SV48 Innendämmkongress Dresden, 21

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Abwägungsfragen bei der energetischen Ertüchtigung
von Kulturdenkmalen
Prof. Dipl.-Ing. Thomas Will
Professur für Denkmalpflege und Entwerfen, Technische Universität Dresden
KURZFASSUNG. Bislang verfügbare Methoden zur energetischen Ertüchtigung des Gebäudebestandes sind in gestalterischer und baukonstruktiver Hinsicht oft problematisch. Für Baudenkmale gilt das ganz besonders. Will man an diesen wertvollen Objekten dennoch energetische Maßnahmen durchführen, etwa bei Wohnbauten, ist eine umfassende Nutzen-RisikoBilanzierung erforderlich. Dazu sind über Einspareffekte bei der Heizenergie hinaus weitere
Kriterien zu berücksichtigen, um einen guten Kompromiss zwischen den hochrangigen Gemeinwohlbelangen Denkmalschutz und Umweltschutz zu erzielen. Ein methodischer Ansatz
wird am Beispiel einer Studie für Wohnbauten in Sachsen vorgestellt. Hier wurden ökologische, bautechnische und kulturelle Nachhaltigkeitskriterien zugrunde gelegt, um die Verträglichkeit, besonders die Denkmalverträglichkeit, solcher Maßnahmen vergleichen zu können.
ABSTRACT. Methods available so far for thermal upgrading of the building stock are in many
ways problematic. This is particularly true if historic monuments are concerned. Wherever such
valuable objects should be modernized for energy efficiency – for example in the case of listed
housing developments – a comprehensive risk-benefit-analysis is required. Beyond the energysaving potential of various retrofitting measures further criteria have to be taken into account in
order to facilitate the process of finding a rational compromise for preserving the qualities of
both our natural and our built environment. A methodological approach for this evaluation
process is introduced here using the example of an interdisciplinary study which explored historic housing types in Saxony. It is based on the criteria of sustainability in order to compare the
ecological, technical and cultural compatibility of such measures.
Schlagwörter: Energieeffizienz, Baudenkmal, Nachhaltigkeit, Gesamtenergiebilanz
1 Gebäudedämmung – ein Teilbeitrag zur Energieeffizienz
Bei den aktuellen Bestrebungen zur besseren Wärmedämmung der Gebäude, im Bestand wie
im Neubau, geht es nicht um neue Bauaufgaben oder genuin konstruktive Verbesserungen.
Der Anlass kommt von außen. Es geht um Antworten auf übergeordnete ökonomische, energiepolitische und im weitesten Sinne ökologische Erfordernisse bzw. Forderungen. Ob es in
jedem Fall die richtigen Antworten sind, sollte nicht erst später oder anderswo gefragt werden, sondern bereits dort, wo die baulichen Lösungen entwickelt werden.
Dass Bauen sich externen Vorgaben anpassen muss, ist nicht neu. Auch früher war Energie
knapp und teuer, knapper als heute. Weil das auch für das Baumaterial galt, drosselte man den
Energiebedarf eher durch Sparsamkeit beim Heizen als durch aufwendige Baukonstruktionen.
Seit 1800 ist der Energieverbrauch um das 50-100-fache, oder, je nach Quelle, um das 5-10fache pro Kopf gestiegen [1], jedoch nicht nur für höhere Heizbedürfnisse, sondern deutlich
stärker in anderen Sektoren, wie in der Baulanderschließung und der Baustoffproduktion. Der
Energieverbrauch der Gebäude blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein eher sparsam – in der Herstellung wie im (damaligen) Gebrauch. Erst die reichlich erschlossenen und technisch bequem
einsetzbaren fossilen Energieträger haben unsere Komfortansprüche auf ein Niveau ansteigen
lassen, wo die Wärmeverluste durch die Gebäudehülle so signifikant wurden, dass man sie
seit den 1970er Jahren baulich-konstruktiv einzudämmen sucht.
Der sparsame Energieeinsatz früherer Zeiten bedingte häufig ein Raumklima, das unbehaglich
und ungesund für die Bewohner und schädlich für die Baukonstruktionen war. Heutige verbesserte Bauweisen und Anlagen können dem abhelfen – ein Fortschritt, der unstrittig ist. Die
technische Möglichkeit, effizienter zu heizen und zu dämmen, kann allerdings dazu verleiten,
das Gebot der Sparsamkeit im Umgang mit Energie und materiellen Ressourcen für obsolet
zu halten oder zu umgehen nach dem Motto: Was wir hier einsparen, können wir anderswo
umso unbeschwerter verbrauchen. In einer Konsumgesellschaft ist das weithin der Fall. Vertreter einer energiebewussten Architektur kritisieren deshalb die Tendenz, menschliche Verantwortung und Vorsorge durch Technik ersetzen zu wollen [2].
Wenn derzeit häufig auch aus Fachkreisen zu hören ist, dass Altbauten die großen „Energieverschwender“ seien, wird sichtbar, wie die Steigerung des Komforts bis ins Überflüssige und
Unsinnige bereits in rechnerische Standards Einzug gehalten hat [hierzu kritisch: 3]. Wie
könnte es sonst sein, dass in unserer Wahrnehmung gerade jene Gebäude zu viel (Heiz-)
Energie verbrauchen, die überwiegend in Zeiten errichtet wurden, als nur ein Bruchteil der
heutigen Energie zur Verfügung stand? Für die Mehrzahl der Denkmale gilt: als man sie erbaute, lebte man sparsamer und betrieb sie damit effizienter.
Das Dämmen der Gebäudehülle dient primär dem Ziel, den Energieverbrauch für Heizung
und Kühlung zu reduzieren. Wie mit eindrucksvollen Zahlen gezeigt wird, kann das rechnerisch zu deutlichen Einsparungen an dieser Stelle führen. Inwieweit die Einsparungen dann in
der Praxis eintreten und auch absolut zu der politisch erwünschten Reduktion von CO2Emissionen beitragen, hängt vom Nutzerverhalten und weiteren Faktoren ab. Die Gebäudedämmung hat darauf wenig Einfluss. Sie ist deshalb als ein Teilaspekt unter anderen in den
Gesamtkomplex Energiepolitik einzuordnen. Hier sind umfassende Ansätze nötig, die sich
nicht allein auf Verbrauchswerte (Betriebskosten), sondern auf die energetische Gesamtbilanz
der jeweiligen Bestände beziehen (Lebenszyklusbetrachtung) [4]. Bauwirtschaftliche Erwägungen sollten schon um einer seriösen Argumentation willen davon unterschieden werden.
2 Haushalten und Bilanzieren
Dem Leitbegriff der Nachhaltigkeit werden nach der Definition der UNO drei Handlungsfelder zugeordnet: Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft. Dabei handelt es sich nicht um überlappende Bereiche gleicher Größe und Bedeutung. Vielmehr stellt das ökologische Kapital – die
Biosphäre – den übergeordneten Aspekt dar, innerhalb dessen es einen kleineren Bereich gibt,
die menschlichen Gesellschaften, und innerhalb dieses Feldes findet sich der nochmals kleinere Bereich der ökonomischen Belange dieser Gesellschaften. Bei der Betrachtung einzelner
Aspekte unter der Maßgabe der Ressourcenschonung ist diese Reihenfolge und Abhängigkeit
im Auge zu behalten [14].
Ökologie und Ökonomie – beides Begriffe, die im 19. Jahrhundert geprägt wurden – sind in
dieser Perspektive keine Gegensätze, sondern Teilaspekte des Haushaltens mit unterschiedlichen Arten von Kapital. Da die Energieeffizienz beim Bauen alle drei Handlungsfelder berührt, darf sie nicht reduziert werden auf Einspareffekte beim Bauherrn oder bei einzelnen
Wirtschaftsbereichen, auch nicht auf die Reduzierung des Verbrauchs nicht-regenerativer
Energien bei der Gebäudenutzung. Energieeffiziente Gebäude verlangen gute Werte in der
2
Gesamtbilanz, von der Herstellung über den Betrieb (einschließlich externer Faktoren wie
Erschließung und Verkehr) mit hohem Anteil regenerativer Energienutzung bis zur Entsorgung.
Bei allen quantitativen Überlegungen zur Energieeffizienz wird man das Zusammenwirken
der unterschiedlichen Einflussfaktoren, auch wenn sie nicht genau bezifferbar sind, berücksichtigen müssen. Sonst besteht die Gefahr, dass man zum Beispiel an wertvollen Denkmalen
mit staatlich geförderten, aber problematischen Maßnahmen Energie einspart, um dann in
anderen Bereichen um so mehr verbrauchen zu können, indem etwa die Ersparnisse bei den
Heizkosten in eine Fernreise investiert werden – die dann über steuerbegünstigtes Flugbenzin
wiederum staatlich gefördert wird [zu diesen „Rebound“-Effekten: 7]. Weder den Denkmalen
noch der Umwelt wäre gedient, wenn man an der volumenmäßig kleinen, oft fragilen und für
die Gesamtenergiebilanz eher marginalen Gruppe der Baudenkmale [Zahlenangaben in 1, 5]
massiv eingreifen würde, um hier, quasi an den physisch schwächsten Gliedern, ein Exempel
zu statuieren, weil man bei größeren Energiekonsumenten davor zurückscheut.
Die Einordnung energetischer Maßnahmen in den hier angedeuteten größeren Kontext ist von
Bedeutung, wenn es um Abwägungen zwischen technisch-ökonomischen und baukulturellen
Belangen geht. Die thermische Gebäudeertüchtigung ist ein wichtiger Baustein, dessen Verwendbarkeit und Tragfähigkeit jedoch in einer Gesamtbetrachtung zu prüfen ist.
Abb. 1 Verpacken: eine Wertvernichtung, die nicht geringer wird dadurch, dass der Unterschied nicht allen auffällt. Die öffentlich geförderte Abstumpfung gegenüber der Baukultur
wird kaum einhergehen mit einer Sensibilisierung für energetisch-ökologische Ziele.
3 Denkmalschutz – Ökologie des kulturellen Erbes
Von den Forderungen, Betriebsenergie im Bestand einzusparen, sind zunehmend auch die
Denkmale betroffen. Zwar sieht die aktuelle Energieeinsparungsverordnung (EnEV 2009)
vor, dass bei Baudenkmalen, sofern sie nicht generell vom Gültigkeitsbereich ausgenommen
sind (§ 1 Abs. 2), und auch bei sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz von den Anforderungen abgewichen werden kann, ohne dass dies einer Genehmigung bedarf (§ 24). Die
an der EnEV ausgerichteten Fördermöglichkeiten und mögliche Nachteile auf dem Mietmarkt
führen jedoch dazu, dass auch für Denkmale eine energetische Ertüchtigung gefordert wird.
Nun kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass Energiekonzepte, die sich im Neubaubereich bewährt haben, für Altbauten ebenso brauchbar sind – hier bestehen prinzipielle bautechnische Unterschiede. Das gilt auch für die meisten Denkmale, die sich vom Altbaubestand nur
3
hinsichtlich ihrer Denkmalbedeutung, nicht aber konstruktiv unterscheiden. Denkmale sind energetisch nicht besser oder schlechter als normale Altbauten. Was sich dort technisch bewährt, wird
dies auch am Denkmal tun. Warum also Vorbehalte und besonderer Abwägungsbedarf?
Denkmalschutz gilt dem kulturellen Wert des gebauten Erbes. Gesetzlich wird dieser ideelle
Wert definiert als eine Bedeutungsschicht, die insbesondere geschichtlicher, künstlerischer,
wissenschaftlicher, städtebaulicher und landschaftsprägender Natur sein kann. Es ist Aufgabe
des Denkmalschutzes, ähnlich wie auch der Museen, aus dem immer umfänglicheren Arsenal
an Hinterlassenschaften der Zivilisation jene auszuwählen, deren Erhaltung wegen ihrer besonderen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt – auch dann, wenn sie unter rein praktischen Gesichtspunkten vielleicht auf dem Müll landen würden. Denkmale zeugen von einer
Zeit, einer Kunst, einer handwerklichen oder technischen Praxis, einer Gesellschaft und ihrer
Kultur, die nicht mehr die unsrige ist. Als exemplarische Vertreter dieses Erbes wollen wir sie
natürlich möglichst unverändert erhalten – also gerade nicht heutigen Standards angleichen.
Dennoch müssen kulturelle Ressourcen, vor allem die Baudenkmale, in der Regel genutzt und
dafür gewissen Erfordernissen unserer Zeit angepasst werden – anders als die organischen
Ressourcen der Natur, die sich (wenn ungestört) von selbst erhalten und erneuern. Denkmalpflege heißt deshalb auch, jeweils zu bestimmen und auszuhandeln, was wirklich „Erfordernisse unserer Zeit“ sind, im Gegensatz zu Vorlieben oder Trends, auf die man im Denkmalbestand besser verzichtet. Wenn Veränderungen an den Denkmalen also oft unvermeidlich sind,
etwa um hygienische oder bauordnungsrechtliche Vorgaben einzuhalten, so haben wir doch
inzwischen reichlich erfahren, dass eine zu weitgehende oder sorglose Anpassung des Denkmalbestands an aktuelle Belange später bereut wurde. Die Weiterentwicklung hat deshalb mit
großer Vor-Sicht in Verantwortung für spätere Generationen zu geschehen.
Diesem Gedanken der Nachhaltigkeit war die Denkmalpflege seit jeher verbunden [8]. Als
einer seiner Wegbereiter hat sie sich heute zu einer Ökologie des kulturellen Erbes entwickelt:
Das zukunftsorientierte Bewahren des Artenreichtums, der in der gebauten Umwelt existiert,
erfordert einen schonenden, abwägenden Umgang mit den Erbschaften der einzelnen Kulturräume [9]. Denkmalschutz und Umweltschutz stimmen dabei in ihrer ethischen und praktischen Ausgangsbasis überein: in beiden Fällen wird das gemeinsame Erbe – Kultur oder Natur – im Interesse der Zukunft gegen kurzsichtige, konsumorientierte Zerstörungsabsichten
verteidigt. Doch gibt es wichtige Unterschiede: Auch bei der schonendsten Anpassung und
Nutzung von Gebäuden wird Substanz verbraucht – ein Grundproblem der Denkmalpflege.
Wo die lebende Natur einer nachhaltigen Nutzung offen steht, sind die Objekte der Denkmalpflege prinzipiell unersetzliche Ressourcen. Was hier verbraucht wird, kommt nicht wieder.
4 Zielkonflikte – Berücksichtigung kultureller Werte bei Modernisierungsprozessen
Energetische Gebäudesanierung will sparen: Energie und Emissionen. Denkmalschutz will
bewahren: kulturelle Werte. Wie lassen sich diese verwandten, aber nicht identischen Anliegen in der Praxis aufeinander abstimmen?
Die kulturhistorische Bedeutung, die ein Objekt zum Denkmal macht, ist nicht immer ohne
weiteres erkennbar. Sie ist nicht von seinem technischen Zustand, der Gebrauchstüchtigkeit
und Wirtschaftlichkeit, ja oft nicht einmal von seiner Attraktivität abhängig. Der kulturelle
Wert von Baudenkmalen liegt allerdings meist in der architektonischen Qualität, in der handwerklichen oder künstlerischen Durchbildung des Bauwerks. Hier treten dann auch die Kon-
4
flikte auf, wenn Modernisierungsmaßnahmen in dieses Gefüge eingreifen: Die Veränderungen sind einerseits als technische, wirtschaftliche und umweltrelevante Verbesserungen gedacht, andererseits bewirken sie Störungen der Ursprünglichkeit von Substanz und Erscheinungsbild des Gebäudes. Jedes Mehr an Veränderung zugunsten energetischer Belange bedeutet ein Weniger an Originalerhalt und jede Anspruchserhöhung an den Zeugniswert beschneidet umgekehrt die Möglichkeiten zur Reduzierung des Energieverbrauchs. Die Erreichung beider gegenläufiger Ziele ist somit ausgeschlossen – ein klassisches Dilemma [6].
Trotz der verwandten Grundanliegen gibt es also Zielkonflikte zwischen den gesellschaftlichen Interessen Energieeffizienz/Klimaschutz auf der einen, Denkmalschutz auf der anderen
Seite. Anstatt nun beide Aufgaben sektoral zu betrachten und gegeneinander auszurichten,
erscheint es Erfolg versprechender, in der Gesamtschau immer wieder das Gemeinsame zu
bestimmen, um daraus Kompromissmöglichkeiten abzuleiten (Abb. 2).
Dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist in
der Denkmalpflege nicht neu, es kommt
schon im Urkonflikt zwischen Originalerhalt
und Nutzung zum Tragen. Hier tritt es jedoch
in einer speziellen Ausdrucksform zu Tage.
Anders als bei Nutzungsanpassungen, die
eher fallweise und lokal zu klären sind,
herrscht beim Thema Energieeffizienz ein
genereller, akuter und zunehmend normativ
gestalteter Handlungsdruck, der die Gesetzgebung und die Förderpolitik einschließt und
ganze Nutzergruppen und Wirtschaftszweige
zu Gewinnern oder Verlierern macht.
Abb. 2
Kriterien einer integrierten und
vergleichenden Gesamtbewertung [5]
Hier ist somit grundsätzlicher zu fragen, wie die Abwägung zwischen den verschiedenartigen
Zielen und eine Optimierung von Lösungswegen erfolgen soll. Kann die Gewichtung und
Berücksichtigung von Kriterien, die sich nicht gegeneinander aufrechnen lassen, systematisch, zumindest aber nachvollziehbar gestaltet werden?
Die Aufgabe, den kulturell wertvollen Baubestand energetisch zu verbessern, gehört ihrer
Natur nach in den Bereich großer kultureller und technischer Transformationsprozesse, für die
es keine schnellen und eindeutigen Lösungen gibt. Die unterschiedlichen betroffenen Aspekte
und Ziele sind in einem kontinuierlichen Prozess von Wertsetzungen und Risikobilanzierungen gegeneinander abzuwägen und als öffentliche Belange auszuhandeln.
Dabei sind die Erhaltung des differenzierten Gefüges, das ein Baudenkmal zumeist ausmacht,
und die Verbesserung seiner energetischen Bilanz als prinzipiell gleichwertige, aber teils konkurrierende Ziele zu berücksichtigen. Die Suche nach guten, integrativen Lösungen kann – da
es sich um nicht-lineare Optimierungsaufgaben handelt – nicht durch exakte Verfahren, sondern nur heuristisch erfolgen. Hierfür kommen beispielsweise Annäherungsverfahren durch
Variantenuntersuchungen in Frage. Der errechnete und bewertete Gewinn einer Maßnahme ist
im Sinne einer Nutzen/Risiko-Abwägung ins Verhältnis zu setzen zu den abgeschätzten und
bewerteten Auswirkungen. Diese Abwägung verlangt die Maximierung der Einspareffekte,
die Minimierung der Nebenwirkungen und die gegenseitige Optimierung beider Gebote.
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Im Denkmalschutz sind, anders als im Naturschutz, entsprechende Verfahren noch wenig
entwickelt, auch aus der Sorge heraus, dass sie die kulturellen Aspekte einer unangemessen
quantifizierenden Bewertung (Parametrisierung) aussetzen. Das Thema ist jedoch erkannt und
wird verschiedentlich bearbeitet, so beim Arbeitskreis Bautechnik der Vereinigung der Landeskonservatoren in Deutschland oder bei der kantonalen Denkmalpflege der Schweiz. Erste
Maßstäbe für eine systematische Vorgehensweise setzt die Richtlinie „Energieeffizienz am
Baudenkmal“ des Österreichischen Bundesdenkmalamtes [10]. Auch die im Folgenden vorgestellte Studie aus Sachsen [5] und die darauf fußende Handlungsanleitung [6] zielen in diese Richtung.
Hier ist auch auf Erfahrungen in anderen Arbeitsfeldern zu blicken. In vielen Bereichen der
öffentlichen Daseinsvorsorge werden zur Entscheidungsfindung Methoden der KostenNutzen- bzw. der Nutzwertanalyse eingesetzt, die auch „weiche“, in Geldwert nicht darstellbare Kriterien berücksichtigen. In der Bauleitplanung und für raumwirksame Großprojekte
sind Verfahren und Instrumente der Abwägung und Optimierung seit langem eingeführt und
rechtlich verankert. Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und die Eingriffsregelung des
Naturschutzrechts sind die bekanntesten. Die UVP ist ein umfassendes Vorklärungs- und Folgenprüfungsverfahren mit integrativem Ansatz – ein mittlerweile bewährtes, wenn auch dringend verbesserungswürdiges Instrument der ökologischen Aufklärung. Es dient dazu, die
Wirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt zu ermitteln und einzuschätzen, um schädliche
und belastende Wirkungen frühzeitig zu erkennen und in der Planung und Entscheidung zu
bedenken. Zu der dort vorgesehenen Berücksichtigung des kulturellen Erbes, die lange Zeit
recht unbestimmt erfolgte, finden sich neuerdings interessante Ansätze [11].
Die energetische Verbesserung des Baubestands und insbesondere der Denkmale stellt kein
öffentliches Vorhaben in diesem Sinne dar, da die Aufgabe jedem Eigentümer zur Einzelentscheidung überlassen bleibt. In der Summe erweist sie sich jedoch als ähnlich konfliktträchtig
und komplex, ihre Folgen für die Umwelt reichen über die Belange des Einzelnen weit hinaus. Deshalb könnten analoge Herangehensweisen zumindest im Bereich der Forschung und
Beratung im Sinne einer vorgeschalteten Nutzen-Risiko-Abwägung hilfreich sein.
Ähnliche Wege werden im Neubausektor schon länger beschritten. Das Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat den „Leitfaden nachhaltiges Bauen“ [12] entwickelt, die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen hat ihr Zertifizierungssystem auf der
Grundlage der Lebenszyklusanalyse, der Verfahren der Ökobilanzierung und der Lebenszykluskostenrechnung aufgebaut. Es dient auch als Planungs- und Entscheidungsinstrument bei
der Entwicklung und Evaluation von Varianten. Inwieweit die hier und in ähnlichen Systemen
(BREEAM, LEED) vorgenommene quantitative Bewertung zahlreicher Kriterien auf den Altbausektor übertragbar ist, oder gar auf Aspekte des Denkmalschutzes, sei hier dahingestellt.
Solche überwiegend ökologisch und ökonomisch orientierten Bewertungsverfahren müssten
durch kulturelle und soziale Kriterien ergänzt werden. Auch die (nicht parametrisierbare) Kategorie historischer Bedeutungsschichten wäre angemessen zu berücksichtigen. Wenn es damit gelänge, zu umsichtigen und transparenten Bewertungsverfahren für energetische Ertüchtigungsmaßnahmen zu kommen, könnte dies sehr wohl im Interesse der Baudenkmale (und
auch ihrer Treuhänder) sein, um dem enormen Veränderungsdruck mit guten Argumenten
folgen oder auch widerstehen zu können.
6
5 Standort, Architektur und Technik als Einflussgrößen
Optimierte Gebäudehüllen und Energietechnik helfen, erst am richtigen Ort jedoch helfen sie
wirklich sparen. Energieeffizienz im Bauwesen ist Sache des Städtebaus und der Architektur,
ihres Gebrauchs und der energietechnischen Ausstattung – in dieser Reihenfolge.
Ich habe an anderer Stelle dazu zwei Gebäude verglichen [1]: eines der Vorzeigeobjekte des
ökologischen Bauens, das Niedrigenergie-Hochhaus des Condé-Nast Verlags in New York,
und die Öffentliche Bücherei im holländischen Groningen. Das als „Green Building“ zertifizierte Hochhaus besticht mit außergewöhnlichen Verschattungs- und Dämmeigenschaften,
photovoltaischen Einrichtungen, Recyclinganlagen und weiteren umwelttechnischen Raffinessen. Und doch sind die ökologisch effektivsten Seiten des Gebäudes andere: seine kompakte Größe, die einen geringen Außenwandanteil in Relation zur Nutzfläche bedingt, und
sein verkehrsgünstiger Standort.
Das andere Beispiel ist ein traditionell konstruiertes Gebäude mit Backsteinfassaden. Zur Umweltfreundlichkeit meinte der Architekt sinngemäß, seine Gebäude seien aus Ziegel und Beton,
sie handelten von Architektur und Raum, nicht von Natur oder Technik; doch er glaube, sie
seien ökonomischer und ökologischer als diese schlauen Apparaturen, die so angestrengt aussehen und nicht ihre Dauerhaftigkeit, sondern ihren ständigen Verschleiß zelebrierten. Sein Argument ist nicht leicht von der Hand zu weisen. Aber es gibt eine Klammer zwischen dem
schlauen Hochhaus und dem weisen Backsteinbau: In der europäischen Stadt Groningen begegnet uns das gleiche Phänomen wie in Manhattan: die dichte Stadt als energetisches Prinzip.
Was kann uns das zeigen? Für die Gesamtenergiebilanz im Bauwesen sind an erster Stelle Architektur und Städtebau ausschlaggebend. Die Baukörperausbildung als interner Energieparameter, die Standortqualität als externe Größe, die das Nutzerverhalten mit bestimmt. Zumindest
für die Industrieländer mit ihren angeglichenen Lebensstandards in Stadt und Land kann man
feststellen: nicht die „naturnahen“ Gartensiedlungen, sondern die dichten Städte sind in der
Summe das energieeffizientere Modell. In Deutschland geht der überwiegende Anteil der Heizenergie im Baubestand auf das Konto von Ein- und Zweifamilienhäusern [13], die mit ihrem
Flächenbedarf zudem hohe Energiekosten im Verkehr bedingen. Siedlungsdichte und Bauform
sind volkswirtschaftlich und ökologisch also noch entscheidendere Faktoren als die thermischen
Eigenschaften der Gebäudehülle. Sie sind allerdings weniger kurzfristig zu verändern.
6 Denkmalschutz als Beitrag zum Klimaschutz
Noch vor jeder Sanierungsmaßnahme bedeutet die Erhaltung und Nutzung eines historischen
Bauwerks, dass kein Neubau erforderlich wird. So werden Erschließungs- und Infrastrukturaufwand sowie Energie für die Herstellung und Verarbeitung neuer Baumaterialien eingespart
und die damit verbundenen Emissionen in die Umwelt vermieden. Bei der energetischen Betrachtung von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus können Altbauten deshalb eine
positive Bilanz aufweisen. Die für Produktion und Material erforderlichen Energieströme sind
als Investitionen bereits erfolgt und als „graue Energie“ eingelagert. Ihre Weitergabe über
Generationen bedeutet volkswirtschaftliche und energetische Ersparnisse auch dann, wenn im
Einzelfall der Eigentümer keinen wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehen kann.
Anhand eines Gründerzeithauses in Dresden wurde dies beispielhaft ermittelt [1]. Ein (nach
EnEV 2004) errichteter Ersatzneubau würde im Vergleich zum behutsam sanierten Mehrfami-
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lienhaus (Endverbrauch 100 kWh/m2a) Einsparungen von 25 kWh/m2a bzw. 18750 kWh/a
erbringen. Bezieht man die graue Energie des Bestands mit 1 Mio. kWh ein, so zeigt sich,
dass der sanierte Altbau noch gut 50 Jahre lang dem Neubau energetisch überlegen oder
ebenbürtig bleibt – nicht zu reden von den Vorteilen, die er gegenüber technischen Sparlösungen an Wohnqualität bietet. Nimmt man für die Gesamtenergiebilanz die externen Faktoren hinzu, vor allem die Vorteile der Stadtlage, ergibt sich als Fazit: Wer im sparsam modernisierten Gründerzeithaus in der Stadt wohnt, trägt vermutlich mehr zur Energieeinsparung
bei als der stolze Besitzer eines Passivhauses in der ökologischen Mustersiedlung im Grünen.
Denkmalschutz und Gebäudesanierung erweisen sich hier als gute Partner des Klimaschutzes.
7 Beurteilung energetischer Maßnahmen an denkmalgeschützen Wohnbauten
Die als Kulturdenkmale geschützten Wohnbauten in Sachsen bilden mit >10% Anteil am Wohnungsbestand eine wirtschaftlich und energetisch nicht ganz unerhebliche Gruppe. Solche Bauten, die auf dem Mietmarkt „mithalten“ müssen, sind von Konflikten zwischen möglichen
Einspargewinnen und Verlusten ihrer Denkmaleigenschaften besonders betroffen. Im Rahmen
des Aktionsplans „Klima und Energie“ beauftragte das Staatsministerium des Innern den
Lehrstuhl für Bauphysik und den Lehrstuhl für Denkmalpflege und Entwerfen der TU Dresden mit der Durchführung einer Pilotstudie [5]. Maßnahmen zur Steigerung der baulichen
Energieeffizienz sollten daraufhin untersucht werden, inwieweit sie für die Gruppe der denkmalgeschützten Wohnbauten in Frage kommen. Die Ergebnisse flossen in den vom SMI herausgegebenen Leitfaden [6] ein. Schwerpunkt dieser Studie war die Beurteilung einerseits des
energetischen Einsparpotenzials am Gebäude, dargestellt als prozentualer Beitrag zur Kostensenkung der Energiebezugskosten, andererseits der Denkmalverträglichkeit der Maßnahmen,
dargestellt anhand der Kriterien Verlust an historischer Bausubstanz, Beeinträchtigung des
Erscheinungsbildes und Reversibilität.
Je nach Gebäudetyp und Alter weisen die Bauten unterschiedliche energetische Eigenschaften
auf. Neben der Baukonstruktion ist vor allem die Bauweise Ausschlag gebend. Dies fand durch
Bildung relevanter Fallgruppen Berücksichtigung: Für freistehende Gebäude wurden Wohnstallhäuser auf dem Land (18./19. Jh.) und städtische Mietshäuser (1850-1900) untersucht, für
die halboffene Bauweise jüngere Siedlungsbauten (1920-1950) und für die Blockrandbebauung
ältere städtische Reihenwohnhäuser (bis ca. 1870) und Gründerzeitbauten (1870-1920).
Für jede Fallgruppe wurden zwei typische, in letzter Zeit energetisch sanierte Gebäude ausgewählt und die dort erzielten Einspareffekte mit Hilfe thermischer Gebäudesimulationen
quantifiziert. Der Einsatz dieses Werkzeuges ermöglichte es, die Energieeffizienz von Einzelmaßnahmen separat zu ermitteln. Um die Einsparpotenziale vergleichen zu können, erfolgten die Simulationen unter Annahme gleicher Randbedingungen bezüglich der Klimadaten
und des Nutzerverhaltens.
Als Einzelmaßnahmen wurden die Wärmedämmung der Kellerdecke bzw. der Bodenplatte,
die Dämmung der oberen Geschossdecke und die Zwischen- bzw. die Aufsparrendämmung
des Daches beurteilt. Für die Außenwände wurden WDVS, Dämmung hinter einer Verschalung, Dämmputz und Innendämmung untersucht. Im Hinblick auf die Senkung der Lüftungswärmeverluste wurden Maßnahmen an Fenstern und Türen beurteilt. Im haustechnischen Bereich kamen die Steigerung der Anlageneffizienz, der Einsatz von thermischen Solaranlagen
und Photovoltaik, der Anschluss an Nah- bzw. Fernwärmenetze sowie die Nutzung von Umweltwärme hinzu.
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Im Ergebnis wurde für jede Fallgruppe eine Bewertungsmatrix erarbeitet: Die Einsparpotenziale bei den Betriebskosten stehen hier der Denkmalverträglichkeit gegenüber. Für die Gesamtbetrachtung unter Nachhaltigkeitsaspekten waren weitere Kriterien von Belang: ökologische Verträglichkeit (CO2-Bilanz, Primärenergieverbrauch, Ressourcenverbrauch), bautechnische Verträglichkeit (Behaglichkeit, Werthaltigkeit, Schadensrisiko), Gebrauchswert. Da sich
die einzelnen Ergebnisse nicht gegeneinander aufrechnen lassen, wurden Für und Wider nach
Klassen bewertet (teils auf Basis numerischer Werte, teils durch qualitative Einordnung) und
graphisch gegenübergestellt, um verallgemeinerbare Schlüsse ziehen zu können.
Im Ergebnis wird ersichtlich, dass einige Maßnahmen für diese Denkmalgruppen meist verträglich sind, wie die Dämmung der obersten Geschossdecke, die Zwischensparrendämmung und
die Nutzung von Geothermie. Für sich genommen bewirken diese freilich noch wenig Einsparung, hier sind sinnvolle Kombinationen nötig. Energieeffiziente Maßnahmen, die bei der
Denkmalverträglichkeit weniger gut abschneiden, betreffen vor allem die Dämmung der Außenwände. Das ist leicht erklärlich, weil gerade dort die Wirkung der Kulturdenkmale im öffentlichen Raum betroffen ist. Hier liegen die besonderen Potenziale einer Innendämmung.
Aus den Einzelbeurteilungen lassen sich allgemeine Rückschlüsse ziehen: So weisen die untersuchten Wohnbauten abweichende Energiebilanzen auf und lassen erkennen, dass zu ihrer
energetischen Optimierung unterschiedliche Dringlichkeiten, aber auch vielfältige Möglichkeiten bestehen. Dabei sind spezifische Vor- und Nachteile abzuwägen: Mit einer Dämmung
der Fassaden lassen sich zwar hohe Einspareffekte erzielen (8-36%), der Eingriff ist jedoch
nicht frei von Risiken und meist mit Verlusten verbunden. In jedem Fall sind dabei schwierige konstruktive und bauphysikalische Fragen zu lösen. Durchweg positiv beurteilt werden
kann die Optimierung der Anlagentechnik, sie ist in der Regel sowohl energetisch effizient als
auch denkmalschonend. Die Nutzung von Solarenergie als Kompensation für zurückhaltende
Dämmmaßnahmen ist hingegen oft verträglicher und wirtschaftlicher an weniger empfindlichen Standorten zu verwirklichen.
Im Einzelfall bestimmt stets der Denkmalwert den Handlungsspielraum. Seine Ermittlung
setzt große Fachkenntnis voraus, in ihrer Begründung sollte sie aber auch Laien nachvollziehbar sein. Die Lösung liegt in einem Kompromiss, der unterschiedliche Maßnahmen geschickt
kombiniert. Mehrere kleine und verträgliche Schritte sind dabei besser zu bewerten als ein
großer Eingriff. Im Sinne der langfristigen Werterhaltung sollte die Reversibilität der Maßnahmen bedacht werden – in wenigen Jahren wird man effizientere und zugleich schonendere
Verfahren kennen.
Schließlich gilt es, gerade im sensiblen Bereich des kulturellen Erbes den Blick zu öffnen:
vom Einzeldenkmal und seinen Betriebskosten zur volkswirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Perspektive, die auch die im Bestand gespeicherten materiellen und ideellen Ressourcen berücksichtigt. Diese Aspekte waren in der Untersuchung noch nicht alle mit Indikatoren
zu untersetzen. So konnten Aussagen zum laufenden Energieverbrauch erfolgen, nicht aber
zur CO2-Bilanz, die den Energieverbrauch für Baustoffe, Verkehr, Infrastruktur und Entsorgung mit umfasst. Solange diese externen Faktoren nicht einbezogen werden, greifen allgemeine Aussagen hinsichtlich der energetischen Bilanz des Baubestands zu kurz. Sie können
wohnungswirtschaftlich berechtigt sein, für das politische Ziel der Ressourceneinsparung sind
sie nur von begrenztem Wert. Hier besteht ein erheblicher, die Fachgrenzen der Bauphysik,
der Architektur und der Denkmalpflege überschreitender Forschungs- und Abwägungsbedarf.
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Literatur
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Erschienen in:
John Grunewald, Rudolf Plagge (Hg.): 1. Internationaler Innendämmkongress, Dresden 2011, S. 87-96, ISBN 3940117-07-6
© Thomas Will 2011
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