NAT 06-14 Kooperation

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Das Prinzip der
Kooperation hat aus
der Erde einen
blühenden Planeten
gemacht. Foto: Prisma
Es gibt in der Natur, wohin man auch schaut, eine Fülle
genialer Erfindungen. Für den Forscher Charles Robert Darwin
(1809 bis 1882) waren diese lediglich «Produkte des Zufalls,
der natürlichen Selektion und eines gnadenlosen Kampfes ums
Dasein». Das darwinistische Denkmodell hat sich in diesem
Jahrhundert als das mehrheitlich anerkannte naturwissenschaftliche Dogma durchgesetzt. Dabei ist es weder gesichert
noch bewiesen. Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen
stellen es in Frage und weisen darauf hin, dass der eigentliche
Motor des Lebens die Kooperation ist.
Von Reinhard Eichelbeck
«Das Leben in der Natur ist ein ständiger
Kampf ums Überleben, bei dem der
Stärkere überlebt. Die Entwicklung der
Lebewesen, vom Urschleim bis zum
Menschen, ist nicht Schöpfung einer höheren Intelligenz, sondern ein Produkt des Zufalls.» So habe
ich es in der Schule gelernt, und wenn ich nicht
vor etlichen Jahren für die ARD einen Dokumentarfilm über Evolution gemacht hätte, würde ich vielleicht heute noch an diese Darstellung glauben.
Im Verlauf meiner Recherchen stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass der Darwinismus in sich
widersprüchlich und unlogisch ist, dass er von
falschen Voraussetzungen ausgeht und in vielen
wichtigen Punkten im Gegensatz zu den bekannten
Erfahrungstatsachen steht. Er ist, wie der Schweizer Naturforscher Louis Agassiz schon 1860 erkannte, ein «wissenschaftlicher Missgriff, unlauter
hinsichtlich der Fakten, unwissenschaftlich in
den Methoden und schädlich in der Tendenz».
Als Charles Darwin 1859 sein Buch «Über die
Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl»
veröffentlichte, war das anerkannte Denkmodell
über die Herkunft des Lebendigen die biblische
Schöpfungslehre: die verschiedenen Arten von
Lebewesen waren einmalig und unveränderlich
von Gott geschaffen. Darwins Auffassung, dass
alle Lebewesen miteinander verwandt sind und
von gemeinsamen Vorfahren abstammen («descent
with modification»), war seinerzeit zwar ketzerisch, aber nicht neu. Darwin selbst hat das auch
keineswegs geleugnet, sondern sein Denkmodell in
aller Bescheidenheit als «Hypothese» bezeichnet.
Zu einer absoluten Wahrheit, die unwiderruflich
und für alle Zeiten gültig ist, haben es erst seine
Nachfolger befördert.
Nr.1-2003
Darwins Irrtum
Charles Darwin ist in seiner «Entstehung der Arten»
davon ausgegangen, dass alle Lebewesen sich
ungehemmt vermehren (sein erster grosser Irrtum) und dadurch ein gewaltiger Bevölkerungsüberschuss entsteht. Demzufolge herrscht in
der Natur laut Darwin ein heftiger Krieg («war of
nature»), ein ständiger «Kampf ums Dasein»
(«struggle for life») bzw. um Nahrung und Lebensraum. Dieser Kampf (Darwins zweiter grosser Irrtum) ist besonders heftig zwischen Angehörigen
der gleichen oder einer nahe verwandten Art.
Hielt die
Unarten des
Menschen
für Grundwahrheiten
der Evolution:
Charles
Robert Darwin,
Arztsohn,
Theologe und
Naturforscher
Foto: R. Eichelbeck
Natürlich 7
Wenn nun ein Lebewesen durch irgendeine erbliche Veränderung einen Vorteil im Kampf ums Dasein bekommt, wird es sich durchsetzen, stärker
vermehren und die schwächeren Artgenossen verdrängen: «Die Stärksten siegen und die Schwächsten erliegen».
Diesen Vorgang nannte Darwin «natürliche Selektion» («natural selection»), später verwendete er
dafür auch den Begriff «Überleben des Tüchtigsten» («survival of the fittest»). Darwin hielt diesen
Prozess für die Grundlage der Evolution und
glaubte, dass er durch kleinste Verbesserungen
über sehr lange Zeiträume hinweg entsteht (sein
dritter grosser Irrtum).
Was den erstgenannten Irrtum angeht, so wissen
wir heute, dass Darwins Annahme, es gäbe in der
Natur keine «Geburtenkontrolle», falsch ist. Im
Gegensatz zur menschlichen Gesellschaft gibt es
in der Natur eine Fülle von Mechanismen, die eine
zu starke Vermehrung einzelner Arten verhindern:
Da gibt es einerseits soziale Mechanismen (wie das
Revierverhalten der Vögel zum Beispiel), es gibt
hormonale Mechanismen (bei den Bibern und
vielen anderen Säugetieren, wo bei Überbevölkerung das Fruchtbarkeitsalter der weiblichen Jungtiere später eintritt), es gibt von aussen eingreifende Mechanismen, wie Fressfeindschaft oder
Seuchen; und es gibt weitere effektive, noch ungeklärte Mechanismen bis hin zum «Kollektivselbstmord» (z. B. bei den Lemmingen). Die Natur kennt
also diverse Mechanismen, die eine Überbevölkerung vermeiden. Sie braucht keinen «gnadenlosen
Kampf» bzw. «Selektionsdruck», um dieses Problem
zu lösen.
Der Mythos
vom Überlebensvorteil
Was den «Überlebensvorteil» betrifft, der laut
Darwin durch «unendlich kleine Veränderungen»
über lange Zeiträume hinweg entstehen soll, gibt
es dafür keine Beweise. Erstens ist es schwierig,
sich vorzustellen, wie winzigste Anfänge eines
neuen Merkmals oder Organs bereits einen solchen «Überlebensvorteil» darstellen könnten,
Erfolgreich
auch ohne
«höhere»
Eigenschaften: Einzeller,
hier ein
SüsswasserPantoffeltierchen
Foto: Prisma
8 Natürlich
dass sie ihrem Träger dazu verhelfen, sich durchzusetzen, sich mehr als seine Kollegen zu vermehren und diese zu verdrängen. Den Giftstachel
einer Biene kann man sicherlich als einen «Überlebensvorteil» ansehen – aber wie sieht der
erste, winzige Beginn eines solchen komplexen
Merkmals aus? Und welchen «Überlebensvorteil»
könnte er haben? Es gibt stachellose Bienen, die
ebenso wie die meisten übrigen Insekten durch
ihre Existenz überzeugend demonstrieren, dass
man auch ganz ohne Stachel bestens zurechtkommt.
Das zeigt auch die Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit der Lebewesen auf diesem
Planeten Einzeller, also ganz einfache Lebewesen sind. Es gibt zum Beispiel achtmal mehr
Arten von Würmern, als es von Säugetieren
gibt. Wozu braucht es also Knochen? Oder eine
Plazenta? Oder ein Gehirn? Unzählige hirnlose
Lebewesen überleben erfolgreich seit Jahrmillionen – und in den Massenmedien ist Hirnlosigkeit derzeit geradezu ein entscheidendes Kriterium für Erfolg. Gehirn ist im Grunde ein überflüssiger Luxus.
Trotzdem schien es Darwin klar, dass bestimmte
Eigenschaften, die einen «Überlebensvorteil im
Kampf ums Dasein» bieten, ihren Trägern dazu verhelfen, sich durchzusetzen, mehr Nachkommen zu
zeugen und Lebewesen ohne diese Eigenschaften
zu verdrängen. Er bezog dies zum Beispiel auf
rote Beeren, deren «Überlebensvorteil» darin bestehe, dass sie von den Vögeln bevorzugt werden.
Allerdings gibt es neben den roten auch orangene,
gelbe, grüne, blaue, violette, schwarze, weisse –
kurz: Beeren in allen nur erdenklichen Farben.
Wenn aber alle diese Farben entstehen und sich
bis heute erhalten konnten – worin liegt dann
der «Überlebensvorteil» einer einzelnen Farbe?
Es gibt in fast allen Biotopen fast alles, was an
Eigenschaften, auch jeweils gegenteiligen, nur
denkbar ist. Wenn Grösse ein Überlebensvorteil
ist, warum gibt es dann Kleinheit? Wenn Schnelligkeit ein Überlebensvorteil ist, warum dann auch
Langsame? Komplizierte und Einfache, Giftige und
Ungiftige, Aggressive und Friedliche, Gepanzerte
und Nackte, Getarnte und Ungetarnte – allesamt
nur ein paar Schritte oder Hüpfer oder Flossenschläge voneinander entfernt? Und vor allem:
Warum sind gerade Lebewesen mit Eigenschaften,
deren «Überlebensvorteil» so offensichtlich ist,
wie zum Beispiel Giftigkeit oder Tarnfärbung, so
deutlich in der Minderheit?
Und wie steht es mit Merkmalen, die zwar schön
anzusehen, aber im «Kampf ums Dasein» von Nachteil sein können, wie zum Beispiel die Schwanzfedern von Pfauen, Argusfasanen oder Paradiesvögeln? Oder kunstvolle, aber auch sehr auffällige
Farben und Muster, die für Fressfeinde leicht
wahrzunehmen sind? Um solche Seltsamkeiten zu
erklären, hat Charles Darwin die «geschlechtliche
Selektion» erfunden, die darin besteht, dass die
weiblichen Tiere eben bunte, bizarre oder sonstwie auffällige Männchen bevorzugen. Die Frage
bleibt, warum dann die «natürliche Selektion», die
ja solchen «unkriegerischen» Unfug wegselektieren
sollte, in diesen Fällen nicht funktioniert?
Nr.1-2003
Im Zusammenhang mit der geschlechtlichen
Selektion sollte man auch bedenken, dass die Tiere
bei der Partnerwahl oft nur auf grobe, einfache
Reize reagieren, auf bestimmte Grösse oder Farbe,
und Feinheiten des Musters keine Rolle spielen.
Der Schweizer Biologe Adolf Portmann hat dies
beispielsweise bei Schmetterlingen festgestellt.
Er meinte: «Das Muster als solches, wie ‹optisch› es
für uns auch wirkt, ist in den Einzelheiten seiner
Form funktional belanglos.»
Wie wird aus einer Flosse
ein Bein?
Darwin geht davon aus, dass jedes komplexe Organ
aus unzähligen winzigen Veränderungen entstanden ist, von denen jede auch noch einen Vorteil im
«Kampf ums Dasein» darstellt. Man könnte hier
beinahe jedes «zusammengesetzte Organ» nehmen,
denn alle sind erst funktionsfähig, wenn sie
komplett sind – aber man muss gar nicht erst
bis zur Organebene gehen. Darwins Theorie bricht
schon auf der molekularen Ebene zusammen.
Die erste Zelle brauchte ein Mindestmass an
Komponenten, um lebendig zu sein, und zwar
von Anfang an – ein allmählicher Übergang von
unbelebten Molekülen zu einer lebenden Zelle ist
in der Praxis unmöglich.
Wie entstanden Knochen, Kiefer und Zähne der
Wirbeltiere? Wie verwandelte sich eine Flosse in
ein Bein? Ein Bein in einen flugfähigen befiederten
Flügel? Wie sind aus Reptilschuppen Vogelfedern
und Säugetierhaare entstanden? Kein Wissenschaftler kann darauf zurzeit eine befriedigende
Antwort geben.
Die Photosynthese, ein komplexer chemischer
Prozess, der bereits zu Beginn der Evolution aufgetreten ist, funktioniert nur, wenn alle Komponenten vorhanden sind, kann also ebenfalls nicht
in einzelnen kleinen Schritten entstanden sein.
Gleiches gilt auch für die Enzyme, lange Kettenmoleküle, deren Wirkung von ihrer ganz spezifischen Form abhängig ist.
Die Bombardierkäfer haben eine Art «Raketendüse» im Hinterteil, aus der sie über 100 Grad
heisse «chemische Kampfstoffe» abfeuern, indem
sie Wasserstoffsuperoxyd und Hydrochinon mit
Hilfe von zwei Enzymen zünden. Wie soll eine
derart geniale Konstruktion durch viele kleine
zufällige Veränderungen entstanden sein, von
denen auch noch jede ein Vorteil im «Kampf
ums Dasein» war? Wenn die explosiven Chemikalien sich zufällig ergeben und zusammenkommen, bevor die «Brennkammer» vorhanden
ist, sprengt der Käfer seinen eigenen Hintern in
die Luft – das ist gewiss kein «Selektionsvorteil».
Auch bei den «grossen Übergängen», von den
Fischen zu den Amphibien, von den Amphibien
zu den Reptilien und von Reptilien zu den Säugetieren und Vögeln ist eine Verwandlung über eine
lange Kette kleiner, zufälliger Veränderungen
schwer vorstellbar. Die Wissenschaftler konnten
bisher keine schlüssigen theoretischen Abläufe
entwerfen, geschweige denn irgendwelche Beweise für diese Annahme finden. Die Beine der
Amphibien beispielsweise müssen den Körper
des Tieres nicht nur bewegen, sondern auch tragen.
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Wozu so schön?
Der Ursprung der Schmetterlinge liegt im Dunkeln. Man nimmt an,
dass Anfang des Tertiärs alle heute bekannten Familien bereits
vorhanden waren. Worin liegt der Überlebensvorteil der nektarschlürfenden Flieger? Wie konnten sie im gnadenlosen «Kampf ums
Dasein» so lange überleben, ohne sich einzupanzern, einen Giftstachel auszubilden, auf Allesfresser-Kost umzustellen und sich
hemmungslos zu vermehren? Die Forschung zeigt, dass nicht einmal
ihre Farbenpracht in allen Fällen zwingend notwendig wäre. Schmetterlinge reagieren auf einfache Reize, Farben und Muster; ihr farbiges
Kleid dient nicht immer der Steigerung ihrer Vermehrungschancen
oder der Abschreckung. Sind Gene genial genug, um einen Wurm zu
veranlassen, sich in ein fliegendes Juwel zu verwandeln? Wer oder
was entwirft eine solche Vielfalt von Mustern aus einem Mosaik
winziger Schuppen (oben rechts)? Die naturwissenschaftliche
Forschung hat darauf noch keine Antworten.
(Fotos: R. Eichelbeck)
Beim Fisch erledigt diese Arbeit das Wasser, die
Flossen sind reine Bewegungsorgane. So haben wir
es hier mit zwei ganz unterschiedlichen Konstruktionen zu tun, und eine mögliche Verbesserung
der Flosse wird daher nicht in Richtung Bein gehen.
Jede Veränderung in Richtung Bein aber wird
keine Verbesserung der Flosse sein.
Natürlich 9
Darstellung einer
menschlichen Körperzelle
4 Zellmembran
3 Mitochondrien
5 Mikrotubuli
6 Zentriol
2 Lysosom
7 Golgi-Apparat
1 Zellkern
9 Endoplasmatisches Retikulum
8 Vesikel
Der Mensch,
ein Meisterwerk der Kooperation
Jede der rund 75 Billionen Körperzellen im menschlichen Organismus
besteht aus einem Zusammenschluss komplexer Arbeitseinheiten.
Die Mehrheit der Biologen glaubt heute, dass dieser Zelltyp durch
den Zusammenschluss einfacherer Einzeller entstanden ist.
1: Der Zellkern speichert die Erbinformation.
2: Die Lysosomen verdauen bzw. zerstören nicht mehr benötigte
Substanzen.
3: Die Mitochrondrien produzieren die Energie der Zelle durch
Oxidation von Nährstoffen.
4: Die Zellmembran erfüllt Aufgaben der Abgrenzung, des Stoffaustauschs, der Reizbeantwortung, der Zellbewegung und der
Oberflächenspannung.
5: Die Mikrotubuli sind Teil des Zellskeletts, das v. a. dem intrazellulären Transport und der Formgebung dient.
6: Das Zentriol spielt eine Rolle bei der Zellteilung.
7: Der Golgi-Apparat ist zuständig für die Aufbewahrung, Bearbeitung
und den Transport von Eiweissen.
8: Die Vesikel sind am intrazellulären Transport von Substanzen,
z. B. Enzymen oder Hormonen, beteiligt.
9: Das endoplasmatische Retikulum erfüllt zentrale Aufgaben bei der
Eiweisssynthese (rauhes e. R) und bei der Fettsynthese (glattes e. R.)
Die «missing links» fehlen
Kein Wunder also, wenn die Paläontologen von
den unzähligen Zwischenformen («missing links»
oder «fehlende Glieder»), die es nach Darwins
Vorstellungen in allen Lebensbereichen hätte
geben müssen, keine Versteinerungen gefunden
haben. In zahlreichen Aspekten stehen die fossilen Dokumente, wie der renommierte Paläontologe
Otto Schindewolf es ausdrückte, «in schroffem
Gegensatz zu der darwinistischen Deutung des
stammesgeschichtlichen Geschehens». Das Fehlen
dieser missing links begründen die Darwinisten
damit, dass solche Übergangsformen sich in
10 Natürlich
kurzer Zeit in geografisch isolierten Populationen
entwickelt und daher keine Spuren hinterlassen
haben – aber das ist pure Spekulation, die weder
durch die Erfahrung noch durch die Logik gestützt
wird. Es ist doch sehr seltsam, wenn unter den
vielen Versteinerungen in allen Schichten über
600 Millionen Jahre hin gerade all jene versteinerten Geschöpfe fehlen, die das darwinistische Denkmodell stützen könnten. Der Verdacht liegt nahe, dass sie gar nie existiert haben.
Doch wie entstehen eigentlich neue Merkmale
und Eigenschaften bei Lebewesen? Darwin
sprach von «Modifikationen», deren Ursache er
nicht weiter begründete. Die Darwinisten des
20. Jahrhunderts haben den Begriff Modifikation durch genetische Mutation und Rekombination ersetzt. Darunter verstehen sie zufällige,
chaotische Übertragungsfehler bei der Zusammenstellung oder Weitergabe von Erbinformation,
wobei sozusagen einzelne «Buchstaben», «Wörter»
oder ganze «Sätze» vergessen, hinzugefügt, ausgetauscht oder vervielfältigt wurden. Solche
Fehler hätten zu Verbesserungen geführt.
Dabei ist bis heute ungeklärt, welche Rolle
die Gene bei der Formbildung tatsächlich spielen und wie Genveränderungen zu Gestaltveränderungen führen können. Prof. Dr. Walter Nagl, Genetiker und Autor von Lehrbüchern über Genetik,
sagt: «Es weiss heute kein Mensch, wie aus einer
Eizelle ein Organismus entsteht, warum aus
einer Mauseizelle eine Maus wird und aus einer
Menscheneizelle ein Mensch – die Gene sind fast
gleich. Die Gene zwischen Menschenaffen und
dem Menschen selbst sind zu 99,9% identisch,
und trotzdem sind wir verschieden. Da sieht man,
dass man eigentlich den Kernpunkt nicht kennt.
Die Gene sind sicher der Faktor, der die Produkte
liefert; aber sie erklären nichts.»
Kann ein Betrunkener
komponieren?
Auch vom logischen Standpunkt aus ist es unsinnig
anzunehmen, dass zufällige Fehler zu Verbesserungen, zu ganz neuen Formen führen, und dass aus
chaotischen Störungen kompliziertere und höhere
Ordnungssysteme entstehen. Normalerweise – so
formulierte es der Physiker Erwin Schrödinger –
«entsteht Ordnung aus Ordnung». Niemand wird
ernsthaft erwarten, dass ein Klavierkonzert von
Mozart dadurch besser wird, dass ein betrunkener
Schreiber, der die Partitur kopiert, Noten oder
ganze Takte weglässt oder willkürlich neue hinzufügt. Und daran ändert sich auch nichts, wenn
er es hunderttausend Jahre lang tut.
Es gibt in der Natur, wohin man auch immer
schaut, eine Fülle von Einrichtungen, die man als
geniale Erfindungen bezeichnen kann. Das beginnt
mit der ersten lebendigen Zelle, die bereits, so der
französische Nobelpreisträger Jacques Monod,
«von äusserster Komplexität und Leistungsfähigkeit» ist, setzt sich fort über Photosynthese,
Arbeitsteilung und Differenzierung der Zellen beim
Vielzeller, bis hin zu Sinnesorganen, Bewegungsorganen und dergleichen mehr.
Da gibt es Ameisen, die sich Herden von Blattläusen halten und mit ihnen umherziehen oder
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«Sozialer Wohnungsbau»:
Von Spechten
gemeisselte
und später
aufgegebene
Baumhöhlen
stehen meist
nicht lange
leer. Verschiedene Nachnutzer (höhlenbrütende
Vögel, Kleinsäuger wie
Fledermäuse
und Schlafmäuse, Insekten und
andere) profitieren gerne
vom Angebot
an Fertigwohnungen.
Links: Buntspecht, rechts:
Siebenschläfer
Fotos: Karl Weber
sich Pilzgärten anlegen, in denen sie ihre Nahrung
züchten; Spinnen, die ihre Beute mit dem «Lasso»
fangen; Vögel, die für ihren Balztanz eine 300
Kubikmeter grosse und 10 Meter hohe Lichtung
im Urwald anlegen, indem sie alle Blätter von
den Bäumen abreissen; Köcherfliegenlarven, die
einen Klebstoff erfunden haben, der unter Wasser
aushärtet. Da gibt es gelenkige Panzer, Scharnierund Kugelgelenke, Haftapparate, Bohrer in verschiedensten Ausführungen, Injektionsspritzen,
Kneifzangen, geniale Baustoffe und verblüffende
Konstruktionen in Minimalbauweise.
Und all das soll durch «natürliche Selektion»
und durch zufällige Fehler beim Kopieren von
Genen entstanden sein? Die Infrarotsensoren der
Klapperschlangen und die elektrischen Organe
der Fische? Die faltbaren Flügel der Käfer und
die selbstreinigende Haut der Lotosblätter? Die
genialen Spinnapparate der Webspinnen und ihr
konstruktiver Instinkt? Das ist etwa so absurd
wie die Annahme, dass zufällige Fehler beim
Kopieren des Bauplans aus einem Radio- einen
Fernsehapparat machen oder aus einer Postkutsche ein Auto.
Nicht Zufall und Chaos bestimmen die Richtung
der Evolution, sondern intelligente, schöpferische
Ordnungsprozesse. Es mag angehen, für kleine Veränderungen – beispielsweise bei den Schnäbeln
von «Darwinfinken» oder den Gehäusen fossiler
Schnecken – Selektion und zufällige Genmutationen verantwortlich zu machen. Auch wenn
es dafür keine konkreten Beweise gibt, so ist
dies doch theoretisch möglich. Aber für die unzähligen genialen Erfindungen der Natur, für die
Benutzung gleicher Techniken bei ganz verschiedenen Lebewesen in ganz unterschiedlichen Umgebungen, für die Veränderung formaler
Strukturen wie beispielsweise von den Reptilien
zu den Säugetieren oder Vögeln müssen wir
eine höhere, schöpferische Intelligenz annehmen –
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da können der blinde «Zufall» und seine ebenso
blinde Schwester «Selektion» uns beim besten
Willen nicht mehr weiterhelfen.
Eine Katze, die über die Tasten eines Klaviers
spaziert, könnte durchaus zufällig die Tonfolge
G-G-G-Es treffen – den Anfang von Beethovens
Fünfter Symphonie. Aber daraus nun zu schliessen, dass sie die gesamte Symphonie zustande
bringen würde, wenn sie nur lange und oft genug
über die Tasten wandert, und dass sie, wenn
sie nur genügend Zeit hat, auch noch zufällig
sämtliche Klavierkonzerte des Meisters komponieren könnte – das ist abwegig.
Wenn man sich die bekannten Fakten gründlich
und unvoreingenommen vor Augen führt, dann
kann man heute, 120 Jahre nach Darwins Tod,
nur zu dem Schluss kommen, dass die entscheidenden Fragen der Evolution mit dem darwinistischen Denkmodell nicht zu erklären sind.
Nicht Gleichförmigkeit bestimmte den Evolutionsablauf, sondern rhythmische Sprunghaftigkeit.
Nicht «Anpassung» der Lebewesen an die Umwelt,
sondern ihre «Gestaltung» war es, die die Welt
verändert und auf den heutigen Stand gebracht
hat. Was die Evolution vorangetrieben hat, war
die Erfindung von «Neuheiten» – Photosynthese,
vielzellige Organismen, Kiefer und Zähne, Flossen,
Beine, Flügel, Herz und Lunge, Nerven und Gehirn.
Pure Anpassung – auch wenn sie noch so lange
winzig kleine Veränderungen ansammelt – kann
nichts Neues erfinden. Anpassung kann vielleicht
Flossen perfektionieren, aber sie kann keine
Beine daraus machen. Und vor allem: Es gibt
eine funktionierende «Geburtenkontrolle» in der
Natur, aber keinen «war of nature» oder «battle
of life». Der wesentlichste Faktor evolutiver
Entwicklung ist nicht Kampf, sondern Kooperation
– das ergibt sich sowohl aus der Erfahrung
unvoreingenommener Naturbeobachtungen als
auch aus logischen Überlegungen.
Natürlich 11
Gleiche Gene, anderes Aussehen
Nach neo-darwinistischer Auffassung sind die Gene verantwortlich
für die Form der Lebewesen. Die Natur zeigt uns aber, dass
Pflanzen mit identischen Genen unterschiedliche Gestalt besitzen.
Die Blüten vieler Pflanzen bilden radialsymmetrische Formen aus,
wobei die einkeimblättrigen die Dreieck-Sechseck-Symmetrie
bevorzugen – deutlich zu erkennen an den Tulpen und Lilien.
Zweikeimblättrige Pflanzen, zum Beispiel die Rosengewächse,
entwickeln überwiegend eine Fünfeck-Zehneck-Symmetrie, weniger häufig eine Viereck-Achteck-Symmetrie. Meist werden die
Symmetrien eingehalten, doch man findet immer wieder Mischformen auf der gleichen Pflanze, etwa eine Primel mit Fünfeckund Sechseck-Symmetrie (oben rechts).
Der Jasmin hat gewöhnlich vierblättrige Blüten, aber auch
Zweige mit vier-, fünf- und sechsblättrigen Blüten sind keine
Seltenheit (links oben). Der Bauplan der Wasserpflanze Pediastrum elegans (links, Mitte) zeigt gleichzeitig Vier-, Fünf- und
Sechsecksymmetrien. Gleiche Gene, unterschiedliche Formen.
Dagegen haben die Wachsblume/Hoya carnosa (unten links) und
das ausgestorbene Meerestier Asteroblastus stellatus ein nahezu
identisches Baumuster. Unterschiedliche Gene – gleiche Form.
Foto: R. Eichelbeck
12 Natürlich
Überlebenskünstler
durch Kooperation
In allen Lebensbereichen finden wir eine Fülle
von Beispielen für Kooperation und Symbiose:
soziale Gemeinschaften (wie beim Wolfsrudel),
Symbiosen (wie bei Flechten, Einsiedlerkrebsen
und Seeanemonen), Kooperation zwischen Tieren
und Tieren (wie bei den Putzerfischen, -garnelen
und -vögeln), zwischen Pflanzen und Tieren
(Ameisen und Akazien, Insekten und Blütenpflanzen) zwischen Pflanzen und Pflanzen (die
Bäume im Wald verbinden ihre Wurzeln miteinander, so dass sie Informationen und Nährstoffe
austauschen können), und zwischen Pflanzen und
Pilzen (die Pilzgeflechte an den Wurzelballen).
Es gibt Spinnenarten, die in Kommunen mit
einigen hundert Tieren leben, grosse Gemeinschaftsnetze spinnen, gemeinsam jagen und sich
bei der Brutpflege abwechseln. Es gibt Dutzende
von Beispielen für Bruthilfe bei Vögeln, von den
Eichelspechten bis zu den Rosenkakadus, von
den Blauhähern bis zu den Graufischern. Jene
kleinen Käfer, die wir «Totengräber» nennen, vergraben in gemeinsamer Anstrengung tote Kleintiere, um mit dem vorgekauten Fleisch des Kadavers ihre Jungen zu füttern.
Vor Urzeiten schon haben sich Pilze und Algen
zusammengetan, um Flechten zu bilden. Das
Doppelwesen gehört mit über 15 000 Arten zu
den erfolgreichsten Lebensformen des Planeten
(siehe in diesem Natürlich, ab Seite 52). Im
ewigen Eis der Polarregionen sind sie ebenso zu
finden wie in der glühenden Wüstenhitze: Überlebenskünstler durch Kooperation.
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Not in
der Natur nicht zu einem gnadenlosen «Kampf
ums Dasein» führt, liefert eine unscheinbare
Amöbe namens Dictyostelium discoideum. Wenn
die Nahrung knapp wird, strömen alle Amöben im
Umkreis zusammen – manchmal bis zu 100 000
Stück – formen ein schneckenartiges Gebilde
und bewegen sich gemeinsam an einen warmen,
sonnigen Platz. Dort bilden sie eine Art Stiel,
indem einige der Amöben sich aufrichten, verhärten und absterben, andere an ihnen emporklettern, sich ebenfalls verhärten und absterben
und so weiter. Nachdem etwa 20 Prozent der
Amöben sich so für die Allgemeinheit geopfert
haben, klettert der Rest den Stiel empor, bildet
einen Fruchtkörper und verwandelt sich in Sporen. Nach einiger Zeit platzt der Fruchtkörper auf,
und der Wind trägt die Sporen davon – in nahrungsreichere Gefilde. Die Sporen verwandeln
sich nun wieder in Amöben – und das Spiel beginnt von neuem.
Hunger und Not führen hier also nicht zu einem darwinistischen «war of nature», sondern
werden durch eine kooperative Lösung, durch
Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe – bis hin
zum Opfer für die Allgemeinheit – überwunden.
Ein anderes, sehr weit verbreitetes und elementares Kooperationsprinzip ist die Symbiose von
Pflanzen und Pilzen, die den Wurzeln der Pflanzen
sitzen, diese mit Wasser und Nährsalzen versorgen
und sich dafür mit Zucker belohnen lassen. Das
unterirdisch wuchernde Pilzgeflecht verbindet
Nr.1-2003
aber auch unterschiedliche Pflanzen miteinander
und gibt ihnen die Möglichkeit, Nährstoffe auszutauschen.
Diese Form der Symbiose hat man bereits in
270 Millionen Jahre alten Versteinerungen gefunden, und die Biologin Lynn Margulis nimmt
sogar an, dass dies eine der Voraussetzungen
dafür war, dass die Pflanzen das trockene Land
besiedeln konnten. «Wir leben in einer symbiontischen Welt.» Mit dieser Feststellung fasste sie
das Ergebnis ihrer langjährigen Forschungen
zusammen.
Kooperation ist die Basis der Evolution – das
zeigt sich schon auf der Ebene einfachster Einzeller. Der amerikanische Biologe James Shapiro
fand bei seinen Untersuchungen heraus, dass
Bakterien organisierte Gemeinschaften bilden, in
Gruppen auf Beutejagd gehen und eher den Einzelzellen eines Organismus ähneln als autonomen
Einzelgängern. Er kam zu dem Schluss, «dass
die meisten – wenn nicht so gut wie alle – Bakterien
ihr Leben in Gemeinschaft verbringen».
Kooperation
als übergeordnetes Prinzip
Die eigentliche grosse Zeit der Evolution begann
damit, dass Einzeller sich vor etwa 600 Millionen
Jahren zu mehr- und vielzelligen Organismen
zusammenschlossen. Und dies ist ein kooperatives Verhalten, das die Fähigkeit und den Willen
zur Kommunikation voraussetzt.
Die «moderne» Zelle, Eucyte genannt, der Grundbaustein aller Vielzeller, ist nach heutiger Ansicht
der Wissenschaft ursprünglich durch den Zusammenschluss verschiedener Einzeller entstanden.
Wer oder was auch immer die Vielzelligkeit bewirkt
und die Eucyten geschaffen hat – es war jedenfalls
ein Prinzip, das Kooperation im Sinn hatte, nicht
Kampf.
Dieses Prinzip ist immer noch wirksam, und es
war und ist der eigentliche Motor der Evolution.
Dies zeigt sich an ihrem Ergebnis: am Aufbau
und Ausbau eines ganzen Planeten. Von einem
toten Steinklotz, wie man ihn von Bildern des
Mars oder Merkur her kennt, zu einem blühenden,
lebendigen Kunstwerk.
Ein ständiger «Krieg der Natur», ein fortwährender «Kampf ums Dasein» kann derartiges nicht
leisten. Jedes Geschehen, jeder Prozess, bei dem
die Konfrontation überwiegt, ist destruktiv. Andererseits muss bei jedem Aufbauprozess die Kooperation stärker sein als die Konfrontation. Konkurrenz belebt nur dann das Geschäft, wenn sie in
den Rahmen einer übergeordneten Kooperation
eingebettet ist – sonst führt sie in den Ruin. Die
Natur (oder die schöpferische Instanz, die sich
hinter diesem Begriff verbirgt) hat das – im Gegensatz zu vielen Menschen – längst begriffen.
Ein Mensch kann sein Leben lang ohne Kampf
leben – aber nicht einen Tag lang ohne Kooperation. Ohne die Symbiose mit seinen Darmbakterien
würde er verhungern, was auch für unzählige
andere Lebewesen gilt. Ohne die koordinierte
Zusammenarbeit der Zellen wäre sein Körper ein
einziges Krebsgeschwür. Im Gegensatz zu gesunden Körperzellen leben bösartige Krebszellen
Nr.1-2003
nach dem darwinistischen Prinzip «Der Stärkere
siegt, der Schwächere unterliegt»: Sie fallen aus
der grossen Körperordnung, wachsen unkontrolliert, invasiv, und zerstören andere Zellen, statt
friedlich mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Leben ist Zusammenleben. Miteinander, füreinander und voneinander leben. Das Leben
baut auf dem Leben auf, das Leben lebt vom
Lebendigen – auch davon, dass ein Lebewesen
andere Lebewesen auffrisst und verdaut. Die
grundsätzliche Essbarkeit jedes Lebewesens ist
eine der wichtigsten Grundlagen für die natürliche
Vielfalt des Lebens. Fressen und Gefressenwerden
folgt in der Natur jedoch klar erkennbaren Spielregeln. Sich beschränken, anderen etwas übriglassen und dadurch «ökologische Nischen» schaffen, in denen andere Arten Platz finden: etwas
ganz Selbstverständliches bei den Lebewesen
dieses Planeten, wenn man vom Menschen absieht.
So fressen viele Raubtiere nur einen kleinen Teil
ihrer Beutetiere – etwa 10 Prozent. Sie begrenzen
ihre Anzahl und verhindern dadurch, dass sie
sich übermässig vermehren und ihre Nahrungsquellen erschöpfen. Sie halten den Bestand quantitativ und qualitativ – indem vor allem Jungtiere
und Kranke gefressen werden – stabil, gefährden
ihn aber nicht. Unter diesem Gesichtspunkt
könnte man das Verhältnis von sogenannten
«Fressfeinden» durchaus auch als eine Art von
Symbiose ansehen.
Wo immer Kampf und Konkurrenz in der Natur
auftauchen, sind sie in ein übergeordnetes Kooperationsprinzip eingebunden. Für Darwin war der
Krieg der «Vater der Evolution», der Vorgang, in
dem «die Stärksten siegen und die Schwächsten
erliegen». Diese Erkenntnis zog Darwin nicht aus
der Naturbeobachtung, sondern aus der Gesellschaftsphilosophie seines Landsmannes Thomas
Malthus (1766–1834). Darwin betrachtete die sozialneurotischen Unarten des Menschen – Egoismus,
Aggressivität, Rücksichtslosigkeit, Geilheit usw. –
als naturgegeben und stellte sie als Grundprinzipien der Evolution dar. Diese These ist Wasser
auf die Mühlen aller Machtneurotiker, die Minderheiten unterdrücken oder ausradieren wollen;
sie können sich zu ihrer Entschuldigung auf
Darwin berufen, der die Ausrottung («exter-
Zeigt ein
darwinistisches
Verhalten:
Krebszelle,
1800fach
vergrössert
Foto: Prisma
Natürlich 13
Körperpflege:
Beim sogenannten
Einemsen
lassen sich
manche
Vögel (hier
ein Eichelhäher) von
Waldameisen
mit Ameisensäure bespritzen. Dieses
Komfortverhalten
dient der
Gefiederpflege, indem
die Säure
offensichtlich
gegen Federmilben zu
wirken
vermag.
(Foto: Karl Weber)
14 Natürlich
mination») und Auslöschung («extinction») der
Schwachen durch die Starken zum Grundprinzip
des Lebens in der Natur und zur treibenden evolutionären Kraft erhob.
Diese Sicht der Natur ist ein Irrtum. Das belegt
eine Fülle von Indizien aus der Naturbeobachtung.
Nicht Kampf, sondern Kooperation, nicht hemmungslose Vermehrung, sondern situationsbezogene Selbstbegrenzung, nicht chaotische Zufälle,
sondern intelligente, schöpferische Ordnungsprozesse: das sind die wahren Grundelemente
der Evolution – und allemal eine bessere Basis
für die menschliche Gesellschaft als Krieg und
«survival of the fittest».
Namhafte Wissenschaftler – Biologen, Mediziner, Paläontologen, Biochemiker und Genetiker
– setzen sich dafür ein, in der Biologie die
Annahme wieder zuzulassen, dass es eine schöpferische Intelligenz gibt – zumindest als eine
denkbare Möglichkeit. Bei der Entwicklung der
Lebewesen im Verlauf der Evolution, bei der
Formbildung einzelner Individuen und bei der
Embryonalentwicklung wird eine enorme Organisationsleistung erbracht, die ein sehr hohes
Mass an Intelligenz voraussetzt. Und da eine
solche Intelligenz nicht einfach mysteriöserweise
aus dem Nichts auftauchen kann, muss sie
irgendwo angesiedelt sein. Wir haben entweder
die Möglichkeit, diese Super-Intelligenz in die
Materie, das heisst in Gene bzw. Moleküle, zu
verlegen – wie dies die materialistischen Wissenschaftler und die Darwinisten tun – oder aber
auf eine höhere, geistige Ebene.
Was ist sinnvoller: intelligente Materie oder
intelligenter Geist? Solange mir niemand auf glaub-
würdige Weise erklären kann, wo bei Atomen
oder Molekülen eine Intelligenz sitzen soll, die
der des Menschen noch um ein Vielhundertfaches
überlegen ist, plädiere ich für den Geist. Viele
Menschen halten die Existenz einer höheren,
schöpferischen Intelligenz für abwegig, weil
man diese weder messen noch wägen kann. Die
Frage sei erlaubt: Wenn wir die Natur betrachten,
finden wir viele verschiedene Intelligenzformen,
die unter dem Menschen stehen. Sollten wir da
nicht auch annehmen können, dass es mindestens
ebenso viele gibt, die über dem Menschen stehen?
Vergleichen wir die Situation doch einmal mit
den Bakterien, die im menschlichen Darm leben.
Die winzigen Mikroorganismen begreifen wahrscheinlich kaum, was der Mensch denkt und tut.
Vielleicht gibt es unter ihnen einige, welche die
Existenz des Menschen für einen Mythos halten,
frei nach dem Motto «Der gesamte Kosmos liegt
im Darm». Wenn es eine höhere, schöpferische
Intelligenz gibt, die für die Evolution verantwortlich ist, dann dürfte diese von uns weiter entfernt
sein als wir von den Darmbakterien. Es ist müssig,
sie mit unserem Verstand begreifen zu wollen.
Jean-Henri Fabre (1823–1915), der grosse Erforscher der Insektenwelt, sagte über die erstaunlichen Formen und Fähigkeiten seiner Beobachtungsobjekte: «Eine solche Ordnung im Lebenslauf
soll aus dem Chaos entstehen, ein solches Wissen
aus der Tollheit? Je mehr ich sehe, je mehr ich
beobachte, um so mehr leuchtet die Intelligenz hinter dem Geheimnis der Dinge.»
Und von ihm stammt auch das Bekenntnis:
«Ich glaube nicht an Gott – ich sehe ihn.»
Literaturangaben
– «Das Darwin-Komplott», von Reinhard Eichelbeck,
379 Seiten, 1999, Riemann Verlag
– «Die friedfertige Natur», von Stephan Lackner,
1982, Kösel München
– «Das schöpferische Universum», von Rupert Sheldrake,
1983, Meyster München
– «On the Origin of Species by Means of Natural Selection»,
von Charles Robert Darwin, 1985, Penguin Books
– «Die andere Evolution», von Lynn Margulis, 1999, Spectrum
Akademischer Verlag Heidelberg
– «Das Geheimnis der Evolution», von Gordon Rattray Taylor,
1983, Fischer Frankfurt
– «Grundfragen der Paläontologie», von Otto Schindewolf,
1950, Schweizerbart Stuttgart
Zum Autor
Reinhard Eichelbeck studierte
Psychologie, Germanistik,
Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft. Er lebt als freier
Journalist, Fotograf, Autor und
Regisseur für Hörfunk und
Fernsehen in der Nähe von
München. Bis 1987 war der
heute 57-Jährige in der
Hauptredaktion Kultur und
Wissenschaft des ZDF für die
Sendereihe «Einblick» verantwortlich. Reinhard Eichelbeck befasst sich seit 1981 mit
ökologischen Bewegungen und ist Autor mehrerer Bücher
(z. B. das «Darwin-Komplott» und «Die Erde, der Himmel
und die Dinge dazwischen»).
Nr.1-2003
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