Bundesfinanzministerium - „Wir sind vorsichtig und planen seriös“

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„Wir sind vorsichtig und planen seriös“
Datum 07.07.2014
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Interview mit der SÜDWEST PRESSE vom 5. Juli 2014 über die
Schwarze Null, niedrige Zinsen und die „Demagogie“ der AfD.
Südwest Presse: Herr Schäuble, das Bundeskabinett hat am Mittwoch Ihren Entwurf des Bundeshaushalts 2015
beschlossen. Erstmals seit Jahrzehnten wollen Sie ohne neue Schulden auskommen. Wie groß ist das Risiko, dass Sie
das nicht schaffen?
Wolfgang Schäuble: Wenn es keine unvorhersehbaren Krisen gibt, schaffen wir das. Wir sind vorsichtig und planen
seriös. Die Spielräume 2014 und 2015 sind zwar eng, aber es ist machbar. Wir haben das vor der Wahl auch versprochen
und im Koalitionsvertrag vereinbart. Jetzt setzen wir unsere Zusagen um.
Südwest Presse: Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Steuereinnahmen ein?
Schäuble: Die Gesetzgebung zum Mindestlohn halte ich für vertretbar. Entscheidend ist, was sie auf dem Arbeitsmarkt
bewirkt, übermäßige Auswirkungen auf den Haushalt wird sie nicht haben. Die Investitionen des Bundes steigen 2015
leicht, aber sie machen weniger als zehn Prozent der Ausgaben aus.
Südwest Presse: Müsste nicht zu Lasten des Konsums umgeschichtet werden?
Schäuble: Der Bundeshaushalt bildet nur einen Teil der öffentlichen Investitionen ab. Ein Beispiel: Wir haben gerade
beschlossen, dass der Bund das Bafög vollständig übernimmt, dadurch werden in Ländern und Kommunen
Investitionsmittel frei. Das heißt: Der Bund tut in diesem Fall etwas für Investitionen, auch wenn sie dann nicht vom
Bund selbst, sondern von den Ländern und Gemeinden getätigt werden. Es gilt also immer, die Summe der Investitionen
von Bund, Ländern und Kommunen zu beachten.
Südwest Presse: In Baden-Württemberg will die grün-rote Landesregierung ab 2016 ohne neue Schulden auskommen...
Schäuble: Das kann ich nur begrüßen.
Südwest Presse:…früher als ursprünglich gedacht. Halten Sie das für realistisch?
Schäuble: Ich bin nicht der Zensor der Landespolitik. Mir ist allerdings aufgefallen, dass Baden-Württemberg unter der
CDU-geführten Vorgängerregierung sehr viel früher auf dem Weg zur Null-Verschuldung war. In den ersten Jahren der
grün-roten Landesregierung ist Baden-Württemberg im Ländervergleich signifikant zurückgefallen. Da die Menschen
nicht plötzlich fauler geworden sind, muss das wohl etwas mit der Politik zu tun haben.
Südwest Presse: Der Staat profitiert derzeit von den niedrigen Zinsen. Dafür verlieren aber Sparer und auch
Lebensversicherungen Geld. Wann bringen denn Kapitalanlagen wieder eine vernünftige Verzinsung?
Schäuble: Wir haben zwar derzeit niedrige Anlagezinsen, aber auch eine sehr niedrige Inflationsrate. Die Sicherheit der
Anlagen ist ebenfalls sehr viel wert, und hierzu haben die Maßnahmen zur Überwindung der Krise im Euroraum einen
erheblichen Beitrag geleistet. Wer mehr Rendite will, muss höhere Risiken eingehen, das ist ein Grundprinzip des
Wirtschaftens.
Südwest Presse: Ihnen macht die Zinsentwicklung überhaupt keine Sorgen?
Schäuble: Doch. Es ist offenbar zu viel Geld im System. Es könnte zu neuen Blasenbildungen in den weltweiten
Aktien- und in den Immobilienmärkten kommen. Das müssen wir sorgfältig beobachten. Wir werden auch wieder ein
höheres Zinsniveau bekommen.
Südwest Presse: Sie haben die Immobilienblasen angesprochen. Sehen Sie denn dafür eine akute Gefahr?
Schäuble: Nein. Die Europäische Zentralbank und die Bundesbank achten sehr darauf, dass es dazu nicht kommt. Aber
an manchen Orten, ist eine Immobilienpreisentwicklung zu beobachten, die problematisch werden könnte. Oder denken
Sie an die teilweise enorm hohen Preise für landwirtschaftliche Flächen.
Südwest Presse: Der Solidarpakt läuft 2019 aus und damit eigentlich auch der Soli. Noch in diesem Jahr soll
grundsätzlich entschieden werden, wie es ab 2020 weitergeht. Warum redet niemand über die Abschaffung des Soli?
Schäuble: Wie es nach dem Auslaufen des Solidarpakts und der geltenden Regeln zum Länderfinanzausgleich
weitergeht, ist eine Frage, die Bund und Länder gemeinsam beantworten müssen. Die Regierungen der 16 Bundesländer
haben vielfältige Vorstellungen. Einige Länder stellen einen Zusammenhang mit der Schuldenbremse im
Grundgesetz her und leiten daraus Forderungen gegenüber dem Bund ab. Wir müssen uns umfassend einigen, Bund,
Länder und Gemeinden. Das ist nicht einfach.
Südwest Presse: Wo sehen Sie da Probleme?
Schäuble: Der Solidarpakt hatte vorgesehen, dass der Bund die Lasten des Aufbaus Ost finanziert. Dafür wurde der
Solidaritätszuschlag eingeführt. Im Gegenzug hat der Bund nicht nur den Solidarpakt bezahlt, sondern auch einen
Anteil der Umsatzsteuer für den Länderfinanzausgleich zur Verfügung gestellt. Auch wenn der Solidarpakt ausläuft,
bleibt die wirtschaftliche Leistungskraft zwischen alten und neuen Ländern so unterschiedlich, dass man auf einen
Ausgleichsmechanismus nicht verzichten kann, in welcher Form auch immer.
Südwest Presse: Diskutiert wird, aus dem Soli einen Zuschlag für strukturschwache Gebiete in ganz Deutschland zu
machen. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung sagt: Gelsenkirchen geht es schlecht, aber immer noch besser als
Dresden.
Schäuble: An dieser Debatte beteilige ich mich nicht. Die Kunst gesamtstaatlicher Verantwortung ist, eine gute Lösung
für das ganze Land zu finden.
Südwest Presse: Könnte man nicht den Soli zumindest teilweise abschaffen, um die kalte Progression abzubauen?
Schäuble: Von mir wird erwartet, dass ich mit anderen zusammen eine Lösung finde, und das geht nicht über die
Zeitung.
Südwest Presse: Wie sieht es mit den Ideen zum Abbau der kalten Progression aus?
Schäuble: Das ist ein anderes Thema. Dafür brauche ich nicht nur ein Gesetz, das der Deutsche Bundestag
verabschiedet, sondern auch die Zustimmung des Bundesrats. Der Bund bekommt von der Lohn- und
Einkommensteuer nur 42,5 Prozent, von der Körperschaftsteuer 50 Prozent. Der Rest geht an Länder und Gemeinden.
Die Länder haben gesagt, dass sie einer Gesetzgebung, die zu einer Verringerung ihrer Einkünfte führen würde, nicht
zustimmen. Solange diese grundsätzliche Position nicht zu verändern ist, gibt es keine Chancen, eine solche
Gesetzgebung zu realisieren. Daher fange ich sie auch nicht an. Nicht erfüllte Erwartungen würden das Grundvertrauen
in eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung unnötig beschädigen.
Südwest Presse: Zum Thema Europa: Da ist ja der Eindruck entstanden, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel den Stabilitätspakt aufweichen will.
Schäuble: Nein, das hat Sigmar Gabriel ausdrücklich dementiert. Der Wirtschaftsminister rüttelt nicht am
Stabilitätspakt. Aber manche in Europa suchen Auswege, um dringend nötige Strukturreformen nicht zu beginnen.
Südwest Presse: Wie beurteilen Sie denn den aktuellen Stand der Eurorettung?
Schäuble: Wir haben den Euro aus dem Zentrum der Besorgnisse auf den Finanzmärkten herausgebracht. Die
Vertrauenskrise ist überwunden.
Südwest Presse: Aber viele Krisenländer ringen weiter mit ihren Stabilisierungsprogrammen.
Schäuble: Die meisten dieser Länder haben die Programme erfolgreich abgeschlossen. Spanien, Portugal, Irland.
Zypern ist auf einem sehr guten Weg, und Griechenland hat größere Fortschritte gemacht, als bei der Vereinbarung des
zweiten Hilfsprogramms angenommen wurde.
Südwest Presse: Trotzdem haben die Probleme Europas dazu geführt, dass nun sieben Abgeordnete der AfD im
Europäischen Parlament sitzen. Eine vorübergehende Erscheinung?
Schäuble: Ich hoffe, ja. Seit drei, vier Jahren behaupten diese öffentlich besoldeten Professoren der Volkswirtschaft, der
Euro würde scheitern und Deutschland mit in den Abgrund reißen. Die Wirklichkeit sieht komplett anders aus.
Südwest Presse: Die Bildung der AfD ist nicht der erste Versuch, rechts von der Union eine Partei zu etablieren. Was
wäre denn eigentlich so schlimm daran, wenn das funktionieren würde?
Schäuble: Ich halte gar nichts von dieser Gesäßgeographie, wie das Heiner Geißler einmal genannt hat. Es geht nicht
um links, rechts oder Mitte. Wir haben schlicht keinen Bedarf an Parteien, die an den Rändern des politischen
Spektrums mit demagogischen Parolen Unsicherheiten in der Bevölkerung schüren, ohne selbst Lösungen zu
präsentieren. Ich werde solche Parteien immer politisch, mit guten Argumenten, bekämpfen.
Das Interview führte Andre Bochow.
© Bundesministerium der Finanzen
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