Rauchen und psychiatrische Erkrankungen

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Rauchen und psychiatrische
Erkrankungen: Ein Überblick
Winterer C
Journal für Neurologie
Neurochirurgie und Psychiatrie
2013; 14 (3), 119-125
Homepage:
www.kup.at/
JNeurolNeurochirPsychiatr
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Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/Elsevier BIOBASE
Krause & Pachernegg GmbH . VERLAG für MEDIZIN und WIRTSCHAFT . A-3003 Gablitz
P. b . b .
02Z031117M,
Verlagspostamt:
3002
Purkersdorf,
Erscheinungsort:
3003
Gablitz;
Preis:
EUR
10,–
Rauchen und psychiatrische Erkrankungen
Rauchen und psychiatrische Erkrankungen:
Ein Überblick
G. Winterer
Kurzfassung: Bei 1/4 –1/3 aller nikotinabhängigen Personen besteht gleichzeitig eine
psychiatrische Störung. Dieses Faktum bleibt
bis heute häufig unberücksichtigt – und zwar
sowohl in der Forschung als auch bei der Behandlung von nikotinabhängigen Rauchern
aus der Allgemeinbevölkerung und von Patienten, die primär wegen einer psychiatrischen Störung behandelt werden. Aufgrund
der zunehmend erkannten medizinischen Relevanz der Komorbidität von Nikotinabhängigkeit und anderweitigen psychiatrischen
Störungen wird in dieser Übersichtsarbeit ein
kurzer Überblick zum gegenwärtigen Wissensstand vermittelt.
Schlüsselwörter:
Rauchen,
Nikotinabhängigkeit, psychiatrische Komorbidität,
Epidemiologie, Neurobiologie, Therapie
Abstract: Smoking and Psychiatric Disorders: An Overview. It is a fact that psychiatric comorbidity is present in 1/4 –1/3 of all
nicotine-dependent individuals. Until very recently, this fact was largely neglected both in
research as well as in the treatment of nico-
 Rauchen und psychiatrische Diagnose:
Epidemiologie
Der Konsum von Tabak ist der wichtigste vermeidbare Grund
für Krankheit und Tod. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden in den kommenden
25 Jahren etwa 150 Millionen Menschen weltweit aufgrund
ihres Tabakkonsums sterben. Die weit überwiegende Zahl
von Rauchern betreibt einen täglichen Tabakkonsum mit
physischer Abhängigkeit von Nikotin – der primär süchtig
machenden Substanz in der Zigarette [1]. Aus diesem Grund
werden die Begriffe Nikotinabhängigkeit und Tabakabhängigkeit auch häufig synonym verwendet. In der Internationalen Klassifikation Psychischer Störungen (ICD-10) wird
allerdings gegenüber dem Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders (DSM-IV) der Begriff der Tabakabhängigkeit bevorzugt, u. a. da psychosoziale Faktoren im
Rahmen der Abhängigkeitserkrankung zu berücksichtigen
sind [2] und zudem im Tabak > 4000 chemische Substanzen
enthalten sind, deren Relevanz für die Entwicklung der
Tabakabhängigkeit im Einzelnen noch nicht geklärt ist.
Basierend auf Schätzungen des „National Epidemiologic
Survey on Alcohol and Related Conditions“ in den USA (USNESARC) ist davon auszugehen, dass etwa 1/4 –1/3 aller Personen mit Nikotinabhängigkeit gleichzeitig eine psychiatrische
Diagnose aufweisen [3]. Ein weiteres Ergebnis dieser Umfrage war, dass psychiatrische Patienten vergleichsweise starke
Raucher sind. Während lediglich 7 % aller befragten Personen eine psychiatrische Diagnose angaben, konsumierte diese
Gruppe 34 % aller in den USA verkauften Zigaretten. Bei bestimmten Gruppen psychiatrischer Patienten ist dabei die Prä-
Eingelangt am 31. März 2011; angenommen nach Revision am 14. Oktober 2011;
Pre-Publishing Online am 16. November 2011
Aus dem Cologne Center for Genomics, Universität zu Köln und dem Institut für
Medizin und Neurowissenschaften, Helmholtz-Forschungszentrum Jülich, Deutschland
Korrespondenzadresse: Dr. med. habil. Georg Winterer, Cologne Center for
Genomics (CCG), Universität zu Köln, D-50931 Köln, Weyertal-Straße 115b; E-Mail:
[email protected]
tine-dependent smokers from the general
population and patients primarily referred to
treatment because of another psychiatric diagnosis. Since the medical relevance of this
particular comorbidity is increasingly acknowledged, we provide a short review of the
current knowledge on this topic. J Neurol
Neurochir Psychiatr 2013; 14 (3): 119–25.
Key words: smoking, nicotine dependence,
psychiatric comorbidity, epidemiology, neurobiology, treatment
valenz der Nikotinabhängigkeit besonders hoch und liegt bei
ca. 60 % für Patienten mit affektiven Störungen bzw. bei 60–
90 % für Patienten mit schizophrener Erkrankung, während
sie in der Allgemeinbevölkerung mit 30 % vergleichsweise
niedrig ist [4–6].
Umgekehrt besteht bei der Gesamtheit aller Raucher ein 3fach erhöhtes Risiko, im Laufe des Lebens an einer
depressiven Störung zu erkranken, d. h. die Lebenszeitprävalenz einer depressiven Störung ist bei Rauchern etwa
30–60 % [7]. Klinisch bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass ca. 10–20 % aller Raucher während einer 12monatigen Abstinenz eine depressive Störung entwickeln,
davon der überwiegende Teil während der ersten 3 Monate
nach Beendigung des Nikotinkonsums. Dies betrifft offenbar
v. a. Personen, die sehr früh (< 15 Jahre) mit dem Rauchen
begonnen haben (2-faches Risiko) [8]. Anders ausgedrückt:
Rauchen ist ein Prädiktor für Depression und umgekehrt, wie
in einer kürzlich erschienenen systematischen Übersichtsarbeit longitudinaler Studien von nicht-klinischen Jugendlichen eindrücklich gezeigt werden konnte [9].
Damit vergesellschaftet ist ein höheres Suizidrisiko. Bekannt
ist, dass bei Personen mit psychiatrischen Erkrankungen, wie
der Depression oder der Schizophrenie, ein erhöhtes Suizidrisiko besteht. Suizidalität stellt selbst eine psychiatrische
Störung dar. Bei Rauchern finden sich häufiger Suizidgedanken oder -versuche (Odds Ratio [OR]: 1,82; 95 %Konfidenzintervall [CI]: 1,22–2,69), selbst noch wenn depressive Symptome oder anderweitiger Substanzmissbrauch
als Kovariaten berücksichtigt werden [10]. In einer prospektiven Studie mit Jugendlichen konnte außerdem gezeigt werden, dass Rauchen das zukünftige Risiko, Suizidgedanken zu
entwickeln, erhöht [11]. Aus einer jüngsten bevölkerungsbasierten Untersuchung wurde ferner deutlich, dass Nikotinabhängigkeit per se mit einem etwa 8-fach erhöhten Suizidrisiko einhergeht – also vergleichbar hoch ist wie bei depressiven Störungen, Borderline-Persönlichkeitsstörung und
posttraumatischer Belastungsstörung [12]. Bislang unklar ist dabei allerdings, ob hier eine direkte kausale Verbindung zwischen Rauchen und Suizidalität besteht oder ob eine
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dritte Variable („hidden variable“), wie z. B. eine latente
depressive Symptomatik, diesen Zusammenhang erklärt.
Nur am Rande sei im Rahmen der aktuellen Übersichtsarbeit
erwähnt, dass neben der erhöhten Prävalenz der Nikotin- bzw.
Tabakabhängigkeit bei depressiven und schizophrenen Patienten darüber hinaus zahlreiche Studien existieren, die auch
bei weiteren psychiatrischen (Achse-I-) Störungen, z. B.
Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Störungen, posttraumatischer Belastungsstörung u. a., erhöhte Nikotinabhängigkeitsprävalenzraten nahelegen. Hinlänglich bekannt ist
auch, dass Patienten mit anderweitigen Abhängigkeitserkrankungen (z. B. Alkoholabhängigkeit) häufig gleichzeitig
Raucher sind [13]. Weniger gut bekannt ist jedoch, dass bestimmte Formen der Persönlichkeitsstörungen bzw. -varianten eine erhöhte Prävalenz der Nikotinabhängigkeit aufweisen. So konnten wir beispielsweise in einer erstmals in dieser
Form durchgeführten, bevölkerungsbasierten und deutschlandweiten Studie an 2400 Rauchern und Niemals-Rauchern
zeigen, dass ca. 1/5 aller Raucher (aber nur etwa 1/10 aller
Niemals-Raucher) in der Allgemeinbevölkerung (ohne psychiatrische Achse-I-Störung) einem „Persönlichkeitscluster“
zugeordnet werden können, der durch erhöhte Werte auf mehreren quantitativen Skalen zur Erfassung der Befindlichkeit
und Persönlichkeit charakterisiert ist (Depressivität, Ängstlichkeit, Aufmerksamkeitsdefizite, subjektive körperliche Beschwerden und Stressbelastung) [14]. Im Zusammenhang mit
theoretischen Modellen zur Abhängigkeitserkrankung häufig
diskutierte Persönlichkeitseigenschaften wie erhöhte Risikobereitschaft oder Belohnungsabhängigkeit waren demgegenüber von untergeordneter Relevanz.
 Folgen des Tabakkonsums bei psychiatrischen Patienten: Sozialmedizinische
Relevanz
Die körperlichen Folgeerscheinungen langjährigen Rauchens
sind hinlänglich bekannt. Bei psychiatrischen Patienten findet
sich jedoch eine Reihe weiterer sozialer und medizinischer
Faktoren, die in Verbindung mit chronischem Tabakkonsum
als besonders ungünstig zu werten sind: Beispielsweise ist
bekannt, dass bei schizophrenen und depressiven Patienten
ohnehin eine höhere Mortalitätsrate durch Erkrankungen des
kardiovaskulären Systems sowie des Respirationstrakts besteht und auch die Prävalenz für Karzinomerkrankungen erhöht ist [15, 16]. Hinzu kommen negative Konsequenzen, die
sich aus der Verbindung zwischen Tabakkonsum und psychiatrischer Erkrankung ergeben. Hierzu zählen ein insgesamt
schlechterer körperlicher Gesundheitszustand [17], eine geringere Behandlungscompliance im Hinblick auf die Medikamenteneinnahme [18], eine schlechtere medizinische Versorgung bei kardiovaskulären Erkrankungen [15] sowie ein
insgesamt ungünstigerer (psychiatrischer) Krankheitsverlauf
[19]. Letzteres mag zum Teil dadurch erklärbar sein, dass polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe im Tabakrauch
zu einer Enzyminduktion (CYP1A2, UGT) führen und damit
den Abbau zahlreicher Psychopharmaka, insbesondere
Antipsychotika, beschleunigen [20].
Zahlreiche Patienten mit einer ernsthaften psychiatrischen
Störung sind außerdem in ihren finanziellen Möglichkeiten
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stark eingeschränkt. Die täglichen Aufwendungen für den
Tabakkonsum verschlimmern diese Situation noch zusätzlich.
Beispielsweise ergab sich aus einer US-amerikanischen Untersuchung von Steinberg et al. [21], dass schizophrene Patienten nahezu 30 % ihres verfügbaren Einkommens für Tabakkonsum aufwenden, wobei der überwiegende Teil dieser Patienten sein geringes Einkommen aus öffentlichen Unterstützungsmaßnahmen (Sozialhilfe o. ä.) bezieht. Zu erwähnen
ist auch in diesem Zusammenhang, dass nikotinabhängige
psychiatrische Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit einen niedrigeren sozialen Status aufweisen [22] und häufiger
illegalen Drogenkonsum betreiben [23]. Vor diesem Hintergrund muss es als besonders problematisch angesehen werden, dass im Hinblick auf die Prävalenzraten des Tabakkonsums die Kluft zwischen psychiatrischen Patienten und
der Allgemeinbevölkerung derzeit zunimmt. Mittels erfolgreichen Anti-Rauch-Kampagnen sowie Nikotinentwöhnungsprogrammen ist es mittlerweile gelungen, den Anteil der Raucher in westlichen Industrienationen von 43 % im Jahr 1960
auf 23–30 % im vergangenen Jahrzehnt zu senken, ohne dass
gleichzeitig vergleichbare Erfolge bei psychiatrischen Patienten erzielt werden konnten [24–27]. Teilweise ist dies darauf
zurückzuführen, dass Nikotinentwöhnungsprogramme gerade schwer erkrankten psychiatrischen Patienten erst seit wenigen Jahren und nur in wenigen Einrichtungen angeboten werden [28, 29] und Rauchen in psychiatrischen Kliniken –
anders als in nicht-psychiatrischen Kliniken – häufig eher toleriert oder gar im klinischen Alltag verstärkt wird [30, 31].
Die Beachtung und Behandlung von Tabakkonsum-bezogenen Gesundheitsproblemen bei psychiatrischen Patienten
stellt daher eine besondere Verpflichtung für das klinisch tätige Personal dar – und zwar sowohl in der psychiatrischen Versorgung als auch in der somatischen Medizin. Ein besseres
Verständnis der Faktoren, die die Nikotinabhängigkeit bei
psychiatrischen Patienten verursachen und aufrechterhalten
[20, 32, 33], ist hierbei eine wesentliche Voraussetzung zur
erfolgreichen Umsetzung entsprechender Bemühungen.
 Nikotinabhängigkeit bei psychiatrischen
Patienten: Neurobiologie
Einige der 4000 im Tabak enthaltenen Substanzen, darunter
vor allem das Nikotin, tragen zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der Tabakabhängigkeit bei [34]. Nach Inhalation des Tabakrauchs bindet Nikotin innerhalb weniger Sekunden im Gehirn an vorwiegend präsynaptisch lokalisierte
Nikotinrezeptoren (nAChR), was zu einer raschen Freisetzung verschiedener Neurotransmitter führt. Insbesondere
die Freisetzung von Dopamin durch nikotinische Stimulation
im mesolimbischen Belohnungssystem wurde dabei seit Längerem als zentraler Mechanismus bei der Entstehung der
Nikotinabhängigkeit – wie auch bei anderen Abhängigkeitserkrankungen – diskutiert [35]. Die dadurch ausgelösten Gefühle der Belohnung und positiven Verstärkung führen zur
Aufrechterhaltung des Nikotinkonsums, wobei bei fortgesetztem Konsum Toleranz gegenüber den Nikotineffekten
auftritt, was wiederum von einer Hochregulierung nikotinischer Rezeptoren begleitet wird. In den vergangenen Jahren
wurden aber auch zunehmend weitere neurobiologische Prozesse mit der Entwicklung der Nikotinabhängigkeit in Verbindung gebracht. Hierzu zählt die aktivierende oder auch
Rauchen und psychiatrische Erkrankungen
desensitivierende Wirkung des Nikotins an glutamatergen
und GABAergen Neuronen [36] sowie die Interaktion des
Nikotins mit dem opiodergen System [37].
Die zentralnervösen Effekte von Nikotin werden direkt über
nAChRs vermittelt. Dabei handelt es sich um Ionenkanäle
mit schneller synaptischer Neurotransmission. Neuronale
nAChRs setzen sich homomer oder heteromer zusammen aus
α- (α2–α10-) und β- (β2–β4-) Untereinheiten. Welche spezifische Rolle einzelne Untereinheiten bei der Entwicklung der
Nikotinabhängigkeit spielen, ist bislang weitgehend ungeklärt. Jüngste genomweite Assoziationsuntersuchungen legen
nahe, dass α3-, α5- und β4-Untereinheiten bedeutsam sein
könnten [38]. Allerdings erklären diese Befunde nur einen
geringen Anteil der genetischen Varianz (ca. 5 %). Beachtenswert ist daher, dass Untersuchungen in transgenen Mäusen
zufolge α2- und α4-Untereinheiten ebenfalls die verstärkenden Effekt von Nikotin vermitteln können [39, 40]. Außerdem
spricht auch eine Reihe von Studien dafür, dass nahezu alle
Untereinheiten, darunter α3, α4, α5, α6, α7, β3 and β4,
ebenfalls eine mögliche Rolle bei der Nikotinabhängigkeit
spielen könnten [41, 42].
Schizophrenie
Mittlerweile existiert eine Reihe von Hinweisen dafür, dass
sich die zentralen Nikotineffekte bei psychiatrischen Patienten von den Effekten bei nicht-psychiatrischen Personen unterscheiden. Am besten wurde dies bislang bei schizophrenen
Patienten untersucht. Beispielsweise konnten verschiedene
Untersuchungen nachweisen, dass bei schizophrenen Patienten stärkere Nikotineffekte als bei Gesunden auf kognitive
Leistungsparameter der Aufmerksamkeit und des Arbeitszeitgedächtnis sowie damit verbundenen zentralen Funktionssystemen existieren, was als weiterer Beleg für die Hypothese
der Selbstmedikation mit Nikotin zur Verbesserung kognitiver Defizite gewertet wurde [43, 44]. Ungeklärt ist dabei, inwieweit dies mit einer weiteren Auffälligkeit bei schizophrenen Patienten zusammenhängt, d. h. dem mittlerweile mehrfach replizierten Befund, wonach sowohl in Post-mortemGehirngewebe als auch peripheren Lymphozyten/Lymphoblasten die Zahl der Nikotinrezeptoren bei (rauchenden) schizophrenen Patienten im Vergleich zu gesunden Rauchern reduziert ist [45–47]. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen,
dass aufgrund von Befunden aus Post-mortem-, PET (Positronen-Emissionstomographie-) sowie SPECT- (Single-Photon
Emission Computed Tomography-) Untersuchungen bekannt
ist, dass bei psychiatrisch gesunden Rauchern die Zahl der
Nikotinrezeptoren erhöht ist, mit der Zahl der konsumierten
Zigaretten positiv korreliert und sich bei mehrwöchigem Entzug wieder normalisiert [48–50]. Bei schizophrenen Patienten findet sich interessanterweise eine negative Korrelation
zwischen der Anzahl der Nikotinrezeptoren einerseits und
Negativsymptomen bzw. globaler klinischer Beeinträchtigung andererseits [51, 52].
hen könnte zwischen einer verminderten Aktivität des
dopaminergen Belohnungssystems bei depressiven Affektzuständen, welche kompensatorisch durch Nikotin normalisiert
werden könnten [53, 54]. Es gibt allerdings auch umgekehrte
Überlegungen: Ausgehend von der cholinerg-adrenergen Hypothese der Depression [55] verbessert eine verminderte
cholinerge Neurotransmission, wie sie z. B. aus der langanhaltenden Desensitivierung von nAChRs durch Nikotin resultiert, depressive Stimmungszustände. Mit dieser Überlegung
in Einklang stehen jüngere Befunde, wonach der nAChR-Antagonist Mecylamin sowie Partialagonisten die klinischen Effekte von Antidepressiva verstärken können [56–58].
Auch Überlegungen, wonach eine Verbindung zwischen Depressivität und der häufig beeinträchtigten Stressregulation
sowie Nikotinkonsum bestehen könnte, müssen als vorläufig
betrachtet werden. Aber auch hier existiert eine Reihe von
Befunden, die an dieser Stelle erwähnenswert erscheinen: So
wurde beispielsweise berichtet, dass psychischer Stress in der
Kindheit das Ausmaß der Nikotinabhängigkeit bei späteren
Rauchern verstärkt [59]. Bekannt ist auch, dass Personen mit
posttraumatischer Belastungsstörung („posttraumatic stress
disorder“) häufig stark nikotinabhängig sind [60]. Eigene
populationsbasierte Daten weisen wiederum darauf hin, dass
bei einem substanziellen Teil aller Raucher das subjektive
Stressempfinden gegenüber Nicht-Rauchern erhöht ist [14].
Erste humanexperimentelle Untersuchungen deuten darauf
hin, dass eine vergleichsweise starke (negative) Affektreaktion auf äußere Stressoren Nikotinkonsum im Sinne eines
kausalen Zusammenhangs begünstigt [61]. Tierexperimentelle Untersuchungen unterstützen dabei die Vorstellung, dass
Nikotin zur Stressregulierung konsumiert wird. So zeigen
stresssensitive Mäuse eine höhere Rückfallrate der Selbstapplikation von Nikotin als stressinsensitive Mäuse [62]. Von
Bedeutung könnte dabei sein, dass die im mesolimbischen
System via nAChRs vermittelte Sensitivität gegenüber Nikotin direkt mit der hormonellen (ACTH) Stressreaktion korreliert ist [63]. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang
auch Befunde, wonach chronischer Nikotinkonsum die Reaktion des Gehirns auf äußere Stressoren verändert und letztlich
zu einer beeinträchtigten Stressregulation führt [64]. Auf der
Grundlage dieser Daten erscheint die Überlegung durchaus
plausibel, dass die durch chronischen Nikotinkonsum resultierende Fehlfunktion im ZNS möglicherweise durch akute
Nikotinexposition wiederum kurzfristig normalisiert werden
kann und sich ein Circulus vitiosus entwickelt: Erhöhte
Stresssensitivität (z. B. bei bestehender Prädisposition für
depressive Erkrankungen) – Selbstmedikation der gestörten
Stressregulation durch (akuten) Nikotinkonsum – zunehmende Beeinträchtigung der Stressregulation durch chronischen
Nikotinkonsum und damit Aufrechterhaltung der Nikotinabhängigkeit bzw. erhöhte Rückfallgefahr bei Abstinenz in
Gegenwart von äußeren Stressoren.
Affektive Erkrankungen
 Nikotinabhängigkeit bei psychiatrischen
Patienten: Therapie
Vergleichsweise wenig bekannt ist zum neurobiologischen
Zusammenhang von Rauchen bzw. Nikotinkonsum und Depression/Suizidalität. Bislang eher spekulative Überlegungen
basierten auf der Vorstellung, dass ein Zusammenhang beste-
Entsprechend den Leitlinien des „US Department of Health
and Human Services“ aus dem Jahr 2008 sollte die Raucherentwöhnungsbehandlung bei psychiatrischen Patienten
grundsätzlich nach demselben Schema erfolgen wie bei Rau
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chern in der Allgemeinbevölkerung, wobei gleichzeitig die
behandelnden Kliniker dazu ermutigt werden sollten, ihre
psychiatrischen Patienten entsprechend zu behandeln [65].
In den entsprechenden Leitlinien des „US Department of
Health and Human Services“ wird eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, wie die Entwöhnungsbehandlung von
Rauchern durchzuführen ist. Im Einzelnen zählen hierzu:
Ärztliche Beratung sowie Entwöhnungsbehandlungen im
Rahmen einer individuellen oder Gruppentherapie mit dem
Ziel der Verhaltensmodifikation. Auch entsprechend adaptierte telephonische Interventionen werden empfohlen. Der Erfolg dieser Behandlungsmaßnahmen steht dabei in einem direkten Verhältnis zur Intensität der Behandlung. Wesentliche
Bestandteile der Behandlung sind: praktische Beratung (gemeinsame Entwicklung von Problemlösungsstrategien,
„skills training“) sowie bei Notwendigkeit soziale Unterstützung. Auch wenn ein Raucher aktuell keine Entwöhnungsbehandlung wünscht, sollte er wiederholt dazu motiviert werden. In den deutschen „Leitlinien der Tabakentwöhnung“
(www.leitlinien.net) wird demgegenüber der Nutzen der individuellen, wiederholten, ärztlichen und verhaltenstherapeutischen Behandlung hervorgehoben – typischerweise 8 Sitzungen à 15–45 Min. [66, 67].
Idealerweise sollte eine entsprechende Verhaltensmodifikation in Kombination mit einer verhaltenstherapeutischen
Intervention erfolgen, da hiermit die Erfolgsaussichten der
Behandlung gegenüber einer alleinigen verhaltenstherapeutischen Intervention etwa um 50 % erhöht werden können
[65]. Bei der medikamentösen Behandlung sollte entsprechend den Leitlinien des „US Department of Health and Human Services“ die Behandlung je nach klinischer Notwendigkeit sowie unter Berücksichtigung etwaiger Kontraindikationen mit einem Medikament oder im Rahmen einer medikamentösen Kombinationsbehandlung erfolgen. Als Medikament der ersten Wahl bei der Raucherentwöhnung wird gegenwärtig eine Nikotinersatztherapie („nicotine replacement
therapy“ [NRT]) vorgeschlagen (vgl. [66]). Hierzu zählen:
Nikotinpflaster, Nikotinkaugummi, Nikotin-Nasenspray,
Nikotininhalatoren oder Nikotin-Lutschtabletten. Alternativ
bzw. in Kombination ist eine auch die seit Längerem eingeführte Behandlung mit dem Medikament Bupropion möglich.
Vareniclin stellt eine neue medikamentöse Behandlungsoption dar. Das Ziel der unterschiedlichen NRTs besteht
darin, Entzugssymptome und das Verlangen nach Nikotin
(„craving“) zu mildern. Damit können Abstinenzraten von
50–70 % erreicht werden [67]. Bupropion ist ein Antidepressivum, welches die Wiederaufnahme von Dopamin sowie
Noradrenalin hemmt und nAChRs blockiert, wobei allerdings
der genaue Wirkmechanismus bei der Raucherentwöhnung
unklar ist [65]. Die Erfolgsraten bei der Raucherentwöhnung
sind mit denen der NRTs vergleichbar [68]. Vareniclin ist
demgegenüber ein Partialagonist am α4β2-nAChR [69] und
führt zu 2–3-fach erhöhten Abstinenzraten [65, 70]. Bei erfolgloser Entwöhnungsbehandlung mittels dieser Medikamente der ersten Wahl besteht auch die Möglichkeit der Behandlung mit Nortriptylin bzw. Clonidin [71, 72].
Der überwiegende Anteil an Forschungsergebnissen zur
Entwöhnungsbehandlung, der in den Leitlinien des „US
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Department of Health and Human Services“ [65] oder in
Cochrane-Übersichtsarbeiten [67, 70, 72] dargestellt und diskutiert wird, basiert jedoch auf Studien in der Allgemeinbevölkerung. Relativ wenig ist demgegenüber bekannt zur
Frage der Wirksamkeit entsprechender Behandlungsstrategien bei psychiatrischen Patienten bzw. es existieren kaum
direkte Vergleiche von Rauchern mit und ohne psychiatrische
Komorbidität. In einer kürzlich erschienenen Metaanalyse
von 8 randomisierten kontrollierten Studien konnte jedoch
bestätigt werden, dass NRT in Verbindung mit Verhaltensintervention und Bupropion in psychiatrischen Patienten ähnlich wirksam ist wie bei Rauchern aus der Allgemeinbevölkerung. Allerdings handelt es sich hierbei um relativ
kleine Studien und die Varianz der Abstinenzraten ist hoch
[73]. Ein ähnliches Ergebnis konnte allerdings auch in einer
unizentrischen Studien mit Vareniclin erzielt werden, ohne
dass sich ein Unterschied zwischen dem Behandlungserfolg
bei Rauchern mit und ohne psychiatrische Komorbidität fand
[74]. Allerdings könnten spezifische, mit bestimmten psychiatrischen Diagnosen assoziierte Faktoren von Bedeutung sein.
Schizophrenie
Beratung sowie gruppentherapeutische Interventionen bei
Raucherentwöhnung in Verbindung mit Medikamenten der
ersten Wahl sind grundsätzlich auch bei schizophrenen Patienten einsetzbar. Unklar ist derzeit jedoch, inwieweit Beratung und gruppentherapeutische Interventionen im Rahmen
von Raucherentwöhnungsprogrammen eine Anpassung an
die spezifischen Gegebenheiten bei schizophrenen Patienten
(z. B. verminderte kognitive Leistungsfähigkeit, akute vs. klinisch stabile Erkrankung u. a.) erfordern. Bedenken bestehen
vor allem im Hinblick auf eine gemeinsame gruppentherapeutische Intervention von schizophrenen Patienten mit psychiatrisch gesunden Rauchern oder Patienten mit weniger
ernsthaften psychiatrischen Störungen. Hierbei kann nicht
ausgeschlossen werden, dass in gemischten Patientensettings
aufseiten der Patienten, vor allem der schwer gestörten Patienten, Ängste auftreten [75]. Hinzu kommt, dass die Unterschiedlichkeit der Teilnehmer an der Gruppentherapie die
Realisierung einheitlicher Therapieziele erheblich erschweren würde. Insgesamt besteht hier noch erheblicher Klärungsbedarf, vor allem auch im Hinblick auf mögliche Kontraindikationen.
In einer kürzlich erschienen Cochrane-Metaanalyse werden
die Ergebnisse von 7 Studien zusammengefasst, in denen bei
schizophrenen Patienten eine Raucherentwöhnungsbehandlung mit Bupropion im Vergleich zu Placebo durchgeführt
wurde. Unter Bupropion war die Abstinenzrate nach 6 Monaten nahezu 3× höher als unter der Placebo (Risk Ratio: 2,78;
95 %-CI: 1,02–7,58). Die psychopathologische Symptomatik
einschließlich depressiver Beschwerden blieb dabei beeinflusst [76]. Interessanterweise fanden sich in diesen Studien
keine Hinweise für einen Vorteil durch die kombinierte Gabe
von NRTs und Bupropion. Nicht abschließend geklärt werden
konnte in dieser Metaanalyse außerdem die Frage, inwieweit
verhaltenstherapeutische Maßnahmen von Nutzen sind.
Zur Entwöhnungsbehandlung von schizophrenen Patienten
mit Vareniclin existieren derzeit kaum Daten aus kontrollier
Rauchen und psychiatrische Erkrankungen
ten Studien. Stapelton et al. [74] verglichen Vareniclin (n =
204) mit NRT (n = 208) bei gleichzeitiger gruppentherapeutischer Intervention in einer Raucherentwöhnungsklinik.
Für beide Behandlungsgruppen konnten keine Unterschiede
in der Wirksamkeit und bezüglich unerwünschter Ereignisse
festgestellt werden. Dies galt bei separater Betrachtung sowohl für die nicht-psychiatrisch erkrankten Raucher als auch
für Raucher mit psychiatrischer Störung (n = 111, davon 31
mit psychotischer Störung). In einer jüngeren Studie mit 6monatiger Gabe von Vareniclin berichten McClure et al. [77]
eine vergleichbare Wirksamkeit und ein ähnliches Profil von
unerwünschten Ereignissen bei psychiatrischen Patienten (n =
271, davon 15 Patienten mit psychotischer oder bipolarer Störung) wie bei nicht-psychiatrischen Patienten (n = 271). Betont sei an dieser Stelle, dass ein ausführlicher Fallbericht,
wonach es unter Vareniclin zu einer Exazerbation psychotischer Symptome bei einem schizophrenen Patienten gekommen sei [78], durch mehrere kleinere Studien mit allerdings
jeweils begrenzter Fallzahl nicht gestützt wird (vgl. zusammenfassende Darstellung der Studienergebnisse bei Aubin et
al. [33]).
Depression
Mehrere Studien berichten übereinstimmend, dass die
Entwöhnungsbehandlung von Rauchern mit komorbider Depression ähnlich erfolgreich ist wie bei nicht-psychiatrisch
erkrankten Rauchern [33]. Hervorgehoben sei an dieser Stelle
eine Metaanalyse des „US Department of Health and Human
Services“ aus dem Jahr 2008, welche sich in den dort ausgesprochenen Empfehlungen niederschlug [65]. Verglichen
wurden bei Rauchern mit einer bekannten depressiven Störung in der Vergangenheit die 2 antidepressiven Medikamente
Bupropion und Nortriptylin mit NRT und Placebo. Beide Antidepressiva erwiesen sich dabei als erfolgreich im Hinblick
auf Langzeitabstinenz (OR: 3,42; 95 %-CI: 1,70–7,84) [65].
Ein Spezifikum der Entwöhnungsbehandlung bei depressiven
Patienten besteht darin, dass hierbei meist eine intensivere
psychosoziale Intervention erfolgt als bei nicht-psychiatrisch
erkrankten Rauchern. Dies erscheint schon aufgrund grundsätzlicher Überlegungen sinnvoll zu sein, da beispielsweise
eine depressive Stimmungslage Teil der Nikotinentzugssymptomatik darstellen kann [79, 80]. Hinzu kommt, dass
Studiendaten diese Strategie der Entwöhnungsbehandlung
unterstützen. Haas et al. [80] beschrieben beispielsweise, dass
Patienten mit einer depressiven Störung in der Vergangenheit
höhere Abstinenzraten aufwiesen, wenn eine kognitivverhaltenstherapeutische Behandlung durchgeführt wurde im
Vergleich zu edukativen Maßnahmen. Hall et al. [81] berichteten, dass eine kombinierte pharmakologische Behandlung
in Verbindung mit verhaltenstherapeutischer Intervention und
psychologischer Beratung zu höheren Abstinenzraten führt
als wenn keine entsprechenden psychotherapeutischen Interventionen erfolgen. Unklar ist bislang allerdings, welche
Entwöhnungsstrategie bei Patienten mit gegenwärtiger
depressiver Episode den größten Erfolg verspricht. Ferner gilt
es bei der Entwöhnungsbehandlung zu beachten, dass bei
Rauchern mit einer depressiven Vorgeschichte unter Umständen depressive Symptome erneut auftreten, die dann gegebenenfalls wiederum einer antidepressiven Behandlung bedürfen [82].
Ähnlich wie im Falle der Schizophrenie ist die Datenlage zu
Vareniclin bei der Entwöhnungsbehandlung von Patienten
mit depressiver Komorbidität bislang spärlich. Stapelton et al.
[74] berichteten in einer kleinen Studie (64 Raucher mit gegenwärtiger depressiver Störung), dass Vareniclin wirksam ist
und sich dabei kein Anhalt für ein erhöhtes Risiko unerwünschter Ereignisse im Sinne psychiatrischer Symptome ergab. McClure et al. [77] verglichen wiederum nicht-psychiatrisch erkrankte Raucher mit Rauchern, bei denen eine
depressive Vorgeschichte bekannt war (n = 235) und fanden
keinen Unterschied in der Wirksamkeit von Vareniclin. Kürzlich wurde vom Hersteller von Vareniclin eine große placebokontrollierte Entwöhnungsstudie mit 500 depressiven Rauchern begonnen (NCT01078298).
 Pharmakologische Entwöhnungsbehandlung bei psychiatrischen Patienten: Sicherheit
Die Frage der Sicherheit einer psychopharmakologischen
Entwöhnungsbehandlung bei Rauchern im Hinblick auf eine
unerwünschte psychiatrische Symptomentwicklung (Suizidalität u. a.) wird derzeit intensiv diskutiert. Verschiedene aktuelle Post-Marketing-Berichte beschrieben beispielsweise
für Vareniclin ein erhöhtes Risiko für depressive Symptome,
Agitiertheit sowie Suizidalität [83–85]. Ähnliche Berichte
existieren auch zu verschiedenen Antidepressiva [86–89],
was u. a. im Fall von Bupropion und Vareniclin zu Warnhinweisen seitens der US Food and Drug Administration (FDA)
führte. Gleichzeitig erkennt die FDA jedoch an, dass es
schwierig ist, entsprechende unerwünschte Ereignisse in eine
kausale Beziehung zur Medikamenteneinnahme zu stellen, da
die Nikotinentwöhnung selbst (unabhängig von der Medikamenteneinnahme) ursächlich infrage kommt [85]. Von
Interesse ist daher eine kürzlich von der FDA durchgeführte
Analyse von Daten aus randomisierten placebokontrollierten
Studien mit dem Antidepressivum Bupropion bei erwachsenen Patienten (n = 15.473), wobei unterschiedliche Behandlungsindikationen bestanden. Aus dieser Analyse ergab
sich kein Hinweis auf ein erhöhtes Suizidalitätsrisiko für
Bupropion [86]. Dieses günstige Ergebnis für Bupropion entspricht nicht ganz den Erwartungen, da seit Langem bekannt
ist, dass besonders in den ersten Wochen einer antidepressiven Behandlung das Suizidalitätsrisiko erhöht ist [87–89].
Vergleichbare Ergebnisse wurden auch für Vareniclin berichtet. Eine kürzlich publizierte Analyse gepoolter Daten von
5000 Rauchern ohne gegenwärtige psychiatrische Diagnose,
die mit Vareniclin bzw. Placebo behandelt wurden, ergab keine Hinweise für vermehrt auftretende, unerwünschte psychiatrische Ereignisse mit Ausnahme von Schlafstörungen [90].
Eine retrospektive Analyse von 80.600 Patienten aus der „UK
General Research Database“, die mit Vareniclin behandelt
wurden, ergab keinen Hinweis darauf, dass das Risiko von
Depressivität und Suizidalität gegenüber NRT oder Bupropion erhöht ist [91]. Die aktuelle Studienlage lässt somit
kaum die Schlussfolgerung zu, dass die medikamentöse
Raucherentwöhnungsbehandlung mit Vareniclin oder Bupropion in einer kausalen Beziehung mit unerwünschten psychiatrischen Ereignissen und hier insbesondere mit der
Suizidalität steht.
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Rauchen und psychiatrische Erkrankungen
 Relevanz für die Praxis
Anamnese, Diagnostik und Therapie des Tabakkonsums
bei psychiatrischen Patienten sind aus unterschiedlichen
Gründen von großer praktischer Relevanz. Die körperlichen Folgeerscheinungen des langjährigen Rauchens sind
dabei von großer Bedeutung – insbesondere im Hinblick
auf das bei diesen Patienten ohnehin erhöhte Risiko für
kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen. Hinzu
kommt, dass Tabakkonsum partiell einen ungünstigen
Therapieverlauf bei der Behandlung der psychiatrischen
Störung bedingen kann. Umgekehrt gilt, dass sich im Rahmen der Tabakentwöhnung psychiatrische Symptome, wie
Depressivität und Suizidalität, manifestieren können, die
der Behandlung bedürfen. Aktuell dringend notwendig ist
es, Tabakentwöhnungsprogramme einem größeren Kreis
von psychiatrischen Patienten zugänglich zu machen.
Hierbei gilt es, die für die Allgemeinbevölkerung entwickelten Therapiestrategien an die spezifischen Bedingungen bei psychiatrischen Patienten anzupassen.
 Quellenangabe und Interessenkonflikte
Bei der vorliegenden Übersichtsarbeit handelt es sich um eine
Zusammenfassung aktueller englischsprachiger Übersichtsarbeiten des Autors [20, 32, 33]. Der interessierte Leser sei
auf diese Arbeiten verwiesen. Gefördert wurden die entsprechenden Arbeiten durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Nationalen
Schwerpunktprogramms SPP1226 „Nikotin: Molekulare und
Physiologische Effekte im ZNS“ (Wi1316/6-1, 6-2 Koordinator: G. Winterer) sowie Pfizer Inc.
Der Autor ist bzw. war als Vortragender und Berater inklusive
Auftragsforschung im Rahmen der Forschung & Entwicklung
(F&E) nikotinischer Substanzen zur Behandlung kognitiver
Störungen für Johnson & Johnson/Janssen Pharmaceutica sowie Pfizer Inc. tätig. Für psychopharmakologische Fachvorträge erhielt er außerdem Honorare von Lilly, Pfizer, JanssenCilag, Otsuka sowie AstraZeneca.
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Dr. med. habil. Georg Winterer
Geboren 1961. Studium der Humanmedizin
und Promotion an der Freien Universität
Berlin. Facharztausbildung (Psychiatrie/
Psychotherapie) am Bezirksklinikum Brandenburg sowie Benjamin-Franklin-Universitätsklinikum Berlin. 1997–2003 Clinical
Fellow am National Institute of Mental
Health (Bethesda, USA). 2001 Habilitation
an der Freien Universität Berlin. 2003–2005
Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der
Universität Mainz. 2006–2009 Leitender
Oberarzt und Universitätsprofessor an der Psychiatrischen Klinik der
Universität Düsseldorf. Seit 2009 Leiter der Forschungsgruppe Translationale Neurogenetik am Cologne Center for Genomics der Universität
Köln sowie seit 2007 Assoziierter Wissenschaftler am Institut für
Neurowissenschaften und Medizin des Helmholtz-Forschungszentrums
Jülich. Seit 2007 Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms: Nikotin-Molekulare und Physiologische Effekte im ZNS.
J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (3)
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