Nukleoid-assoziierte Proteine bei Mikroorganismen

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DNA-bindende Proteine
Nukleoid-assoziierte Proteine
bei Mikroorganismen
ÜMIT PUL UND ROLF WAGNER
MOLEKUL ARBIOLOGIE DER BAKTERIEN, HEINRICH-HEINE-UNIVERSITÄT, DÜSSELDORF
Nukleoid-assoziierte Proteine in Bakterien besitzen wichtige Aufgaben bei
der Replikation, Rekombination und Modulation der Chromosomenstruktur oder der Regulation der Transkription. Sie tragen damit zur Anpassung
an wechselnde Umweltbedingungen bei.
ó Das meist ringförmige Genom von Bakterien wird als Nukleoid bezeichnet. Darin wird
die etwa 3–4 × 106 bp lange DNA gegenüber
der gestreckten Konturlänge (ca. 1,5 mm) um
den Faktor 1.000 kompaktiert, die so nur ein
Viertel des Volumens einer Bakterienzelle
einnimmt. Die Struktur eines Nukleoids ist
extrem dynamisch und besteht aus einem
zentralen Kern mit mehreren hundert plektonemisch verwundenen DNA-Loops. Diese
negativ superspiralisierten Loops bilden topologisch unabhängige Domänen, deren Begrenzungen variabel sind und denen keine festen
DNA-Bereiche des Genoms zugeordnet werden können. Die Länge einer einzelnen Domäne, von denen etwa 500 existieren, beträgt
etwa 10 kb.
Verantwortlich für die Struktur und die
dynamische Funktion des Nukleoids sind
Superspiralisierung, makromolekulares crowding und Nukleoid-assoziierte Proteine
(NAPs). NAPs wurden früher oft als Histonähnliche Proteine bezeichnet. Da sie jedoch
außer der Größe, Anzahl in der Zelle und
überwiegend positiver Ladung keine Sequenzhomologie zu den Histonen besitzen, trifft
der Name Nukleoid-assoziierte Proteine besser zu[1].
Die wichtigsten Nukleoid-assoziierten
Proteine
Man kennt zwischen 10 und 20 NAPs. Generell handelt es sich um DNA-bindende Proteine mit niedrigem Molekulargewicht und
relativ hoher Kopienzahl, die jedoch oft mit
der Wachstumsphase variiert. Alle NAPs sind
strukturell oder regulatorisch an einer oder
mehreren der DNA-Transaktionen wie Replikation, Rekombination oder Reparatur beteiBIOspektrum | 05.07 | 13. Jahrgang
ligt. Sie können als Folge unterschiedlicher
Wachstumssituationen den Grad der Superspiralisierung verändern und tragen so zur
Kompaktierung der DNA bei. NAPs sind verantwortlich dafür, dass das Nukleoid eine
zugängliche und dynamische Struktur einnimmt, die hinreichend kompakt ist, um in
dem begrenzten Raum einer Bakterienzelle
Platz zu finden. Durch Modulation der
Zugänglichkeit der DNA beeinflussen NAPs in
Abhängigkeit der Wachstumsbedingungen –
direkt oder indirekt – die Transkription und
leisten so einen wichtigen Beitrag zur Regulation des Genexpressionsmusters von Bakterien. Die Eigenschaften der fünf wichtigsten NAPs, die nachfolgend beschrieben werden, sind am besten untersucht.
Histone-like DNA structuring protein
(H-NS)
H-NS aus E. coli ist ein 15,6 kDa-Protein mit
hohem Konservierungsgrad in Gram-negativen Bakterien. Es bindet relativ unspezifisch
mit hoher Kooperativität an DNA mit Präferenz für gekrümmte, AT-reiche Sequenzabschnitte. H-NS besitzt kein typisches DNABindemotiv, sondern bindet über eine flexible
Loop-Struktur zwischen einer α-Helix und
zwei antiparallelen β-Faltblättern innerhalb
¯ Abb. 1: Schematische Darstellung und
AFM-Abbildungen
der unterschiedlichen Einflüsse von
NAPs auf DNA. Plektonemische Loops
(FIS), DNA-Krümmung (IHF, HU),
DNA-wrapping (LRP),
DNA-bridging (H-NS).
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WISSENSCHAFT
Integration host factor (IHF)
¯ Abb. 2: Unterschiedliche Regulationsmechanismen
der NAPs. A, RNAPolymerase-Einschluss (trapping). B,
Inhibierung des RNAPolymerasezugangs
(silencing). C, Aktivierung durch direkten RNA-PolymeraseKontakt. D, Loop-Bildung ermöglicht
Interaktion räumlich
entfernt gebundener
Regulatoren.
IHF besteht aus zwei ca. 10 kDa großen Untereinheiten, die in E. coli ein Heterodimer bilden. Neuere Studien in S. typhimurium zeigen dagegen, dass alle drei möglichen Dimerformen existieren, die unterschiedliche Regulons kontrollieren. IHF hat mit etwa 15.000
Kopien seine maximale Konzentration in der
stationären Phase. Die Bindung an DNA
erfolgt spezifisch an eine konservierte DNASequenz, wobei zwei β-Faltblätter in die kleine Furche der DNA binden und die DNA um
etwa 160° krümmen (Abb. 1)[5]. IHF ist aufgrund der starken DNA-Krümmungseigenschaften oft an der Ausbildung von DNALoops beteiligt und ermöglicht dadurch die
Interaktion entfernt gebundener Regulatoren
(Abb. 2D). Diese Eigenschaft macht IHF zum
Prototyp eines Architektur-Proteins.
Factor for inversion stimulation (FIS)
der C-terminalen Domäne. Die N-terminale
Domäne von H-NS ist für die Protein-ProteinInteraktion zuständig. Die aktive Form von
H-NS ist ein Dimer, jedoch ist es in der Lage,
höhere Oligomere zu bilden. Über zwei DNAbindende Domänen kann H-NS potenziell mit
zwei DNA-Strängen simultan wechselwirken.
So zeigen Rasterkraftmikroskopie-Analysen
(atomic force microscopy, AFM) von H-NSDNA-Komplexen eine Verbrückung von
benachbarten DNA-Strängen (Abb. 1)[2]. H-NS
stabilisiert negative Superhelikalität und
reguliert dadurch zahlreiche Gene über die
Veränderung der DNA-Topologie. Darüber hinaus spielt H-NS eine direkte Rolle als Transkriptionsrepressor, der in einigen Fällen
durch Verbrücken von benachbarten DNARegionen zu einer Promotorokklusion (trapping) führt (Abb. 2A). Oft oligomerisiert H-NS
jedoch entlang regulatorischer DNA-Bereiche
und bewirkt ein silencing der betreffenden
Transkriptionseinheit (Abb. 2B). H-NS ist
zudem ein wichtiger Sensor für Osmolaritätsund Temperaturänderungen. Mit zahlreichen
anderen NAPs kann H-NS antagonistisch oder
synergistisch wirken. So wird bei der Regulation der rRNA-Synthese die Aktivierung
durch factor for inversion stimulation (FIS) von
H-NS aufgehoben, wogegen die Hemmung
durch leucine-responsive regulatory protein
(LRP) gefördert wird[3]. Es gibt aktuelle
Hinweise, dass H-NS die Transkription von
AT-reichen DNA-Elementen nach horizontalem Gentransfer unterdrücken kann und
damit der Zelle eine Art Schutz vor FremdDNA bietet.
Heat-unstable nucleoid protein (HU)
Während HU in den meisten Bakterien als
Homodimer vorliegt, existieren in E. coli zwei
Untereinheiten mit jeweils 9,5 kDa, die abhängig von den Wachstumsbedingungen unterschiedliche Dimeren-Kombinationen bilden.
Die Konzentration von HU, etwa 60.000
Kopien, wird in der Wachstumsphase moduliert. HU bindet unspezifisch an DNA, bevorzugt jedoch ungewöhnliche Strukturen wie
freie Enden, Lücken oder Kruziform-Strukturen. Meist binden mehrere HU-Dimere
kooperativ über ein β-Ribbon-Motiv in die
kleine Furche der DNA, wodurch negative
Superspiralisierung stabilisiert wird. Abhängig von der Konzentration zeigt HU unterschiedliche Effekte auf die gebundene DNA.
Niedrige HU-Konzentrationen führen zu einer
flexiblen DNA-Krümmung und moderater
DNA-Kompaktierung, während HU in hohen
Konzentrationen eine Aggregation und rigide
helikale Filamente mit erheblicher DNA-Kompaktierung bewirkt (Abb. 1)[4].
Das in E. coli 11,2 kDa große Protein existiert
als Dimer, dessen zelluläre Konzentration
stark von der Wachstumsphase geprägt wird.
Von einem Maximum (ca. 100.000 Kopien) in
der frühen exponentiellen Phase sinkt die
Konzentration bis zum Beginn der stationären
Phase auf weniger als 100 Kopien ab. Die
DNA-Bindung erfolgt über ein Helix-TurnHelix-Motiv in die große Furche einer degenerierten palindromischen DNA-Sequenz. Bei
der Bindung wird die Ziel-DNA gekrümmt.
Oft finden sich mehrere FIS-Bindestellen in
regelmäßigem Abstand, wodurch die Bildung
topologischer DNA-Strukturen ermöglicht und
die Superhelikalität des Bakteriengenoms
beeinflusst wird (Abb. 1). In speziellen Fällen
ist auch ein direkter Kontakt zur RNA-Polymerase nachgewiesen worden (Abb. 2C).
Neben der direkten DNA-Bindung kann FIS
die DNA-Topologie indirekt über eine Repression der DNA-Gyrase-Gene verändern. FIS
spielt auch eine Rolle bei verschiedenen DNARekombinationsreaktionen. Seine Hauptbedeutung besitzt es jedoch als pleiotroper
Transkriptionsregulator. Aufgrund der starken Veränderung der Kopienzahl bildet FIS
die Hauptproteinkomponente des bakteriellen Chromatins in der exponentiellen Phase
und koppelt die DNA-Topologie an Veränderungen der Wachstumsphase und Physiologie der Bakterien.
Leucine-responsive regulatory
protein (LRP)
In E. coli ist LRP ein 18,8 kDa großes Protein,
das in Gram-positiven wie Gram-negativen
Bakterien konserviert vorliegt. Die KonzenBIOspektrum | 05.07 | 13. Jahrgang
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tration von LRP in der Zelle (etwa 3.000 Moleküle) wird durch verfügbare Nährstoffe stark
beeinflusst und korreliert umgekehrt mit der
Wachstumsrate. Das Protein existiert als
Dimer, kann aber zu Tetrameren, Oktameren
und Hexadekameren assoziieren. Die DNABindung erfolgt kooperativ über ein HelixTurn-Helix-Motiv. Für die Spezifität der Bindung ist ein degeneriertes Palindrom der DNA
maßgeblich. LRP ist das einzige NAP, dessen
Aktivität durch ein Effektormolekül, Leuzin,
hinsichtlich der Affinität zur DNA moduliert
wird. Abhängig von der Lage und Anzahl der
Bindungsstellen auf der DNA kann LRP unterschiedliche DNA-Strukturen stabilisieren. Das
kann von Biegung (wrapping) über DNALoops bis hin zu toroidalen (Nukleosom-ähnlichen) Strukturen führen (Abb. 1)[6]. LRPBindungsstellen überlappen oft mit denen
anderer NAPs[7]. Durch Blockieren von Methylierungsstellen auf der DNA ist LRP zudem
an der Synthese der Pap-Pili bei der Phasenvariation uropathogener Bakterien beteiligt.
Zusammenspiel der Nukleoidassoziierten Proteine
Obwohl alle NAPs gemeinsam nicht für eine
vollständige Kompaktierung des kompletten
Genoms ausreichen, beeinflussen sie doch
lokal die DNA-Struktur stark und modulieren so dynamisch Regionen unterschiedlicher
Transkriptionsaktivität. Das globale Transkriptionsmuster von Bakterien wird zu
einem großen Teil durch die verschiedenen
NAPs an Veränderungen in der Umgebung
angepasst. Einzelne NAPs ändern ihre Konzentration mit der Wachstumsphase, wobei
sie ihre Expression gegenseitig regulieren.
FIS dominiert beispielsweise in der frühen
exponentiellen Phase und nimmt dann rasch
ab, während IHF seine höchste Konzentration
in der stationären Phase erreicht. H-NS ändert
seine Konzentration nur moderat. Für HU ist
bekannt, dass die Gesamtkonzentration in
der stationären Phase abnimmt, die
Zusammensetzung der beiden Untereinheiten in E. coli jedoch variiert. Im Gegensatz zu
H-NS kompaktiert HU die DNA nicht durch
Loops oder wrapping. Beide Proteine sind in
dieser Beziehung Antagonisten.
Einzelne NAPs sind gewöhnlich ohne deutlichen Phänotyp deletierbar, da sie sich teilweise in ihren Funktionen ersetzen können.
In einer Reihe von Fällen sind sowohl synergistische als auch antagonistische Effekte für
einzelne NAPs beschrieben. Das Wechselspiel
(cross-talk) der einzelnen NAPs trägt somit
durch Synergie, Antagonismus oder Redundanz der Funktionen zur Vielfalt und Effizienz der Anpassungsreaktionen von Bakterien bei.
NAPs als Sensoren für Umweltveränderungen
Änderungen der Umgebung haben einen
direkten Einfluss auf die Affinität der NAPs
zur DNA und beeinflussen direkt oder indirekt die Topologie. Direkte Einflüsse auf die
Affinität können z. B. die Temperatur (H-NS),
Nährstoffangebot (Leuzin-LRP) oder Wachs-
tumsphase (FIS) sein. Indirekt kann die Topologie über den Energiezustand der Zelle, den
pH-Wert oder Osmolaritätsänderungen einen
Einfluss auf die Bindung der NAPs ausüben.
Da sich die Affinität der NAPs zur DNA und
die Topologie gegenseitig beeinflussen, spielen NAPs zusammen mit der Topologie eine
zentrale Rolle als Vermittler von Umweltveränderungen. Daher haben auch einzelne
NAPs (H-NS, LRP) einen direkten Einfluss auf
die Expression von Virulenzgenen, die ebenfalls in Abhängigkeit von der Umgebung reguliert werden. Die Aufklärung der Funktion
der NAPs gewinnt damit eine zusätzliche
Bedeutung.
ó
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AUTOREN
Rolf Wagner
Ümit Pul
(Jahrgang 1948) studierte Chemie in Marburg und Münster.
Promotion 1976 bei Prof. Hans
Günter Gassen. Postdoc am MPI
für Molekulare Genetik, Berlin.
Ab 1979 dort Arbeitsgruppenleiter. 1983 Habilitation in Molekularbiologie, FU Berlin. Ab 1986
Heisenberg-Stipendiat. Seit
1987 Professor an der HeinrichHeine-Universität, Düsseldorf.
(Jahrgang 1977) studierte Diplom-Biologie an der Universität Düsseldorf und promoviert seit 2004 am Institut für
Physikalische Biologie mit
Schwerpunkt Molekularbiologie der Bakterien in der Arbeitsgruppe von Rolf Wagner.
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Rolf Wagner
Molekularbiologie der Bakterien
Heinrich-Heine-Universität
Universitätsstraße 1
D-40225 Düsseldorf
Tel.: 0211-81-14928
Fax: 0211-81-15167
[email protected]
www.biologie.uni-duesseldorf.de
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