Wertig wohnen für kleines Geld

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1 Sozialer Wohnungsbau in ansehnlicher Form: Die klare Kubatur des Gelsenkirchener Mehrfamilienhauses beeindruckt. Aber auch in
technischer Hinsicht überzeugt das Konzept des Gebäudes.
Wertig wohnen für kleines Geld
Sozialer Wohnungsbau ist architektonisch wenig ästhetisch? Zeit, umzudenken: Der Neubau
einer Wohnanlage in Gelsenkirchen räumt mit solchen Klischees auf. Dank kluger Lösungen in
jeder einzelnen Gewerkleistung bis hin zur Fassadengestaltung mit Putz und Klinkerriemchen
ist hier zudem barrierefreier und energieeffizienter Wohnraum für 35 Mietparteien entstanden.
I
n ganz Deutschland hinkt das Angebot an Sozialwohnungen, zumal barrierefreien, dem bestehenden und
in Zukunft noch wachsenden Bedarf hinterher. Das
ist in Hassel, einem der nördlichen Stadtteile Gelsenkirchens, nicht anders. Doch für ein gutes Miteinander
innerhalb eines Quartiers, in dem viele ältere Einwohner
und Menschen mit Migrationshintergrund leben, ist
gutes Wohnen in Gebäuden mit positiver Ausstrahlung
ein wichtiger Baustein.
So sah es die evangelische Trinitatis-Kirchengemeinde Buer, als sie 2012 ihr Neubauprojekt »An der
Biele 3«, direkt neben der Markuskirche gelegen,
begann. Innerhalb von eineinhalb Jahren entstand auf
dem großen Grundstück eines nicht mehr benötigten
Pfarrhauses ein barrierefreies Mehrfamilienhaus. Es
beherbergt 30 geförderte und – im Staffelgeschoss –
fünf frei finanzierte 1,5- bis 3,5-Zimmer-Mietwohnun-
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gen. Die energetischen Standards und die Qualität der
Ausstattung haben ein ebenso hohes Niveau wie die
architektonische Wirkung des Objekts. Überraschend
niedrig dagegen sind die Baukosten. Mit 3,3 Millionen
Euro fiel die Bausumme sogar noch fast zehn Prozent
günstiger als ursprünglich geplant aus. Die geförderten
Wohnungen werden seither für 4,50 Euro pro Quadratmeter rentabel vermietet. Im sozialen Wohnungsbau
günstig, gut und mit Blick auf die Zukunft gestalten –
wie geht das?
Klar und wirtschaftlich
Den Grundstein dafür legte natürlich der Entwurf. Er
kam vom Architekturbüro Rahim Sediqie aus Gelsenkirchen. Die dreistöckige, L-förmige Wohnanlage beeindruckt durch ihre einfache und klare Kubatur. Das große
verglaste Treppenhaus verleiht dem Baukörper ebenso
ausbau + fassade 01.2016
Keramische Fassaden
Leichtigkeit wie die gesamte mit einfachen Mitteln
modellierte Fassade. Die schlanken Fensterelemente
sind spannungsvoll verteilt. Die Putzfassade in einem
hellen, warmen Grauton und das in Klinkern abgesetzte
Erdgeschoss gliedern die Gebäudehülle zusätzlich. So
wirkt der moderne Bau lebhaft und behält doch seine
Eleganz.
Die Bauleitung lag ebenfalls beim Architekturbüro.
Rahim Sediqie legte großen Wert auf handwerkliche
Qualität und hochwertige Materialien. Doch genauso
akribisch suchte er mit den Gewerken nach baulichen
Lösungen, die Einsparungen ohne Einbußen ermöglichten. Beispielhaft lässt sich an der Fassadengestaltung
aufzeigen, wie dieses Vorgehen optimale Funktion mit
Ästhetik und Wirtschaftlichkeit zu vereinigen wusste.
Putz und Klinkerriemchen statt Klinkermauerwerk
Ursprünglich war ein zweischaliges Vollklinkermauerwerk geplant, um ein ortstypisches Fassadenbild herzustellen. Mit Unterstützung von Frank Komosinski, Technischer Berater bei Brillux, und Malermeister Ralf
Telöken vom Malerbetrieb Herbert Telöken aus Gelsenkirchen nahm eine günstigere, aber ebenso aussagekräftige Lösung Form an. Ein einschaliges Plansteinmauerwerk wurde mit dem Wärmedämm-Verbundsystem
»Qju« gedämmt. »Durch die Kostenersparnis bei dieser
Bauweise konnten hochwertige Materialien wie keramische Beläge im Erdgeschoss und Edelstahlgeländer
im Treppenhausbereich eingesetzt werden«, betont
Frank Komosinski.
Die Ausführung mit dem WDV-System Qju bietet
neben den Wärmedämmwerten auch besonders plane
Oberflächen, die für die angestrebte Wirkung des
Gebäudes notwendig waren: Die Dämmplatten werden
im Nut- und Federsystem montiert und lassen sich mit
den entsprechenden Klebern und Zubehör des Systems
Qju justieren. »Für den Architekten passten diese Vorteile genau in sein Konzept und überzeugten ihn letztendlich von dieser Alternative«, erinnert sich Ralf Telöken.
Spaltklinker als Sichtfläche
Auch Armierung und Putz waren auf das System abgestimmt, ebenso wie die abgetönte Acryl-Fassadenfarbe
100, deren Farbton der Malermeister gemeinsam mit
dem Architekten festgelegt hat. Ralf Telöken: »Wir bieten seit Ende der 1960er-Jahre fachmännische WDVSLeistungen an und wissen, wie wichtig es ist, im System
zu bleiben, um wirklich ordentliche Ergebnisse zu erzielen.« Im Erdgeschossbereich erhielt das WDV-System
Spaltklinker als Sichtfläche. Diese sogenannten Klinkerriemchen lassen sich einfach verkleben und sind optisch
nicht von einem Vollklinkermauerwerk zu unterscheiden. Sie werden ebenso wie Klinkersteine hergestellt,
glasiert und gebrannt und lassen sich farblich wunschgemäß zusammenstellen.
Das gewollt schlichte Erscheinungsbild der Fassade
www.ausbauundfassade.de
2 Durch den gekonnten Einsatz von Glas, Spaltklinkern und die nur durch
die Fenster gegliederte Putzfassade erhält das Gebäude Wertigkeit.
ohne weitere Gliederungen und Akzente ist Programm:
»Die Idee des Architekten war es, die Kubatur des
Gebäudes in den Vordergrund zu stellen«, betont Ralf
Telöken. »Glas, Klinkerriemchen und Putzfassade sollten
für sich wirken – und das ist mit dieser Gestaltung
sicher gelungen.«
Barrierefrei und nachhaltig energieeffizient
Auch im Innenraum verbindet das Wohnhaus gute
Form mit zeitgemäßer Funktion. Die Wohnungen und
3 Lohnende Einsparung: Statt des ursprünglich geplanten
zweischaligen Klinkermauerwerks entschied man sich für eine
WDVS-Lösung in Verbindung mit Klinkerriemchen und Putz.
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PUTZ + TROCKENBAU
4 + 5 Entscheidend für die überzeugende Wirkung der schlichten Fassade: Mit dem Wärmedämm-Verbundsystem »Qju« konnten
besonders plane Oberflächen erzielt werden.
die Erschließung sind komplett barrierefrei – inklusive
der Aufzüge, die sogar für Liegendtransporte geeignet
sind. Hinsichtlich Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und
auch zukünftiger überschaubarer Unterhaltskosten
setzt das Gebäude Maßstäbe. Das Wohnhaus ist an die
Fernwärmeversorgung angeschlossen und verfügt über
eine kontrollierte Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung. Diese Maßnahmen schlagen mit 30 Prozent Energiekostenersparnis zu Buche.
Ein neuer Blick auf den sozialen Wohnungsbau
Es ist fast unnötig, es zu betonen: Das Mehrfamilienhaus An der Biele 3 kennt keinen Leerstand. Die Warteliste interessierter Mieter ist lang. Überwiegend sind
Menschen der Generation »60 plus« in den schmucken
Bau eingezogen. Rund 90 Prozent der heutigen Mieter
kommen aus dem Stadtteil. Für Hassel und seine Menschen ist das Gebäude also ein Gewinn – und auch für
die Bauherrin rechnet sich die Investition.
Derzeit laufen in der Trinitatis-Kirchengemeinde Buer
die Vorbereitungen dafür, auch die benachbarte, entwidmete Markuskirche in barrierefreien Wohnraum
umzuwandeln, um den Standort Gelsenkirchen-Hassel
positiv weiterzuentwickeln. Mit Sicherheit gibt das Projekt An der Biele 3 noch ein weiteres Signal – an öffentliche oder gewerbliche Investoren, an Architekten und
Handwerksbetriebe: Sozialer Wohnungsbau, bei dem
alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen und weder
gute Form noch zeitgemäße Funktion auf der Strecke
bleiben, ist möglich.
Marco Bock,
Projektmanager Farbstudios,
Brillux
6 Wertig wohnen für 4,50 Euro pro Quadratmeter: Die
barrierefreien Wohnungen sind begehrt und ermöglichen
es derzeit vor allem älteren Bewohnern, weiter im
angestammten Stadtteil zu leben. Fotos: Brillux, Nilling
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ausbau + fassade 01.2016
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