Vorlesung 20

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Psychiatrie
Vor 20
Psychotherapie
Definition: Psychotherapie ist die Behandlung von psychischen
und körperlichen (psychosomatischen) Störungen und
Krankheiten durch gezielten Einsatz von psychologischen
Techniken (Behandlung mit seelischen Mitteln) unter bewusster
Nutzung der Beziehung zwischen Arzt und Patient.
Indikationen:
-Psychogene, Psychoreaktive, „neurotische" Störungen
-funktionelle, psychosomatische Störungen
-organische Erkrankungen mit sekundären psychischen
Veränderungen (somatopsychische Störung)
-Persönlichkeitsstörungen
-Suchterkrankungen (einschl. Essstörungen).
Voraussetzungen für eine Psychotherapie
Auf Seiten des Patienten:
-Therapiemotivation, Leidensdruck
- Introspektionsfähigkeit
- Fähigkeit zur kritischen Selbstprüfung
- Frustrationstoleranz, Konfliktbereitschaft, Ausdauer
- Beziehungsfähigkeit.
Von Seiten des Arztes/ Psychotherapeuten:
-Empathie (einfühlendes Verstehen)
-emotionale Wärme
-Echtheit des Verhaltens („Selbstkongruenz")
Qualifizierte Psychotherapie setzt eine mehrjährige Weiterbildung
mit Supervision und Selbsterfahrung voraus (z.B. in BalintGruppen).
Grundelemente der Psychotherapie
Psychotherapie beruht auf:
-emotionaler Beziehung
-Einsichtsgewinnung, Konfliktbearbeitung
-Umorientierung.
Der Patient muss zu „seinem" Therapeuten eine vertrauensvolle,
mit positiven Gefühlen besetzte Beziehung entwickeln und
herstellen können.
Die Fähigkeit zur Selbstkritik und ein „In-sich-Gehen" sind die Basis
für die Bearbeitung von Konflikten.
Wesentliche Elemente des psychotherapeutischen Prozesses
sind:
-Einsicht gewinnen
-emotionale Erschütterung
-realistische Zielvorstellungen
-therapeutisch erwünschte Reaktionen durch Training stabilisieren.
Formen psychotherapeutischer Intervention
-einfache Intervention (Trost, Katharsis, Vorbilder)
-„Umstimmung", Aktivierung
-„Entspannung", Übungsverfahren, körperbezogene Verfahren
-suggestive Techniken
-einsichtsorientierte Verfahren
-tiefenpsychologisch-orientierte Verfahren, psychodynamische
Ansätze
-verhaltensorientierte Verfahren.
Einteilung von Psychotherapie-Verfahren
Formal lassen sich die Verfahren einteilen nach: (Tab. 6.21):
-der Zahl der behandelten Personen: z.B. Einzel-, Paar-,
Familientherapie.
-dem Medium, in dem die Therapie stattfindet (Gespräch,
Rollenspiel).
-den therapeutischen Wirkfaktoren (Suggestion, Lernen,
Einsicht).
-Theorie/Modellvorstellung des Therapeuten.
Bei der Einzeltherapie steht die Aufarbeitung und Bearbeitung
individueller, persönlicher Probleme und Konflikte im
Vordergrund.
Eine Paar-/Partnertherapie hat die Bewusstmachung und
Aufarbeitung von Beziehungsstörungen als Hauptgegenstand
(Abb. 6.19).
In einer Gruppentherapie werden schwerpunktmäßig
Rollenkonflikte und zwischenmenschliche Kontakt-und
Beziehungsstörungen bearbeitet.
Familientherapie basiert auf der Vorstellung, dass die Störung
oder Krankheit des Betroffenen entscheidend durch
Verhaltensweisen anderer Familienmitglieder bedingt und
mitbeeinflusst ist bzw. aufrechterhalten wird (z. B. Kind als
„Symptomträger").
Hinsichtlich Therapiedauer und Altersgruppen lassen sich Kurz/Fokal- versus langzeit-Psychotherapieverfahren sowie
heilpädagogische (Kinder-/Jugendliche-) versus AltersPsychotherapieverfahren unterscheiden.
Eine Kurz-Psychotherapie kommt hauptsächlich im Sinne einer
sog. Krisenintervention zum Einsatz.
Inhaltlich lassen sich folgende Verfahren unterscheiden:
■ „zudeckende", stützend-„supportive„ Psychotherapie
■ „aufdeckende" Psychotherapieverfahren.
Diese Verfahren werden auch unter dem Begriff
„tiefenpsychologisch fundiert" subsummiert.
■ experimentell-lernpsychologisch fundierte
Therapieverfahren (z. B. Verhaltenstherapie).
Die bekanntesten Psychotherapieverfahren sind:
-klassische Psychoanalyse
-andere tiefenpsychologisch-analytisch orientierte
Verfahren
-Gesprächspsychotherapie
-kognitiv-behaviorale Therapie = Verhaltenstherapie
-humanistisch-erlebnisorientierte Therapieverfahren.
„Ärztliches Gespräch", supportive/ stützendadaptive Psychotherapie
Die Anteilnahme des Arztes, sein tröstender und beruhigender
Zuspruch gehören zur selbstverständlichen beruflichen Haltung
und sollten nicht Psychotherapie genannt werden.
Das ärztliche Gespräch kennt keine eigentliche Methodik.
Erfahrung, Intuition und Persönlichkeit des Arztes prägen es.
Es stellt keine psychotherapeutische Maßnahme im
eigentlichen Sinne dar, besitzt aber eine
„psychotherapeutische Funktion".
Direktive psychotherapeutische Aktivitäten lassen sich als
„psychagogische Behandlung" zusammenfassen (z.B.
konkrete Ratschläge, Vermittlung einer praktischen
Lebensphilosophie).
Ein Problem, das sich als „hoher Berg" auftürmt, kann durch
Erlangen von Distanz gelassener gesehen werden (Abb. 6.20).
Krankheiten können auch für das weitere Leben positive
Signale setzen und Verhaltensänderungen bewirken
Entspannungsverfahren und Hypnose
Suggestion gehört zu den ursprünglichsten Heilmitteln,
tranceinduzierende Techniken finden sich bei den
Medizinmännern der Naturvölker oder in den Religionen. Die
Hypnose kann als die Stamm-Mutter aller späteren
Psychotherapie-Entwicklungen bezeichnet werden.
Zu den wissenschaftlich entwickelten Entspannungsmethoden
zählen das autogene Training nach J. H. Schultz, die
progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, das
Biofeedback-Verfahren sowie die moderne Hypnose.
Kontrollierte Studien zur Therapie-Erfolgs-Evaluation von
Entspannungsverfahren und der Hypnose liegen nur begrenzt
vor.
Progressive Muskelrelaxation
Bei der progressiven Muskelrelaxation werden nacheinander
bestimmte Muskelgruppen angespannt und entspannt, wobei
sich die Entspannung schließlich über den ganzen Körper
erstreckt.
Autogenes Training
Das autogene Training ist ein Übungsverfahren, bei dem es zu
einer Umschaltung und Umstimmung der vegetativen
Funktionen kommt, die sonst einer direkten
Willensbeeinflussung nicht oder nur sehr schwer zugänglich
sind. Die Selbstentspannung erfolgt in einer bestimmten
Körperhaltung (Abb. 6.21, Tab. 6.22
Mit dem autogenen Training soll der Kreisprozess der
verspannungsbedingten Symptome unterbrochen werden
(Abb. 6.22). Hauptindikationen sind vegetative
Regulationsstörungen und funktionelle, psychosomatische
Störungen.
Das autogene Training soll gelassen, aber nicht gleichgültig
machen.
Hypnose
Kernstück der klassischen Hypnose sind bestimmte Suggestionen, mit
denen der Betreffende in einen Zustand der Trance versetzt wird, um
dann mit weiteren Suggestionen bestimmte Veränderungen
vorzunehmen. Voraussetzung für das Gelingen ist vor allem die
Suggestibilität des zu Hypnotisierenden.
Der Gesprächskontakt bleibt erhalten. Das EEG zeigt ein für den
Wachzustand typisches Muster. Hypnose ist also kein
schlafähnlicher Zustand.
Hypnose kann insbesondere zur Akutbehandlung einzelner
Symptome eingesetzt werden (z. B. Kopfschmerz, Angst, Zittern,
Konversionsstörungen). Dem Vorteil des relativ raschen
Wirkungseintritts steht als Nachteil gegenüber, dass die Wirkung
i.d.R. vorübergehend ist.
Biofeedback
Beim Biofeedback erlernt der Betreffende objektiv hörbar und/oder
sichtbar gemachte Körperfunktionen zu beeinflussen. Hierdurch
können z.B. verspannte Muskelpartien gelockert, die Durchblutung
gesteigert und der Herzschlag beeinflusst werden
Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie zählt zu den
Verfahren der „humanistischen Psychologie". Diese rückt als
„Dritte Kraft" zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie das
spezifisch Menschliche wieder ins Zentrum von Theorie und
Therapie. Im Mittelpunkt stehen das Erleben und das Ziel, die
positiven Kräfte des Menschen herauszuarbeiten.
Die Therapieziele werden in der Gesprächstherapie nicht durch die
Analyse der Entstehungsgeschichte psychischer Störungen
erreicht. Der Patient versucht vielmehr, mit Hilfe des
Therapeuten neue Lösungsmöglichkeiten für sich zu
erarbeiten.
Der Therapeut unterstützt alle Bemühungen des „Klienten" um
Selbstständigkeit in der Lösung seiner Probleme. Ziel der
Behandlung ist es, dem „Klienten" eine Klärung seiner eigenen
Gefühle, Wünsche und Wertvorstellungen zu ermöglichen. Die
Therapie wird als eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe" betrachtet.
Der Gesprächstherapeut muss hierzu drei sog. Basisvariablen des
Gesprächsverhaltens besitzen: unbedingte Akzeptanz und
emotionale Wertschätzung, Echtheit und Empathie (Abb. 6.24).
Die therapeutische Beziehung wirkt auf die Selbstverwirklichung
des „Klienten" und hilft ihm bei der Aufarbeitung von
Problemen. Das Erleben im Hier und Jetzt wird betont, im
Gegensatz zur Lerntheorie außerdem die Autonomie des
Menschen.
Die Gesprächsführung konzentriert sich inhaltlich vor allem auf die
Verbalisierung von Gefühlen.
Zentral für die Behandlungstechnik ist das Beziehungsangebot des
Therapeuten, welches dem „Klienten" die Möglichkeit geben soll,
auch bisher „inkongruente" und somit nicht akzeptierbare
Erfahrungen in das Selbstkonzept zu integrieren.
Bei ca. 50% der „Klienten" kommt es zur Besserung.
Es ist das Verdienst dieser psychotherapeutischen Schule, das
Verhalten des Therapeuten näher erforscht zu haben (sog.
Therapeuten-Variablen).
Interpersonelle Psychotherapie
Die interpersonelle Psychotherapie gehört zu den KurzzeitPsychotherapien. Sie arbeitet sowohl mit bewussten als auch
mit unbewussten Inhalten und dem Ziel der Symptomreduktion
mit einer Besserung der sozialen Kompetenzen und
Erweiterung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die
zeitlich auf etwa 12-20 Wochen begrenzte Therapie wurde
speziell für die Depressionsbehandlung entwickelt.
Verschiedene Techniken kommen zum Einsatz (u.a.
Unterstützung des Patienten bei der Klärung emotionaler
Zustände, Realitätsüberprüfung aktueller Wahrnehmungs- und
Verhaltensweisen).
Unbewusstes Erleben und frühe Kindheitserlebnisse bilden nicht
den Schwerpunkt der Therapie, Übertragungsmechanismen
werden beachtet.
Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, das aktuelle soziale
Funktionsgefüge („Rolle"), einschließlich der jetzigen und
früheren Beziehung der Ursprungsfamilie, im Freundes- und
Bekanntenkreis des Patienten zu erfassen.
Behandlungsphasen:
-Anfangsphase: Identifizierung der Hauptproblembereiche.
-Mittlere Phase: Fokussierung und Bearbeitung des jeweils
relevanten, aktuellen Problembereiches. Klärung von
emotionalen Zuständen, Schaffung einer Grundstruktur des
Verhaltens.
-Endphase: Zusammenfassung des Behandlungsverlaufs,
Thematisierung des Abschieds.
Die IPT gründet sich v. a. auf die psychodynamische Theorie
unter besonderer Fokussierung auf die soziale
Funktionsfähigkeit.
Die IPT gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Psychoanalytische Therapie (klassische
Psychoanalyse)
Der Begriff „Psychoanalyse" bezeichnet einerseits eine Theorie
zur Erklärung psychologischer und psychopathologischer
Phänomene, andererseits ein psychotherapeutisches
Behandlungsverfahren.
Die Psychoanalyse wurde von Dr. Sigmund Freud entwickelt und
beruht auf der Annahme, dass entscheidende Determinanten
menschlichen Verhaltens unbewusst sind.
Sie unterscheidet 3 Instanzen der Persönlichkeit:
-Es (Triebe; „Lustprinzip")
-Ich („Realitätsprinzip")
-Über-lch (Gewissens-Instanz).
Als entscheidenden Primärtrieb sieht Freud den Sexualtrieb an
(„Libido").
Die psychosexuelle Entwicklung wird unterteilt in:
-orale (1. Lebensjahr)
-anale (2.-3. Lebensjahr)
-phallisch-ödipale (4.-5. Lebensjahr) und
-genitale Phase (Pubertät).
Neurosen beruhen nach psychoanalytischer Auffassung auf
ungelösten, verdrängten frühkindlichen Konflikten, die
durch eine auslösende Situation reaktiviert wurden. Die
neurotischen Symptome werden als misslungene
Verarbeitungsversuche bzw. als Ersatz für einen verdrängten
Konflikt betrachtet. Durch die psychoanalytische Behandlung
sollen unbewusste Konflikte und unterdrückte Gefühle
aufgedeckt und adäquat verarbeitet werden.
Durch die Psychoanalyse sollen die aus früheren Ängsten heraus
verdrängten Triebimpulse bewusst gemacht und die
entwickelten Abwehrformen aufgegeben werden.
Der Bearbeitung sich entwickelnder unbewusster Widerstände
gegen die Wahrnehmung unbewussten Materials ist wichtig
(sog. Widerstandsanalyse).
Abwehrmechanismen: Jeder Mensch muss ständig Triebe und
Wünsche mit den Geboten und Verboten der Realität in
Einklang bringen (Es- lch-/Es-Über-lch-Konflikte).
Verschiedene Abwehrmechanismen dienen der Neutralisierung:
-Projektion
-Rationalisierung
-Konversion (Somatisierung)
-Sublimierung
-Verschiebung
-Regression
-Identifikation
-Reaktionsbildung (Überkompensation)
Technik der Psychoanalyse:
Zur Klärung diagnostischer und prognostischer Fragen dienen
die sog. tiefenpsychologische Anamnese bzw. das
psychoanalytische Erstinterview. Mit einer speziellen
Interview-Technik werden biografische Daten, ihr
Bedeutungszusammenhang sowie situative Informationen mit
Augenmerk auf ßeziehungsaspekte und deren Dynamik
exploriert.
Die klassische Psychoanalyse wird unter festgelegten äußeren
Rahmenbedingungen durchgeführt („Setting"): Der Patient
liegt auf der Couch, der Analytiker sitzt hinter dem Patienten
(Abb. 6.25).
Eine mehrjährige Behandlungsdauer ist die Regel.
Zur Grundregel der psychoanalytischen Therapie gehört die
Aufforderung an den Patienten, alles zu sagen, was ihm
einfällt („freie Assoziation").
Diese Anweisung soll die Regression des Patienten fördern, eine
Lockerung der Orientierung am Realitätsprinzip bewirken und
die Herstellung der Übertragung erleichtern.
Zu den Grundregeln für den Analytiker gehört, dass er sich der
Äußerung eigener Meinungen enthält und eine
Kontaktaufnahme mit dem Patienten außerhalb der Therapie
ebenso wie mit dessen Angehörigen vermeidet
(Abstinenzregel).
Prinzip der Analyse von Übertragung und Widerstand:
In der psychoanalytischen Situation kommt es zur
Wiederbelebung infantiler Gefühle. Diese (früh)kindlichen
Erfahrungen werden auf den Psychoanalytiker übertragen, die
Übertragung wird zum Zentrum der intrapsychischen
Auseinandersetzung und zum therapeutisch entscheidenden
Mittel („Übertragungsneurose").
Als Folge einer „Verunsicherung" des Patienten während der
Therapie stellt sich ein Widerstand gegen das Bewusstwerden
unangenehmer Gefühle und Impulse ein (z.B. werden
bestimmte Themen vermieden, Unwesentliches berichtet oder
Therapiestunden versäumt).
Die therapeutische Aktivität des Psychoanalytikers besteht in der
Deutung des aus freien Assoziationen, Träumen, dem
Widerstand, dem Übertragungsgeschehen sowie aus
Fehlhandlungen zu Tage gebrachten Materials.
Als Gegenübertragung werden die Einstellungen, Gefühle und
Reaktionsmuster des Therapeuten gegenüber dem Patienten
bezeichnet.
Voraussetzungen und Indikationen:
Ausgeprägter Leidensdruck und hohe Therapiemotivation,
Introspektionsfähigkeit, ausreichende Intelligenz und Ich-Stärke
sowie ein Alter unter 45 Jahren sind Voraussetzung.
Indikationen sind Neurosen, Persönlichkeitsstörungen sowie
psychosomatische Störungen. Bei akuten Depressionen und
Psychosen ist die Psychoanalyse kontraindiziert.
Die meisten Psychoanalytiker empfehlen, eine Begleitmedikation mit
Psychopharmaka abzusetzen, da der Leidensdruck und somit die
Therapiemotivation verringert werden. Ausnahmen sind starke
Beeinträchtigung durch die Symptomatik und floride Suizidalität.
Die strenge Patientenselektion für eine psychoanalytische Therapie
hat seit einigen Jahren zu Kritik an der klassischen Psychoanalyse
geführt. Besonders beachtenswert sind Ansätze, sich auch der
Psychotherapie älterer Menschen anzunehmen.
Individualpsychologie A. Adlers und analytische Psychologie
C. G. Jungs
A. Adler entwickelte die Individualpsychologie, in der er neben der
Bedeutung angeborener „Organ-Minderwertigkeit" (z.B.
Missbildungen) aus pathogenen frühkindlichen Erziehungseinflüssen
resultierende Frustrationen und Minderwertigkeitsgefühle betonte.
Diese zögen starken Geltungstrieb und übertriebenen Willen zur
Macht nach sich, um tief verankerte Unsicherheiten zu überdecken.
Bei ihm rückten mitmenschliche, gesellschaftliche Beziehungen und
die Analyse des Lebensstils ins Blickfeld.
C. C. Jung erweiterte den Begriff der Libido im Sinne einer allgemeinen
Energiequelle der Psyche, ebenso das persönliche Unbewusste um
ein „kollektives Unbewusstes". Dieses sei allen Individuen eigen und
beinhalte Sinnbilder von uralten, sich immer wiederholenden
Lebenssituationen und Problemen (Geburt und Tod, Hass und Liebe,
Übermacht und Unterlegenheit, sog. Archetypen). Der Patient soll in
der Therapie wieder Anschluss an diese Tiefen finden, um zu sich
selbst vorzustoßen.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (dynamische
Psychotherapie)
Die Therapie ist auf einen zentralen Konflikt zentriert. Regression
und Übertragung spielen keine große Rolle, die Deutung und
das Durcharbeiten von Widerstandsphänomenen kommen nur
in Bezug auf den aktuellen Konflikt zum Einsatz. Die
Behandlung findet im Sitzen statt, das Vorgehen des
Therapeuten ist aktiver und gezielter. Die bekanntesten Formen
sind die analytische Fokaltherapie und die dynamische
Psychotherapie.
(Psychodynamisch orientierte) Kurzpsychotherapie,
Krisenintervention
Für die Kurzpsychotherapie muss der Patient motiviert und
emotional belastbar sein. Im Vordergrund steht die Bearbeitung
aktueller neurotischer Konflikte und kritischer
Entwicklungslinien.
Psychotherapeutische Kriseninterventionen haben stark an
Bedeutung gewonnen.
Krisen folgen typischerweise einem Phasenverlauf:
-Schockreaktion auf Krisenanlass
-Vergebliche Mobilisierung von Problemlösungsstrategien
-Psychische Labilisierung/Symptom-Entstehung/
Dekompensation
-Abklingen der Krise.
Ziel der Intervention ist primär die emotionale Entlastung des
Betroffenen. Ein bekanntes Schema ambulanter
Krisenintervention (BELLA) beinhaltet:
-Beziehung aufbauen
-Erfasse die Situation
-Lindere die Symptome
-Leute einbeziehen
-Ausweg aus der Krise suchen.
(Analytische) Gruppenpsychotherapie
Die Gruppe von 7-9 Patienten soll heterogen zusammengesetzt
sein, da unterschiedliche neurotische Struktur, Problematik und
Status dem Gruppenprozess zugute kommen.
Gruppentherapien werden i.d.R. mit einer Doppelstunde pro
Woche über 1-3 Jahre durchgeführt.
Gruppendynamische Prozesse bieten therapeutische
Möglichkeiten für die Psychotherapie. Die Gruppe ist ein viel
realistischeres Abbild der äußeren sozialen Situation des
Patienten, er erhält eine direkte Rückmeldung durch die
Reaktionen der Mitpatienten und gerät in Konflikt- und
Spannungsstiuationen. Diese sind seinem Leben wesentlich
ähnlicher als die „künstliche Situation" in der Einzeltherapie.
Die Gruppe wirkt als kritischer Spiegel und Stütze.
Kontraindiziert ist diese Therapie für Ichschwache Patienten,
ungünstig für leicht kränkbare Patienten.
Verhaltenstherapie (kognitiv-behaviorale Therapie)
Definition: Gruppe von Behandlungsverfahren, die auf
experimentalpsychologischen Erkenntnissen, insbesondere der
Lernforschung, basieren. Verhaltenstherapie setzt an den
prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden
Problembedingungen an, ist ziel- und handlungsorientiert und stellt
„Hilfe zur Selbsthilfe" dar. Zur Anwendung kommen an der
empirischen Psychologie orientierte Verfahren, die sich auf
experimentell überprüfte Lerntheorien unter Einbeziehung
sozialpsychologischer Faktoren gründen.
Als Ursprung gelten das Paradigma der klassischen Konditionierung,
der instrumenteilen oder operanten Konditionierung („Lernen am
Erfolg") sowie das Modelllernen.
Krankhaftes Verhalten wird als fehlerhaft erlerntes Verhalten
angesehen, die Therapie umfasst ein „Umlernen von falsch
Gelerntem" bzw. ein „Neulernen von Nicht-Gelerntem".
Charakteristisch sind eine strikte Planung, lehrerähnliche Aktivität des
Therapeuten sowie die aktivübende Mitarbeit des Patienten.
Klassische Konditionierung: Ein ursprünglich neutraler Reiz wird zum
spezifischen Auslöser („Pawlowscher Hund").
Operantes Lernen: Wird ein Verhalten nach seinem Auftreten belohnt
oder bestraft, so wird dadurch die Häufigkeit seines künftigen
Auftretens beeinflusst. Führen die Konsequenzen einer
Verhaltensweise dazu, dass die Häufigkeit des Auftretens dieses
Verhaltens zunimmt, wird von Verstärkung gesprochen.
Grundlage ist die Verhaltensgleichung nach Kanfer:
S-^O^R-h>K-h>C (S = situative Reize,O =Organismusvariablen,
R = Reaktionen, Symptome, Verhalten, K = Verstärkungsplan,
C = Konsequenz)
Die Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie führte auch zum
Einbezug affektiver und kognitiver Elemente, z. B. kognitive
Therapie, multimodale Verhaltenstherapie.
Die kognitive Therapie zielt darauf ab, mit Hilfe gedanklicher Übungen
unangemessenen, pathogenen Denkgewohnheiten (z.B. depressive
Gedanken, Selbstgespräche) entgegenzuwirken und der Realität
entsprechendere Neuinterpretationen zu erlernen.
Die konkrete Therapieplanung basiert auf der Problem- oder
Verhaltensanalyse. Ziel ist die Erfassung der Abhängigkeit des
Verhaltens von bestimmten Reizbedingungen, also der
Funktionskette: Auslösung -Verhalten - Konsequenzen des
Verhaltens (Abb. 6.26).
Zuerst erfolgt eine Beschreibung des Problems, dann die
Problem- oder Verhaltensanalyse mit dem Ziel,
verursachende oder aufrechterhaltende Bedingungen von
Reaktionen bzw. deren Lerngeschichte zu ermitteln.
Anschließend werden die Behandlungsziele definiert (z.B.
Angstreduktion).
Therapieziel ist es, die Differenz zwischen Ist-Zustand und SollZustand zu reduzieren bzw. aufzuheben. Dann werden die
Behandlungsprinzipien erklärt und die Evaluierung
festgelegt, (z. B. durch Fragebögen, Tab. 6.23).
Kernpunkt ist also eine strukturierte, geplante Analyse der
Störung und deren Veränderung (Abb. 6.27).
Verhaltenstherapeutisch orientiertes Interview:
Problembeschreibung, Entwicklung und Auslöser, genaue
Beschreibung des Problemverhaltens, Kontext (z.B. Situation,
familiäre Bezüge), die Störung aufrechterhaltende bzw.
fördernde Faktoren,Vermeidungsverhalten,
Bewältigungsstrategien, Krankheitsmodellvorstellungen, MetaTheorien, psychosoziale Situation.
Behandlungsmethoden (Tab. 6.24):
-Aneignungstechniken (z.B. Lernen am Modell, operante
Konditionierung)
-Beseitigungstechniken (z. B. systematische Desensibilisierung)
-Kognitive Therapieverfahren.
Voraussetzungen und Indikationen:
Die aktive Mitarbeit des Patienten ist Voraussetzung.
Klassische" Indikationen: Phobien, Angst- und Panikstörungen,
Zwangs- und Essstörungen.
Bei depressiven Erkrankungen: kognitive VT
Systematische Desensibilisierung (Gegenkonditionierung)
Die systematische Desensibilisierung beinhaltet, dass ein
konditionierter Stimulus an einen mit Angst unvereinbaren Zustand,
nämlich Entspannung, gekoppelt wird, wodurch Angst abgebaut wird
Zeitlicher Verlauf:
-Erstellen einer Angsthierarchie
-Entspannungstraining
-Vorstellung des am wenigsten Angst auslösenden Objektes im
entspannten Zustand
-unter körperlicher Entspannung Steigerung der Angsthierarchie und
konkrete Konfrontation.
Während des Erlernens bespricht der Therapeut ausführlich die
verschiedenen Angst auslösenden Situationen und Anlässe. Die
Angst auslösenden Stimuli werden dann, zunächst in der Vorstellung
(in sensu), gestuft dargeboten.
Der Patient lernt, dass im Zustand der Entspannung auf den sonst
Angst auslösenden Reiz keine Angstreaktion erfolgt.
Reizüberflutungstherapie (Flooding)
Die Reizüberflutungstherapie setzt den Patienten gleich dem
maximal Angst auslösenden Reiz aus. Er soll so lange in der
Situation bleiben, bis die Angst nachlässt (Abb. 6.28).
Hierdurch kommt es zur Löschung der Koppelung von Angstreiz und
Angstreaktion und das Vermeidungsverhalten des Patienten wird
umgangen.
Aufbau sozialer Kompetenz
„Kontakttraining", das häufig mittels Rollenspiel in Gruppen
durchgeführt wird. Es soll dem Patienten helfen, sich eigene
Ansprüche zu erlauben und diese auch durchzusetzen.
Aversionsbehandlung und Löschung
Aversionsbehandlung: Ein aversiver Reiz wird unmittelbar an ein
unerwünschtes Verhalten gekoppelt.
Löschung: Ein Verhalten wird durch Ausbleiben positiver
Konsequenzen reduziert.
Operantes Verstärken
Das operante Verstärken wird insbesondere zum Aufbau neuer
Verhaltensweisen, z. B. aktiveren oder selbstsicheren Verhaltens,
Kognitive Therapieverfahren
Grundannahme: die Entstehung und Aufrecherhaltung
psychischer Störungen hängt mit gelernten,
realitätsinadäguaten, unlogischen, verzerrten und
übergeneralisierten Denkmustern und Bewertungen zusammen
(„dysfunktionale Annahmen", Tab. 6.25).
Die kognitiven Verfahren haben große Bedeutung erlangt. Zu den
bekanntesten zählen die rational-emotive Therapie (RET)
nach Ellis und die kognitive Therapie nach Beck.
Durch das Führen von sog. Tagesprotokollen negativer
Gedanken lernt der Patient u.a., seine Affektäußerungen zu
beobachten und die „automatisch" auftretenden Gedanken in
bestimmten Situationen einzuschätzen (Tab. 6.26).
Gegen die Selbstabwertungen des Patienten richtet sich die sog.
„Umattributierung"
Weitere Beispiele der kognitiven Umstrukturierung:
Distanzierung, positive Umdeutung, Herausforderung.
Ein in vielen Kliniken inzwischen etabliertes Therapieverfahren ist
das sog. integrierte psychologische Therapieprogramm für
schizophrene Patienten (verhaltenstherapeutisches
Gruppentherapieprogramm).
Zunächst werden kognitive Grundfunktionen (z. B. Konzentration,
Merkfähigkeit) eingeübt, anschließend Defizite im
Sozialverhalten angegangen.
Prinzipiell erfolgt die Therapie in kleinen Lernschritten unter
Berücksichtigung der emotionalen Belastbarkeit des Patienten.
Zu den Zielen der kognitiven Therapie bei
Schizophrenen gehören Verringerung und klarere
Strukturierung von Informationen, Reizabschirmung,
Wiedererlangung von Alltagskompetenz, affektkontrollierte
Interaktion mit anderen und Erkennen von Frühsymptomen
eines Rückfalls.
Selbstbeobachtung
Zunehmende Bedeutung haben sog. Selbstkontrolltechniken
erlangt. Wichtigste Methode ist die Selbstbeobachtung z.B.
mittels Tagebuch oder Verhaltensdiagrammen. Der Patient soll
sein Verhalten mittels verschiedener Techniken selbst zu
steuern. Bei der Behandlung von Übergewichtigen haben sich
vor allem Verfahren zur Reizkontrolle oder Umgebungstraining
bewährt (Tab. 6.27).
Gedankenstopp
Das Gedankenstopptraining ist eine Selbstkontrolltechnik, die
unerwünschtes Grübeln und Gedanken unterbrechen soll. Der
Patient wird gebeten, die Augen zu schließen und sich auf
seine störenden Gedanken zu konzentrieren. Sobald diese
präsent sind, soll er ein Zeichen geben, daraufhin ruft der
Therapeut laut „Stopp" und klatscht in die Hände.
Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)
Diese Therapie eignet sich bei emotional instabilen
Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ.
Weitere Psychotherapie-Verfahren
Hierzu sind „non-verbale" Verfahren wie Tanz-, Bewegungs-,
Musik- und Kunsttherapie zu nennen.
Psychoedukation
Hierbei handelt es sich um eine systematische didaktische
Intervention, die Patienten und deren Angehörige über die
jeweilige Erkrankung und die Therapiemöglichkeiten informiert.
Wirksamkeit von Psychotherapie, Vor- und Nachteile
Der wissenschaftlich gesicherte Wirksamkeitsnachweis von
Psychotherapie wurde bislang für die 3 Hauptströmungen
tiefenpsychologisch-psychoanalytische Psychotherapie,
Verhaltenstherapie und Gesprächspsychotherapie erbracht.
Unspezifische Wirkfaktoren sind:
-intensive emotionale Beziehung, Vermittlung von Support,
-Suggestion, Mobilisieren von Zuversicht, „Auftauen"
verfestigter Erlebnis- und Verhaltensmuster, Vermittlung von
Erfolgserlebnissen.
Verhaltenstherapeutische Techniken sind v. a. bei Phobien,
Zwangs- und Panikstörungen indiziert. Bei leichteren
funktionellen Störungen: Entspannungsverfahren.
Vorteil tiefenpsychologischer/psychoanalytischer
Therapieverfahren ist eine die ganze Person umfassende,
tiefgründige Perspektive. Als Nachteil kann angeführt werden,
dass für einen Teil der Hypothesen keine ausreichenden
empirischen Belege vorliegen und bestimmte Voraussetzungen
erfüllt sein müssen (Alter, Motivation).
Vorteile der Verhaltenstherapie sind: u.a. keine besonderen
Anforderungen an Verbalisierungs- oder Introspektionsfähigkeit,
vergleichsweise geringer Aufwand.
Kritik: Gefahr der Manipulation und Kontrolle. Zudem handele
es sich um eine reine Symptombehandlung, bei der das
zugrunde liegende Problem weniger interessiere.
Zwischenzeitlich hat eine Annäherung der zunächst konträren
Haupt-Psychotherapieverfahren stattgefunden.
Langzeit-Psychotherapien bergen die Gefahr von
Krankheitsgewinn, Verlust der Alltags-Realität und
Nichterkennen anderer (psychischer und somatischer)
Erkrankungen. Weitere mögliche negative Effekte
einer Psychotherapie sind z. B. die Exazerbation
vorhandener Symptome, das Auftreten neuer
Symptome, Abhängigkeit von Therapeuten.
Diese Problematik besteht v. a. bei längerer stationärer
Psychotherapie (Abb. 6.29)
Die Psychotherapie bedarf einer sorgfältigen
Indikationsstellung mit Vorliegen eines
behandlungsbedürftigen Krankheitsbildes und
realistischer Therapiezielplanung
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