M E D I Z I N EDITORIAL Helicobacter-pyloriSerologie in der Praxis Differenzierter Einsatz der Endoskopie erforderlich Andreas Hackelsberger Peter Malfertheiner B is zu zehn Prozent der deutschen Bevölkerung begeben sich wegen Oberbauchbeschwerden in ärztliche Behandlung (16). Die Mehrzahl dieser Patienten wird von ihrem Hausarzt untersucht und symptomatisch behandelt; nur ein kleiner Teil wird aufgrund einer besonders ausgeprägten oder chronisch rezidivierenden Symptomatik endoskopiert. Als mögliche Ursache von Oberbauchbeschwerden ist mittlerweile auch die Infektion der Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori anerkannt. Sie kann sowohl im Rahmen der peptischen Ulkuskrankheit als auch bei einer noch nicht klar definierten Gruppe von Patienten mit nichtulzeröser Dyspepsie (NUD) Symptome verursachen (11, 13). Bislang wird diese Infektion in Deutschland vorwiegend an endoskopisch gewonnenen Schleimhautbiopsien histologisch oder mittels des UreaseSchnelltests diagnostiziert (3). Die Diagnose ist also meist an die Überweisung zu einem gastroenterologisch spezialisierten Facharzt geknüpft. Man kann vermuten, daß die Notwendigkeit zur Überweisung bei knapper werdenden Ressourcen die Diagnose und adäquate antibiotische Behandlung der Infektion bei einer Vielzahl von Patienten verzögert, zumal der behandelnde Arzt eine symptomatisch wirksame Therapie in Form von Säuresekretionshemmern oder Prokinetika auch ohne bildgebende Diagnostik verordnen kann. In Anbetracht dieser Situation hat die Europäische H.-pylori-Studiengruppe (EHPSG) im September 1996 in Maastricht nach einer Konsensus-Konferenz von Fachwissenschaftlern und in der Praxis tätigen Ärzten aus 19 europäischen Ländern Empfehlungen ausgesprochen (21), welche die Diagnostik und adäquate Therapie dieser Infektionskrankheit auch verstärkt in den primärärztlichen Bereich verlagern sollen. Helicobacter-pylori-Diagnostik durch den Hausarzt Zur Diagnose einer H.-pylori-Infektion existieren neben den genannten, an die Endoskopie gebundenen direkten Verfahren auch der 13C-Harnstoff-Atemtest und der serologische Nachweis der Infektion als indirekte Methoden mit vergleichbar zuverlässigen Testergebnissen (6). Der 13C-Harnstoff-Atemtest hat sich trotz hoher Sensivität und Spezifität als gegenwärtig nicht kostendeckend abrechenbares Verfahren in Deutschland bislang nicht flächendeckend etablieren können. Da H. pylori eine kräftige Immunantwort bei seinem Wirt induziert, können spezifische IgG-Antikörper im Serum mittels ELISA (Enzyme-linked immunosorbent assay) mit hoher Treffsicherheit nachgewiesen werden, während IgA-Antikörper zur Diagnostik weniger geeignet sind (6). Da die unbehandelte Infektion lebenslang persistiert, darf davon ausgegangen werden, daß der Nachweis dieser Antikörper einer aktiven Infektion entspricht, wenn noch keine gezielte antibiotische Therapie vorangegangen ist. Eine ganze Reihe kommerziell verfügbarer IgG-ELISA-Testkits sind gut validiert (7). Die Methode ist relativ kostengünstig (EBM: 280 Punkte), wird inzwiDeutsches Ärzteblatt 94, Heft 48, 28. November 1997 (53) A-3265 M E D I Z I N EDITORIAL schen von vielen Laborärzten und Mikrobiologen durchgeführt und von der niedergelassenen Ärzteschaft in deutlich ansteigender Frequenz nachgefragt (15). Darüber hinaus existieren mittlerweile kommerziell verfügbare und scheinbar äußerst attraktive Vollblut-Schnelltests. Mit diesen können H.-pylori-Antikörper innerhalb von Minuten durch den Hausarzt selbst nachgewiesen werden. Die Validierung solcher Schnelltests unter Praxisbedingungen zeigte aber bislang keine ausreichend zuverlässigen Ergebnisse, so daß sie derzeit noch nicht empfohlen werden können (17, 19). Auswahl der Patienten Ein unkritischer Einsatz der Strategie, bei Oberbauchbeschwerden keine Endoskopie, sondern eine serologische H.-p.-Diagnostik durchzuführen (alternativ 13C-Harnstoff-Atemtest) und bei positivem Ergebnis die Infektion zu sanieren, beinhaltet eine Reihe von Gefahren. Sie müssen durch eine sorgfältige Auswahl von ungeeigneten Patienten vermieden werden: Ein Magenkarzinom, welches in hohem Prozentsatz mit einem positiven Antikörpernachweis verknüpft ist (5), könnte so der endoskopischen Diagnostik entgehen. Da das Magenkarzinom in Deutschland und der Mehrzahl der europäischen Länder praktisch ausschließlich bei Patienten höheren Alters auftritt, hat das Expertengremium in Maastricht empfohlen, daß Patienten mit Oberbauchbeschwerden ab einem Alter von 45 Jahren immer primär endoskopiert werden. Findet sich bei jüngeren Patienten ein Magenkarzinom in der Familienamnese oder liegt ein Alarmsymptom vor, wie Anämie, Gewichtsverlust, Dysphagie, stärkster Oberbauchschmerz oder Teerstuhl, dann ist ebenfalls eine umgehende Endoskopie erforderlich. Dies gilt auch, wenn Oberbauchbeschwerden im zeitlichen Zusammenhang mit der Einnahme von NSAR oder auch ASS aufgetreten sind. In der verbleibenden Gruppe von jüngeren Patienten mit Oberbauchbeschwerden muß zunächst differentialdiagnostisch eine Reihe von Erkrankungen ausgeschlossen werden: Nach Sodbrennen und saurer Regurgitation, den typischen Symptomen einer gastroösophagealen Refluxerkrankung, ist ebenso zu fahnden wie nach den darmbezogenen Symptomen des Colon irritabile oder Anhaltspunkten für eine psychogene Symptomatik. Bei vermuteter Gallenstein-, Pankreas- oder Lebererkrankung sind Ultraschall plus erweiterte Labordiagnostik erforderlich. Bleiben diese negativ, dann sollte der jüngere Patient A-3266 (54) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 48, 28. November 1997 mit rezidivierenden, im Oberbauch zentrierten Schmerzen mittels IgG-ELISA serologisch auf das Vorliegen von Antikörpern gegen H. pylori (oder mittels 13C-Harnstoff-Atemtest) untersucht werden. Die Prävalenz der H.-pylori-Infektion in der Altersgruppe bis 45 Jahre liegt in Deutschland zwischen 30 bis 40 Prozent (1), aber die Mehrzahl der Infizierten ist symptomfrei. Therapeutische Konsequenz Wird nach dieser Strategie beim jüngeren dyspeptischen Patienten H. pylori nachgewiesen, so ist es nach Einschätzung der EHPSGKonferenz ratsam, die Infektion ohne weitere bildgebende Diagnostik zu therapieren. Dazu stehen in Deutschland drei hocheffektive, nebenwirkungsarme antibiotische Kurzzeittherapien zur Verfügung, wie an anderer Stelle im Deutschen Ärzteblatt berichtet wurde (13). Ein kleinerer Teil der nach dieser Strategie evaluierten, mit H. pylori infizierten Patienten wird ein unkompliziertes Ulkus haben; die Infektsanierung ist dann als kurative Therapie der peptischen Ulkuskrankheit zu betrachten. Die zu erwartende Mehrzahl der Patienten hat aber eine NUD (8). Gegenwärtig wird noch kontrovers diskutiert, ob auch bei diesen Patienten eine Indikation zur Sanierung der Infektion besteht (10, 20). Die Praxis zeigt jedoch, daß eine antibiotische Therapie gegen H. pylori auch bei der NUD zunehmend häufig verordnet wird (9, 14). Aus England wird berichtet, daß das serologische Screening auf H. pylori mit anschließender Infektsanierung auch ohne Endoskopie bei jüngeren Patienten mit Oberbauchbeschwerden bei vielen „general practitioners“ bereits etabliert ist (12). Eine in den USA erstellte Kosten-NutzenAnalyse zeigt, daß die skizzierte Vorgehensweise Kosten einsparen kann, wenn ein peptisches Ulkus bei zehn Prozent der Patienten vorliegt oder fünf bis zehn Prozent der Patienten mit NUD auf die Infektsanierung therapeutisch ansprechen (18). Die Einsparung kann allerdings erst mittelfristig erwartet werden (2). Ein anderer Aspekt darf jedoch über solchen ökonomischen Erwägungen nicht vergessen werden: Die über die Medien bezüglich H. pylori informierte und zum Teil verunsicherte Öffentlichkeit wächst gegenwärtig. Eine zunehmende Zahl von Patienten mit Oberbauchschmerzen wünscht von ihrem Arzt explizit die Überprüfung des H.-pylori-Status mit der Konsequenz M E D I Z I N EDITORIAL/FÜR SIE REFERIERT einer Behandlung bei nachgewiesener Infektion. Die Risiken dieser Behandlung sind bei korrekter Durchführung für den einzelnen gering. Man kann sich deshalb dem Behandlungswunsch solcher Patienten nicht entziehen, auch wenn der Nutzen der Infektsanierung bei der NUD noch nicht definitiv gesichert ist. Zudem haben viele Patienten bereits eine Reihe symptomatischer Therapien ohne anhaltenden Erfolg hinter sich, während die Sanierung der Infektion die Chance bietet, einen möglichen Kausalfaktor des Beschwerdebilds definitiv zu eliminieren. Für den jüngeren Patienten kann zusätzlich ein präventivmedizinischer Aspekt bezüglich möglicher H.-pylori-Folgekrankheiten geltend gemacht werden. Die Überprüfung des Therapieerfolgs ist, obschon wünschenswert, unter ökonomischen Aspekten nicht unbedingt notwendig: Bei eindeutig rückläufiger Symptomatik kann von einer erfolgreichen Behandlung ausgegangen werden. Bei persistierender Symptomatik sollte generell eine Endoskopie mit direktem Keimnachweis veranlaßt werden. Eine zunehmende Resistenzentwicklung von H. pylori gegen Metronidazol oder Clarithromycin wird befürchtet, wenn diese Infekti- on im Rahmen einer erweiterten Indikationsstellung häufiger als bisher behandelt wird (4). Man darf jedoch annehmen, daß die Anwendung der zugelassenen, hoch wirksamen Kombinationstherapien wesentlich seltener zur Selektion resistenter H.-pylori-Stämme führt als Monotherapien mit diesen Antibiotika, welche in großer Häufigkeit bei gynäkologischer oder pulmologischer Indikation vom Arzt verordnet werden. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 1997; 94: A-3265–3267 [Heft 48] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Peter Malfertheiner Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Zentrum für Innere Medizin Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Straße 44 39120 Magdeburg Soziales Training bei Grundschülern: wenig effektiv Soziologische Studien konnten zeigen, daß aggressives Verhalten bei Kindern auch bei Heranwachsenden bestehen bleiben kann. So weisen in der Grundschule aggressive Kinder häufig auch antisoziale und gewaltbereite Verhaltensweisen als Jugendliche oder Erwachsene auf. In der Studie wurde untersucht, ob eine Frühintervention es ermöglicht, das Aggressionspotential längerfristig zu senken. In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es ein Lehrprogramm – „Prävention von Gewalttätigkeit“ – für die Grundschulen. Ob es hilfreich und wirksam ist, wurde an zwölf Grundschulen im Raum Seattle (Washington) überprüft: In je sechs Schulen wurde das Programm in Klassen des zweiten und dritten Schuljahres angewandt, in sechs Kontrollschulen nicht. Lehrer, Eltern und Beobachter (die nicht wußten, in welchem Zweig sie eingesetzt waren) gaben vor Beginn, zwei Wochen nach Beginn und sechs Monate nach Beendigung des Unterrichts ihre Bewertungen ab. Weder Lehrer noch Eltern konnten signifikante Veränderungen während des Unterrichts oder nach einem halben Jahr im Verhalten der Kinder feststellen. Die Beobachter fanden allerdings in den Schulen, in denen das Programm eingesetzt worden war, leichte Verbesserungen, und zwar vor allem deswegen, weil sie die Kinder auch in einer Situation beobachten konnten, die weder Eltern noch Lehrern zugänglich war, wie beispielsweise in den Pausen und in den Cafeterien. Die Fälle von körperlicher Aggression waren weniger geworden, sozial neutrales oder gar positives Verhalten hatte zugenommen – zumindest in einem stati- stisch signifikanten Bereich. Verbale Aggressivität und allgemein sozialnegatives Verhalten blieben sowohl nach zwei Wochen wie am Ende so gut wie unverändert. Überdeckt wurde diese Entwicklung dadurch, daß zum einen vor der Endbeobachtung Ferien waren und der Winter dazwischen lag – eine Zeit, in der der Aggressionspegel ohnehin zu steigen pflegt. Die Autoren schließen ihre Studie mit der diplomatisch unterkühlten Feststellung, es scheine, daß das Lehrprogramm leichte Verbesserungen im sozialen Verhalten der Kinder bewirken könnte. bt Grossmann DC, Neckermann HJ, Koepsell TD et al.: Effectiveness of a violence prevention curriculum among children in elementary school. JAMA 1997; 277: 1605–1611. Dr. David Grossmann, Harbourview Injury Prevention and Research Center, 325 Ninth Ave, Box 359960, Seattle, WA 98104, USA. Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 48, 28. November 1997 (55) A-3267