Infektionen nach osteosynthetischer Frakturversorgung

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ÜBERSICHTSARTIKEL
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Konzepte zur Diagnostik und Behandlung
Infektionen nach osteosynthetischer
Frakturversorgung
Nora Renz a , Thomas Hubacher b , Christian Kleber a, c , Andrej Trampuz a
a
b
c
Zentrum für Septische Chirurgie / Infektiologie, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité-Universitätsmedizin, Berlin, Deutschland
Gemeinschaftspraxis Muri, Muri b. Bern, Schweiz
UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Deutschland
Periimplantäre Infektionen gehören zu den bedeutendsten Komplikationen nach
osteosynthetischer Frakturversorgung und bedürfen eines interdisziplinären Mana­
gements. Mit konsequenter Anwendung eines Behandlungsalgorithmus können
hohe Heilungsraten erzielt werden.
Epidemiologie
Die Infektrate nach osteosynthetischer Frakturversor­
gung liegt bei 1–5% und ist abhängig vom Frakturtyp.
Während die Versorgung geschlossener Frakturen mit
Osteosynthesematerial selten eine periimplantäre In­
fektion nach sich zieht (ca. 1%) [1], tritt trotz periopera­
tiver Antibiotikaprophylaxe und präemptiver Therapie
bei schweren Weichteilschäden und primärer Koloni­
sation in ca. 30% der offenen Frakturen eine Implantat­
assoziierte Infektion auf. Neben Trauma­bezogenen
Risikofaktoren (Grad des Weichteilschadens, Gefäss­
verletzung, Operationsmethode, Kompartmentsyn­
drom etc.) sind Patientencharakteristika wie Rauchen,
periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mel­
litus, hohes Alter, Niereninsuffizienz oder Immunsup­
pression prädisponierend für eine periimplantäre In­
fektion.
Pathogenese
Nora Renz
Die meisten periimplantären Infektionen entstehen
phänomen aus einem infektiösen Primärfokus (Haut,
durch eine exogene Kontamination, sei es durch das
Urogenitaltrakt, Lunge, endovaskulär) ist selten (<10%
vorangehende Trauma (bei offenen Frakturen) oder im
aller periimplantären Infektionen).
Rahmen der internen Frakturstabilisation. Bereits eine
Das Erregerspektrum ist abhängig von der Pathoge­
kleine Anzahl von Bakterien (100–1000 Bakterien) ge­
nese der Infektion. Bei exogenen Infektionen sind der
nügt, um nach Kontakt mit Fremdmaterial eine Infek­
Unfallort (Landstrasse, Feld etc.) und das Ausmass des
tion zu verursachen [1]. Bakterien verschaffen sich in
Weichteilschadens (nach Gustilo/Anderson für offene
Form eines Biofilms Schutz vor der körpereigenen
und Tscherne/Oestern für geschlossene Frakturen)
Abwehr sowie vor antimikrobiellen Substanzen und
entscheidend. Die häufigsten verursachenden Erreger
persistieren in metabolisch reduzierter Form. Neben
sind grampositive Organismen wie Staphylococcus
dem Fremdmaterial sind Knochennekrosen bei der
aureus (30%) und Koagulase­negative Staphylokokken
Entstehung und Persistenz von Infektionen von gros­
(22%) [2]. Bei Traumata mit Bodenkontakt (Erde, Stras­
ser Bedeutung. Eine hämatogene Infektion als Streu­
se) sowie schwerer Weichteilkompromittierung müs­
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sen gramnegative Erreger und Mischinfektionen (inkl.
Problemerreger liegen vor, wenn aufgrund des vor­
Anaerobier) vermutet werden und in die Wahl der em­
liegenden Resistenzmusters kein Biofilm­aktives Anti­
pirischen Antibiotikatherapie mit einfliessen [3].
biotikum zur Verfügung steht und somit der Biofilm
In ca. 20% der Patienten entwickelt sich als Komplika­
nicht eradiziert werden kann. Problemerreger sind:
tion der periimplantären Infektion eine chronische
– Rifampicin­resistente Staphylokokken
Osteomyelitis. Eine persistierende Infektion stört die
– Ciprofloxacin­resistente gramnegative Erreger
Frakturheilung und kann zu einer septischen Pseud­
– Pilze (Candida)
arthrose führen.
Enterokokken werden wahrscheinlich in Zukunft auf­
grund von nachgewiesener Biofilm­Wirksamkeit von
Fosfomycin im Tiermodell und limitierter klinischer
Klassifikation
Erfahrung nicht mehr zu den Problemerregern gezählt.
Periimplantäre Infektionen werden im Hinblick auf
Bestätigende klinische Studien sind im Gange.
die optimale Behandlungsstrategie anhand von drei
Charakteristika beurteilt:
– zeitliches Auftreten (Früh­ oder Spätinfektion);
Diagnostik
– Ausdehnung der Infektion/Osteomyelitis;
Bis zum Beweis des Gegenteils muss jede Auffälligkeit
– Behandelbarkeit des Biofilms (Nachweis von Pro­
im Operationsgebiet (Hautdehiszenz, persistierende
Wundsekretion, Rötung über der Osteosynthese) und
blemerregern).
In Abhängigkeit des zeitlichen Auftretens werden die
radiologisch festgestellte Pseudarthrose als Implantat­
periimplantären Infektionen in Früh­ und Spätinfekti­
assoziierte Infektion betrachtet werden. In Tabelle 2
onen eingeteilt (Tab. 1). Dies ist von grosser Bedeutung,
sind die wichtigsten diagnostischen Kriterien für peri­
zumal bei einem Frühinfekt von einem unreifen Bio­
implantäre Infektionen zusammengefasst.
film ausgegangen wird, der mittels Débridement und
Persistierende Wundsekretion, anhaltende Schmer­
systemischer, Biofilm­wirksamer Behandlung eradi­
zen, wiederholte chirurgische Interventionen sowie
ziert werden kann, während bei reifem Biofilm eine
antibiotische Behandlungen im Vorfeld sind suggestiv
Eradikation der Infektion nur mittels Implantatentfer­
für eine Infektion. Klinisch erhärten ein gerötetes, ge­
nung bzw. ­wechsel erzielt werden kann.
schwollenes Operationsgebiet und eine Wunddehis­
Die Osteomyelitis wird entsprechend in akut bzw.
zenz den Verdacht. Eine perkutane Fistel, eine positive
chronisch eingeteilt. Die Osteomyelitis als Folge einer
«probe­to­implant» (analog «probe­to­bone» bei Osteo­
periimplantären Infektion wird aufgrund ihrer Aus­
myelitis; mit der in die Wunde eingeführten Sonde ge­
dehnung in eine medulläre, oberflächliche, lokale und
langt man direkt auf das Implantat) sowie sichtbarer
diffuse Osteomyelitis klassifiziert (nach Cierny und
Pus sind beweisend für eine Infektion. Abhängig von
Mader).
Qualität und Masse des Weichteilmantels ist der klini­
sche Aspekt mehr oder weniger eindrücklich. So wer­
den Infektionen im Bereich des Hand­ und Sprung­
gelenks sowie Ellbogens früher klinisch sichtbar als
subfasziale Infektionen (z.B. proximaler Femur). Eine
begleitende septische Arthritis muss bei gelenksnahen
Tabelle 1: Einteilung der periimplantären Infektionen in Früh- und Spätinfektionen.
Frühinfektion
Zeitliches Auftreten
Spätinfektion
Frühe postoperative Infektion Low-Grade-Infektion
(<6 Wochen nach OP)
(>6 Wochen nach OP)
Rezidivierende/persistierende
Infektion
Osteosynthesen stets mittels Punktion (Bestimmung
der Zellzahl und Mikrobiologie) ausgeschlossen wer­
den. Laboranalytische Entzündungsparameter sind
weder sensitiv noch spezifisch, ein persistierend hohes
oder sekundär steigendes C­reaktives Protein (CRP)
kann jedoch richtungsweisend sein.
Biofilm
Unreif
Reif
Die radiologische Bildgebung ist ein wichtiger Bau­
Klinik
Fieber, Rötung, Schwellung,
Schmerzen
Schmerzen, Lockerung des
Implantats, Fistel, Pseudarthrose
stein der Diagnosestellung. Vor allem bei Spätinfektio­
Erreger
Behandlung
Hoch-virulent:
Niedrig-virulent:
Staphylococcus aureus,
Staphylococcus epidermidis,
Streptokokken, Enterokokken, Propionibacterium acnes
gramnegative Bakterien
Débridement und Erhalt
des Implantats
Implantatentfernung oder
-wechsel (ein- oder zweizeitig),
Suppressionstherapie
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nen ist eine konventionelle Röntgenaufnahme in zwei
Ebenen bei Nachweis von Infektkallus (ungewöhnlich
wolkig erscheinender Kallus), Pseudarthrose (fehlende
Konsolidierung, Verbreiterung des Frakturspalts, Skle­
rosierung der Fragmente) und periimplantären Osteo­
lysen als Zeichen einer Implantatlockerung hinweisend
auf ein Infektgeschehen. Die Magnetresonanztomo­
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Abbildung 1: Periimplantäre Infektion mit Infektpseudarthrose; klinischer und radiologischer Befund.
graphie (MRT) gibt Aufschluss über extraossäre Infekt­
die Korrelation mit den Erregern in der Tiefe gering ist.
ausdehnungen und intramedulläre Infektmanifesta­
Die einzige Ausnahme stellt hierbei Staphylococcus au-
tionen (Markraumphlegmone). Ergänzend liefert die
reus dar. Mittels Sonikation (Ultraschallbehandlung)
Computertomographie (CT) mit Darstellung von Kno­
kann der Biofilm auf dem explantierten Implantat ab­
chensequestern, Pseudarthrose, Implantatlockerung
gelöst werden. Die Kultivierung der Sonikationsflüssig­
und begleitenden Weichteilprozessen wichtige Infor­
keit führt in ca. 90% zum Erregernachweis [5].
mationen. Positronenemissions­Tomographie (PET)­CT
sowie Szintigraphie sind im ersten Jahr nach Opera­
tion aufgrund der hohen Rate falsch­positiver Ergeb­
Therapie
nisse nicht verwertbar.
Intraoperativ sollen 3–5 Biopsien von Gewebe in unmit­
Zur Sicherung der Frakturheilung sollte das primäre
telbarer Nähe zum Implantatlager, Knochensequester
Behandlungsziel eine Eradikation des Infekts sein. In
oder Pseudarthrose entnommen und mikrobiologisch
ausgewählten Fällen kommt eine Suppressionsthera­
sowie histologisch untersucht werden. Ein positiver
pie in Frage. Bei frühzeitiger chirurgischer Interven­
Erregernachweis oder histologischer Infektnachweis
tion und adäquater antibiotischer Behandlung kann
(>5 Granulozyten pro Gesichtsfeld in 400­facher Ver­
eine chronische posttraumatische Osteomyelitis ver­
grösserung [4]) bestätigt den Infekt. Oberflächliche
hindert werden. In Tabelle 3 sind die essentiellen Fra­
Wund­ oder Fistel­Abstriche sind nicht repräsentativ
gestellungen zur Festlegung der optimalen Therapie­
bzw. irreführend und sollten vermieden werden, weil
strategie zusammengefasst.
Tabelle 2: Die wesentlichsten diagnostischen Kriterien für periimplantäre Infektionen.
Kriterium
Klinik
Fistel, eitrige Wundsekretion oder sichtbares Implantat
bzw. positive «probe-to-implant»
Histologie
Infektnachweis im periimplantären Gewebe (>5 Granulozyten
pro Gesichtsfeld in 400-facher Vergrösserung)
Radiologie
Infektkallus
Knochensequester
Osteolysen, Sklerosierung der Kortikalis
Implantatlockerung
Pseudarthrose
Mikrobiologie
Erregernachweis in
– ≥2 von 3 Biopsien (bei hoch-virulenten Keimen ≥1 positiv)
– in Sonikation (>50 Kolonien/ml Sonikationsflüssigkeit)
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Tabelle 3: Essentielle Fragen im Hinblick auf die Therapiestrategie.
– Handelt es sich um einen Früh- oder Spätinfekt
(< oder >6 Wochen seit Operation/Trauma)?
– Ist die Fraktur konsolidiert?
– Liegt ein Problemerreger vor?
– Ist das Osteosynthesematerial gelockert?
– Ist die Frakturreposition akzeptabel?
– Wie ist die Weichteilsituation
(Fistel, plastische Deckung notwendig)?
– Welche lokalen oder systemischen Risikofaktoren liegen vor?
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Grundsätzlich können zwei Vorgehensweisen gewählt
primärer Wundverschluss (gute Weichteilverhältnisse
werden:
oder plastische Weichteildeckung). Ausserdem müssen
– Eine Eradikation der Infektion mit Ziel des Erhalts
eine akzeptable Reposition und ausreichende biome­
des Osteosynthesematerials;
chanische Stabilität vorhanden sein, um eine Fraktur­
– Eine Suppression der Infektion bis zur Frakturhei­
heilung zu ermöglichen.
lung mit anschliessender Implantatentfernung.
In Abbildung 2 ist der Behandlungsalgorithmus abge­
Management der Spätinfektion
bildet, der je nach Klassifikation der Infektion ein Vor­
Aufgrund des ausgereiften Biofilms ist bei angestreb­
gehen mit Erhalt (Frühinfektion) oder mit Entfernung
ter Infekt­Eradikation eine Entfernung mit ein­ oder
bzw. Wechsel des Fremdmaterials (Spätinfektion) vor­
zweizeitigem Vorgehen unausweichlich. Einzeitige Re­
sieht. Bei konsolidierter Fraktur stellt die ersatzlose
Osteosynthesen sind bei fehlenden komplizierenden
Entfernung mit anschliessender Osteomyelitisbehand­
Faktoren wie Problemerregern, kutanen Fisteln oder
lung die Therapie der Wahl dar. Entscheidend ist die
grossen Weichteil­ bzw. Knochendefekten möglich. In
Kombination von adäquatem chirurgischem Vorgehen
allen anderen Fällen ist ein zweizeitiges Vorgehen mit
entsprechend der Klassifikation und sechs­ bis zwölf­
temporärer externer Stabilisation (Fixateur externe,
wöchiger antimikrobieller Therapie, womit Heilungs­
Cast oder Schiene) im Intervall durchzuführen. Bei
raten von 80–90% erreicht werden können [2].
Problemerregern sollte ein ausreichendes Intervall
von zwei bis sechs Wochen mit intravenöser antibio­
Management der Frühinfektion
tischer Behandlung gewählt werden.
Da der Biofilm innerhalb von sechs Wochen nach Ein­
bringung des Implantats noch unreif und antibiotisch
eradizierbar ist, gelingt mittels eines gründlichen chir­
Chirurgisches Vorgehen
urgischen Débridements und ausgiebiger Spülung zur
Um die Keimzahl mechanisch zu reduzieren, haben das
Keimzahlreduktion sowie zwölfwöchiger Biofilm­akti­
chirurgische Débridement mit Exzision von nekroti­
ver antimikrobieller Therapie (Rifampicin, Ciprofloxa­
schem Gewebe, Abszessmembranen und perkutanen
cin) in den meisten Fällen eine Infekt­Eradikation trotz
Fisteln sowie die vollständige Entfernung von Knochen­
Erhalt des Fremdmaterials. Voraussetzung dafür ist ein
sequestern und Fremdkörpern (abgebrochene Schrau­
Fraktur
Fraktur nicht konsolidiert
konsolidiert
Frühinfekt
Spätinfekt
Eradikation
Osteosynthesematerial (OSM)
stabil?
Gute Reposition der Fraktur?
Primäre Weichteildeckung möglich?
Ja
Vollständige
Entfernung des OSM
Débridement
6 Wochen Antibiotika
Erhalt des OSM
Débridement
6 Wochen Antibiotika
Ggf.
Suppressionstherapie
bis Frakturheilung
Nein
Resistenter Erreger
(keine Biofilmtherapie
möglich)?
Ja
Zweizeitiger
OSM-Wechsel
Vollständige
Implantatentfernung,
Débridement
Temporäre Stabilisation
(intern vs. extern)
6 Wochen Antibiotika
Nein
Einzeitiger OSMWechsel
Débridement
12 Wochen
Antibiotika
Re-Débridement
Re-Osteosynthese
6 Wochen Antibiotika
Abbildung 2: Behandlungsalgorithmus der periimplantären Infektion. OSM = Osteosynthesematerial.
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Suppression
Langzeit-Antibiotika
bis OSM-Entfernung
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ben, Gentamicinketten, Nahtmaterial) die grösste Be­
sche Deckung meist unnötig verzögert. Diesbezüglich
deutung. Zurückbleibendes avitales Gewebe führt zu
sollte die VAC­Therapie so wenig und so kurz wie mög­
einer Persistenz des Infektes. Weiter ist eine ausgiebige
lich angewendet werden und nicht in direktem Kontakt
intraoperative Lavage mit grosszügigem Volumen an
zu Knochen oder dem Osteosynthesematerial stehen.
Elektrolytlösungen (NaCl oder Ringerlactat) oder Polihe­
xanid (0,02 bzw. 0,04%) bedeutend. Bei intramedullärer
Mitbeteiligung sind eine Markraumbohrung sowie Kor­
Antibiotische Therapie
tikalisfensterung indiziert. Das Osteosynthesematerial
Die empirische Therapie sollte breit und intravenös er­
wird entfernt oder ein­ bzw. zweizeitig gewechselt und
folgen und nach Erhalt der mikrobioloischen Resultate
zur Sonikation eingeschickt (Ausnahme unkomplizier­
rasch deeskaliert werden. In der Regel wird initial
ter Frühinfekt, siehe Algorithmus).
Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 2,2 g i.v. eingesetzt. Bei
Nach erfolgter Biopsieentnahme und Débridement ist
vorliegender Fistel oder vorangehender 3° offener Frak­
ein primärer Wundverschluss oder eine plastische De­
tur muss bei hoher Inzidenz an Pseudomonaden und
ckung (Spalthaut oder Lappenplastik) anzustreben.
anderen gramnegativen Erregern auf Piperacillin/
Bei längerer Anwendung einer Vakuum­Versiegelung
Tazobactam erweitert werden. Bei bekannter MRSA­
(VAC) werden zusätzlich multiresistente Bakterien und
(Methicillin­resistenter Staphylococcus aureus-)Besie­
Pilze auf dem Vakuum­Schwamm selektioniert, was die
delung wird entsprechend eskaliert (Vancomycin bzw.
weitere Behandlung deutlich erschwert und die plasti­
Daptomycin bei Niereninsuffizienz).
Tabelle 4: Gezielte Antibiotikatherapie bei periimplantären Infektionen mit Erhalt oder Wechsel des Osteosynthesematerials
(wirksam gegen Biofilme).
Mikroorganismus
Staphylococcus aureus oder
Koagulase-negative Staphylokokken
Methicillin-empfindlich
Methicillin-resistent
Streptokokken
Enterokokken
(Penicillin-empfindlich)
Antibiotikum
Dosis
Applikation
Flucloxacillin†
+ Rifampicin
für 2 Wochen, gefolgt von
Levofloxacin
oder Cotrimoxazol
oder Doxycyclin
oder Fusidinsäure
alle + Rifampicin
4×2g
2 × 450 mg
IV
PO
2 × 500 mg
3 × 960 mg
2 × 100 mg
3 × 500 mg
2 × 450 mg
PO
PO
PO
PO
PO
Vancomycin
oder Daptomycin
+ Rifampicin
für 2 Wochen, dann wie oben für Methicillinempfindliche Staphylokokken
2×1g
1 × 6 mg/kg
2 × 450 mg
IV
IV
PO
Penicillin G
oder Ceftriaxon
4 × 5 Mio. E
1×2g
IV
IV
für 2 Wochen, gefolgt von
Amoxicillin
3 × 750–1000 mg
PO
Ampicillin
+ Gentamicin
4–6 × 2 g
1 × 240 mg
IV
IV
für 2 Wochen, gefolgt von
Amoxicillin
3 × 750–1000 mg
PO
Enterobacteriaceae
(z.B. E. coli, Enterobacter, Klebsiella)
Ciprofloxacin
2 × 750 mg
PO
Nonfermenter
(z.B. Pseudomonas aeruginosa)
Ceftazidim
+ Gentamicin
4×2g
1 × 240 mg
IV
IV
Grampositive Anaerobier
(z.B. Finegoldia magna,
Propionibacterium acnes)
für 2 Wochen, gefolgt von
Ciprofloxacin
2 × 750 mg
PO
Ampicillin/Sulbactam
3×3g
IV
für 2 Wochen, gefolgt von
Rifampicin
+ Levofloxacin
2 × 450 mg
2 × 500 mg
PO
PO
Die Dosis ist angegeben für Erwachsene mit normaler Nieren- und Leberfunktion. Bei Patienten mit Penicillin-Allergie (Exanthem) kann Cefazolin
(2 g alle 8 Std. IV) gegeben werden, falls keine Soforttypallergie vorhanden ist (z.B. Anaphylaxie, Quincke-Ödem). Bei Patienten mit Soforttypallergie
sollten Betalaktame durch Vancomycin (1 g alle 12 Std. IV) oder Daptomycin (500 mg alle 24 Std.) ersetzt werden.
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Tabelle 5: Wichtige Aspekte der Rifampicin-Therapie.
Rifampicin nicht im Implantat-freien Intervall, bei offenen Wunden sowie liegenden Drainagen oder als Monotherapie
anwenden (Gefahr einer Resistenzentwicklung).
Nur mit oral gut bioverfügbarer und resistenzgerechter Substanz kombinieren. Orale Betalaktam-Antibiotika wie Amoxicillin,
Ampicillin oder Cefuroxim erreichen nicht genügende Konzentrationen im Knochen und sollen deswegen oral nicht
angewendet werden.
Mögliche Interaktionen berücksichtigen, insbesondere mit Antihypertensiva, Opiaten, Antiepileptika, oralen Kontrazeptiva,
antiretroviralen Medikamenten, Immunsuppressiva und Antikoagulanzien. Gegebenenfalls Dosis des zweiten Medikaments
anpassen bzw. Konzentration bestimmen.
Nebenwirkungen von Rifampicin berücksichtigen: Nausea und Erbrechen, immobilisierende Polyarthritis, Exanthem,
Medikamentenfieber, toxische Hepatitis (regelmässige Leberenzymkontrolle).
Dosis bei geriatrischen Patienten älter als 75 Jahre auf 300 mg zweimal täglich reduzieren.
Möglichkeiten bei (gastrointestinaler) Unverträglichkeit: (I) Alle Antibiotika für 2–3 Tage pausieren (II), Dosisreduktion auf
300 mg zweimal täglich, (III) Antiemetikum vor der Einnahme dazugeben (z.B. Ondansetron 4 mg p.o.), (IV) galenische Form
ändern (z.B. Rifampicin als Suspension), (V) Ausweichen auf Rifabutin (anderes Rifamycin-Derivat).
In der Regel wird initial eine zweiwöchige intravenöse
Ausblick
Antibiotikagabe angestrebt, gefolgt von einer resis­
tenzgerechten oralen Therapie bei trockenen Wund­
Neue Entwicklungen zur Behandlung von Implantat­
verhältnissen. Bei den oral verabreichten Antibiotika
assoziierten Infektionen basieren auf Testung alter
sind eine gute orale Bioverfügbarkeit sowie eine gute
und neuer Antibiotika, die eine Anti­Biofilm­Wirkung
Knochenpenetration Voraussetzung. Geeignete Sub­
aufweisen. Somit konnte im Tiermodell für Fosfomy­
stanzen sind neben Rifampicin und Ciprofloxacin auch
cin eine Wirkung gegen Enterokokken­Biofilme gezeigt
Clindamycin, Cotrimoxazol, Doxycyclin, Levofloxacin.
werden. Neue Antibiotika aus der Gruppe der Lipogly­
Empfehlungen zur Antibiotikatherapie in Abhängig­
kopeptide (Dalbavancin, Oritavancin) haben eine lange
keit vom Erreger und Resistenzprofil sind in Tabelle 4
Halbwertszeit und können intravenös einmal wöchent­
zusammengefasst.
lich verabreicht werden, sind jedoch für osteoartiku­
Die wichtigste Fragestellung vor Oralisierung der anti­
läre Infektionen noch nicht zugelassen. Antibiotika
biotischen Therapie ist das Ziel der Behandlung. Wird
können auch lokal angewendet werden, zum Beispiel
eine Eradikation der Infektion angestrebt, muss nach
in resorbierbaren Knochenersatzmaterialien. Somit
chirurgischem Vorgehen eine Biofilm­aktive Therapie
kann eine Totraumbehandlung mit einer hohen loka­
gewählt werden. Die bisher einzigen nachgewiesenen
len Antibiotikakonzentration verbunden werden. Dies
Substanzen mit dieser Eigenschaft sind für gramposi­
könnte insbesondere bei Problemerregern wie zum
tive Erreger (Staphylokokken, Propionibacterium acnes)
Beispiel Pilzen zum Durchbruch bei der Behandlung
Rifampicin, für gramnegative Mikroorganismen Ci­
führen.
profloxacin. Rifampicin muss jedoch bewusst und un­
ter Berücksichtigung von wichtigen Eigenschaften ein­
gesetzt werden, um eine Resistenzentwicklung zu
vermeiden und die Toleranz seitens des Patienten zu op­
timieren (Tab. 5).
Ist ein chirurgisches Vorgehen nicht indiziert oder un­
ter Berücksichtigung der Nebenerkrankungen und
Lebensqualität risikobehaftet, ist eine Suppression der
Infektion bis zur Frakturkonsolidierung, Entfernung
des Implantats oder lebenslang möglich. Für diese
Fälle ist keine Biofilm­Aktivität notwendig, Antbiotika
Korrespondenz:
der Wahl sind hierfür Cotrimoxazol, Clindamycin,
Dr. med. N. Renz
Doxycyclin.
Centrum für Muskuloskele­
Die gesamte antibiotische Therapiedauer im Rahmen
tale Chirurgie – Infektiologie/
Septische Chirurgie
einer Eradikation beträgt sechs Wochen bei einer akuten
Campus Virchow­Klinikum,
Osteomyelitis bzw. Frühinfektion und zwölf Wochen
Charité – Universitäts­
medizin Berlin
bei einer Spätinfektion bzw. chronischen Osteomyelitis.
Augustenburger Platz
Eine antibiotische Suppressionstherapie kann unter
DE­13353 Berlin
nora.renz[at]charite.de
www.charite.de
Über wachung der Leber­ und Nierenretentionsparame­
ter monate­ bis jahrelang aufrechterhalten werden.
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Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Titelbild
Methicillin­resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).
Foto: National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID).
Literatur
1
2
3
4
5
Trampuz A, Zimmerli W. Diagnosis and treatment of infections
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Giesecke MT, Schwabe P, Wichlas F, Trampuz A., Kleber C. Impact
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tive infections in major sub­/total traumatic amputations on
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Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie. DMW Dtsch med
Wochenschr. 2013;1380:1571–3.
ÜBERSICHTSARTIKEL
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Das Wichtigste für die Praxis
• Implantat-assoziierte Infektionen sind insbeson-
• Bei vermutetem Infekt soll rechtzeitig gehandelt
dere nach offenen Frakturen und schweren
werden, da bei einem Frühinfekt (<6 Wochen
Weichteilschäden häufig und bedürfen einer
nach Implantation) das Osteosynthesematerial
kombinierten chirurgischen und antibiotischen
meist erhalten werden kann.
Behandlung zur Eradikation der Infektion (siehe
Behandlungsalgorithmus Abb. 2).
• Anhaltende Schmerzen, persistierende Wundse-
• Bei Spätinfektionen ist eine Explantation bzw.
Wechsel des Implantats unausweichlich (einoder zweizeitig).
kretion, Fisteln sowie eine fehlende Konsolidie-
• Initial wird eine zweiwöchige intravenöse antimi-
rung der Fraktur sind hoch verdächtig auf einen
krobielle Therapie empfohlen, gefolgt von einer
Infekt. Bis zum Beweis des Gegenteils müssen
adäquaten oralen Therapie, abhängig vom
jede Auffälligkeit im Operationsgebiet und radio-
Behandlungsziel (Eradikation vs. Suppression).
logisch festgestellte Pseudoarthrose als Implantat-
• Bei der Wahl des oralen Antibiotikums muss auf
assoziierte Infektion betrachtet werden.
• Neben der suggestiven Anamnese und Klinik sind
die Bildgebung und die Mikrobiologie wichtige
Bausteine der Diagnostik. Eine konventionelle
eine gute orale Bioverfügbarkeit, Knochenpenetration sowie gegebenenfalls Biofilm-Aktivität geachtet werden.
• Bei multimorbiden oder geriatrischen Patienten
Röntgenaufnahme ist richtungsweisend. Ergän-
kann alternativ zum chirurgischen Vorgehen un-
zend liefern MRT sowie CT wichtige Informationen
ter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung eine lang-
bezüglich extraossäre und intramedulläre Infekt-
fristige antibiotische Suppressionstherapie bis
manifestationen. Neben Gewebebiopsien hat die
zur Frakturkonsolidierung oder lebenslang in Er-
Sonikation beim Erregernachweis von Biofilm-as-
wägung gezogen werden.
soziierten Infekten eine grosse Bedeutung.
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