465_507_BIOsp_0507.qxd:BIOsp_0507 22.08.2007 7:24 Uhr Seite 495 495 DNA-bindende Proteine Nukleoid-assoziierte Proteine bei Mikroorganismen ÜMIT PUL UND ROLF WAGNER MOLEKUL ARBIOLOGIE DER BAKTERIEN, HEINRICH-HEINE-UNIVERSITÄT, DÜSSELDORF Nukleoid-assoziierte Proteine in Bakterien besitzen wichtige Aufgaben bei der Replikation, Rekombination und Modulation der Chromosomenstruktur oder der Regulation der Transkription. Sie tragen damit zur Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen bei. ó Das meist ringförmige Genom von Bakterien wird als Nukleoid bezeichnet. Darin wird die etwa 3–4 × 106 bp lange DNA gegenüber der gestreckten Konturlänge (ca. 1,5 mm) um den Faktor 1.000 kompaktiert, die so nur ein Viertel des Volumens einer Bakterienzelle einnimmt. Die Struktur eines Nukleoids ist extrem dynamisch und besteht aus einem zentralen Kern mit mehreren hundert plektonemisch verwundenen DNA-Loops. Diese negativ superspiralisierten Loops bilden topologisch unabhängige Domänen, deren Begrenzungen variabel sind und denen keine festen DNA-Bereiche des Genoms zugeordnet werden können. Die Länge einer einzelnen Domäne, von denen etwa 500 existieren, beträgt etwa 10 kb. Verantwortlich für die Struktur und die dynamische Funktion des Nukleoids sind Superspiralisierung, makromolekulares crowding und Nukleoid-assoziierte Proteine (NAPs). NAPs wurden früher oft als Histonähnliche Proteine bezeichnet. Da sie jedoch außer der Größe, Anzahl in der Zelle und überwiegend positiver Ladung keine Sequenzhomologie zu den Histonen besitzen, trifft der Name Nukleoid-assoziierte Proteine besser zu[1]. Die wichtigsten Nukleoid-assoziierten Proteine Man kennt zwischen 10 und 20 NAPs. Generell handelt es sich um DNA-bindende Proteine mit niedrigem Molekulargewicht und relativ hoher Kopienzahl, die jedoch oft mit der Wachstumsphase variiert. Alle NAPs sind strukturell oder regulatorisch an einer oder mehreren der DNA-Transaktionen wie Replikation, Rekombination oder Reparatur beteiBIOspektrum | 05.07 | 13. Jahrgang ligt. Sie können als Folge unterschiedlicher Wachstumssituationen den Grad der Superspiralisierung verändern und tragen so zur Kompaktierung der DNA bei. NAPs sind verantwortlich dafür, dass das Nukleoid eine zugängliche und dynamische Struktur einnimmt, die hinreichend kompakt ist, um in dem begrenzten Raum einer Bakterienzelle Platz zu finden. Durch Modulation der Zugänglichkeit der DNA beeinflussen NAPs in Abhängigkeit der Wachstumsbedingungen – direkt oder indirekt – die Transkription und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Regulation des Genexpressionsmusters von Bakterien. Die Eigenschaften der fünf wichtigsten NAPs, die nachfolgend beschrieben werden, sind am besten untersucht. Histone-like DNA structuring protein (H-NS) H-NS aus E. coli ist ein 15,6 kDa-Protein mit hohem Konservierungsgrad in Gram-negativen Bakterien. Es bindet relativ unspezifisch mit hoher Kooperativität an DNA mit Präferenz für gekrümmte, AT-reiche Sequenzabschnitte. H-NS besitzt kein typisches DNABindemotiv, sondern bindet über eine flexible Loop-Struktur zwischen einer α-Helix und zwei antiparallelen β-Faltblättern innerhalb ¯ Abb. 1: Schematische Darstellung und AFM-Abbildungen der unterschiedlichen Einflüsse von NAPs auf DNA. Plektonemische Loops (FIS), DNA-Krümmung (IHF, HU), DNA-wrapping (LRP), DNA-bridging (H-NS). 465_507_BIOsp_0507.qxd:BIOsp_0507 496 22.08.2007 7:24 Uhr Seite 496 WISSENSCHAFT Integration host factor (IHF) ¯ Abb. 2: Unterschiedliche Regulationsmechanismen der NAPs. A, RNAPolymerase-Einschluss (trapping). B, Inhibierung des RNAPolymerasezugangs (silencing). C, Aktivierung durch direkten RNA-PolymeraseKontakt. D, Loop-Bildung ermöglicht Interaktion räumlich entfernt gebundener Regulatoren. IHF besteht aus zwei ca. 10 kDa großen Untereinheiten, die in E. coli ein Heterodimer bilden. Neuere Studien in S. typhimurium zeigen dagegen, dass alle drei möglichen Dimerformen existieren, die unterschiedliche Regulons kontrollieren. IHF hat mit etwa 15.000 Kopien seine maximale Konzentration in der stationären Phase. Die Bindung an DNA erfolgt spezifisch an eine konservierte DNASequenz, wobei zwei β-Faltblätter in die kleine Furche der DNA binden und die DNA um etwa 160° krümmen (Abb. 1)[5]. IHF ist aufgrund der starken DNA-Krümmungseigenschaften oft an der Ausbildung von DNALoops beteiligt und ermöglicht dadurch die Interaktion entfernt gebundener Regulatoren (Abb. 2D). Diese Eigenschaft macht IHF zum Prototyp eines Architektur-Proteins. Factor for inversion stimulation (FIS) der C-terminalen Domäne. Die N-terminale Domäne von H-NS ist für die Protein-ProteinInteraktion zuständig. Die aktive Form von H-NS ist ein Dimer, jedoch ist es in der Lage, höhere Oligomere zu bilden. Über zwei DNAbindende Domänen kann H-NS potenziell mit zwei DNA-Strängen simultan wechselwirken. So zeigen Rasterkraftmikroskopie-Analysen (atomic force microscopy, AFM) von H-NSDNA-Komplexen eine Verbrückung von benachbarten DNA-Strängen (Abb. 1)[2]. H-NS stabilisiert negative Superhelikalität und reguliert dadurch zahlreiche Gene über die Veränderung der DNA-Topologie. Darüber hinaus spielt H-NS eine direkte Rolle als Transkriptionsrepressor, der in einigen Fällen durch Verbrücken von benachbarten DNARegionen zu einer Promotorokklusion (trapping) führt (Abb. 2A). Oft oligomerisiert H-NS jedoch entlang regulatorischer DNA-Bereiche und bewirkt ein silencing der betreffenden Transkriptionseinheit (Abb. 2B). H-NS ist zudem ein wichtiger Sensor für Osmolaritätsund Temperaturänderungen. Mit zahlreichen anderen NAPs kann H-NS antagonistisch oder synergistisch wirken. So wird bei der Regulation der rRNA-Synthese die Aktivierung durch factor for inversion stimulation (FIS) von H-NS aufgehoben, wogegen die Hemmung durch leucine-responsive regulatory protein (LRP) gefördert wird[3]. Es gibt aktuelle Hinweise, dass H-NS die Transkription von AT-reichen DNA-Elementen nach horizontalem Gentransfer unterdrücken kann und damit der Zelle eine Art Schutz vor FremdDNA bietet. Heat-unstable nucleoid protein (HU) Während HU in den meisten Bakterien als Homodimer vorliegt, existieren in E. coli zwei Untereinheiten mit jeweils 9,5 kDa, die abhängig von den Wachstumsbedingungen unterschiedliche Dimeren-Kombinationen bilden. Die Konzentration von HU, etwa 60.000 Kopien, wird in der Wachstumsphase moduliert. HU bindet unspezifisch an DNA, bevorzugt jedoch ungewöhnliche Strukturen wie freie Enden, Lücken oder Kruziform-Strukturen. Meist binden mehrere HU-Dimere kooperativ über ein β-Ribbon-Motiv in die kleine Furche der DNA, wodurch negative Superspiralisierung stabilisiert wird. Abhängig von der Konzentration zeigt HU unterschiedliche Effekte auf die gebundene DNA. Niedrige HU-Konzentrationen führen zu einer flexiblen DNA-Krümmung und moderater DNA-Kompaktierung, während HU in hohen Konzentrationen eine Aggregation und rigide helikale Filamente mit erheblicher DNA-Kompaktierung bewirkt (Abb. 1)[4]. Das in E. coli 11,2 kDa große Protein existiert als Dimer, dessen zelluläre Konzentration stark von der Wachstumsphase geprägt wird. Von einem Maximum (ca. 100.000 Kopien) in der frühen exponentiellen Phase sinkt die Konzentration bis zum Beginn der stationären Phase auf weniger als 100 Kopien ab. Die DNA-Bindung erfolgt über ein Helix-TurnHelix-Motiv in die große Furche einer degenerierten palindromischen DNA-Sequenz. Bei der Bindung wird die Ziel-DNA gekrümmt. Oft finden sich mehrere FIS-Bindestellen in regelmäßigem Abstand, wodurch die Bildung topologischer DNA-Strukturen ermöglicht und die Superhelikalität des Bakteriengenoms beeinflusst wird (Abb. 1). In speziellen Fällen ist auch ein direkter Kontakt zur RNA-Polymerase nachgewiesen worden (Abb. 2C). Neben der direkten DNA-Bindung kann FIS die DNA-Topologie indirekt über eine Repression der DNA-Gyrase-Gene verändern. FIS spielt auch eine Rolle bei verschiedenen DNARekombinationsreaktionen. Seine Hauptbedeutung besitzt es jedoch als pleiotroper Transkriptionsregulator. Aufgrund der starken Veränderung der Kopienzahl bildet FIS die Hauptproteinkomponente des bakteriellen Chromatins in der exponentiellen Phase und koppelt die DNA-Topologie an Veränderungen der Wachstumsphase und Physiologie der Bakterien. Leucine-responsive regulatory protein (LRP) In E. coli ist LRP ein 18,8 kDa großes Protein, das in Gram-positiven wie Gram-negativen Bakterien konserviert vorliegt. Die KonzenBIOspektrum | 05.07 | 13. Jahrgang 465_507_BIOsp_0507.qxd:BIOsp_0507 22.08.2007 7:24 Uhr Seite 497 497 tration von LRP in der Zelle (etwa 3.000 Moleküle) wird durch verfügbare Nährstoffe stark beeinflusst und korreliert umgekehrt mit der Wachstumsrate. Das Protein existiert als Dimer, kann aber zu Tetrameren, Oktameren und Hexadekameren assoziieren. Die DNABindung erfolgt kooperativ über ein HelixTurn-Helix-Motiv. Für die Spezifität der Bindung ist ein degeneriertes Palindrom der DNA maßgeblich. LRP ist das einzige NAP, dessen Aktivität durch ein Effektormolekül, Leuzin, hinsichtlich der Affinität zur DNA moduliert wird. Abhängig von der Lage und Anzahl der Bindungsstellen auf der DNA kann LRP unterschiedliche DNA-Strukturen stabilisieren. Das kann von Biegung (wrapping) über DNALoops bis hin zu toroidalen (Nukleosom-ähnlichen) Strukturen führen (Abb. 1)[6]. LRPBindungsstellen überlappen oft mit denen anderer NAPs[7]. Durch Blockieren von Methylierungsstellen auf der DNA ist LRP zudem an der Synthese der Pap-Pili bei der Phasenvariation uropathogener Bakterien beteiligt. Zusammenspiel der Nukleoidassoziierten Proteine Obwohl alle NAPs gemeinsam nicht für eine vollständige Kompaktierung des kompletten Genoms ausreichen, beeinflussen sie doch lokal die DNA-Struktur stark und modulieren so dynamisch Regionen unterschiedlicher Transkriptionsaktivität. Das globale Transkriptionsmuster von Bakterien wird zu einem großen Teil durch die verschiedenen NAPs an Veränderungen in der Umgebung angepasst. Einzelne NAPs ändern ihre Konzentration mit der Wachstumsphase, wobei sie ihre Expression gegenseitig regulieren. FIS dominiert beispielsweise in der frühen exponentiellen Phase und nimmt dann rasch ab, während IHF seine höchste Konzentration in der stationären Phase erreicht. H-NS ändert seine Konzentration nur moderat. Für HU ist bekannt, dass die Gesamtkonzentration in der stationären Phase abnimmt, die Zusammensetzung der beiden Untereinheiten in E. coli jedoch variiert. Im Gegensatz zu H-NS kompaktiert HU die DNA nicht durch Loops oder wrapping. Beide Proteine sind in dieser Beziehung Antagonisten. Einzelne NAPs sind gewöhnlich ohne deutlichen Phänotyp deletierbar, da sie sich teilweise in ihren Funktionen ersetzen können. In einer Reihe von Fällen sind sowohl synergistische als auch antagonistische Effekte für einzelne NAPs beschrieben. Das Wechselspiel (cross-talk) der einzelnen NAPs trägt somit durch Synergie, Antagonismus oder Redundanz der Funktionen zur Vielfalt und Effizienz der Anpassungsreaktionen von Bakterien bei. NAPs als Sensoren für Umweltveränderungen Änderungen der Umgebung haben einen direkten Einfluss auf die Affinität der NAPs zur DNA und beeinflussen direkt oder indirekt die Topologie. Direkte Einflüsse auf die Affinität können z. B. die Temperatur (H-NS), Nährstoffangebot (Leuzin-LRP) oder Wachs- tumsphase (FIS) sein. Indirekt kann die Topologie über den Energiezustand der Zelle, den pH-Wert oder Osmolaritätsänderungen einen Einfluss auf die Bindung der NAPs ausüben. Da sich die Affinität der NAPs zur DNA und die Topologie gegenseitig beeinflussen, spielen NAPs zusammen mit der Topologie eine zentrale Rolle als Vermittler von Umweltveränderungen. Daher haben auch einzelne NAPs (H-NS, LRP) einen direkten Einfluss auf die Expression von Virulenzgenen, die ebenfalls in Abhängigkeit von der Umgebung reguliert werden. Die Aufklärung der Funktion der NAPs gewinnt damit eine zusätzliche Bedeutung. ó Literatur [1] Dame, R. T. (2005): The role of nucleoid-associated proteins in the organization and compaction of bacterial chromatin. Mol. Microbiol. 56: 858–870. [2] Luijsterburg, M. S., Noom, M. C., Wuite, G. J., Dame, R. T. (2006): The architectural role of nucleoid-associated proteins in the organization of bacterial chromatin: a molecular perspective. J. Struct. Biol. 156: 262–272. [3] Pul, Ü., Wurm, R., Wagner, R. (2006): The role of LRP and H-NS in transcription regulation: Involvement of synergism, allostery and macromolecular crowding. J. Mol. Biol. 366: 900–915. [4] van Noort, J., Verbrugge, S., Goosen, N., Dekker, C., Dame, R. T. (2004): Dual architectural roles of HU: formation of flexible hinges and rigid filaments. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 101: 6969–6974. [5] Dame, R. T., van Mameren, J., Luijsterburg, M. S., Mysiak, M. E., Janicijevic, A., Pazdzior, G., van der Vliet, P. C., Wyman, C., Wuite, G. J. (2005): Analysis of scanning force microscopy images of protein-induced DNA bending using simulations. Nucleic Acids Res. 33: e68. Erratum in: Nucleic Acids Res. (2005) 33: 2767. [6] Beloin, C., Jeusset, J., Revet, B., Mirambeau, G., Le Hegarat, F., Le Cam, E. (2003): Contribution of DNA conformation and topology in right-handed DNA wrapping by the Bacillus subtilis LrpC protein. J. Biol. Chem. 278: 5333–5342. [7] Pul, U., Wurm, R., Lux, B., Meltzer, M., Menzel, A., Wagner, R. (2005): LRP and H-NS – cooperative partners for transcription regulation at E. coli rRNA promoters. Mol. Microbiol. 58: 864–876. AUTOREN Rolf Wagner Ümit Pul (Jahrgang 1948) studierte Chemie in Marburg und Münster. Promotion 1976 bei Prof. Hans Günter Gassen. Postdoc am MPI für Molekulare Genetik, Berlin. Ab 1979 dort Arbeitsgruppenleiter. 1983 Habilitation in Molekularbiologie, FU Berlin. Ab 1986 Heisenberg-Stipendiat. Seit 1987 Professor an der HeinrichHeine-Universität, Düsseldorf. (Jahrgang 1977) studierte Diplom-Biologie an der Universität Düsseldorf und promoviert seit 2004 am Institut für Physikalische Biologie mit Schwerpunkt Molekularbiologie der Bakterien in der Arbeitsgruppe von Rolf Wagner. BIOspektrum | 05.07 | 13. Jahrgang Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Rolf Wagner Molekularbiologie der Bakterien Heinrich-Heine-Universität Universitätsstraße 1 D-40225 Düsseldorf Tel.: 0211-81-14928 Fax: 0211-81-15167 [email protected] www.biologie.uni-duesseldorf.de