Barack Obama und der Libyen-Krieg - Hanns-Seidel

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POLITISCHER BERICHT AUS DEN
VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA
Dr. Ulf Gartzke
Leiter der Verbindungsstelle Washington
Nr. 10/2011 – 26. Juli 2011
IMPRESSUM
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Barack Obama und der Libyen-Krieg
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Angesichts des aktuellen Ringens zwischen dem amerikanischen Präsidenten Obama und
dem US-Kongress über die Anhebung der nationalen Schuldengrenze gerät ein weiterer
Krisenherd zunehmend aus dem, nicht zuletzt medialen, Fokus: der Libyen-Krieg.
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Dieser Konflikt, obgleich aus amerikanischer Sicht militärisch wenig herausfordernd,
befindet sich aktuell in seinem fünften Monat. Alle euphorischen Hoffnungen auf einen
schnellen Sieg haben getrogen. Oberst Gaddafi hält sich noch immer in Tripolis auf, auch
wenn seine Einflusszone geschwunden ist, und noch immer weiß im Westen wohl niemand so
recht, wem man da in Gestalt der Rebellen eigentlich den Vormarsch frei bombt.
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Während Gaddafis militärisches Potential zur Bedrohung von US-Interessen weiter
schrumpft, sofern dieses in der jüngeren Vergangenheit denn überhaupt noch veritable
Ausmaße aufwies, wächst wegen der finanziellen Lasten und der umstrittenen Legitimität
des Krieges der politische Druck auf Obama.
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So lagen die Kosten des amerikanischen Libyen-Einsatzes bereits Mitte Mai bei über 650
Millionen US-$ und werden bis September, zum avisierten Einsatzende, auf fast 850
Millionen US-$ anwachsen – so die zurückhaltenden Schätzungen der US-Regierung.
Angesichts von Wirtschaftskrise und drohendem Staatsbankrott sind diese Ausgaben einer
breiten Mehrheit des amerikanischen Volkes nicht mehr zu vermitteln – und das nicht nur
aus finanziellen Erwägungen heraus oder infolge einer lähmenden Kriegsmüdigkeit, welche
die USA nach 10 Jahren Afghanistan und Irak fraglos ergriffen hat.
¾
Vielmehr werden die Gründe für den Einsatz in Frage gestellt. So waren in Libyen keine USInteressen unmittelbar bedroht, weshalb denn auch der damalige US-Verteidigungsminister
Gates seinem Präsidenten ebenso von einem Einsatz abriet wie Obamas Nationaler
Sicherheitsberater Tom Donilon. Deren Stimmen fanden jedoch nicht das Gehör des
Präsidenten.
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Erfolgreicher waren in dieser Beziehung die US-Außenministerin Hillary Clinton und
Samantha Power, eine ehemalige Bürgerrechtsanwältin, sowie die US-Botschafterin bei der
UNO, Susan Rice, die vor einer drohenden humanitären Katastrophe in Libyen warnte. Auch
wenn Barack Obama dieses Argument überzeugte, die Mehrheit des amerikanischen Volkes
überzeugte es nicht.
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Hier herrscht vielmehr deutliche Skepsis. Eine unbedingte Notwendigkeit für ein aus
humanitären Gründen notwendiges Eingreifen wird unter Verweis auf deutlich
schwerwiegendere Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der Welt oftmals
bestritten. Auch die positiven Auswirkungen, welche bei einer Beseitigung Gaddafis für das
libysche Volk zu erwarten wären, verfügen angesichts der Situation im Irak und der großen
Opfer unter Befreiten und Befreiern dort nur über eine geringe Strahlkraft.
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Nun ist Barack Obama nicht unmittelbar den Stimmungen seines Volkes unterworfen, den
Vorgaben der amerikanischen Gesetzgebung allerdings schon. Entsprechend schwer wiegt
denn auch der Vorwurf an Präsident Obama, die US-Verfassung gebrochen zu haben.
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Diese billigt nämlich nur dem US-Kongress die Entscheidung über einen Kriegseintritt der
USA zu. Auch wenn in nur knapp fünf Prozent der Fälle, in denen ein amerikanischer
Präsident seine Streitkräfte in einen Einsatz entsandte – keine andere Nation der Neuzeit hat
häufiger militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele angewandt als die USA –
eine formelle Kriegserklärung erfolgte, war jeder Präsident hierbei stets um eine enge
Zusammenarbeit mit dem US-Kongress bemüht.
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Hinzu kommt die im Jahr 1973, zur Zeit des Vietnamkrieges, vom Kongress verabschiedete
„War Powers Resolution“, die den amerikanischen Präsidenten verpflichtet, spätestens 90
Tage nach dem Beginn einer größeren Militäroperation die Zustimmung des Kongresses
einzuholen. Dieser Verpflichtung ist Präsident Obama für den Libyen-Einsatz bislang nicht
nachgekommen; ebenso wenig übrigens wie sein Amtsvorgänger Clinton für die
Bombardierung Jugoslawiens 1999.
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Angesichts der verfassungsrechtlichen Relevanz dieser Frage leisten nicht nur die
gegnerischen Republikaner Widerstand. Auch unter den Demokraten im Kongress mehren
sich die Stimmen mit dezidierter Kritik am Vorgehen des Präsidenten. Neben
verfassungsrechtlich oder pazifistisch motivierten Zweifeln ist es auch die Art und Weise des
Zustandekommens des Libyen-Einsatzes, die nicht wenige demokratische Kongressabgeordnete in die Opposition zu Obama treibt, erschien doch vielen ihr Präsident bei dieser
Entscheidung nicht als treibende Kraft, sondern vielmehr als ein von europäischen,
insbesondere französischen Interessen, Getriebener.
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Aus europäischer Sicht könnten sich auch die NATO-kritischen Töne als gefährlich erweisen,
welche sich in die inneramerikanische Libyen-Debatte mischen. Hier werden insbesondere
die massiven militärischen Unzulänglichkeiten der europäischen NATO-Staaten als
Konsequenz ihrer drastisch gekürzten Militärausgaben heftig kritisiert. So wird vermerkt,
dass Großbritannien und Frankreich bereits wenige Wochen nach Beginn der Militäraktion an
die Grenzen ihrer militärischen Leistungsfähigkeit gestoßen sind und bei Munition bzw.
Ersatzteilen auf massive US-Unterstützung angewiesen waren – ein Umstand, der auf den
Fluren des Pentagon hinter vorgehaltener Hand oftmals für blankes Entsetzen sorgte.
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Klar und offen ausgesprochen wurde die amerikanische Kritik von US-Verteidigungsminister
Gates kurz vor Ende seiner Amtszeit. In seiner Abschiedsrede bei der NATO Anfang Juni
beleuchtete Gates schonungslos die Defizite der europäischen NATO-Alliierten und sagte
dem transatlantischen Bündnis gar eine trostlose Zukunft voraus.
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Der damalige Verteidigungsminister verwies auf eine neue Generation amerikanischer
Politiker, die nicht mehr durch die Erfahrungen des vergangenen Kalten Krieges geprägt
seien. Diese könnten, so Gates, in nicht allzu ferner Zukunft zu dem Schluss gelangen, dass
sich die amerikanischen Investitionen in die NATO angesichts der mangelhaften
militärischen Fähigkeiten auf der europäischen Seite aus sicherheitsökonomischen Gründen
schlicht nicht mehr lohnen würden.
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Dass auf diese berechtigte Kritik des US-Verteidigungsministers von französischer Seite
geradezu herablassend reagiert wurde und sich Gates von Präsident Sarkozy überdies noch
Kritik an einem vermeintlich zu geringem Engagement der USA anhören musste, ist in
Washington bei vielen eingefleischten NATO-Befürwortern auf völliges Unverständnis
gestoßen.
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Zeitlich näher und für Barack Obama politisch bedeutsamer als der langfristige Fortbestand
der NATO sind jedoch die US-Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Insbesondere hier
wird sich das politische Kapital auszahlen können, welches den Republikanern derzeit aus
der Libyen-Krise erwächst.
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So haben die derzeit führenden Kandidaten unter den potentiellen republikanischen ObamaHerausforderern, Mitt Romney und Michelle Bachmann von der Tea Party, bereits Libyen als
Wahlkampfthema entdeckt. Insbesondere ihre Kritik daran, dass Präsident Obama bislang
weder die vitalen nationalen Interessen hinter dem Libyen-Einsatz benannte noch eine klare
Exit-Strategie für die US-Truppen formuliert hat, findet breite Zustimmung.
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Somit könnte Oberst Gaddafi auch bei einer militärischen Niederlage ein später politischer
„Triumph“ vergönnt sein.
Der Autor dankt Dennis Prange für seine Hintergrundrecherchen in Vorbereitung dieses Berichts.
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