Hintergründe und Grundsätze antisexistischer

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Zu Hintergründen und Grundsätzen einer
antisexistischen Jungenarbeit
Anita Heiliger
in: Ingo Bieringer/Walter Buchacher, Edgar J. Forster (Hg.): Männlichkeit und Gewalt. Konzepte für die Jungenarbeit, Opladen 2000"
Zusammenfassung:
Antisexistische Jungenarbeit konfrontiert sich mit der patriarchalen Struktur der bestehenden
Gesellschaft, d.h. der Geschlechterhierarchie. Sie kritisiert die hierin funktionale männliche Identität, die eine Höherwertigkeit mit männlicher Geschlechtszugehörigkeit verbindet und sich
daher auf der Abwertung von Mädchen und Frauen gründet, aus der heraus Gewalt entsteht. Ziel
ist die Förderung einer männlichen Identität, die sich nicht auf dieser Abwertung gründet, sondern ein stabiles Selbstbewusstsein bei Jungen entwickelt, das keiner Machtaneignung und Überlegenheitsdemonstration bedarf, weil solche Inhalte aus dem Männlichkeitskonzept entfernt
würden.
Gliederung:
1. Patriarchale Männlichkeitsbilder wirken als pathogene Faktoren
Verleugnung von Ängsten und Schwächen
Gewalttätigkeit als Kompensation
Sexuelle Übergriffe als Bewältigungsstrategie
2. Aufgaben antisexistischer Jungenarbeit
Entlastung von patriarchalen Zumutungen
Revolutionierung der männlichen Rolle
3. Wo sind die männlichen Vorbilder?
Literatur
1. Patriarchale Männlichkeitsbilder wirken als pathogene Faktoren
Verleugnung von Ängsten und Schwächen
Das Ziel antisexistischer Jungenarbeit kann als Entpatriarchalisierung von Männlichkeit bezeichnet werden. Das patriarchale Männlichkeitsbild, in das Jungen im
wesentlichen nach wie vor hineinsozialisiert werden, enthält Zuschreibungen von
Stärke, Härte gegen sich selbst und andere, Dominanz (vor allem gegenüber Mädchen und Frauen), Durchsetzungskraft, Rücksichtslosigkeit, Verachtung von
Schwächen und Ängsten, Leistungsfähigkeit und Erfolg (vgl. Lempert/Oelemann
1994). Es suggeriert ihnen qua Geschlechtszugehörigkeit eine erhöhte Stellung
gegenüber Mädchen und Frauen, letztere als für sie verfügbar, und solches verfügendes Verhalten als zum männlichen Rollenverhalten gehörend bzw. Männlichkeit/ Mann-Sein erst eigentlich konstituierend. Diese Erkenntnisse erbringt u.a.
eine Studie, die am Deutschen Jugendinstitut zum Zusammenhang zwischen sexueller Gewalt und in unserer Gesellschaft vorherrschendem Männlichkeitsbild
durchgeführt wurde (Heiliger/Engelfried 1995). Sowohl von Erwachsenen als auch
von gleichaltrigen Jungen wird eine immens starke soziale Kontrolle in bezug auf
die Übernahme dieses Männlichkeitsbildes ausgeübt. Verweigerung und Distanz
ihr gegenüber haben in der Regel Ausgrenzung, Isolation und Aggression durch
die Gleichaltrigen zur Folge sowie die Aberkennung von Männlichkeit. Tatsächlich jedoch sind Jungen offensichtlich zunächst in hohem Maße verunsichert, wenn
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sie erstmals mit Erwartungen patriarchaler Männlichkeit konfrontiert werden. Sie
müssen quasi zwangsläufig den Weg gehen, diese Erwartungen durch Verleugnung
ihrer Ängste und Unsicherheiten und in der Folge durch gewalthafte Aneignung
von Macht und Dominanz zu erfüllen. Aus therapeutischen Zusammenhängen wird
von erheblichen Ängsten berichtet, von denen Männer sich verfolgt fühlen und die
im wesentlichen aus dem Erwartungsdruck resultieren, die männliche Rolle erfüllen zu müssen (vgl. Brandes 1994, Johnen 1994, Hoffmann 1994). Die Angst vor
Versagen, vor Unterlegenheit, vor dem Zeigen von Schwäche, vor einem Mangel
an Männlichkeit, vor Gefühlen, vor mangelnder Anerkennung, vor Zurückweisung
usw. widerspricht und entspringt gleichzeitig aus der die Jungensozialisation begleitenden Ideologie von Männlichkeit als Synonym für Erfolg, Stärke, Überlegenheit und Härte.
Gewalttätigkeit als Kompensation
Viele männliche Rituale und Stärkedemonstrationen werden von Johnen (1994) als
Angst reduzierende Abwehrstrategien analysiert. Er setzt das Maß an Gewaltbereitschaft in Beziehung zu entsprechender Intensität der empfundenen Angst: "Je
stärker die aggressiven Anteile, ...desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine
gehörige Portion Angst im Spiel ist, die verschleiert werden soll oder muss" (ebd.
S.34). Angst jedoch ist "ein männliches Tabu" (ebd. S.17). Sie wird unter Männern
in aller Regel nicht angesprochen, sondern geleugnet und mit kompensatorischen
Verhaltensweisen überdeckt.
Diesen Zusammenhang hat bereits Enders-Dragässer (1991) aus Beobachtungen
zur Jungensozialisation an der Schule abgeleitet. Sie führt rüpelhaftes und aggressives Verhalten von Jungen in der Schule darauf zurück, dass Jungen auf solche
Weise "unbearbeitete und zum Teil auch unbewusste Defiziterfahrungen, Frustrationen und Rollenkonflikte ausagieren, die mit den gesellschaftlichen geschlechtsstereotypen Erwartungen, Zuschreibungen und Versagungen zusammenhängen, denen
sie ihrer männlichen Identität wegen entsprechen bzw. mit denen sie sich identifizieren sollen" (ebd. S. 6). Schenk (1993) betont speziell im Hinblick auf die Entstehung von Gewaltbereitschaft den Einfluss der Ideologie männlicher Härte und der
damit einhergehenden Abspaltung von der eigenen Körperlichkeit: Der Körper
wird instrumentalisiert und funktionalisiert für Leistung statt Lust. Trauer,
Schmerz, aber auch Freude dürfen sich keinesfalls in Weinen äußern etc. Diese
Produktion von "Körper- und Gefühllosigkeit" soll Jungen befähigen, "ihren
Mann zu stehen" , gleichzeitig sieht Schenk aber hierin auch den Grund für die
Akzeptanz von Gewalt als Möglichkeit, diese Körperlosigkeit durch aktive Weltaneignung zu kompensieren und Identität herzustellen: Schlagen wird so "ein Zeichen der eigenen Lebendigkeit. Die Schmerzen können gespürt und als Lust bringend erlebt werden. Die Macht, die den Jungen über ihre Aggression erwächst, ist
'männliche Lust'" (ebd. S.167, vgl. auch Ottemeier-Glücks 1987). So wird auch die
häufige Begründung der Jugendlichen selber für ihre Gewaltanwendung verständlich: "Gewalt ist geil." Und es wird verständlich, dass (junge) Männer umso weniger Sensibilität und Empathie für die Gefühle und Empfindungen anderer - gerade
auch im sexuellen Bereich - aufbringen, je "körperloser" sie selbst geworden sind
(vgl. auch Holzkamp 1994). Der eigene Körper verliert so den Charakter eines
lebendigen, sensiblen Organismus und wird zu einer “im Dauerbetrieb möglichst
störungsfrei laufenden Maschine” (Karl 1994, S. 137) umfunktioniert. “Ein Panzer
ist notwendig, um den mannhaften Umgang mit dem Körper aushalten zu können”
(ebd.)
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Sexuelle Übergriffe als Bewältigungsstrategie
Sexuelle oder sexualisierte Bemächtigung von Mädchen und Frauen wird von Jungen und Männern in besonders häufiger und wirksamer Weise als Bewältigungsstrategie für den ihnen entgegengebrachten Dominanzanspruch angewandt (vgl.
Heiliger/Engelfried 1995, Winter 1993, Brandes 1992). Die in der oben genannten
Studie (Heiliger/Engelfried 1995) durchgeführten biographischen Interviews mit
Männern zeigen, dass die in der patriarchalen Gesellschaft quasi universell wirksame Botschaft der - angeblich freiwilligen - Frauenunterwerfung, die sich Jungen
über eine "Kultur" pornographischer Abbildungen von Frauen in Zeitschriften u.a.
Medien vermittelt, hierbei eine herausragende Rolle spielt und als Katalysator in
der Tradierung und täglich neu reproduzierter hierarchischer Geschlechterverhältnisse wirkt. Jungen wissen durchaus, dass die ihnen zugemuteten Männlichkeitsbilder ebenso wie die darin enthaltene allgemeine Entwertung von Frauen sowie
ihre eigene Aufwertung als Jungen/Männer konstruiert, also künstlich hergestellt
sind und keiner Naturkonstante bzw. biologischer Bestimmtheiten entsprechen. Sie
wissen um die Gleichwertigkeit der Geschlechter oder gar partieller Überlegenheit
von Mädchen und Frauen. In der Konfrontation mit Erwartungen aus dem patriarchalen Männlichkeitsbild beginnen sie aber, dieses Wissen, sowie ihre eigene Unsicherheit und Gefühle von Schwäche und Angst zu verleugnen, um den Sprung in
die patriarchal-männliche Identität zu schaffen, die die Erlangung von Anerkennung verspricht. Der Verlust von emotionaler und sozialer Intelligenz (vgl. Aliti
1997), der Abbau von Einfühlungsvermögen in andere Menschen, insbesondere
Frauen, sowie Härte gegen sich selbst ebenso wie gegen andere sind logische und
verheerend destruktive Folgeentwicklungen dieser Konfrontation.
2. Aufgaben antisexistischer Jungenarbeit
Entlastung von patriarchalen Zumutungen
Aus der Perspektive feministischer Mädchen- und Frauenforschung sowie -politik
- aus dieser heraus wird im vorliegenden Beitrag argumentiert - hat antisexistische
Jungenarbeit die Aufgabe, all den beschriebenen Prozessen der Aneignung patriarchaler Männlichkeit bewusst entgegenzusteuern. Destruktive patriarchale Männlichkeitsbilder sind durch solche Bilder zu ersetzen, die keine Selbstverleugnung
verlangen bzw. voraussetzen, sondern umgekehrt eine positive und ganzheitliche
Entfaltung der Persönlichkeit, eingebettet in das soziale Gefüge der jeweiligen Lebensumwelt, fördern (vgl. u.a. Karl 1994). Zunächst geht es um die Einführung
einer Verständigung und Kommunikationskultur über die gesellschaftliche Bedeutung und Absicht des gewalttätigen und irrealen patriarchalen Männlichkeitsbildes
einerseits und der hierin als Verfügungsobjekte dargestellten Frauen; um die Vermittlung also, dass es sich hierbei um Tradierung und Aufrechterhaltung der geschlechtshierarchischen Verhältnisse handelt. Der "Nutzen, den Männer aus ihrer
Teilhabe an der patriarchalen Herrschaftskultur ziehen" (Zieske 1994, S.168) muss
angesprochen und problematisiert werden. Ein Ausblenden "des Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtern fördert maskulinistische Tendenzen und trägt zur
Aufrechterhaltung des patriarchalen Systems bei" (ebd. S. 174). Sodann muss antisexistische Jungenarbeit bereit und fähig sein, Jungen klare Grenzen setzen, wenn
sich bei ihnen sexistisches, frauenfeindliches und gewalttätiges Verhalten andeuten. Grenzen zu setzen ist unverzichtbar zur Orientierung von Jungen innerhalb der
(noch) patriarchalen Strukturen im Prozess der Entwicklung nicht -patriarchaler
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männlicher Identität.
Wenn aufgehört werden würde, von Jungen zu erwarten, Männlichkeitskriterien
nach patriarchalem Muster zu erfüllen; wenn Jungen erlaubt würde, ihren eigenen
Wahrnehmungen und Gefühlen zu trauen und ihre männliche Identität nach ihrem
eigenen Erleben selbst zu bestimmen, und wenn Orientierungslinien helfen, der
Zugkraft Macht verkündender Dominanz zu widerstehen, dann würde dies ohne
Zweifel eine enorme Entlastung für Jungen bedeuten. Sie müssten die gewalt- und
angstbesetzte Dominanz und die dafür erforderliche Selbstverleugnung gar nicht
erst erlernen, sondern könnten ihre Sensibilitäten, ihre wahren Gefühle beibehalten,
die sie häufig als kleine Jungen in hohem Maße noch aufweisen (vgl. Benard/Schlaffer 1994, Schnack/Neutzling 1990 u.a.). Mit solch einer Perspektive
verknüpft sich sowohl die Hoffnung auf gleichberechtigten Umgang von Jungen
mit Mädchen und Frauen als auch auf drastische Reduzierung von aggressivem
Gewalthandeln generell auf der Seite von Jungen und Männern, wenn solches nicht
länger als symbolischer Ausdruck von Männlichkeit schlechthin vorgeführt und
geduldet wird.
Voraussetzung für die solche Entwicklungen ist es jedoch, dass nicht patriarchale
Ausprägungen von Männlichkeit von der Gesellschaft auch positiv bewertet und
nicht, wie es zur Zeit der Fall ist, diskriminiert werden und dadurch für Jungen und
Männer nur sehr schwer lebbar sind. Andererseits ist die geschlechtsspezifische
Zurichtung von Jungen, die in der kritischen Männerliteratur heute beschrieben
wird (vgl. Alte Molkerei Frille 1989, Ottemeier-Glücks 1987, Schnack/Neutzling
19989, Sielert 1989, Schenk 1993, Lempert/Oelemann 1994, Winter 1993): Abhärtung von Körper und Seele, Trennung von Gefühl und Körper, Bewertung von
Emotionen als Bedrohung und Schwächung (was seinen Ausdruck findet in aus der
Abwertung von Weiblichkeit bezogenen Bezeichnungen wie "Heulsuse", "Muttersöhnchen", "verweichlicht" oder andere beliebte Zuschreibungen wie “schwul” und
“Schlappschwanz” etc.), und infolgedessen ihre Verdrängung, dermaßen destruktiv, dass es für die einzelnen Jungen bzw. Männer letztlich nur ein Gewinn sein
kann, Männlichkeit von antiquierten Herrschafts-, Schutz- und Kampffunktionen
zu befreien, wenn solche Funktionen ihre Glaubwürdigkeit im allgemeinen gesellschaftlichen Selbstverständnis endlich und gründlich verlieren würden.
Revolutionierung der männlichen Rolle
Bei antisexistischer, feministisch-antipatriarchaler, Jungenarbeit geht es nicht um
kleine Veränderungen, sondern um die Auflösung des herrschenden patriarchalen
Männlichkeitskonstruktes an sich. Grundlegende Voraussetzung hierfür ist es, wie
oben gesagt, Männlichkeit zu entpatriarchalisieren, was bedeutet, sie von den Mythen: Stärke, Überlegenheit über Frauen, Kampf, Sieg und Herrschaft zu befreien.
Die in der Jungenarbeit häufig betonte und durchaus zutreffende Erkenntnis, dass
Lernbereitschaft positive Anstöße braucht, um zu greifen, darf nicht dahingehend
umgedeutet werden, erneute Verankerung im herkömmlichen Denken zu legitimieren, um der notwendigen Konfrontation mit Defiziten in der männlichen Sozialisation auszuweichen. Es muss vielmehr darum gehen, traditionelle Männlichkeit
grundsätzlich abzulehnen und Bestätigungsformen für Jungen zu finden, deren
positiven Wert sie erst in einem grundlegenden Umdenkungs- und Umorientierungsprozess erfahren können. Bestätigungsfelder für Jungen müssen daher geschaffen werden, die eben nicht den "tollen Hecht" küren, sondern im Gegenteil
Anerkennung vermitteln für Gefühlsäußerung und Empathie, für soziales Verhalten, für respektvollen Umgang mit dem anderen Geschlecht, für Zurückhaltung in
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der öffentlichen Darstellung, für das Zeigen von Schwächen und Verletzlichkeiten
bei sich und anderen, für einen konstruktiven Umgang mit Spannungen, für die
Fähigkeit und Bereitschaft zu Kommunikation und (gewaltfreier) Konfliktlösung
sowie für die Vereinbarung der eigenen Bedürfnisse mit denen anderer. Hieraus
erst könnte sich ein stabiles Selbstbewusstsein bei Jungen entwickeln, das keiner
Machtaneignung und Überlegenheitsdemonstration bedarf, weil solche Inhalte aus
dem Männlichkeitskonzept entfernt würden. Das würde freilich bedeuten, das bestehende männliche Rollenbild komplett auf den Kopf zu stellen, um den so folgenreichen Gefühlen von Unsicherheit und mangelndem Selbstwert, die zwangsläufig aus der Orientierung am potenten Eroberer resultieren, den Boden zu entziehen.
Zur Entpatriarchalisierung von Männlichkeit muss auch in hohem Maße die sexuelle Sozialisation von Jungen aufmerksam begleitet und gesteuert werden. Übersexualisierung von Jungen und Männern, Verknüpfung von sexueller Handlung mit
Leistung und Männlichkeitsbeweis, Nahelegung der Ausübung von Sexualität als
Beherrschungsinstrument und eine leicht herzustellende Koppelung zwischen sexueller Erregung und Aggression einerseits, Demütigungen und Unterwerfung insbesondere von Frauen andererseits, sind offensichtlich Ergebnisse der ganz normalen männlichen sexuellen Sozialisation, die bisher in keinster Weise hinterfragt
werden. Eine systematische Entkoppelung all dieser Ebenen ist unerlässlich. Im
Zuge der Entpatriarchalisierung des Männlichkeitskonzeptes muss Sexualität entlastet werden von Funktionalisierungen hinsichtlich Leistungskriterien, Macht- und
Dominanzgefühlen sowie Kompensationen.
3. Wo sind die männlichen Vorbilder?
Ein von patriarchalen Bestandteilen befreites männliches Rollenkonzept zu vermitteln, erfordert allerdings von den männlichen Fachkräften in der Jugend- und Bildungsarbeit, sich selbstreflexiv einzubringen und sich gemeinsam mit den Jungen
auf eine Identität hin zu bewegen, die Männlichkeit neu definiert und sich von Sexismus und Gewalt distanziert (vgl. Schenk 1992, Zieske 1994, Karl 1994). Ohne
eigenes radikales Abrücken von traditioneller Männlichkeit und einem eigenen
starken Bedürfnis nach Veränderung der geschlechtshierarchischen und gewalthaften gesellschaftlichen Strukturen, kann ein Mann das erforderliche Vorbild, das
keinen Macht- und Führungsanspruch stellt, nicht sein. Er würde immer wieder auf
das alte Muster zurückgreifen, seine Machtposition gegenüber den Jüngeren und
weniger Erfahrenen zur eigenen Selbstbestätigung zu missbrauchen. Wer sich der
grundlegenden Kritik am patriarchalen Männlichkeitskonzept nicht stellen kann,
wird auch nicht bereit und in der Lage sein, die notwendigen Grenzziehungen bei
Jungen in sexistischem Verhalten gegenüber Mädchen und Frauen oder in aggressiv-destruktivem Ausdruck vorzunehmen, um eindeutige Orientierungsmaßstäbe zu
setzen. Sicher, Grenzsetzungen und vor allem solche, die z.B. sexistisches und
frauenfeindliches Verhalten deutlich machen und negativ sanktionieren sowie Respekt vor Frauen und Mädchen vermitteln wollen, stehen innerhalb der gegenwärtigen sexistischen Gesellschaftsstruktur in drastischem Widerspruch zu den Botschaften und Signalen, die Jungen aus anderen sie umgebenden Quellen beziehen.
Diese Tatsache erschwert natürlich nicht nur die Bemühung, sich mit einem anderen Männlichkeitsbild überhaupt Gehör zu verschaffen, sondern hiermit auch
Glaubwürdigkeit zu erlangen. Daher ist die gleichzeitige Vermittlung der Begründungszusammenhänge für das zunächst der geltenden Norm widersprechende Ver-
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halten, das Jungen im antisexistischen Diskurs abverlangt wird, unabdingbar. Dieses Vorgehen setzt aber wiederum Sicherheit und Klarheit auf seiten der (vor allem
männlichen) pädagogischen Fachkräfte voraus und unterwirft sie quasi einem permanenten Persönlichkeits- und Glaubwürdigkeitstest. Doch ist da kein Mitleid angesagt, sondern eher die dringende Forderung an Männer generell, sich diesen Prozessen als Erwachsene zu stellen und Verantwortung für eine nicht-sexistische
Jungensozialisation zu übernehmen.
Literatur
Aliti, Angelika: Mama ante portas. Wenn Frauen das Sagen haben, München 1997
Benard, Cheryl/Schlaffer, Edit: Mütter machen Männer. Wie Söhne erwachsen
werden. München 1994
Brandes, Holger: Ein schwacher Mann kriegt keine Frau. Männer unter sich. Therapeutische Männergruppen und Psychologie des Mannes. Münster 1992
Enders-Dragässer, Uta/Fuchs, Claudia: Interaktionen der Geschlechter. Weinheim
und München 1989
Enders-Dragässer, Uta: Dominanz und Kooperation. Interaktionsformen im Unterricht. In: Jugend und Geselllschaft 2,3/1991
Guggenbühl, Allan: Die unheimliche Faszination der Gewalt. Denkanstöße zum
Umgang mit Aggression und Brutalität unter Kindern. Zürich 1993
Heiliger, Anita: Jungenarbeit zwischen Antisexismus und Antifeminismus, in:
Frauenfragen 2/1992, Bern
Heiliger, Anita/Constance Engelfried: Sexuelle Gewalt. Männliche Sozialisation
und potentielle Täterschaft, Frankfurt/New York 1995
Heiliger, Anita/ Hanna Permien: Männliche Gewalt und Prävention, in: Diskurs
1/1995
Hoffmann, Jochen: Die Lüge vom coolen Jungen. Jugendpolitik 1/1994, S. 10 - 11
Johnen, Wilhelm: Die Angst des Mannes vor der starken Frau. Einsichten in Männerseelen. Frankfurt/Main 1994
Karl, Holger: Der ehrenhafte Abschied des Panzersoldaten. Grundlagen antisexistischer Jungenarbeit, in: Glücks, Elisabeth/Gerd Ottemeier-Glücks (Hg.): Geschlechtsbezogene Pädagogik, Münster 1994
Knauer, Sabine: Neue Jungen braucht das Land, in: Unterschiede 2/91
Lempert, Joachim/Oelemann, Burkhard: "Lieber gewalttätig als unmännlich...."
Der lange Irrweg auf der Suche nach Männlichkeit. Hamburg 1994
Menzel, Manfred: Jungen lieben anders - Sexualität von Jungen - Intentionen von
Pädagoginnen und Pädagogen, in: frankfurter zeitung für kinder- und jugendarbeit
8/1994
Ottemeier-Glücks, Franz-Gerd: Über die Notwendigkeit einer antisexististischen
Arbeit mit Jungen, in: Deutsche Jugend 7 - 8/1987
Ottemeier-Glücks, Franz-Gerd: Antisexistische Jungenarbeit - Versuch einer Konzeptentwicklung, in: Außerschulische Bildung 4/1988
Permien, Hanna/Frank, Kerstin: Schöne Mädchen - starke Jungen? Gleichberechtigung - (k)ein
Thema in Tageseinrichtungen für Schulkinder. Erscheint 1995
Schenk, Michael: Emanzipatorische Jungenarbeit im Freizeitheim - zur offenen Jungenarbeit mit
Unterschichtjugendlichen. In: Was fehlt, sind Männer! Schwäbisch Gmünd und Tübingen 1991,
S. 99 - 124
Schenk, Michael: Jugend-Gewalt ist männlich. In: Deutsche Jugend 4/1993, S. 165 - 172
Schnack, Dieter/Neutzling Rainer: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek 1990
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Sielert, Uwe: Jungenarbeit. Weinheim und München 1989
Sielert, Uwe: Die Entdeckung der Männlichkeit als soziales Problem: Herausforderungen an die
Sozialpädagogik, in: Kind, Jugend und Gesellschaft 2/95
Winter, Reinhard: Identitätskrücken oder Jungenarbeit? Zur Begründung eigenständiger Ansätze
kritischer Jungenarbeit. In: Was fehlt, sind Männer! Schwäbisch Gmünd und Tübingen 1991, S.
173 -186
Winter, Reinhard: Sexualität als Lösung? Bewältigungsprobleme von Jungen und Männern und
Sexualität, in: Kind, Jugend und Gesellschaft 3/93
Zieske, Andreas: Patriarchatskritische Bildungsarbeit mit Männern und Jungen, in: HansJoachim Lenz (Hg.): Auf der Suche nach den Männern, Veröffentlichung der pädagogischen
Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes, Frankfurt a.M. 1994
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