Grosse Transformation

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(Grosse) Transformation(en):
Eine Begriffsannäherung in 10 Schritten
1. Der Transformationsbegriff wird in den
unterschiedlichsten sozialen Kontexten verwendet –
entsprechend vielfältig sind die Definitionsversuche
In technischen Systemen versteht sich Transformation als die Umwandlung
oder Umformung in etwas ganz anderes. Zum Beispiel verwandelt ein
Transformator Wechselstrom in Gleichstrom. Dieses ‘in-etwas-anderes’ gilt
grundsätzlich auch für soziale Systeme, nur geht es hier auch um die
Gestaltungsräume des Veränderungsprozesses selber. Kein soziales System
verändert sich bekanntlich von heute auf morgen.
Das Überführen (Transformieren) eines sozialen Systems ‘in-etwas-ganzanderes’ wird in fast allen Disziplinen thematisiert, von den Psychologinnen,
Pädagogen oder Historikerinnen genauso wie von Ökonominnen oder
Theologen. Nicht immer ist allerdings ganz klar, ob es um den Prozess selber
geht (der Weg als Ziel) oder um das Resultat dieses Prozesses (das
transformierte Andere als Ziel). Das wird zum Beispiel in der Diskussion über
die «grosse Transformation» sichtbar. Für die einen steht ein post-fossiles
Produktionssystem im Zielfokus, andere verstehen darunter die
gesellschaftliche Transformation in eine nachhaltige (und gerechte) Welt. In
beiden Fällen wird Nachhaltigkeit angestrebt, im ersten geht es allerdings
primär um eine technische Systemveränderung, im zweiten auch um soziale
Aspekte, welche verändernde Produktions- und Reproduktionsbedingungen
erklären und bedingen.
Diese Unterscheidung mag semantisch erscheinen. Doch ist sie entscheidend
für das Verständnis von transformativen Prozessen. Angesichts der
inflationären Verwendung des Begriffs des ‘Transformativen’ sind zwei
Fragen zu klären: Erstens, welches implizite oder explizite Zweck- und
Zielverständnis steckt in der Begriffsanwendung? Zweitens, nach welchen
Kriterien soll der transformative Wandel von anderen Formen des Wandels
(change) abgegrenzt werden, generell und im konkreten Fall der Anwendung.
2. Im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen
(Transformationen) geht es letztlich um drei Diskursebenen
Was bedeutet der Begriff des ‘Transformativen’ in der politischen und
praktischen Arbeit? Wie entsteht transformative Praxis? Wann ist sie wichtig?
In welchen unserer Diskurse stellen sich überhaupt solche Fragen? Wo ist das
‘Transformative’ ein Thema und weshalb?
Vorerst, aus historischer Perspektive waren es immer Krisen, klimatische
Veränderungen oder soziale Umbrüche, welche zu grossen Transformationen
von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen geführt haben. Sowohl die
neolithische Revolution (Aufkommen der Landwirtschaft) als auch die
industrielle Revolution mit der «Komodifizierung von Land, Arbeit und Geld»
(Klaus Polanyi) werden so erklärt. Und heute zwingen uns die globalen
Dauerkrisen zu einer weiteren grossen Transformation, einer, die aus der
globalen Sackgasse der Un-Nachhaltigkeit führen soll.
Es gibt aber auch Transformationsprozesse, die regionalen oder lokalen
Charakter haben. Dazu gehören in der neueren Geschichte der Fall der Berliner
Mauer oder der arabische Frühling. Ihnen gemeinsam ist eine längere
leidensvolle Vorgeschichte und die Tatsache, dass diese Veränderungen nicht
geradlinig und zielorientiert verlaufen sind. Keine PrognostikerIn und kein
Horoskop hat voraussagen können, was am 14. Januar 2011 in Tunesien und
am 9. November 1989 in Berlin Transformatives geschehen wird.
Gesellschaftliche Transformationen müssen also nicht immer gross sein im
Sinne von global und allumfassend. Genauso interessieren die kleinen (lokalen)
Transformationen, zumal die grossen auf vielen kleinen bauen. Unabhängig
von ihrer Dimension gilt aber, dass sie nicht von A nach B planbar sind und
letztlich nur gestaltet werden können. Um sich aber auf den transformativen
Gestaltungsweg begeben zu können, braucht es Transformationswissen und
eine transformative Praxis. Der gestaltende Prozess (wie?) ist genauso wichtig
wie die visionäre Richtung (wohin und wohin nicht?); der Gestaltungsweg
ergibt sich aus beidem.
3. Change ist nicht gleich Change – Transformativer Wandel
heisst ‘whole of system change’ über einen kaum
festzulegenden Weg- und Zeithorizont
Wandel (change) taucht heute in fast allen Strategiepapieren von sozialen
Bewegungen und Organisationen auf. Und sie arbeiten mit
Arbeitsinstrumenten wie die ‘theory of change’. Da fragt sich natürlich, was
dieser Globalbegriff change im Kontext ihrer jeweiligen Arbeit nun heisst .
Auf eine allgemeingültige Klassifizierung können wir nicht zurückgreifen, zu
unterschiedlich sind Kontext und Form von (sozialen) Veränderungen. Aber
es gibt Ansätze, die helfen, der Natur des angestrebten Wandels auf die Spur
zu kommen. Eine solche ist die Darstellung von Daszko und Scheinberg, die
Veränderungen entlang von Fragen klassifizieren, wie zum Beispiel: Was ist
der auslösende Moment, die Motivation des Wandels? Welches ist der
Zielhorizont? Oder: welche Prozesse werden ausgelöst?
Trotz der Fülle von Klassifizierungsansätzen gibt es in einem Punkt so etwas
wie einen Grundkonsens: Transformative Prozesse, ob kleine oder grosse,
verändern die Verhältnisse grundlegend (whole-system-change). Weil sie
zudem kaum linear in eine Zielrichtung verlaufen und ihre Zeit brauchen,
wird von den Akteuren ein langer Atem verlangt und die Bereitschaft, einen
iterativen Weg des Ausprobierens und Lernens zu beschreiten.
Jeder Versuch einer Klassifizierung des Wandels ist selbstredend nur ein
Hilfsmittel, um sich über die Art oder die Tiefe der potentiellen Wirkung
einer angestrebten Veränderung bewusst zu werden. Diese Versuche müssen
erst noch in die Realität und den Kontext der Praxis übersetzt werden.
Zwischen dem Ideal und dem Machbaren kann oft eine mittelgrosse Lücke
klaffen. Was gleichzeitig heisst, dass auch das Ziel eines nichttransformativen Wandels durchaus seine Berechtigung haben kann. Wichtig
ist dabei nur, das transformative Potential einer Initiative zu kennen, nur so
kann entschieden werden, ob es ausgeschöpft werden kann und soll.
4. Das Zeitalter des Anthropozän ist Realität und Weckruf
zugleich
Gesellschaftliche Transformation kann als Gestaltungsweg einer Gesellschaft
oder Gemeinschaft von einer Situation der Not oder Krise in eine bessere
zukunftsfähigere Welt verstanden werden. Auch die umgekehrte
Wirkungsrichtung ist möglich, sprich eine negative Transformation in eine
nicht-zukunftsfähige Sackgasse. In den letzten 50 Jahren wurden mehr
Güter und Ressourcen verbraucht als in allen Generationen zuvor. Diese
‘great acceleration’ hat die Welt materiell reicher gemacht, aber auch dazu
geführt, dass ‘planetare Grenzen’ irreversibel überschrittenen wurden. Die
grosse Nachhaltigkeits-Transformation will dem Gegensteuer geben.
http://www.stockholmresilience.org/21/research/
research-programmes/planetary-boundaries.html
Im Gegensatz zur Vielzahl vergangener Transformationen von Produktionsund Reproduktionsverhältnissen gibt es zwei wesentliche Unterscheide. Der
eine ist der Faktor Zeit. Während die «neolithische Revolution» sich über
viele Jahrhunderte erstreckte, ist die aktuelle ‘Transformation in die
Sackgasse’ eine Sache von zwei Generationen. Der zweite Unterschied ist die
Art der transformativen Triebkräfte. Bisher waren es weitgehend
geophysikalische Faktoren, die zu Veränderungen der
Produktionsbedingungen geführten haben, und z.B. die Ausbreitung der
sesshafte Landwirtschaft ermöglichten. Heute ist es die Menschheit, welche
die Erderwärmung einstellt, die pH-Werte der Weltmeere bestimmt, die
biologische Vielfalt kontrolliert oder die genetische Evolution steuert.
Der Mensch ist zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren der biologischen,
geologischen und atmosphärischen Prozesse geworden. Anfangs der 2010er
Jahre hat eine Gruppe WissenschaftlerInnen um den Nobelpreisträger Paul
Crutzen den Begriff des Zeitalters Anthropozän ins Spiel gebracht. Obwohl
naturwissenschaftlich hergeleitet, soll der Begriff als Weckruf verstanden
werden: Die Menschheit hat das Steuer der Evolutionsgeschichte
übernommen, und sie ist nicht mehr in der Lage, es aus der Hand zu geben.
Ob sie will oder nicht, sie ist gezwungen, geophysikalische Prozesse zu
steuern. Die grosse Frage ist nur, welchen Weg sie beschreiten wird, einen
technologischen oder einen gesellschaftlich gestaltenden.
5. Die Debatte über Anthropozän wirft ein neues Licht auf das
Verständnis von nachhaltiger Entwicklung
Der Anthropozän-Diskurs wirft grundsätzliche Fragen zur Begrifflichkeit von
nachhaltiger Entwicklung auf. Bisher wurde darunter eine Form des
Haushaltens verstanden, welche die natürlichen Ressourcen nicht übernutzt
und gerecht verteilt und ausserdem die Umwelt (Senken) nicht überbelastet.
Oder anders gesagt: nachhaltige Gesellschaften brauchen nur soviel Natur,
dass diese sich erneuern und erholen kann. Angestrebt wird eine Art
Kohabitation von Natur und Gesellschaft (Kultur).
http://www.hubert-brune.de/seitenuebersicht.html
Unser Naturbild ist immer ein «Spiegel unseres Menschenbildes» (Verena
Winiwarter). Der Transformations- und Anthropzändiskurs bringt nun eine
neue Dimension in die Debatte um nachhaltige Entwicklung, der einem
Perspektivenwechsel gleich kommt. Von Ulrich Beck stammt der vielzitierte
Satz «Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft nicht mehr ohne
Natur verstanden werden». Damit wird explizit ausgedrückt, dass wir die
Natur nicht nur nachhaltig nutzen und schützen sollten, sondern auch
gestalten müssen - denn ein Zurück in den Holozän gibt es nicht. Das
Gestaltungspostulat wirft unbequeme Fragen auf: Welche Natur wollen wir
schaffen? Wer nimmt die Gestaltungsmacht wahr, und wer die ‘gestaltende
Haushalterschaft’ (planetary stewardship)?
Technische Kontrollphantasien (Geoengineering) drohen Überhand zu
nehmen. Die ‘Akteure des Wandels’ sind gefordert, den Gestaltungsbegriff
mit anderen Inhalten zu füllen. Es braucht ein «Anthropozän 2.0» (Mark
Lawrence). Aus der Perspektive von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit
drängen sich Gestaltungsprinzipien auf, die sich aus der Vielfalt kultureller
Wertesysteme ableiten. Zur Anregung stellen wir drei Vorschläge zur
Diskussion : (1) Jede Problembeschreibung und Lösungsfindung muss
wertebestimmt und demokratisch erfolgen; (2) Der Blick muss sich auf die
Produktions- und Reproduktionsbedingungen richten, aber auch auf
Geschlechter- und Machtverhältnisse; (3) Transformative Gestaltung in einer
hominisierten Welt verlangt «Befähigungsgerechtigkeit» (Amartya Sen), nur
diese schafft den Kulturwandel wie der von der WBGU propagierte DreifachKultur der Achtsamkeit, der Teilhabe und der Generationenverpflichtung.
6. Noch ist nicht klar, ob die Staatengemeinschaft einen
transformativen oder reformistischen Weg des Wandels
einschlagen wird
Im September 2015 hat die Staatengemeinschaft mit der Verabschiedung
von 17 Nachhaltigkeitszielen (goals) und 169 Unterzielen (targets) die
Zielrichtung bestimmt, welche sie bis 2030 einschlagen will. Wie nicht anders
zu erwarten, sind sich die Beobachter-Gruppen nicht eins, ob damit die
‘Grosse Transformation’ eingeläutet wurde oder nicht. Der Streitpunkt ist
weniger die Frage, ob diese (nicht-bindenden) Ziele wichtig sind, sondern in
welche Richtung sie zeigen, und vor allem, ob damit auch der Weg sichtbar
wird, den die Staatengemeinschaft gehen will? Ziele sind schnell formuliert
und climate change ist ja auch Change. Ist der eingeschlagene Weg bis 2030
transformativ? Werden die systemischen Ursachen von Ungerechtigkeit und
Nicht-Nachhaltigkeit angegangen? Oder ist der Weg reformistisch, indem er
Symptome statt die systemischen Ursachen bekämpft; ein Vorgehen das
nicht aus der Sackgasse der Mehrfachkrisen führen wird.
2030 werden wir nicht mehr spekulieren müssen. Dann werden wir wissen,
inwieweit das umfangreiche Zielbündel tatsächlich zu systemischen
Veränderungen geführt hat. Mehr noch, dann werden wir auch einschätzen
können, was der ominöse ‘transformative shift’ bedeutet, der im Vorfeld der
Erarbeitung der SDG immer wieder zur Sprache kam.
War damit zum Beispiel eine Extraktionsindustrie gemeint, welche minimale
soziale und ökologische Standards berücksichtigt (reformistischer Weg), oder
die Verwirklichung einer zirkulären Ressourcenökonomie, welche die
Extraktionsindustrie weitgehend überflüssig macht (transformativer Weg)?
Als fast schon transformativ kann man die Einsicht der SGDStaatengemeinschaft bezeichnen, dass die Entwicklung nicht mehr nur eine
wirtschaftliche Aufholjagt des Süden sein soll, sondern vor allem eine
Entwicklung aus der Sackgasse, an der alle Staaten arbeiten müssen. Das
Wissen ist vorhanden, jetzt müssen sie Gegensteuer gegeben, jenseits der
bisherigen Praxis reformistischen Handelns.
7. Die «Grosse Transformation» kann als Weg vom
wachstumsbasierten System des Wirtschaftens in Richtung
einer ‘Ökonomie des Lebens’ verstanden werden
Die grosse Transformation bedeutet systemische Veränderungen. Doch von
welchen Systemen ist da die Rede? Reicht ein Systemwechsel von der
braunen zu einer grünen Ökonomie? Es gibt einige Gründe, diese Annahme
in Zweifel zu ziehen. Zum einen fragt sich, ob die Wende in eine postfossile
Zukunft lediglich durch einen technologischen Umbau der Energiesysteme
gelingen kann. Können die neun ‘planetaren Grenzen’ ohne Konsumverzicht
(Suffizienz) oder Wandel von Produktions- und Konsummustern eingehalten
werden? Brauchen wir gar ein ganz anderes Verhältnis von Natur und Leben
(Mensch-Natur-Verhältnis)? Und last but not least: Ist eine grüne Ökonomie
gerechter als die braune im Sinne der ‘justainability’?
Diese Diskussion zeigt die Breite des Transformationsverständnisses. Am
einen Pol der Ansatz einer ‘technisch-systemischen Begrünung der
Wirtschaft’; am anderen all die holistischen Verständnisse von Haushalten,
wie zum Beispiel die von kirchlichen Kreisen propagierte ‘Ökonomie des
Lebens’. Im Zentrum jeder Form eines solchen ‘gestaltend bewahrenden
Haushaltens’ steht die Fülle des Planeten, welche alle Formen von Leben erst
ermöglicht und zu bewahren, nicht zu zerstören ist. Darauf baut das
gesellschaftliche und solidarische Zusammenleben, heute und in Zukunft.
Die Finanzen aus dem Zentrum des Haushaltens verbannen und quasi durch
das (gute) Leben ersetzen. Ist das realistisch angesichts der herrschenden
Machtverhältnisse? Diese Zweifel mögen berechtigt sein. Dennoch, ein
solches Weltbild ist keine Utopie, es ist in allen Epochen der Geschichte der
Menschheit zu finden. Dies auch in der heutigen Zeit und in allen Regionen
des Planeten. Zum Beispiel in den Andenregionen (Buen Vivir) oder im
südlichen Afrika (Ubuntu). Es ist erstaunlich, dass solche Weltbilder gerade in
Regionen zu finden sind, die wir als entwicklungsbedürftig bezeichnen. Wer
weiss, vielleicht wird das neue Entwicklungsparadigma ‘Entwicklung aus der
Sachgasse’ dereinst von den Rändern her formuliert.
8. Die «Grosse Transformation» ist kein Masterplan - sie fusst
auf der Weiterentwicklung von Alternativen («kleinen
Transformationen») , und unterstützt durch einen
Kulturwandel
Versteht man unter der grossen Transformation mehr als nur die Wende hin
zu einer postfossilen globalen Energiepolitik, so stellen sich eine Reihe von
Gestaltungsfragen jenseits der puren Planungslogik.
http://www.transitienetwerkmiddenveld.be/images/Civil_Society_in_Transition_
Report.pdf
Eine alte Politik oder überholte Konzepte lassen sich umgehend durch neue
ersetzen. Es ist aber nicht so, dass wir die aktuelle «Transformation in die
Sackgasse» einfach in eine «Transformation in die heile Welt» umwandeln
können. Vielmehr sind transformative Gestaltungswege zu suchen, die nicht
dem Muster eines Masterplans folgen. Die A-nach-B-Logik ist unrealistisch:
Zum einen, weil wir den Weg nach B kaum kennen. Und zum andern, weil es
«in einer Welt, in der viele Welten Platz haben sollen» möglicherweise nicht
nur ein B geben wird.
Was heisst dies nun für Organisationen und Bewegungen, die bereit sind,
alternative Gestaltungswege zu suchen und zu begehen? SmartCSO hat einen
konzeptionellen Rahmen geschaffen, der Orientierung geben kann. Er geht
von der Beobachtung aus, dass es überall auf der Welt und in allen
gesellschaftlichen Bereichen, alternative Formen (Nischen) des gerechten
und nachhaltigen Haushaltens gibt. Diesen Nischen gemein ist, dass sie nicht
nur systemische Alternativen sind, sondern helfen, den gesellschaftlichen
Wertewandel (new culture) zu fördern.
Solche ‘Inseln des Übergangs’ (Hans Holzinger) können so genannte
commons sein, nämlich die nachhaltige und selbstbestimmte
Bewirtschaftung von materiellen und immateriellen Ressourcen durch
Gemeinschaften. Aber auch Initiativen indigener Bewegungen, die sich gegen
Unrecht wehren oder ihre Selbstbestimmung und Souveränität einfordern.
9. Für die ‘agents of transformative change’ heisst all dies:
(erstens) ihre Rolle in Veränderungsprozessen zu
hinterfragen …
Fast alle ökonomischen Denkschulen und Wirtschaftsunternehmen, aber
auch zivilgesellschaftliche Organisationen haben die Attribute gerecht und
nachhaltig mittlerweile in ihr Vokabular aufgenommen. Genauso droht
‘transformativ’ zu einem marktfähigen Allerweltsbegriff zu verkommen. Eine
Möglichkeit dem entgegenzuwirken, ist die Antwort auf die simple Frage:
Arbeiten wir am untauglichen alten oder an einem neuen System? Und wie
tun wir dies? Mit ‘wir’ sind vorerst alle Akteursgruppen gemeint: die
politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen wie zivilgesellschaftlichen.
Die in nebenstehender Figur abgebildete Klassifizierung von
Handlungsmustern bezweckt nicht, die Akteure in gute und schlechte oder
ihre Arbeit in relevant und wirkungslos zu klassifizieren. Ganz im Gegenteil,
sowohl ‘Akteure der Veränderung’ wie ‘Akteure der Verbesserung’ haben
ihre Berechtigung. Es macht zum Beispiel wenig Sinn, humanitäre
Organisationen, welche kurzfristig Not lindern gegen entwicklungspolitische
Organisationen auszuspielen, welche auf längere Frist versuchen, das
Problem der Not an der Wurzel anzupacken.
Die begriffliche Unterscheidung hilft aber, das Verständnis der Rollen
verschiedener Akteure und Akteurgruppen zu verstehen und zu hinterfragen.
Sie schärft das Verständnis der Ausrichtung und der Instrumente ihrer Arbeit.
Eine Organisation, die Missstände aufdeckt und sagt, wie-es-nicht-sein-soll
arbeitet ganz anders als eine, die mithilft das Bewusstsein für Alternativen zu
entwickeln (wie-es-sein-könnte).
Transformative Prozesse drängen sich per definitionem immer im Kontext
von Not- und Krisensituationen auf. Nicht zu vergessen ist darum das Umfeld
der jeweiligen Arbeit. Was an einem Ort als richtig oder machbar erscheint,
ist es andernorts nicht zwingend. Die Fenster des Wandelns können sich
genauso schnell schliessen, wie sie sich geöffnet haben.
10. … und (zweitens) System- und Zielwissen zu generieren
Ein gesellschaftliches oder soziales System kann nur verändern, wer die
Dynamik des aktuellen Systems kennt und eine Vorstellung (Vision) hat,
wohin die Reise der Veränderung führen soll. Im Kontext von
transformativen Veränderungsprozessen ist Systemwissen gefragt (Wissen,
was ist) aber auch Zielwissen (Wissen, was-sein-soll und was-nicht-sein-soll).
http://wupperinst.org/unsere-forschung/
forschung-fuer-den-wandel/konzepte-und-methoden/
Nicht immer lassen sich aus einer Vision dessen was-sein-soll und was-nichtsein-soll auch klare Zielbündel ableiten, sei es wegen mangelnder Kohärenz
zwischen Vision und Zielen, sei es wegen fehlendem gesellschaftlichem
Konsens. Zielwissen ist demokratisches Wissen, welches eine Gesellschaft
oder Gemeinschaft selbstbestimmt ihrer Vision schrittweise näher bringt.
Erst auf der Basis von kontextbezogenem System- und Zielwissen lässt sich
bestimmen, ob ein Systemwechsel tatsächlich notwendig ist. Es kann ja auch
sein, dass ein System sich als tauglich, schützenswert oder
verbesserungsfähig erweist.
Sucht eine Gesellschaft den grundlegenden Wandel, so muss sie sich auf
einen längeren Gestaltungsweg begeben. Dieser Weg ist aber nicht
vorgezeichnet; erst die iterative Praxis des Probierens und Lernens setzt die
Wegmarken. So entsteht allmählich dasjenige Transformationswissen,
welches den Akteuren Orientierung und Re-Orientierung im Denken und
Handeln verschafft.
Alle Organisationen, die sich als ‘agent of change’ verstehen, kommen nicht
darum herum, den transformativen Gestaltungsweg weniger als technische
Planungsübung denn als sozialen Veränderungsprozess zu verstehen. Die
‘agent of change’ sind doppelt gefordert. Zum einen, weil sie bereit sein
müssen, einen Weg zu begehen, dessen Endpunkt weder zeitlich noch als
Prozess bekannt ist. Und zum andern, weil die Wegmarken nicht in
logframes, sondern nur demokratisch gesetzt werden können.
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