001_069_BIOsp_0110.qxd 48 29.01.2010 11:21 Uhr Seite 48 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN Nanotoxikologie In vitro-Testverfahren zur Toxikologie von Nanomaterialien ALEXANDRA KROLL, DANIELA HAHN, JÜRGEN SCHNEKENBURGER GASTROENTEROLOGISCHE MOLEKULARE ZELLBIOLOGIE, WESTFÄLISCHE WILHELMSUNIVERSITÄT MÜNSTER Zur Bestimmung des toxischen Potenzials von Nanomaterialien ist eine umfassende Charakterisierung ihrer physikochemischen Eigenschaften sowie ihrer möglichen Interferenz mit verschiedensten in vitro-Testsystemen unerlässlich. To assess the toxic potential of nanomaterials, a thorough characterization of their physico-chemical properties and their possible interference with in vitro test systems is essential. ó Als Nanomaterialien bezeichnet man Strukturen, die in mindestens einer Dimension kleiner als 100 nm sind. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Materialeigenschaften finden sie breite Anwendung in unterschiedlichsten Bereichen wie der Automobilindustrie oder Kosmetik- und Lebensmittelindustrie. Technisch hergestellte Nanomaterialien umfassen Substanzen verschiedener chemischer Zusammensetzung und Struktur, wie Nanopartikel, Nanoröhrchen, Nanofasern oder Nanoplättchen. So werden Nanopartikel aus Titandioxid (TiO2) häufig als UV-Schutz in Sonnencremes oder Silber-Nanopartikel als Bakterizid in Verpackungsmaterial eingesetzt. Kohlenstoff-basierte Nanoröhrchen (CNTs) finden bei der Härtung verschiedenster Werk- ˚ Abb. 1: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Anhaftung von TiO2-Nanopartikeln an menschliche Hautzellen (HaCaT). TiO2-Nanopartikel liegen als Agglomerate (schwarze Pfeile) auf der Zelloberfläche, N: Nukleus. stoffe in der Sensorik und Elektronik Anwendung. Die zunehmend industrielle Herstellung von Nanomaterialien führt zu einem erhöhten Expositionsrisiko und erfordert daher eine genaue Überprüfung möglicher Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Nanomaterialien – Substanzen mit einzigartigen Eigenschaften Warum muss das Gefährdungspotenzial von Nanomaterialien bestimmt werden, wenn die toxikologische Unbedenklichkeit gröberer Formen derselben Substanzen bereits erwiesen ist? Verglichen mit ihren größeren Pendants besitzen Nanomaterialien ein extrem großes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Daher sind sie wesentlich reaktiver und interagieren stärker mit biologischen Systemen als ihre größeren Vertreter. Das toxische Potenzial kann sich dementsprechend erheblich von dem der zugrunde liegenden Ausgangsstoffe unterscheiden. Zudem können verschiedene Nanomaterialien trotz gleicher chemischer Zusammensetzung unterschiedliche zelluläre Reaktionen auslösen. Der Einfluss der Kristallstruktur auf die biologische Aktivität konnte am Beispiel von TiO2-Nanopartikeln (Abb. 1) gezeigt werden. Partikel gleicher Größe mit unterschiedlicher Struktur (Anatas bzw. Rutil) riefen unterschiedliche Effekte hervor, wobei Rutil-TiO2-Nanopartikel stärker zytotoxisch wirkten [1–2]. Weiterhin bestimmen Löslichkeit, Aggregation/Agglomeration, Form, Oberflächenladung und -chemie die biologische Aktivität von Nanomaterialien. Diese Parameter können sich bei Dispergierung in biologischen Medien stark verändern; Nanomaterialien umgeben sich dann mit einer „Protein-Korona“, die die biologische Aktivität entscheidend beeinflusst [3]. Zurzeit reicht die Datenlage für eine Korrelation von physikochemischen Eigenschaften von Nanomaterialien und ihrer biologischen Wirkung nicht aus. Daher muss für jedes technisch hergestellte Nanomaterial, bei dem eine Exposition von Mensch und Umwelt nicht ausgeschlossen werden kann, die toxikologische Unbedenklichkeit nachgewiesen werden. In vitro-Methoden und ihre Grenzen beim Testen der Toxizität von Nanomaterialien Derzeit basieren in vitro-Methoden zur Bestimmung des toxischen Potenzials von Nanomaterialien auf Standardverfahren, die für herkömmliche Chemikalien etabliert wurden. Man misst dabei die potenziell schädigenden Effekte im Zellkulturmodell an Zelllinien, die entsprechend einer möglichen in vivo-Exposition ausgewählt wurden. So verwendet man z. B. Lungenepithelzellen, wenn die zu testende Substanz über den Inhalationsweg aufgenommen werden kann. Als ein Parameter der zytotoxischen Untersuchungen wird beispielsweise die Zellviabilität durch Bestimmung der Stoffwechselaktivität der Zellen mittels 3-(4,5-Dimethylthiazol-2-yl)-2,5-diphenyltetrazoliumbromid (MTT) gemessen. Die Stimulation der zellulären Apoptose oder Nekrose wird anhand der Marker, AnnexinV, Caspase-3, Laktatdehydrogenase (LDH), untersucht; Veränderungen der Membranintegrität werden unter Verwendung von Neutralrot oder Propidiumjodid bestimmt. Die Induktion von oxidativem ZellStress wird in der Regel fluorimetrisch mittels 2’,7’-Dichlorodihydrofluoreszeindiacetat (H2DCF-DA) gemessen. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften von Nanomaterialien ist der Einsatz dieser Methoden ohne vorherige Prüfung auf Interferenz sehr problematisch, da sie chemische, optische und enzymatische Nachweismethoden verfälschen können. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass KohBIOspektrum | 01.10 | 16. Jahrgang 001_069_BIOsp_0110.qxd 29.01.2010 11:21 Uhr Seite 49 49 Tab. 1: Nanomaterialien beeinflussen in vitro-Testsysteme (verändert nach [5]). Zytotoxizitätstests Interferierende Nanomaterialien Interferenz → Verfälschung Nachweis der Stoffwechselaktivität mit MTT Kohlenstoff-basierte Nanomaterialien Absorption von MTT → erhöhte mitochondriale Aktivität Nachweis des Nekrose-Markers LDH Nanomaterialien mit metallischen Verunreinigungen Inhibierung von LDH → erniedrigte Nekrose-Rate Nachweis von Nekrose durch DNA-Färbung mit Propidiumjodid Kohlenstoff-basierte Nanomaterialien Absorption von Propidiumjodid → erniedrigte NekroseRate Nachweis von Apoptose-Markern mit Annexin V (flourimetrisch) Chitosan-Nanopartikel Depletion von Kalzium → erniedrigte Apoptose-Rate Nachweis von intakten Lysosomen mit Neutralrot Kohlenstoff-basierte Nanomaterialien Absorption von Neutralrot → erniedrigte Zellviabilität Zn2+ Inhibierung der Caspase-3-Aktivität → erniedrigte Apoptose-Rate Nachweis des Apoptose-Markers Caspase-3 (fluorimetrisch) Nanopartikel mit Spurenelementen, besonders Nachweis von oxidativem Zellstress (ROS-Produktion) mit DCF (fluorimetrisch) Kohlenstoff-basierte Nanomaterialien Fluoreszenz-Löschung → erniedrigte Indikation von Zellstress Nachweis der Zytokin-Sekretion mittels ELISA Metalloxid-Nanopartikel, Kohlenstoff-basierte Nanomaterialien Absorption der Zytokine → erniedrigte ZytokinProduktion MTT: 3-(4,5-Dimethylthiazol-2-yl)-2,5-diphenyltetrazoliumbromid; LDH: Laktatdehydrogenase; DCF: 2’,7’-Dichlorofluoreszein. lenstoff-basierte Nanoröhrchen (CNTs) durch Absorption von MTT eine falsche Zellviabilität suggerieren [4]. Die häufig zur zytotoxikologischen Charakterisierung verwendeten Testsysteme und ihre mögliche Beeinflussung durch Nanomaterialien sind in Tabelle 1 zusammengefasst [5]. Tab. 2: Für toxikologische Untersuchungen relevante Nanomaterialeigenschaften und geeignete Methoden zu deren Charakterisierung. Nanomaterialeigenschaft Methode zur Charakterisierung Form und Primärpartikelgröße TEM, SEM Größenverteilung des Pulvers SMPS Größenverteilung der Dispersion AUC, DLS* Strategien zur Bestimmung des zytotoxischen Potenzials von Nanomaterialien Chemische Zusammensetzung und Reinheit XPS, EDX, ICP-MS, TOF-SIMS Oberflächenchemie XPS, EDX Aufgrund der einzigartigen Materialeigenschaften ist eine grundlegende physikalische Charakterisierung des Nanomaterials vor der eigentlichen Toxizitätsbestimmung dringend erforderlich. Die physikochemischen Eigenschaften des Materials müssen sowohl in Pulverform als auch nach Dispergierung in dem zu testenden Medium bestimmt werden. Zunächst sollten Größe und Form der Primärsubstanz, z. B. mittels Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) untersucht werden. Produktionsbedingte Verunreinigungen, z. B. Katalysatormetalle oder Endotoxine müssen mit chemischen Nachweisverfahren ausgeschlossen werden. Zur Bestimmung der Kristallinität und Kristallmodifikation bietet sich eine Messung der Röntgenbeugung (XRD, X-ray diffraction) an. Das elektrische Potenzial an der Oberfläche (Zetapotenzial) und die Löslichkeit sollten sowohl in Wasser als auch im Testmedium ermittelt werden, da das Dispersionsmittel beide Parameter beeinflusst. Gleiches gilt auch für die Aggregation bzw. Agglomeration von Nanomaterialien [6]. Um dosisabhängige Effekte untersuchen zu können, muss zudem das Sedimentationsverhalten der Nanomaterialien berücksichtigt wer- Spezifische Oberfläche des Pulvers BET Kristallinität XRD Löslichkeit ICP-MS Oberflächenpotenzial Zetapotenzial BIOspektrum | 01.10 | 16. Jahrgang *Bei monodispersen Systemen. TEM/SEM: transmission/scanning electron microscopy; SMPS: scanning mobility particle sizer; AUC: analytical ultracentrifugation; DLS: dynamic light scattering; XPS: X-ray photoelectron spectroscopy; EDX: energy dispersive X-ray spectroscopy; ICP-MS: inductively coupled plasma mass spectrometry; TOF-SIMS: time-of-flight secondary ion mass spectrometry; BET: Analyseverfahren zur Größenbestimmung von Oberflächen; XRD: X-ray diffraction. den. Darüber hinaus sollten Oberflächenmodifikationen (Protein-Korona) des in Zellkulturmedium oder Pufferlösung dispergierten Nanomaterials z. B. mithilfe der RöntgenPhotoelektronenspektroskopie (XPS, X-ray photoelectron spectroscopy), der energiedispersiven Röntgenspektroskopie (EDX, energy dispersive X-ray spectroscopy) und/oder der Massenspektrometrie (z. B. TOF-SIMS, timeof-flight secondary ion mass spectrometry) analysiert werden (Tab. 2). Vor Verwendung der in vitro-Systeme muss sichergestellt werden, dass das zu testende Nanomaterial in der eingesetzten Konzentration nicht mit den Nachweisreagenzien oder Enzymen interagiert. Werden Fluoreszenz- basierte Zytotoxizitätstests durchgeführt (fluorimetrisch, Tab. 1), so muss die Eigenfluoreszenz bzw. die Unterdrückung der Indikator-Fluoreszenz durch das getestete Nanoobjekt zuvor ausgeschlossen werden. Nanomaterialien, wie z. B. TiO2 oder ZnO, die eine photokatalytische Aktivität aufweisen, müssen unter Ausschluss von Lichteinstrahlung getestet werden, wenn diese zu einer Verfälschung der Ergebnisse beiträgt. Wir konnten zeigen, dass der Nachweis toxischer Effekte eines untersuchten Nanoobjekts abhängig von den verwendeten Zytotoxizitätstests und Zelllinien stark unterschiedlich ausfallen kann [2]. Folglich sollten Nanomaterialien mit verschiedenen Testverfahren und 001_069_BIOsp_0110.qxd 50 29.01.2010 11:22 Uhr Seite 50 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN ˚ Abb. 2: A, Schematische Darstellung der Messung des transepithelialen elektrischen Widerstands (TEER) mit dem Zell-Monitoring-System cellZscope® (nanoAnalytics). Die Methode erlaubt es, die zu testende Substanz an der apikalen oder der basolateralen Seite der Zellen zu applizieren. B, Zeitlicher Verlauf des TEER von Nierenepithelzellen (NRK-52E). Die Zellen wurden 24 Stunden auf porösen Membranen kultiviert und in ein cellZscope überführt. Nach drei Stunden wurde das Medium gegen TiO2- bzw. ZnO-Dispersionen (7,5 μg/cm2) bzw. Medium (Kontrolle) ausgetauscht. Nach 22 Stunden wurde das Detergens Triton-X-100 zugegeben, um die Zellschichten zu zerstören. TEER ist angegeben in Prozent des Ausgangswertes. Bild verändert nach www.nanoanalytics.de/de/hardwareprodukte/cellzscope/funktionsweise/kapitel02. Zelllinien unterschiedlicher Herkunft geprüft werden, um hinreichend gesicherte Aussagen hinsichtlich ihres toxischen Potenzials treffen zu können. Neben den zuvor genannten Zytotoxizitätsmethoden bieten sich Testsysteme an, die neue toxikologische Endpunkte und neue Toxizitätsbiomarker erfassen. Hierzu zählen toxikogenomische Studien, die den Einfluss von Nanomaterialien auf bestimmte mRNA-Spezies, Proteine oder Metaboliten ermitteln. Da diese Techniken meist auch auf optischen Nachweisverfahren beruhen, ist eine vorherige Überprüfung auf Beeinflussung durch Nanomaterialien unverzichtbar. Elektrochemische Nachweisverfahren wie beispielsweise die Impedanz-Spektroskopie scheinen hingegen sehr geeignet zur Bestimmung der Toxizität von Nanomaterialien, da das Messprinzip eine Interferenz mit dem Testsystem nahezu ausschließt. Mit dieser Methode kann die Auflösung von Zell-Zell-Kontakten als Parameter der Viabilität nicht-invasiv und mit hoher zeitlicher Auflösung quantitativ registriert werden (Abb. 2A). Dazu werden epitheliale oder endotheliale Zellen auf einer porösen Membran bis zur Konfluenz kultiviert und zwischen zwei Elektroden positioniert, die über das Kulturmedium leitend miteinander verbunden sind. Als Messgröße dient der elektrische Wechselstromwiderstand (Impedanz), der dichte Zellverband wirkt dabei als Isolatorschicht. Wir haben elektrochemische Impedanzmessungen eingesetzt, um den Einfluss von Metalloxid-Nanopartikeln auf Nierenepithelzellen zu untersuchen (Abb. 2B). Dabei scheint ZnO im Gegensatz zu TiO2 einen Einfluss auf die Integrität der epithelialen Barriere zu haben. Vergleichbare Ergebnisse konnten auch durch andere in vitro-Toxizitätsstudien bestätigt werden [2] und belegen daher die Eignung dieses Testsystems für zukünftige Toxizitätsbestimmungen von Nanomaterialien im Standardverfahren. Ausblick Zuverlässige und evaluierte in vitro-Testsysteme sind notwendig, um die Toxizität der großen Anzahl verschiedener Nanomaterialien zu erfassen. Gegenwärtig muss jeder Test für jedes Material anhand der beschriebenen Strategie standardisiert werden. Messmethoden, die von den spezifischen Eigenschaften der Nanomaterialien nicht beeinflusst werden, können diesen Prozess vereinfachen. Die Aufklärung des Einflusses von Materialeigenschaften auf die biologische Wirkung sollte es künftig ermöglichen, kritische Parameter, die zu hoher Toxizität führen, zu identifizieren. So können Nanomaterialien zukünftig klassifiziert und zeitaufwendige Einzeluntersuchungen vermieden werden. Derzeit sind in vivo-Studien zur toxikologischen Bewertung unverzichtbar. Mittels standardisierter in vitro-Testverfahren könnte vorab eine Auswahl von Nanomaterialien mit toxischem Potenzial erfolgen, um die Anzahl notwendiger in vivo-Studien zu reduzieren. Danksagung Diese Arbeit wurde mit Mitteln des BMBF (NanoCare, Cell@Nano), der EU (FP6 STREP LOCCANDIA) und des Landes NRW (NanoPaCT) gefördert. ó Literatur [1] Sayes CM, Wahi R, Kurian PA et al. (2006) Correlating nanoscale titania structure with toxicity: a cytotoxicity and inflammatory response study with human dermal fibroblasts and human lung epithelial cells. Toxicol Sciences 92:174–185 [2] NanoCare Project Partners (2009) NanoCare: Health related Aspects of Nanomaterials. Final Scientific Report. Frankfurt a. M., Dechema e. V. [3] Lundqvist M, Stigler J, Elia G et al. (2008) Nanoparticle size and surface properties determine the protein corona with possible implications for biological impacts. Proc Natl Acad Sci USA 105:14265–14270 [4] Wöhrle-Knirsch JM, Pulskamp K, Krug HF (2006) Oops they did it again! Carbon nanotubes hoax scientists in viability assays. Nano Lett 6:1261–1268 [5] Kroll A, Pillukat MH, Hahn D et al. (2009) Current in vitro methods in nanoparticle risk assessment: limitations and challenges. Eur J Pharm Biopharm 72:370–377 [6] Schulze C, Kroll A, Lehr C-M et al. (2008) Not ready to use – overcoming pitfalls when dispersing nanoparticles in physiological media. Nanotoxicology 2:51–61 Korrespondenzadresse: 1 2 Dr. Alexandra Kroll1 Dr. Daniela Hahn2 Dr. Jürgen Schnekenburger3 Medizinische Klinik und Poliklinik B Westfälische WilhelmsUniversität Domagkstraße 3A D-48149 Münster Tel.: 0251-83-52534 Fax: 0251-83-57938 [email protected] 3 BIOspektrum | 01.10 | 16. Jahrgang