Aus den Projektbereichen Projektbereich »Bildung und Erziehung im globalen Zeitalter« Forschungsgegenstand und -ziele 10 Der Projektbereich untersucht gegenwärtige Formen der Wissensproduktion und des historischen, räumlichen und gesellschaftlichen Bewusstseins im Zeitalter der Globalität in interdisziplinärer und internationaler Perspektive. Gesellschaften sind heute zwar nach wie vor nationalstaatlich verfasst, darüber hinaus jedoch immer stärker durch Prozesse einer globalen Vergesellschaftung gekennzeichnet. Im weitesten Sinne geht es darum, auf der Makro- und der Mikroebene zu untersuchen, welche Arten von Lehrmaterialien und Lernzugängen den Herausforderungen der globalisierten Welt gerecht werden. In den Sozial- und Geisteswissenschaften werden die Phänomene der Globalität auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Konzepten diskutiert. Begriffe wie Transnationalisierung, Weltgeschichte, Weltgesellschaft und Globalisierung sind je spezifi sche Ansätze, um die drängenden Phänomene der Gegenwart zu erfassen. Während Transnationalisierung räumliche Konzepte jenseits des Nationalstaats untersucht, bezeichnet Globalisierung den Prozess, in dem sich in unterschiedlichen Phasen der historischen Entwicklung ein Weltzusammenhang hergestellt hat und herstellt. In der Geschichtswissenschaft und im Geschichtsunterricht nimmt Weltge- schichte seit geraumer Zeit eine immer wichtiger werdende Rolle ein. Weltgesellschaft – ein soziologisches Konzept – wird verstanden als ein emergentes Phänomen, das einem Horizont Rechnung trägt, der einen eigenen Bezugsrahmen menschlicher Erfahrung jenseits des Nationalstaates konstituiert. Während Konzepte der Globalisierung und die Diskussionen über Weltgeschichte eher den Prozess der Herstellung eines Weltzusammenhanges meinen, betont »Weltgesellschaft« die strukturelle Ebene. »Weltgesellschaft« schließt Zukunftsszenarien einer sich ständig stärker vergesellschaftenden Welt sowie die Möglichkeiten einer Einflussnahme in Richtung auf stärkere soziale Kohäsion und mehr soziale Gerechtigkeit in die Analysen ein. Konkrete Themen sind vor diesem Hintergrund: das Hineinwirken von Globalisierungsprozessen und »Welt« in den Alltag; die Wissensrevolution; neue Formen sozialer Ungleichheit; eine weltweite Zunahme von Migrationsprozessen; die Herstellung der »einen« Welt und gleichzeitig stattfindende Prozesse erneuter Fragmentierungen und Verwerfungen; weltweite Entsäkularisierungsprozesse und die Instrumentalisierung von Religionen für globale Auseinandersetzungen; die atomare Bedrohung der Erde; neue ökonomische Bezüge und Abhängigkeiten; weltweiter Klimawandel; die Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Entwicklungsprozesse der Gegenwart sowie Vergesellschaftungs- und Institutionalisierungsprozesse auf neuen, die Nationalstaaten transzendierenden Ebenen, u.v.m. Erziehung und Bildung im globalen Zeitalter müssen diese Herausforderungen annehmen und sich zu ihnen verhalten. Das globale Zeitalter erfordert neue Zugänge zum Wissenserwerb und zur Wissensverarbeitung. Damit werden die Determinanten des Nationalstaates im Projekt Schule zumindest teilweise ausgehebelt bzw. durch neue Einflussfaktoren ergänzt. Thematische Schwerpunkte — Gesellschaftliche Kohäsion und konkurrierende Erinnerungskulturen Erinnerungskulturen be- einflussen nicht nur die öffentlichen Debatten, sondern auch schulisches Lernen und werden durch dieses geprägt. In modernen Gesellschaften, seien diese nun sich neu bildende Nationalstaaten, Migrationsgesellschaften oder Gesellschaften, die aus dem Herrschaftsbereich der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind, kann es zur Konkurrenz verschiedener Erinnerungskulturen kommen. Erinnerungen werden nicht zuletzt im Raum von Erziehung und Bildung neu verhandelt. Dabei fällt Bildung eine besondere Rolle als Katalysator der sozialen und politischen Integration zu. Gegenwärtig bilden zwei Projekte die Forschungsschwerpunkte dieses Themenbereichs: Im Projekt »Geschichtslehrer als Schnittstelle zwischen kollektivem und individuellem Gedächtnis: Verhandlungen über ECKERT · DAS BULLETIN |NR. 01|S OMMER 2007 den Sozialismus in Georgien, Kyrgyzstan und Litauen« wird das Aufeinandertreffen und Verhandeln unterschiedlicher (auch kollidierender) Erinnerungen im postsowjetischen Raum mithilfe biographischer Interviews mit Lehrern und Lehrerinnen untersucht. Das Forschungsprojekt adressiert diese einerseits als Experten ihres eigenen biographischen Geschichtsbewusstseins und andererseits als offi zielle Vermittler von schulisch vermittelten Erinnerungskulturen. Das Projekt »Ethnische Vielfalt und Nationsbildung in Eritrea. Die Bedeutung der Bildung im nationalen Integrationsprozess« untersucht, wie sich nationale Integrationsprozesse sowie soziale Kohäsion in einem multiethnischen Staat und einer Postkonflikt-Gesellschaft vollziehen und welche Bedeutung hierbei der Bildung als Katalysator der sozialen und politischen Integration zufällt. Mit diesem Projekt erweitert das Institut seine Forschungsfelder auf den afrikanischen Kontinent. — Schule in Einwanderungsgesell schaften Die Integration von Einwanderern und ihren Kindern ist eine vordringliche politische und gesellschaftliche Herausforderung in den durch Migration geprägten multiethnischen Gesellschaften Europas und Nordamerikas, die insbesondere die Schule als zentrale staatliche Sozialisationsinstanz betrifft. Von besonderer Bedeutung sind zum ECKERT · DAS BULLETIN |NR. 01|S OMMER 2007 einen Fragen danach, was die Schule als Akteur von Erziehung, Bildung und Sozialisation in Einwanderungsgesellschaften leisten kann und wo ihr gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Ort ist und sein sollte. Zum anderen geht es darum, mit welchen integrations- und bildungspolitischen Konzepten und konkreten didaktischen Mitteln die Schule auf diese Aufgabe reagieren kann. Das vergleichende und sozialanthropologisch ausgerichtete Projekt »Schooling for Community. Schule und Stadtteil als Orte der Integration im internationalen Vergleich« greift diese Fragen auf, indem Bildungsprozesse in den Einwanderungsgesellschaften in Deutschland, in Griechenland (als peripherem Land innerhalb der EU) und in Kanada (als Kontrastmodell) sowie ihre Verankerung in den sozialräum lichen Umfeldern untersucht werden. — Lernen und historisches Bewusstsein in der Weltgesellschaft Zum einen werden die bisherigen Aktivitäten des Georg-Eckert Instituts im Bereich Weltgeschichte neu fokussiert im Nachdenken über die Konstituierungsbedingungen und Strukturen von Geschichtsbewusstsein in einer globalisierten Welt. Dabei wird u.a. nach den Orten gefragt, in denen sich der gemeinsame Erwartungshorizont »Weltgesellschaft« herausbildet sowie nach der Rolle, die Weltgeschichte im Unterricht spielt. Zum anderen soll es in diesem Schwerpunkt auch um die vielfältigen revolutionierenden Chancen und Folgen der gegenwärtigen Wissensgesellschaft gehen. Das Forschungsinteresse ist dabei auf die Auswirkungen der Wissensrevolution auf schulisches Lernen, die Chancen und Risiken des Internet sowohl für die Informationsbeschaffung und deren kritische Nutzung als auch dessen Folgen im psychosozialen Bereich gerichtet. Dieser Schwerpunkt befindet sich in der Planungsphase. Struktur Leitung: Hanna Schissler Mitarbeiter/innen: Barbara Christophe, Mussie Habte, Susanne Schwalgin Laufende Projekte • Bewusstseinsprozesse in der globalisierten Welt (Hanna Schissler) • Geschichtslehrer als Schnittstelle zwischen kollektivem und individuellem Gedächtnis: Verhandlungen über den Sozialismus in Georgien, Kyrgyzstan und Litauen (Barbara Christophe) • Ethnische Vielfalt und Nationsbildung in Eritrea. Die Bedeutung der Bildung im nationalen Integrationsprozess (Mussie Habte) • Schooling for Community. Schule und Stadtteil als Orte der Integration im internationalen Vergleich (Susanne Schwalgin) 11