currentzis (LTG) MODERATION Ein atemloser Tanz. Eine Anbetung der Erde. Viele haben das Stück sicherlich sofort wiedererkannt. Den Erdentanz aus dem Sacre du Printemps von Igor Strawinsky. Hier in einer Neuaufnahme mit MusicaAeterna unter Teodor Currentzis. Die Venus kommt der Erde an Größe, Masse und Sonnenumlauf am nächsten. Sie ist wegen ihrer Sonnennähe auch der heißeste Planet. Der Planet, die Venus, er oder sie präsentiert sich des Abends auch gern in Mondnähe und heißt daher auch der Abendstern. Den hat ein Komponist für den „lieblichsten der Sterne“ befunden, was natürlich astronomischer Unsinn ist. Die Venus ist ja ein Planet. Aber wenn sie oder er leuchtet – wie ein Stern – wollen wir es nicht so genau nehmen. „Der Venusstern sendet sein liebliches Licht huldvoll in die Ferne, und durch die Dämmerung wie ein lieber freundlicher Strahl.“ Selbstredend, dass dieser Stern ein Sinnbild für die Geliebte ist. 4 O du mein holder Abendstern aus Richard Wagners Tannhäuser. Eine schönere Arie hat wohl kein Planet in unserem Sonnensystem je bekommen. Und in dieser Aufnahme singt ein von mir überaus geschätzter, ja bewunderter Bariton: Bo Skovhus. 2 LC 06868 SONY CLASSICAL 60035 Länge: 4'50 Richard Wagner, Szene des Wolfram aus Der Tannhäuser, Bo Skovhus, Bariton, English National Opera Orchestra, James Conlon (LTG) MODERATION Die Szene des Wolfram und Lied an den Abendstern aus Der Tannhäuser von Richard Wagner. Mit Bo Skovhus und dem English National Opera Orchestra unter James Conlon. Wenn ich jetzt in meine für diese Sendereihe unverzichtbare Universum Kompakt Unterlagen schaue (mein bebildertes Nachschlagekompendium im Geo WissenFormat) dann kommt Richtung Sonne geschaut nach der Venus der Merkur. Der hüpfende Planet ist nach Pluto der kleinste. Er kreist zusammen mit Venus auf einer der Sonne ziemlich nahen Umlaufbahn. Und kann schon mal der Venus die Rolle des Abendsterns streitig machen. In der Barockzeit hatte der diesem Planeten zugeordnete Gott einen etwas zweifelhaften Charakter. Merkur, der Bote der himmlischen Lüfte gilt auch als Gott der Alchimisten und Narren. Und das hat Christoph Bernhard in einem Planetenballett für den Dresdener Hof sehr genau unterschieden. Merkur bekommt eine Einleitungssinfonie, dann eine Musik für die wichtigtuerischen Alchimisten und den komischen Auftritt der Narren. Elbipolis spielt unter Jörg Jacobi. 5 3 WDR3 Eigenproduktion Länge: 3'43 Christoph Bernhard, Merkur aus dem Ballett von der Zusammenkunft und Wirkung derer 7 Planeten 1678, Elbipolis Jörg Jacobi (LTG) MODERATION Zu dieser Musik ist der Planet Merkur am Dresdner Hof 1678 in einem Planetenballett angetanzt. Von dem Ballett von der Zusammenkunft und Wirkung derer 7 Planeten gibt es eine sehr genaue gedruckte Festbeschreibung. Und die Noten. Nur den Komponisten hat man vergessen auf die Noten zu schreiben. Der war wohl bei einem Hofzeremoniell nicht so wichtig. Jörg Jacobi ist Leiter vom Hamburger Barockensemble Elbipolis, das eben zu hören war. Er vermutet, dass Christoph Bernhard nicht nur das Libretto geschrieben hat. Es gibt auch Arieneinlagen. Und auch nicht nur das ganze Musikspektakel angezettelt hat. Er ist sich sicher, dass er auch die Musik komponiert ist. Der Komponist und Musiktheoretiker Christoph Bernhard ist ein großer Anhänger von Giuseffo Zarlinos Musiktheorien gewesen. Von diesem Gelehrten aus Venedig war bereits die Rede in einer unserer Folgen. Er hat Mitte des 16. Jahrhunderts beeindruckende Schaugraphiken entwickelt für die Zuordnung von Tonhöhen zu den Planeten. Zusätzlich zu den Planentensymbolen der Astrologie finden sich aber auch die Namen der Musen. Die sind ja bekanntlich die Damen der Sphärenharmonie. Ihren „gewaltig süßen Klang“ hört ja schon Scipio Africanus träumend in den himmlischen Sphären. Das überliefert Cicero im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Er ist damit der älteste Gewährsmann einer kosmischen Sphärenmusik. Das hat Musiktheoretiker unter anderem angeregt, eine Harmonie im Himmel auszumachen. Aber vor allem hat es die Fantasie der Komponisten angeregt. Die äußerste neunte Muse Urania hat übrigens noch lange keinen Planeten bei sich. Der Uranus muss ja erst noch entdeckt werden. 6 Sie ist die Himmlische. Die oberste auf der äußersten Bahn. Und sie ist die Muse der Astronomie! Johann Caspar Ferdinand Fischer stellt sie klanglich in einer Klaviersuite vor. In Böhmen geboren, steht Fischer dem Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden zu Dienste. Dieser versucht den Versailler Herrschaftsstil in Rastatt zu pflegen. Das könnte der Grund dafür sein, dass sein Hofkapellmeister Fischer auch musikalische Vorlieben der Franzosen in seine Suiten einfließen lässt. In den Augen seiner Zeitgenossen zählt Johann Caspar Ferdinand Fischer zu den einflussreichsten deutschen Tastenkomponisten dieser Zeit. Alle neun Musen hat Fischer in seinem Musikalischen Parnassus pianistisch bedacht. Wir steigen ein in die Schlusskurve von Urania! Das ist ihre Passacaglia. Sehr französisch mit notes inégales interpretiert von Mitzi Meyerson. 4 06768 LC 06768 MDG 6050977-2 Länge: 4'38 Johann Caspar Ferdinand Fischer, Passacaglia aus der Suite Urania aus Musikalischer Parnassus (vor 1736), Mitzi Meyerson, Cembalo MODERATION Mitzi Meyerson mit der Passacaglia aus der Suite Urania von Johann Caspar Ferdinand Fischer. Entstanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Alle Musen, also auch Erato, Clio oder Thalia... hat Fischer in seinem Musikalischen Parnassus. Oder ganz neu unter dem Nahmen der IX Musen, gleichweiss in IX Parthien bestehend und auff das Clavier eingerichtetes Schlag-Werck bedacht. Und dabei komponiert, wie es Mode in seiner Zeit war. Ja, kann sich der ewige Himmelsklang denn nach Moden richten? 7 Den Versuch einer „neutralen“ Hörbarmachung des kreisenden Planetensystems hat Willi Ruf 1977 versucht. Ruff - ein Schüler Hindemiths als dieser in Yale unterrichtet hat - übersetzt die Keplerschen Gesetze der elliptischen Bewegungen der Planeten um die Sonne und die in dessen Weltharmonie verwendeten astronomischen Messdaten mit Hilfe eines Computerprogramms. Die so hörbar gemachten Bewegungen der Planeten hat er für einen Zeitraum von 100 Jahren = 30 Minuten angenommen. Wie das klingt? „Wie eine weit entfernt rumpelnde U-Bahn!“ Gibt Ruff zu. „Das sei keine entspannende Musik“, so der Komponist über seinen eigenen Versuch. (Notiz aus der N.Y. Times, 22. März 1977, zit n. Feedback Papers, S.347) Der 2010 verstorbene Komponist Johannes Fritsch hat 1973 auf Bestellung des Düsseldorfer Naturkundemuseums für eine Kosmonogieausstellung die Planetenbewegungen durch Sinustöne für eine Rauminstallation hörbar gemacht. Mit Hilfe der Abstände zur Sonne – da hat er die Titius-Bodesche Reihe zugrunde gelegt -, ihrer Masse, Helligkeit und Umlaufzeit hat er die Parameter jedes Planeten aus der Position der Sonne bestimmt. Die Schwierigkeit der „Transposition“ habe darin bestanden, „die vielen astronomischen Größen in gegenseitiger Abhängigkeit zu sinnvollen Elementargrößen zusammen zu fassen...“ (Johannes Fritsch, Musica Mundana, Feedback Papers, Reprint 1-16, 152f) 5 Johannes Fritsch Edition FB 7303/ [email protected] Länge: 2'00 Johannes Fritsch, Musica Mundana, Realisation: Johannes Fritsch, Klangstudio des WDR MODERATION 8 Ein ständiges Wiederholen von ansteigenden und abfallenden Tonverläufen in unterschiedlichen Höhen und Tempi. Jupiter und Saturn sind so langsam, dass die Tonhöhenverschiebung kaum spürbar wird. Aber kann man bei dieser Übertragung von Komposition sprechen? Johannes Fritsch hat Musica Mundana als eine Klanginstallation für eine Kosmonogieausstellung in Düsseldorf 1973 kreiert. Johanna Magdalena Beyers music of spheres von 1938 ist die früheste Sphärenklangumsetzung der Moderne, die ich finden konnte. Leider ist nur wenig über diese bemerkenswerte Komponistin der amerikanischen Avantgarde in den 1920ern und 30ern bekannt. 1888 in Leipzig geboren emigriert sie 1924 nach New York, weil sie sich als Komponistin dort mehr Hoffnung macht. In den USA arbeitet sie im Kreis der Ultramodernen in Henry Cowells „New Music society“. Sie beschäftigt sich mit neuen Klängen und zählt zu den Pionieren der elektronischen Musik. Ihre Idee: alle Parameter einer Komposition auf eine einzige Idee zu konzentrieren. Das genau versucht sie in den 127 Takten ihrer Sphärenmusik. Hörbar macht sie - abstrakt gesprochen - Beschleunigung. Sie bringt die Sphären in Schwung. Nach einem konsequent redundanten System kreisen die Stimmen wie Planeten. Sie werden schneller und wieder langsamer. Mit music of spheres habe sie Assoziationen von Schönheit und Unendlichkeit wachrufen wollen. Das ursprünglich für elektronische Instrumente geschriebene Stück bearbeitet Johanna Magdalena Beyer später für Violine, Bratsche und Kontrabass. Den einfachsten Part hat wohl die Triangel. Der kosmische Löwe brüllt am Anfang aber immer noch vom Band ... 6 WDR3 Eigenproduktion Länge: 6'00 Johanna Magdalena Beyer, Music of the spheres, Ensemble Resonanz, Dominque My (LTG) MODERATION 9 Das Ensemble Resonanz unter der Leitung von Dominque My mit music of the spheres von Johanna Magdalena Beyer 1938 komponiert. Ein Swing by Manöver in den völlig unbekannten Kosmos einer zeitlebens marginalisierten Komponistin, von der man heute noch nicht einmal eine Fotographie besitzt. Musik und Astronomie steht als Überschrift über den SWR2 Musikstunden diese Woche. Und heute – im Freitagsfinale - stehen die Planeten im Kurs. Der rote Planet, Mars, kennt auch Jahreszeiten und gewaltige Stürme. Die Weltraumforschung steht in den Startlöchern, um diesen Planeten zu erobern. Und was auf die Marsastronauten zukommen könnte, wenn die Landefähre dann im Schiaparellibecken landet, hat der Kinofilm Der Marsianer von Ridley Scott im letzten Monat schon einmal durchgespielt. Der Film basiert übrigens auf dem Buch eines Programmierers und Weltraumjunkie. Andy Weir hat sich seit seinem 15. Lebensjahr mit Physik, Mechanik und der bemannten Raumfahrt beschäftigt. Ist das Mars? Fragen wir jetzt. Est-ce Mars heißt nämlich eine französische Chanson, die Samuel Scheidt im 17. Jahrhundert aufgreift und mit seinen Bearbeitungen zu einem regelrechten Hit macht. In dem ursprünglichen Lied geht es, kurzgesprochen, um den Kriegsgott Mars, der zwar schrecklich mit Waffen geschmückt ist, aber kurz davor steht, von Amors Pfeil empfindlich getroffen zu werden. 7 LC12403 COVIELLO CLASSICS CDV20907 Länge: 5'25 Samuel Scheidt, Est-ce Mars. Capella de la Torre, Katharina Bäuml (LTG) MODERATION Die Capella de la Torre mit dem französischen Lied Est-ce Mars, verarbeitet zu einer fünfstimmigen Canzone mit Variationen von Samuel Scheidt in seinen Ludi Musici von 1621. Scheidt war ein Zeitgenosse von Hermann Schein und Heinrich Schütz. 10 Wir kommen nicht umhin, ihm jetzt eine Reverenz zu erweisen. Er ist der größte der Planeten. Auch wenn er ein Gasplanet ohne feste Oberfläche ist. Der Jupiter besteht aus Helium und Wasserstoff und hat einen charmanten roten Fleck. Das ist allerdings eine ortsfeste Turbulenz. Ein permanenter Wirbelsturm. Ein kleiner Schönheitsfleck also. Dann hat der Riese einen ordentlichen Hofstaat. Über 60 Monde kreisen um ihn. Die vier großen Monde hat 1610 Galileo Galilei entdeckt. Sie heißen galileische Monde, haben aber auch noch sehr klingende Eigennamen. Io, Europa, Ganymed und Callisto. Alles sagenhafte Gestalten der griechischen Antike. Und der antike Jupiter ist auch sagenhaft, nicht nur in Bezug auf seine Liebschaften. Wenn er wütend ist, dann schleudert er Blitze. Es gibt ein ordentliches Donnerwetter. Selbst das zarte Instrument der Viola da gamba muss für Jupiter wettern. In der 5. Suite von Antoine Forqueray schleudert das Instrument Blitze und lässt es donnern. Jupiter heißt der letzte Satz dieser Suite, mit der der Gambist Forqueray angeben wollte und zeigen, was auf der Geige geht, geht auch auf der Viola da gamba, wenn man Forquerqay heißt. Eine Parforcetour für den Gambisten, der hier Wieland Kuijken heißt. 8 LC0761 DHM GD77145 Länge: 3'52 Antoine Forqueray, Jupiter aus der 5. Suite, Wieland Kuijken und Sigiswald Kuijken, Viola da gamba, Gustav Leonhardt, Cembalo MODERATION Da hat ein barocker Jupiter getobt - in einem Stück für Viola da gamba und Basso continuo von Antoine Forqueray. Das war ein Gambist, der Anfang des 18. Jahrhunderts am französischen Hof tätig war. Der Solist in unserer Aufnahme war Wieland Kujiken. Begleitet wurde er von Sigiswald Kuijken und Gustav Leonhardt. Ist Ihnen aufgefallen, wie viel Barockmusik sich um das astronomische Thema der Planeten mal wieder einstellt? Das hat damit zu tun, dass die moderne Astronomie in der Zeit der Aufklärung einen unglaublichen Aufschwung erfährt. 11 Gleichzeitig ist der Glaube an eine harmonische Ordnungsphilosophie, auf Erden musikalisch zu berechnen und in den Himmel zu projizieren, weiterhin ungebrochen. Die Musen turnen also munter auf berechneten Planetenbahnen. Längst ist erkannt, dass die Planeten keine perfekten Kugeln sind. Sie sind deformiert und ihre Oberflächen von Kratern und Einschlägen vernarbt. Und von wegen Kreise ziehen! Sie kurven auf Ellipsen. Dennoch sind sie beliebte Charakterdarsteller in den höfischen Planetenballetten. Nach dem Jupiter tanzt jetzt Saturn. In Bezug auf den schick mit einem Ring-Tütü gezierten aber klirrend kalten Riesen sticht ein Name hervor. Der Name Huygens! Der Holländer Christiaan Huygens hat 1656 den Saturnring entdeckt und auch den größten Saturnmond, den Titan. Vater des Saturnerforschers ist eine Lichtgestalt der niederländischen Kultur im sogenannten Goldenen Zeitalter. Constanijn Huygens ist Diplomat im Dienst des Oranje-Fürsten. Aber vor allem dichtet und komponiert er. Lateinische Psalmenvertonungen veröffentlicht er in einer Sammlung 1647. Darin finden sich auch zwölf italienische Arien und sieben französische Airs. Ein Diplomat ist ja polyglott. Jetzt erwacht Callisto – auch wenn sie eine Jupitermondin ist. In dieser französischen Air wird sie als der aufgehende Stern im Morgengrauen wahrgenommen, der leider noch nicht den Geliebten bringt. 9 LC0761 DHM GD77145 Länge: 3'00 Constanijn Huygens, Virginal mit Le reveil de Callisto, Julia Gooding, Sopran, Christopher Wilson , Theorbe MODERATION 12 Julia Gooding, Sopran, begleitet von Christopher Wilson auf der Theorbe und Carole Cerasi, Virginal mit Le reveil de Callisto von Constanijn Huygens. Mit ihm haben wir auch an seinen Sohn Christiaan Huygens erinnert, den großen holländischen Astronom und Saturnerforscher. Ein Planetenkonzert ganz ohne berühmte Tondichtung Die Planeten von Gustav Holst - allesamt brillante Charakterbilder für großes Orchester - das geht eigentlich nicht. 1916 hat der Engländer Holst sie vollendet und mit Neptun, dem Mystiker abgeschlossen. Pluto wird ja erst in den 1930ern entdeckt. Der letzte Satz schließt mit unbegleiteten, textlosen Frauenstimmen, die sich im Nichts verlieren. Ein nicht leicht zu erzielender Effekt, der Herbert von Karajan in dieser Aufnahme von 1960 mit den Damen des Wiener Staatsopernchores und den Wiener Philharmonikern ausgezeichnet gelingt. Und mit diesem ungeheuren Effekt des Planetenklassikers schlechthin endet unser heutiges Planetenkonzert im All. Im Nichts! 10 LC00171 DECCA4758215 Länge: 3'55 Gustav Holst, Neptun, der Mystiker aus The Planets, Wiener Staatsopernchor, Philharmoniker, Herbert von Karajan (LTG) MODERATION Neptun der Mystiker, gezeichnet von Gustav Holst in seiner Planetensuite für großes Orchester. Wir hörten die Damen des Wiener Staatsopernchores und die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Herbert von Karajan. 1916 vollendet – da war der Pluto noch nicht entdeckt. Aber auch nachdem der Pluto gesichtet wurde. Er war ja bereits von Percival Lowell Anfang des 20. Jahrhunderts vorausgesagt worden. Der hatte bemerkt, dass in den Umlaufbahnen des Uranus und des Neptun ungeklärte Unregelmäßigkeiten auftreten. Clyde Tombaugh 13 entdeckt ihn dann 1930 und genau an der von Lowell vorausgesagten Stelle! Dennoch weigert sich Holst, diesen Planeten kompositorisch nachzutragen. Einige Forscher zweifeln bis heute daran, dass Pluto ein wirklicher Planet ist. Seine Bahn ist viel exzentrischer als die der anderen Planeten. Seine Mittelachse ist enorm geneigt. An der der Sonne nächsten Stelle seiner Umlaufbahn kreuzt er sogar die Bahn Neptuns. Also im gewissen Sinne haben wir ihn ja jetzt auch noch gestreift. Damit verlässt die SWR2 Musikstunde das Raumschiff und beamt sich zurück auf die Erde. Ins Hier und Jetzt. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen und der weitere Verlauf des Tages steht für Sie unter einem günstigen Stern oder Planetenkonstellation. Die heute gehörten Musiktitel können Sie noch einmal nach recherchieren oder das Manuskript der Musikstunde nachlesen. Sie finden beides in den Musikstundensternkarten von SWR2 auf unserer Internetseite. Dort finden Sie die Sendung auch eine Woche lang zum Nachhören.