Vorwort zur ersten Auflage

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Vorwort zur ersten Auflage
Schreibt man ein Buch über den weitgehend kanonisierten Stoff des physikalischen
Grundstudiums, so drängt sich die Frage des Warum auf. Was gibt es hier Neues zu
tun für einen Lehrer und Autor? Zum einen hat der gewaltige Erfahrungshorizont
der modernen Physik auch den Blick auf deren klassische Grundlagen geschärft,
um Wichtiges und Dauerhaftes vom Überlebten zu scheiden. Zum anderen ist
die inhaltliche Trennung von Grund- und Hauptstudium deutlicher geworden: Die
Themenbereiche der modernen Physik von Teilchen über Kerne, Atome, Moleküle
bis hin zur kondensierten Materie werden heute alle mit dem vollen Anspruch der
theoretischen Physik, insbesondere der Quantenmechanik gelehrt, richten sich also
an fortgeschrittene Studenten. Dieser Zäsur trägt dieses Buch Rechnung, indem es
die systematische Erarbeitung der Grundlagen der klassischen Physik – nach wie vor
ein unverzichtbares Wissensgut für jeden Naturwissenschaftler in Praxis und Lehre
– in den Vordergrund stellt, während der Appetit auf die moderne Physik durch
kritische Hinweise und gezielte Ausblicke geweckt wird. Das rechtfertigt seinen
Titel als Repetitorium für Vordiplom und Zwischenprüfung.
Der Text ist darauf angelegt, Strukturen physikalischen Verständnisses zu
bilden; die vielen kurzen, aber doch vollständigen Ableitungen sollen Sicherheit im
mathematischen Umgang mit der Physik vermitteln. Nur beides zusammen ergibt
produktives und belastbares Wissen. Anders ausgedrückt, die Fähigkeit, rationale
Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, scheint auch das Geheimnis für den Erfolg
zu sein, den Physiker in unserer schnell veränderlichen Welt heute in vielen neuen
Berufen finden.
Das Buch sucht die Nähe der Grundvorlesung und beschreibt auch deren
wichtigste Versuche, wobei die einfachen, einleuchtenden den Vorzug vor den
spektakulären genießen. Die vielen Abbildungen, die nach Möglichkeit jedes
angeschnittene Thema begleiten, sind als Gedächtnisstütze einfach gehalten.
Der Titel Repetitorium soll nicht dazu verführen, 800 Seiten wortwörtlich und
Gleichung für Gleichung zur Prüfung parat haben zu wollen. Vielmehr soll die
gründliche Auseinandersetzung mit dem Text in erster Linie ein geistiges Training
darstellen, bei dem genug Stoff hängen bleibt. Schließlich gibt die Zusammenfassung
der einzelnen Kapitel im beigelegten Kurzrepetitorium noch einmal einen Leitfaden
durch die wichtigsten Themen, Begriffe und Gesetze.
Dem Springer-Verlag verdanke ich viele interessante Anregungen zur Gestaltung
des Buchs. Meinen Sekretärinnen, Christine Best und Elvira Stuck-Kerth sei gedankt
VIII
Vorwort zur ersten Auflage
für die sorgfältige Erfassung des Textes während vieler Überstunden. Mein Dank gilt
auch vielen Studenten, die sich mit Einsatz und Freude beim Zeichnen der Bilder
und Erstellen der Formeln beteiligt haben.
Meiner Frau Nora danke ich, daß sie den Verlust an gemeinsamer Freizeit, der
die schlimmsten Erwartungen übertraf, mit Ermunterung erwidert hat.
Mainz, im Mai 1998
!
∗
Ernst W. Otten
Besondere Hervorhebungen im Text
Ausrufezeichen am Rande machen auf Besonderheiten und interessante Details
aufmerksam.
Im Fettdruck hervorgehobene Begriffe sind in der Regel in das Sachverzeichnis
aufgenommen.
Ein Stern bezeichnet ergänzende Themen oder Herleitungen, die nach Umfang oder
Anspruch den hier gesteckten Rahmen überschreiten.
Vorwort zur zweiten Auflage
Überraschend schnell kam die Bitte des Springer-Verlages, die 2. Auflage dieses
Buchs vorzubereiten. Das bot Gelegenheit, die vielen kleinen, versteckten Fehler,
die einer Erstauflage anhaften, und auch die wenigen Schnitzer auszubessern. Daß
dies möglich wurde, habe ich der systematischen und eifrigen Fehlersuche meiner
Hörer zu danken. Kapitel 21 und 23 über Magnetfelder sind neu gefaßt worden. Am
Anfang und im Mittelpunkt steht jetzt nicht mehr das sogenannte Magnetfeld H,
sondern die magnetische Kraftflußdichte B als das physikalisch wirksame Feld, mit
dem die magnetische Kraftwirkung und Induktion verknüpft sind. Diese Umstellung
ermöglicht einen konsequenteren Zugang zur magnetischen Wechselwirkung ähnlich
dem in der Elektrostatik, wo auch das elektrische Feld E und nicht die dielektrische
Verschiebung D im Mittelpunkt steht. Ansonsten ist noch an etlichen Stellen gefeilt
worden, ohne aber Struktur und Inhalt des Buches anzutasten.
Trotz des einschränkenden Titels Repetitorium“ hat sich das Buch außer
”
zur Prüfungsvorbereitung auch zur Begleitung der Anfängervorlesungen und des
physikalischen Praktikums bewährt dank hierauf abgestimmten Aufbaus und Stoffauswahl.
Dem Springer-Verlag danke ich wieder für die gute Zusammenarbeit.
Mainz, im Juli 2002
Ernst W. Otten
21. Stationäre Magnetfelder
INHALT
21.1 Grundtatsachen über Magnetfelder . . . . . . . . . . . .
21.2 Magnetische Kräfte und Kraftflußdichte,
Magnetfeld gestreckter Stromfäden . . . . . . . . . . .
21.3 Quellenfreiheit des B-Feldes, magnetisches H-Feld,
Ampèresches Durchflutungsgesetz . . . . . . . . . . . .
21.4 Biot-Savartsches Elementargesetz . . . . . . . . . . . .
21.5 Kräfte auf Ströme im Magnetfeld, Lorentz-Kraft . .
21.6 Relativistischer Charakter der Lorentz-Kraft . . . . .
. . . . . . . . . . . . 513
. . . . . . . . . . . . 516
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528
530
536
Magnetische Kräfte sind seit dem Altertum bekannt. Sie wurden an magnetischen Mineralien (Magnetit, Magneteisenstein, Eisenerz) entdeckt, die sich im
Magnetfeld der Erde zu Permanentmagneten ausgebildet haben. Ihre Natur und
Gesetzmäßigkeiten konnten erst im 19. Jahrhundert aufgeklärt werden, als ihr
Zusammenhang mit elektrischen Strömen entdeckt wurde. Wir wollen im folgenden
einige Grundtatsachen über Magnetfelder zusammenstellen.
21.1 Grundtatsachen über Magnetfelder
Wie im elektrischen Fall gibt es anziehende und abstoßende magnetische Kräfte.
Jedoch haben die Kraftfelder, die man im Außenraum von Permanentmagneten
mißt, grundsätzlich den Charakter eines Dipolfeldes. Sie scheinen von „magnetischen Ladungen“ an den Polenden des Magneten auszugehen wie beim elektrischen
Dipolfeld. Ein Pol eines Stabmagneten zieht von den beiden Polen eines zweiten
Magneten den einen an und stößt den anderen ab. Wie im elektrischen Fall sind wir
also zunächst geneigt, an den Polenden „magnetische Ladungen“ entgegengesetzten
Vorzeichens anzunehmen, die bei gleichnamiger Ladung Abstoßung und bei ungleichnamiger Anziehung bewirken (s. Abb. 21.1). Da auch die Erde ein riesiger, im
wesentlichen entlang der Erdachse ausgerichteter magnetischer Dipol ist, richtet sich
ein Stabmagnet im Magnetfeld der Erde aus (Prinzip des Kompasses). Denjenigen
Pol, der in die Nordrichtung zeigt, nennen wir den magnetischen Nordpol, den
gegenüberliegenden den magnetischen Südpol. Man hat diese Bezeichnungen
anstatt der Zuordnung von Plus- und Minus-Zeichen gewählt. Da also der Nordpol
eines Stabmagneten definitionsgemäß nach Norden zeigt, muß dort der magnetische
514
21. Stationäre Magnetfelder
(+), N
(–), S
(+), N
(–), S
(+), N
F
–F
(–), S
(–), S
(+), N
F
–F
Abb. 21.1. Anziehende (links) und abstoßende Kraftwirkung (rechts) zweier magnetischer Dipole, deren ungleichnamige
(links) bzw. gleichnamige Pole (rechts) sich
gegenüberstehen
Südpol der Erde liegen, der ihn anzieht. Er liegt bei etwa 79◦ nördlicher Breite und
70◦ westlicher Länge im hohen Norden Kanadas.
Die Vorstellung „magnetischer Ladungen“ als Ursache dieser Dipolfelder läßt
sich aber nicht halten; denn dann müßten sich diese Ladungen genau wie die
elektrischen auch trennen lassen, indem man z. B. den Stabmagneten aufschneidet
und in den beiden Stücken nur noch „magnetische Ladung“ eines Vorzeichens
übrig behielte. Das ist aber nicht so! An den Schnittstellen treten wiederum
entgegengesetzte magnetische Pole auf, so daß jedes Teilstück für sich wieder ein
kompletter magnetischer Dipol ist (s. Abb. 21.2b).
Mehr Einblick in die Situation gewann man erst mit Hans Christian Ørsteds
bahnbrechender Entdeckung (1820), daß auch elektrische Ströme Magnetnadeln
ablenken. Messen wir auf diese Weise z. B. das Magnetfeld einer stromdurchflossenen Spule aus (s. Abb. 21.2c). Außerhalb der Spule zeigt es den gleichen
Dipolcharakter wie ein Stabmagnet. Man führt eine Kompaßnadel entlang der
magnetischen Kraftlinien von einem zum anderen Pol, wobei sie sich, immer der
Richtung der Kraft folgend, um 360◦ dreht. Das würde auch ein elektrischer Dipol
im Feld eines anderen elektrischen Dipols tun. Taucht man nun die Magnetnadel
in die Spule ein, so behält sie währenddessen ihre Richtung bei. Ihr Nordpol zeigt
also jetzt in Richtung auf den Nordpol der Spule, ebenso ihr Südpol in Richtung des
Spulen-Südpols (s. Abb. 21.2). Wären nun die Pole von „magnetischen Ladungen“
verursacht, so müßte die Magnetnadel im Innern der Spule umschlagen, damit
sich wieder ungleichnamige Ladungen gegenüberstünden, wie im Fall elektrischer
Dipole.
Wir kommen also zu dem Schluß, daß magnetische Kraftlinien nicht in irgendwelchen positiven „magnetischen Ladungen“ entspringen und in negativen münden,
sondern daß sie den Strom in geschlossenen Linien umfangen.
Wir werden dieses „Umfangen“ in der einfacheren Geometrie eines gestreckten
stromführenden Drahtes noch deutlicher erkennen, wobei auch die Unterscheidung
zwischen Nord- und Südpol ihren Sinn verliert. Die Ausbildung von Polen ist nur
eine Folge der speziellen Geometrie der Spule, wo die magnetischen Kraftlinien mehr
oder weniger gebündelt an den beiden Enden ein- und austreten. Ob wir nun von
magnetischen Polen sprechen oder nicht, in jedem Fall müssen wir einen Umlaufsinn
der geschlossenen Kraftlinien eines Spulenfeldes definieren. Und zwar sollen die
21.1 Grundtatsachen über Magnetfelder
N
(a)
(b)
515
N
S
(1)
S
N
N
S
S
N
(c)
+
S
N
I
(d)
(1)
S
S
–
Abb. 21.2. Verschiedene Dipolfelder (a) eines Stabmagneten, ausgemessen mit einer Kompaßnadel (1), (b) eines durchschnittenen Stabmagneten, (c) einer stromdurchflossenen Spule, (d)
eines elektrischen Dipols zum Vergleich. Das magnetische Feldlinienbild kann man mittels
Eisenfeilspänen sichtbar machen, die sich, aufgestreut auf eine glatte Unterlage, entlang
der Feldlinien ausrichten und zu Strängen zusammenschließen. Man erkennt dabei auch
insbesondere, wie sie geschlossene Ringe bilden, die die Spulenwindungen einschließen
Kraftlinien am Nordpol der Spule, also dem Ende, das sich in die Nordrichtung dreht,
austreten und am Südpol wieder eintreten. Wir beobachten, daß mit der Umpolung
des Stroms sich auch die Richtung seines Magnetfelds umpolt. Für eine Spule gilt
folgende Rechte-Hand-Regel:
Umfassen wir die Spule mit der rechten Hand in der Weise, daß die Fingerspitzen
in Stromrichtung zeigen, so weist der ausgestreckte Daumen in Richtung des
Nordpols der Spule, ist also parallel zum Feld im Innern der Spule (s. Abb. 21.2c).
Wie verlaufen nun die magnetischen Kraftlinien im Innern eines Stabmagneten?
Das können wir mit der Kompaßnadel natürlich nicht nachprüfen. Dennoch paßt das
Bild geschlossener Kraftlinien auch in diesem Falle zu der Beobachtung, daß beim
Durchtrennen des Stabmagneten an den Schnittflächen sich je ein neuer Nordpol und
Südpol ausbildet, und zwar in dem Sinne, der dem Bild geschlossener Feldlinien
entspricht (s. Abb. 21.2).
Das Magnetfeld eines Stabmagneten ist also dem einer Spule absolut ähnlich;
es ist räumlich so verteilt, als würde entlang der Mantelfläche des Magneten ein
Ringstrom fließen. Es hat sich in der Tat gezeigt, daß Magnetfelder prinzipiell
516
21. Stationäre Magnetfelder
von Strömen verursacht werden, auch die der Permanentmagnete, die auf
Kreisströme in den einzelnen Atomen bzw. auf magetische Dipolmomente der
Elementarteilchen selbst, vor allem der Elektronen, zurückgeführt werden.
Molekulare Kreisströme als Ursache des permanenten Magnetismus und der
Magnetisierung von Stoffen wurde von André Marie Ampère schon kurze Zeit nach
Ørsteds Entdeckung der magnetischen Wirkung von elektrischen Strömen postuliert.
Genaueres über das Verhalten von Magnetfeldern im Innern magnetischer Materialien und an deren Grenzflächen zum Vakuum werden wir in Kap. 23 erfahren. Wir
wollen uns in diesem Kapitel im wesentlichen mit Magnetfeldern im Vakuum (bzw. in
Luft, was praktisch auf das gleiche hinausläuft) befassen. Insbesondere interessieren
uns hier die Magnetfelder, die von stromdurchflossenen Leitern ausgehen sowie die
Kraftwirkungen, die diese Felder wiederum auf stromdurchflossene Leiter ausüben.
Zum Abschluß dieser Einführung sei gesagt, daß die Physik keinen zwingenden
Grund kennt, der die Existenz „magnetischer Ladungen“ ausschließen könnte.
Deswegen geht die Suche nach solchen Ladungen, die man magnetische Monopole
nennt, weiter. Ähnlich wie die elektrische Ladung müßte die magnetische dann eine
Eigenschaft bestimmter Elementarteilchen sein, deren Suche aber bisher wie gesagt
ergebnislos verlief.
21.2 Magnetische Kräfte und Kraftflußdichte,
Magnetfeld gestreckter Stromfäden
Wir müssen uns in diesem Abschnitt um Meßvorschriften für Magnetfelder bemühen,
aus denen wir auch Definitionsgleichungen für die magnetischen Feldgrößen
gewinnen können. Das kann nur anhand von geprüften Gesetzmäßigkeiten für
Magnetfelder geschehen, die wir zunächst auffinden müssen.
Da wir über den Aufbau von Permanentmagneten noch nichts Rechtes wissen,
müssen wir uns bei dieser Aufgabe in erster Linie auf die magnetischen Wirkungen von Strömen konzentrieren, auf die Kräfte, die sie ausüben und auf die
räumliche Verteilung und Symmetrie ihres Kraftfeldes. Wir hatten schon qualitativ
erfahren, daß stromdurchflossene Spulen magnetische Kräfte und Drehmomente auf
Kompaßnadeln etc. ausüben. Nach dem Prinzip von actio = reactio müssen diese auch
umgekehrt an der Spule angreifen, Hätten wir also 2 stromdurchflossene Spulen, so
müßte das Magnetfeld der einen Kräfte auf die andere ausüben und umgekehrt,
genau so wie wir das bei der Schwerkraft und der Coulombkraft (19.8) erfahren
haben. Aus gutem Grund hatten wir diese beiden Kraftgesetze an kugelsymmetrichen
Massen- bzw. Ladungsverteilungen geprüft, weil es nämlich Zentralkräfte der Form
F(r) = f (r )r̂ sind. Magnetfelder haben aber eine ganz andere Symmetrie, und wir
sollten unsere Leitergeometrie darauf abstimmen, um zu einem möglichst einfachen
Kraftgesetz zu kommen. Auch hier haben wir Glück. Die einfachste Leitergeometrie
ist offensichtlich die eines langen, gestreckten Drahts mit Zylindersymmetrie. Prüfen
wir also die Kräfte zwischen zwei parallelen, langgestreckten, stromdurchflossenen
Leitern.
21.2 Magnetische Kräfte und Kraftflußdichte, Magnetfeld gestreckter Stromfäden
V E R S U C H 21.1
Kraft zwischen stromdurchflossenen Leitern. Wir positionieren 2 längere feste Drähte der
Länge L horizontal und parallel zueinander im Abstand r0 von einigen cm, den einen fest
verankert als „Teppichstange“, den andern als Schaukel mit Pendellänge l (s. Abb. 21.3).
Über die Pfosten bzw. die Aufhängung führen wir ihnen die Ströme I1 , I2 zu. In dieser
speziellen Geometrie minimieren wir den störenden Einfluß der Ströme in den Zuleitungen.
Bei parallelen Strömen beobachten wir eine Anziehung, bei antiparallelen eine Abstoßung. Im
Gleichgewichtsabstand r wird die magnetische Kraft F durch die Rückstellkraft des Pendels
Fp ≈ −Mgϕ ≈ −Mg(r − r0 )/l
kompensiert. Dabei haben wir die Näherung des mathematischen Pendels für kleine Ausschläge benutzt (s. Abschn. 11.2). Durch Variation der Ströme und Messung der Ausschläge
bzw. der Kräfte stellen wir folgenden funktionalen Zusammenhang zwischen der magnetischen
Kraft F und den Strömen I1 , I2 fest:
F ∝ I1 I2 L/r .
(21.1)
Sie ist proportional zum Produkt der Ströme und der Länge der Leiter und umgekehrt
proportional zu ihrem Abstand (Die Abhängigkeit von L bleibt hier ungeprüft).
l
φ
r0
r
I1
I2
L
F
B
Abb. 21.3. Zwei parallele, stromdurchflossene Leiter der Länge L, der linke als
„Teppichstange“, der rechte als „Schaukel“
aufgebaut zwecks Messung der magnetischen Kraft F zwischen beiden
Der vorstehende Versuch hat uns das fundamentale Wechselwirkungsgesetz
zwischen Strömen (oder bewegten Ladungen, wenn man so will) aufgezeigt. Formal
ist es dem Coulombgesetz (19.8) recht ähnlich. Statt des Produkts der Ladungen tritt
hier das der Ströme ein; auch ein reziprokes Abstandsgesetz finden wir wieder,
allerdings bei diesen ausgedehnten Strukturen nur in 1. statt 2. Potenz. Wegen
seines fundamentalen Charakters wurde an dieses Kraftgesetz auch die Definition
der Einheit des elektrischen Stromes, des Ampère, geknüpft (s. Abschn. 19.1). Zu
diesem Zweck hat man den noch offenen Proportionalitätsfaktor in (21.1) im SISystem auf 2 · 10−7 N/A2 festgesetzt, was man aus formalen Rücksichten als µ0 /2π
517
518
21. Stationäre Magnetfelder
schreibt mit der magnetischen Feldkonstanten
µ0 = 4π · 10−7 N/A2 = 1,256... · 10−7 N/A2 .
(21.2)
Damit gewinnt das magnetische Kraftgesetz zwischen Strömen I1 , I2 durch
zwei gestreckte, parallele Leiter der Länge L im Abstand r die Form
F = µ0 I1 I2 L/(2πr ) .
(21.3)
Die Kraft ist anziehend für parallele und abstoßend für entgegengesetzte Ströme.
Strenge Gültigkeit gewinnt (21.3) erst im Limes eines sehr dünnen Stromfadens
(r/L → 0, r L /r → 0) (r L = Leiterradius). Außerdem ist eine Vakuumumgebung
vorausgesetzt. Innerhalb eines Mediums wird die magnetische Kraft noch um einen
materialspezifischen Faktor µ, die sogenannte Permeabilität modifiziert. Analog
zum elektrischen Fall resultiert er aus einer magnetischen Polarisierbarkeit des
Mediums. Für die meisten Materialien und auch für Luft liegt er sehr nahe bei 1;
näheres hierzu in Kap. 23.
Genau wie im Fall der Coulombkraft ist es nun formal möglich und physikalisch
sinnvoll, die magnetische Kraft (21.3) aufzuspalten in ein Kraftfeld B(r), das von
dem einen Strom ausgeht, z. B. I1 , und am Ort des andern I2 , entlang der Leiterlänge
L und proportional zu I2 angreift.
Wir definieren also die magnetische Kraftflußdichte in der Umgebung eines
entlang der Länge L 1 gestreckten kreisrunden, den Strom I1 führenden Leiters als
I1
B1 (r) = µµ0
(21.4)
(L̂1 × r̂) .
2πr
Darin ist r der senkrechte Abstand vom Leiter; L̂1 zeigt in Richtung von I1 .
Die SI-Einheit der magnetischen Kraftflußdichte B ist das Tesla
[B] = T = N/Am = Vs/m2
(21.5)
Sie folgt aus (21.4). Um (21.3) nach Betrag und Richtung zu erfüllen, muß
die Kraft auf ein zweites Leiterstück L 2 mit dem Strom I2 notwendigerweise der
Gleichung
F2 = −F1 = I2 (L2 × B1 )
(21.6)
genügen, damit die Kraft wie verlangt auf der senkrechten Verbindungslinie zwischen
den Strömen liegt. Natürlich gestattet das Wechselwirkungsprinzip die Indices in
(21.4) und (21.6) zu vertauschen, das Feld also I2 statt I1 zuzuschreiben. In (21.4) und
(21.6) sind wir zwei Schritte weiter gegangen, als unser bisheriges Versuchsergebnis
(21.1) bzw. (21.3) hergibt. Zum einen haben wir in (21.4) der Allgemeinheit wegen
die schon erwähnte Permeabilität µ des umgebenden Mediums aufgenommen, um
die sich die resultierende Kraftwirkung ändert. Zum andern haben wir in (21.4) ein
Kreuzprodukt eingeführt, das die Richtung von BF2 relativ zum Strom bestimmt.
Daraus folgt dann das Kreuzprodukt in (21.6) zur Festlegung der Kraftrichtung.
21.2 Magnetische Kräfte und Kraftflußdichte, Magnetfeld gestreckter Stromfäden
Zur Messung der Feldrichtung ist die Kompaßnadel gut geeignet. Aber auch den
Feldbetrag kann man damit bestimmen, wenn man das Drehmoment mißt, das B
auf sie ausübt. Sei das Magnetfeld relativ homogen, d. h. seine Änderung klein über
die Länge der Nadel, so verschwindet wie im elektrischen Fall laut (19.104) die
resultierende Kraft auf den Dipol. Es bleibt ein
richtungsabhängiges Drehmoment, das analog zum elektrischen Fall als Vektorprodukt zwischen magnetischem Dipolmoment m und B-Feld auftritt (vgl.
(19.61))
N = (m × B) .
(21.7)
Der Vektor m ist vom Südpol zum Nordpol gerichtet (s. Abb. 21.4). Es treibt m
in die Parallele zu B. In dieser Lage wird das Minimum der Orientierungsenergie
erreicht (vgl. (19.62))
E p = −(m · B) .
(21.8)
B
α
S
N
m
Abb. 21.4. Im homogenen Magnetfeld B
ist das Drehmoment auf ein magnetisches
Dipolmoment m proportional zum Sinus
des eingeschlossenen Winkels α
Jetzt sind wir gerüstet, um das Magnetfeld in der Umgebung eines stromdurchflossenen Drahtes auszumessen.
V E R S U C H 21.2
Magnetfeld eines stromdurchflossenen Drahtes. Wir bringen eine Kompaßnadel in die
Umgebung eines langen, gestreckten Drahtes, der von einem kräftigen Strom I durchflossen
wird. Sie stellt sich immer in die Richtung senkrecht zur Stromrichtung und senkrecht zum
Abstand r vom Leiter ein. Führen wir sie also auf einem Kreis um den Leiter, so folgt sie
der Kreislinie. Wir schließen daraus, daß die magnetischen Feldlinien Kreise um den Leiter
bilden (s. Abb. 21.5a). (Bei diesem Versuch zeigte der Leiter und ebenso die Drehachse der
Kompaßnadel in Richtung des Erdmagnetfelds BE , um dessen Einfluß auf die Stellung der
Nadel auszuschalten.) Bezüglich der Richtung des Feldes stellen wir fest, daß es wieder einer
Rechte-Hand-Regel genügt:
Umschließen wir den Leiter mit der rechten Hand und zeige der Daumen in Stromrichtung,
so weisen die gekrümmten Finger in Richtung von B.
Im zweiten Versuchsteil messen wir die Stärke des vom Leiter erzeugten B-Feldes
als Funktion von Abstand und Stromstärke. Dazu richten wir über die Spannung einer
Torsionsfeder die Nadelspitze zum Draht hin aus, also m ⊥ B, und messen über einen
Drehspiegel am anderen Ende der Torsionsfeder den Torsionswinkel ϕ als Funktion von
Stromstärke I und Abstand r vom Draht (s. Abb. 21.5b). Dann gilt für die Drehmomente
Dϕ ϕ = |(m × B)| = m B .
519
520
21. Stationäre Magnetfelder
(b)
(a)
Kompaß
Drehspiegel
B
B-Linien
I
r
Kompaßachse
I
φ
r
Lichtzeiger
2φ
BE
z
0
z
x
y
x
x
y
Abb. 21.5. Ausmessen der kreisförmigen Magnetfeldlinien B um einen gestreckten Leiter
mit dem Kompaß. (a) Erdfeld BE parallel zum Leiter in x-Richtung; Kompaß dreht sich in
der y, z-Ebene frei in die Richtung der vom Strom verursachten B-Linien. (b) Messung des
Drehmoments auf die Nadel durch Auslenkung einer Torsionsfeder um den Winkel ϕ
In zwei Meßreihen stellen wir fest:
•
•
das B-Feld wächst proportional zur Stromstärke
das B-Feld nimmt umgekehrt proportional zum Abstand vom Leiter ab.
Das Ergebnis unseres Versuchs lautet:
• das Magnetfeld in der Umgebung eines gestreckten, zylindrischen Leiters bildet
geschlossene, kreisförmige Feldlinien um den Leiter.
• das Produkt aus magnetischer Kraftflußdichte und Abstand vom Leiter ist
proportional zur Stromstärke.
Br ∝ I .
(21.9)
Das erste Ergebnis bestätigt die im Kreuzprodukt von (21.4) festgelegte Richtung
von B, das zweite die Erfahrung aus Versuch 21.1, daß die magnetische Kraftwirkung
proportional zum Strom und zum reziproken Abstand ist.
Zum Abschluß dieses Abschnitts wollen wir noch typische Größenordnungen von
B-Feldern und ihren Kräften erwähnen. Das Magnetfeld der Erde erreicht an seinen
Polen, an denen es vertikal steht, eine Kraftflußdichte von 62 µT, am magnetischen
Äquator, wo es horizontal steht, etwa halb soviel, so als ob es einem punktförmigen
Dipol im Erdmittelpunkt entspringen würde. Zwischen den ferromagnetischen
Polschuhen (meistens aus Eisen) eines Elektromagneten (s. Abschn. 23.4) erreicht
man Feldstärken von ca. 2 T, mit eisenfreien, supraleitenden Spulen ca. 10 T. Trotz
der Kleinheit von µ0 treten dabei ungeheure Anziehungskräfte auf. Nehmen wir als
Beispiel ein Ringspulenpaar mit einem Meter Radius und einem Meter Abstand
voneinander, so erfordert ein Feld von 10 T einen Strom von ca. 107 A durch
21.3 Quellenfreiheit des B-Feldes, magnetisches H-Feld, Ampèresches Durchflutungsgesetz
521
die Spulenkörper. Daraus schätzt man mit (21.3) eine Anziehungskraft von der
Größenordnung von 108 N entsprechend einer Gewichtskraft von 10000 Tonnen ab.
Diese gewaltigen magnetischen Kräfte bergen auch eine große potentielle Energie;
wir kommen darauf in Abschn. 23.6 zurück. An der Oberfläche von Neutronensternen
werden B-Felder von der Größenordnung 109 T erreicht!
21.3 Quellenfreiheit des B-Feldes, magnetisches H-Feld,
Ampèresches Durchflutungsgesetz
Wir haben mit den bisherigen Beobachtungen wichtige Erfahrungen über das Magnetfeld gewonnen, die seine räumliche Verteilung und Symmetrie charakterisieren.
Sie lassen sich in zwei mathematischen Sätzen formulieren, die Maxwell dann
später in sein knappes, aber vollständiges Gleichungssystem der Elektrodynamik
aufgenommen hat (s. Kap. 26). Zum einen geht es um die Beobachtung, daß das
magnetische Kraftfeld von Strömen geschlossene Kraftlinien bildet. Bei gestreckten
Leitern sind es Kreise. Aber auch in anderen Geometrien umfaßt das B-Feld die
Ströme auf geschlossenen Kraftlinien; man vergleiche z. B. das Feld einer Spule in
Abb. 21.2.
Greifen wir aus einem solchen Kraftfeld ein beliebiges Volumen heraus und
bilden den magnetischen Kraftfluß durch die geschlossene Oberfläche dieses
Volumens, so muß er in summa verschwinden
(B · dA) = 0 .
(21.10)
Oberfläche
Denn das Integral (21.10) bildet ja nichts weiter als die Differenz zwischen
austretenden und eintretenden Kraftflußlinien (vgl. Abschn. 10.1 und Abb. 10.5).
Da nun alle Linien geschlossen sind, treffen sie die Oberfläche entweder überhaupt
nicht, d. h. sind ein- oder ausgeschlossen, oder aber sie treten aus und müssen dann
notwendigerweise auch wieder eintreten. Ein resultierender Fluß käme nur zustande,
wenn in dem Volumen echte magnetische Quellen in Form magnetischer Ladungen
eingeschlossen wären in Analogie zum elektrischen Fall (19.27). Solche Ladungen
existieren aber nach unserer bisherigen Erfahrung nicht. Das magnetische Feld ist
quellenfrei. Die Quelldichte eines Vektorfeldes hatten wir in Abschn. 10.1 durch
seine Divergenz dargestellt in Form der Kontinuitätsgleichung (10.10) bzw. (10.11).
Für das quellenfreie B-Feld gilt demnach
divB ≡ 0 .
(21.11)
Nach dem Gaußschen Satz (10.13) sind die integrale Aussage von (21.10) und
die differentielle von (21.11) äquivalent. Es gilt also
(B · dA ) =
divB dτ = 0 .
(21.12)
A
V
522
21. Stationäre Magnetfelder
Die Quellenfreiheit von B, ausgedrückt in der differentiellen Form (21.11) oder
der integralen (21.12), ist der Inhalt der 2. Maxwellschen Gleichung (vgl. (26.5)).
Zum andern wollen wir noch das Versuchsergebnis (21.9) weiter ausbeuten. Das
Produkt aus der umgebenden Kraftflußdichte und dem Abstand vom gestreckten
Leiter kann man durch das Wegintegral von B über eine geschlossene Kreislinie im
Abstand r vom Leiter ausdrücken. Es läßt sich leicht ausführen, da das Feld parallel
zum Weg und auf dem ganzen Umfang konstant ist. Mit (21.4) gilt dann
1
1 µµ0 I
(B · ds) =
ds = I .
(21.13)
µµ0
µµ0 2πr
Einem Vektorfeld mit genau der gleichen räumlichen Verteilung sind wir in der
Strömungslehre (Abschn. 10.5) begegnet, nämlich der Strömungsgeschwindigkeit in
der Umgebung eines Wirbelkerns. Dort hatten wir gezeigt, daß das Ringintegral über
die Strömungsgeschwindigkeit, die Zirkulation, sogar unabhängig von der Wahl
des speziellen Weges ist, wenn er nur den Kern voll umschließt. Das Gleiche muß
auch hier gelten. Wir sind hier offensichtlich einem fundamentalen Zusammenhang
zwischen Strom und Magnetfeld auf die Spur gekommen, den wir im folgenden noch
vertiefen und verallgemeinern wollen.
Zur Vereinfachung von (21.13) wollen wir zunächst rein formal ein weiteres Feld,
das magnetische H-Feld einführen mit der Definition
1
H(r) =
B(r) .
µ(r )µ0
Damit gewinnt (21.12) die einfachere Form
(H · ds) = I.
(21.14)
(21.15)
Es trägt den Namen Ampèresches Durchflutungsgesetz und ist Bestandteil der
3. Maxwellschen Gleichung (vgl. (26.6)).
Durch die Einführung von H oder, genauer gesagt, von 1/µ in das Ringintegral
über B haben wir den Einfluß des Mediums auf dessen Wert eliminiert, der jetzt
immer wie in Vakuumumgebung den umfangenen freien Strom I angibt. „Frei“
soll bedeuten, daß die gebundenen Molekularströme, die für die magnetische
Polarisation des Mediums verantwortlich sind, nicht mitgezählt werden. Daß B
und H sich außerdem noch um den Dimensionsfaktor µ0 unterscheiden, ist eine
Eigentümlichkeit des SI-Systems und physikalisch bedeutungslos, reduziert aber
(21.15) auf die kürzest mögliche Form. Das H-Feld spielt also im magnetischen Fall
die gleiche Rolle wie das D-Feld im elektrischen: Indem die tatsächliche Änderung
der magnetischen bzw. elektrischen Kräfte durch das Medium hinausdividiert wird,
reduziert sich das geschlossene Wegintegral über H auf den umfangenen freien Strom
I , bzw. das geschlossene Oberflächenintegral über D auf die eingeschlossene freie
Ladung Q (s. (19.73)). Man kann auch ohne diese beiden Hilfsfelder auskommen
und arbeitet dann im magnetischen Fall ausschließlich mit (21.13) statt (21.15).
Das genügt auch im Prinzip. Die neuere angelsächsische Literatur verzichtet daher
http://www.springer.com/978-3-540-43555-6
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