Weltklimabericht des IPCC - "Die Risiken häufen sich

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Wissen
31. März 2014 10:23 Weltklimabericht des IPCC
Von Christopher Schrader und Marlene Weiß
Nahrungsmangel, Überbevölkerung, Armut: Der neue IPCC-Bericht warnt vor
den Risiken eines entfesselten Klimawandels. Vielen Menschen fehlen bereits
jetzt die Mittel, sich der Erderwärmung anzupassen - mit drastischen Folgen.
Vermutlich war das Leben auf Südsee-Inseln niemals so schön und sorgenfrei, wie
gestresste Mitteleuropäer es sich eingeredet haben. Im Bemühen, seine
Lebensgrundlage zu sichern oder sogar etwas Wohlstand zu erreichen, hat
manches Volk Wälder gerodet und Arten ausgerottet. Die moderne Ära des
Tourismus hat Dieselgeneratoren und elektrische Wasserpumpen, Autos und
größere Häuser gebracht. Und jetzt noch der Klimawandel, der den Meeresspiegel
steigen lässt und Wirbelstürme zerstörerischer macht: Das könnte für viele dieser
Inseln, aber auch für andere Regionen der letzte Tropfen sein, der sie in den
kommenden Jahrzehnten unbewohnbar macht.
"Die Risiken häufen sich, wirken aufeinander ein und verstärken sich gegenseitig",
sagt Chris Field, einer der beiden Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 2 des
Weltklimarats, die an diesem Montag in Yokohama ihren jüngsten Bericht vorlegt.
Fields Team betrachtet die Folgen des Wandels für Menschen und Natur und ihre
Anpassungsmöglichkeiten; die physikalischen Veränderungen des Klimas hatte
Arbeitsgruppe 1 vor sechs Monaten analysiert.
Risiken für die Nahrungsversorgung
Veränderungen in den Gesellschaften, vom Bevölkerungswachstum bis zur
Besiedlung von überflutungsgefährdeten Küsten- oder Bergregionen, machen die
Menschen anfälliger gegenüber den Extremereignissen und klimatischen
Veränderungen, welche die globale Erwärmung mit sich bringt. Und verletzlich, so
Field, seien nicht nur "irgendwelche Käfer in einem weitentfernten Land", nicht
einmal allein die häufig genannten armen Küstenbewohner in Entwicklungsländern
wie Bangladesch. Es gebe in Wirklichkeit überall auf der Welt "Bereiche der
Verletzlichkeit", auch in reichen Ländern; auch in Europa.
Der Bericht, den die Arbeitsgruppe 2 vorgelegt hat, enthält das Risiko als zentrales
Konzept. Darin unterscheidet er sich vom vorigen Bericht von 2007. "Wir haben
nicht nur die wahrscheinlichste Veränderung analysiert, sondern uns auch gefragt,
was unter extremen Umständen passieren könnte", sagt Field. "Das sind nämlich
die Situationen, wo wirklich etwas kaputtgeht und Menschen zu Schaden kommen."
Acht zentrale Risiken nennen die Forscher. Dazu gehören größere Unsicherheiten
bei der Nahrungsmittelversorgung, weil Getreide wie Weizen und Mais schon jetzt
im globalen Maßstab unter der eingetretenen Erwärmung leiden. Auch das
Trinkwasser wird wohl Probleme bereiten, weil die verfügbaren Mengen
zurückgehen; das droht auch in Industrieländern etwa am Mittelmeer. Zudem könnte
praktisch überall die Aufbereitung von Abwasser in Kläranlagen schwieriger werden.
Hitzewellen werden zur Gesundheitsgefahr für die Bewohner großer Städte - und für
alle, die draußen arbeiten müssen.
08.04.2014 15:18
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UN-Bericht zum Klimawandel
Erderwärmung gefährdet Milliarden
Menschen
Der Weltklimarat fordert drastische Maßnahmen
gegen den Ausstoß von Treibhausgasen, um die
Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.
Bedrohung für Lebensräume
Weiter auf der Liste: Wetterextreme, die in vielen Ländern kritische Infrastrukturen
wie das Strom- oder Trinkwassernetz beschädigen können. Und schließlich der
Anstieg des Meeresspiegels, der auch größere Sturmfluten mit sich bringt. Sie
bedrohen das Leben und die wirtschaftliche Existenz von Bewohnern vieler
Küstenregionen. Manche Ökosysteme werden vermutlich in Zukunft nicht mehr
existieren oder nur noch stark eingeschränkt funktionieren, heißt es im Bericht: Dazu
gehören vor allem die tropischen Korallenriffe und die Arktis. Mit den Ökosystemen
sind aber die Menschen bedroht, die in ihnen leben.
An der Natur lässt sich am besten erkennen, was der Klimawandel heute schon
angerichtet hat. Das zeigt der Bericht verlässlicher als je zuvor: Zugvögel
verschieben ihre Routen und Reisetermine, Arten verlegen ihre Lebensräume, wo
es möglich ist, in kühlere Regionen - und werden seltener, wo das nicht so einfach
geht. Zwar gibt es unter Tieren und Pflanzen auch einige Gewinner des
Klimawandels. Wegen der dadurch ausgelösten Unsicherheiten wollten die Forscher
keine Zahl der Arten mehr schätzen, die durch den Klimawandel wohl aussterben
werden. Aber insgesamt rechnen die Wissenschaftler damit, dass viele Arten
unwiederbringlich verloren gehen - wie schon bei früheren Klimaveränderungen in
der Erdgeschichte, obwohl diese weit langsamer vonstatten gingen. Die
Erderwärmung mag so langsam kommen, dass Menschen sich kaum zum Handeln
aufraffen können, für das Leben auf der Welt geht es immer noch viel zu schnell.
Kiribati im Pazifik Auf dem sinkenden Paradies
Dabei gibt es auch für die Menschen schon massive Konsequenzen. "Wir können
jetzt mit größerer Tiefe und Genauigkeit eine Wirkung feststellen", sagt Wolfgang
Cramer, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und
Leitautor eines Kapitels im Bericht. In der Landwirtschaft etwa zeige sich schon
heute, dass die Erträge langsamer steigen - immer mehr Technik müsse
aufgewendet werden, um nur das Niveau zu halten. "Das ist ein Wettlauf, den man
nicht gewinnen kann", sagt Cramer.
Die IPCC-Berichte sind immer auch politisch, das ist ihre größte Stärke und
Schwäche zugleich. Der Rat der Wissenschaftler wertet im Auftrag der Vereinten
Nationen die relevante Forschung aus, die Ergebnisse werden in einem
langwierigen Prozess mit allen Regierungen abgestimmt. Am härtesten umkämpft ist
jeweils die "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger", über sie wurde
in den vergangenen Tagen in Yokohama lange verhandelt. Dieser Prozess wird oft
kritisiert - wie können sich Wissenschaftler von Politikern die Ergebnisse diktieren
lassen? Andererseits aber verleiht genau das den IPCC-Berichten ihre Bedeutung:
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Keine Regierung kann sie mehr anzweifeln.
Küstenschutz, Infrastruktur, Energieeffizienz: Diese Maßnahmen
schützen nicht nur vor den Folgen der Erderwärmung, sie sorgen
auch für Entwicklung
Und tatsächlich scheinen die Verhandlungen dieses Mal zwar hart, aber doch
einigermaßen sachlich abgelaufen zu sein. "Das klingt schönfärberisch, ist aber
wahr: Die Atmosphäre war konstruktiv", sagt Cramer. Kritisch bleibe aber der
Nord-Süd-Konflikt, das Verhältnis zwischen reichen und armen Ländern.
Entwicklungsländern ist traditionell daran gelegen, dass Schäden in ihren Regionen
klar dem Klimawandel zugeordnet werden, um später auf Entschädigungen pochen
zu können; Industriestaaten wiederum wollen nicht zu sehr als Schuldige dastehen.
Vergleicht man aber die Endversion der Zusammenfassung mit Entwürfen, scheint
sich diesmal nahezu die Stimme der Vernunft durchgesetzt zu haben. Vieles ist
klarer formuliert, manches differenzierter ausgedrückt. Eingeschränkt wurden etwa
die Aussagen zur Gesundheit: Ursprünglich hieß es, der Klimawandel habe
wahrscheinlich zu Gesundheitsproblemen beigetragen; jetzt wird nur noch darauf
verwiesen, dass diese Belastung im Vergleich zu anderen Faktoren klein und
schlecht quantifizierbar sei.
"Auf das Risiko zu fokussieren, ist eine Erweiterung der Perspektive", sagt Jörn
Birkmann von der Universität der Vereinten Nationen in Bonn, der Leitautor eines
weiteren Kapitels war. "Es geht nicht mehr um die Frage, wo die meisten Menschen
betroffen sind, sondern wo sie die geringsten Kapazitäten für die
Bewältigung haben."
Die Forscher des IPCC drängen darauf, dass die Nationen Entscheidungen über
ihre Anpassungsstrategien schaffen. Chris Field versucht es mit Charme und
Zweckoptimismus. Er spricht von den vielfältigen Möglichkeiten, "kluge
Entscheidungen für die Zukunft zu treffen", die der aktuelle Bericht betone. Vor
sieben Jahren, beim vorherigen Report, habe die Weltgemeinschaft über
Anpassung vor allem geredet, inzwischen hätten Regierungen begonnen,
Maßnahmen zu beschließen, bevor die Probleme anwachsen. Das kann
Küstenschutz sein oder solidere Infrastruktur; wassersparende
Bewässerungssysteme oder Energieeffizienz: Vieles dient nicht nur der Anpassung,
sondern auch der Entwicklung oder der Lebensqualität.
Bauern verlieren ihre Herden, Kinder können nicht mehr zur Schule
Zur gleichen Zeit aber, mahnt Koko Warner von der UN-Universität in Bonn,
zerstörten viele Menschen beim Versuch, sich an den Klimawandel anzupassen, die
Basis für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Farmer in Burkina Faso etwa,
die nach einer Serie von Dürren ihre einst große Herde von Kamelen, Kühen,
Ziegen und Schafen verloren haben: "In vielen Gegenden in Afrika, Asien oder der
Karibik passen sich die Menschen an, indem sie Tiere verkaufen, weniger essen
und ihre Kinder aus der Schule nehmen, besonders die Töchter", sagt die aus den
USA stammende Wissenschaftlerin. Andere Möglichkeiten blieben den Betroffenen
oft nicht, sie hätten dann aber auch kaum noch eine Chance, wieder auf die Beine
zu kommen.
Entscheidungen über die Anpassung müssten daher mit Blick auf künftige
Lebensbedingungen getroffen werden. Und das schnell: "Keine Entscheidung zu
treffen ist auch eine Entscheidung." Das allerdings ist ein Satz, der auch auf den
Umgang der Staatengemeinschaft mit dem Klimawandel passt.
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Arktis-Fotografien von Rax Im schmelzenden Eis
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SZ vom 31.03.2014/chrb
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