„Einführung in die Geschichte der Neuzeit“
Grundkurs BA
Sitzung 8
1890–1918
I. Innenpolitik in der Massengesellschaft: Das Beispiel Deutsches
Reich 1890-1914
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Der anders als sein Großvater Wilhelm I. anfänglich auf
"Selbstregierung" drängende Wilhelm II. (Entlassung Bismarcks als
Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten 1890) symbolisiert
zentrale Widersprüche der Gesellschaft: Wirtschaftliche Dynamik und
Modernisierung bei weitgehender politischer Immobilität und
Konservatismus; Schwanken zwischen Minderwertigkeitskomplexen und
Überheblichkeit; Wunsch nach "Volkstümlichkeit" und Elitismus.
1890-1894 unter Reichskanzler Leo von Caprivi "Neuer Kurs", der nicht
die gewünschten Resultate bringt: Arbeiterschutzgesetze und Aufhebung
des Sozialistengesetzes führen nicht zu einer Annäherung der SPD an
das von Wilhelm angestrebte "Volkskaisertum"; Zollsenkungen
("Caprivitarif") bewirken nur die Formierung agrarischer
Massenopposition (Gründung von katholischen Bauernvereinen und des
konservativen Bund der Landwirte 1893).
1894-1900 Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Scheitern
der vom Kaiser gewünschten Neuauflage der Repression gegen die SPD am
Reichstag.
1900-1909 Reichskanzler Bernhard von Bülow: Vorübergehend
weitgehend erfolgreicher Versuch der "Sammlung" aller
antisozialistischen Parteien hinter moderater Sozialpolitik und begrenzten
Zollerhöhungen. 1906 jedoch Zerbrechen der "Sammlung" über
Finanzreform und Opposition des Zentrums gegen Kolonialpolitik
(Aufstand in Südwestafrika/Namibia). – Nach Reichstagsneuwahlen erste
feste Parteienkoalition im "Bülowblock" (1907-1909) aus Konservativen
und National- wie Linksliberalen, die an liberalen Forderungen nach
Steuern auf landwirtschaftlichen Besitz und Reform des preußischen
Dreiklassenwahlrechts scheitert, die die Konservativen ablehnen.
Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg (1909-1917): 1909-1912
"schwarzblauer Block" aus Konservativen und Zentrum, bis die SPD bei
den Reichstagswahlen 1912 stärkste Partei wird. Seitdem zunehmend
Mehrheiten im Reichstag gegen die bisher dominanten Konservativen
(Heeresvorlage 1913); angesichts der Abwehr einer Reform des
preußischen Wahlrechts können die Konservativen über das Veto
Preußens im Bundesrat jedoch einschneidende Reformen verhindern.
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II. Grundstrukturen europäischer Politik 1890-1914
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Nationalistische Agitationsverbände (in Deutschland: Alldeutsche seit
1891, Flottenverein, Kolonialverein) beeinflussen über die Parteien die
Politik der europäischen Regierungen.
Gegensätze durch koloniale Ambitionen aller Großmächte außer
Österreich-Ungarn provozieren Krisen (Marokkokrisen zwischen
Frankreich und Deutschland 1905/06 und 1911) und Kriege (Russischjapanischer Krieg 1904/05); aber auch gemeinsame Aktionen (Einigung
auf Einflusszonen und Politik der "Offenen Tür" in China, Bekämpfung
des dagegen gerichteten Boxeraufstandes 1898-1901).
Rüstungswettlauf der Großmächte, begonnen durch deutsche
Flottenrüstung seit 1898.
Schrittweise Selbstisolierung des Deutschen Reiches durch Entfremdung
von alten und potentiellen neuen Bündnispartnern: Kündigung des
Rückversicherungsvertrages mit Russland 1890 Æ RussischFranzösischer Zweibund 1894; Ablehnung britischer Bündnisangebote
gegen Aufgabe der Flottenrüstung in Annahme von freier Wahl zwischen
"russischem Bär" und "britischem Walfisch" ("Politik der freien Hand")
Æ britisch-französische "Entente Cordiale" ("Herzliches Einvernehmen")
1904 und britisch-russischer Ausgleich 1907. Als einziger zuverlässiger
Bündnispartner bleibt Österreich-Ungarn.
Balkan als "Pulverfass Europas": Konflikte der neuen Staaten Serbien,
Bulgarien, Rumänien, Montenegro und Griechenland mit dem
Osmanischen Reich und untereinander, unter Einbeziehung der
Großmächte (besonders Russland und Österreich-Ungarn), führen zu
Balkankrisen 1908 und 1912/13, und schließlich zum Ersten Weltkrieg.
III. Der Erste Weltkrieg 1914-1918
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Attentat eines serbischen Nationalisten auf den österreichischen
Thronfolger Ende Juni 1914 in Sarajewo löst die Julikrise aus:
Deutschland versichert Österreich-Ungarn seiner unbedingten
Bündnistreue und ermutigt es damit zur Provokation von Serbien und
dessen Schutzmacht Russland (Politik des "kalkulierten Risikos":
Entweder Prestigeerfolg durch Zurückweichen Russlands, oder Spaltung
der russisch-französisch-englischen Allianz wegen russischer Aggression,
oder Führung eines präventiven Zweifrontenkriegs, der von den
deutschen Militärs zu jedem späteren Zeitpunkt für weniger
aussichtsreich gehalten wurde). Als Ende Juli sich die letzte Alternative
abzeichnet, fördern die deutschen Militärs die Eskalation, während sich
Reichskanzler Bethmann Hollweg noch vergeblich um Verhandlungen
bemüht.
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1914/15:
o Westfront: August 1914 deutscher Einmarsch in neutrale Staaten
Belgien und Luxemburg (Æ Kriegseintritt Großbritanniens) und
schnelles Vordringen bis Paris, doch Rückzug nach alliierter
Gegenoffensive ab September; seit Ende 1914 Stellungskrieg.
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Ostfront: 1914 Russischer Einmarsch in Galizien und Ostpreußen,
dort zurückgeschlagen von Truppen unter Paul von Hindenburg und
Erich Ludendorff. 1915 führt deutsch-österreichische
Gegenoffensive zur Eroberung Russisch-Polens und Litauens.
o Balkan: 1915 Eroberung Serbiens und Montenegros durch die
Mittelmächte und das auf ihrer Seite in den Krieg eintretende
Bulgarien; Scheitern alliierter Landung in der sich auf die Seite der
Mittelmächte schlagenden Türkei (Gallipoli).
o Kriegseintritt Italiens auf alliierter Seite 1915, Stellungskrieg an
der italienisch-österreichischen Grenze.
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1916/17:
o 1916 Materialschlachten um Verdun und an der Somme (Westen),
Brussilow-Offensiven (Osten): Versuch der gegenseitigen
Abnutzung von Maschinen- und "Menschenmaterial". Außer der
Eroberung des auf alliierter Seite in den Krieg eintretenden
Rumäniens durch die Mittelmächte kaum Geländegewinne, aber
beiderseits hohe Verluste.
o Folgen:
- Wachsen der Überzeugung, dass ein Frieden Landgewinn und
Reparationen erbringen müsse, um die hohen Opfer zu
rechtfertigen. Die Verwirklichung solcher Forderungen war nur auf
der Grundlage eines Sieges denkbar.
Æ Scheitern der Friedensinitiativen von Seiten der USA, des
Papstes, Österreich-Ungarns und des deutschen Reichstages 1917.
Anspannung aller Kräfte: Einrichtung der Volkswirtschaften auf
einen "totalen Krieg"; als letztes kriegführendes Land führt
Großbritannien die allgemeine Wehrpflicht ein; Regierungen der
"nationalen Einheit" in England und Frankreich, QuasiMilitärdiktatur der Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und
Ludendorff in Deutschland.
o Innere Krisen: In Deutschland wegen Hungerunruhen
(Unterbrechung der Lebensmittelimporte durch englische Blockade)
und Streit um Kriegsziele Bröckeln der 1914 zwischen den Parteien
getroffenen Vereinbarung über das Ruhen innerer Streitigkeiten
während des Krieges ("Burgfrieden"); 1917 spaltet sich die gegen
Fortsetzung des Krieges eintretende Unabhängige
Sozialdemokratische Partei von der SPD ab. – In Österreich-Ungarn
Autonomieforderungen der nationalen Minderheiten. – In
Frankreich Meuterei von Heereseinheiten. – In Russland Februarund Oktoberrevolution Æ Waffenstillstand mit den Mittelmächten.
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1918:
o März: Die Mittelmächte diktieren Russland den Separatfrieden von
Brest-Litowsk.
o März-Juni: Deutsche Frühjahrsoffensive mit den im Osten
freigewordenen Truppen an der Westfront.
o Seit Juli: Gegenoffensive der Alliierten, verstärkt durch frische
amerikanische Truppen (Kriegseintritt der USA bereits im April
1917 wegen deutscher Eröffnung des unbeschränkten U-Boot-
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Krieges und deutscher Aufforderung an Mexiko zum Angriff auf die
USA im "Zimmermann-Telegramm"); Demoralisierung und
schrittweiser Zusammenbruch der deutschen Front.
o September/Oktober: Durchbrüche der Alliierten auch an den
Fronten in Kleinasien und Italien, alliierte Rückeroberung Serbiens
Æ die deutschen Verbündeten Bulgarien und Osmanisches Reich
schließen Waffenstillstand, Österreich-Ungarn beginnt sich
aufzulösen. Der Krieg ist für die Mittelmächte verloren.
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