BACHELORARBEIT GEWALT IM PFLEGEBEREICH

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BACHELORARBEIT
GEWALT IM PFLEGEBEREICH
eingereicht von
Kerstin Wutscher
Zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Science
(BSC)
Medizinische Universität Graz
Institut für Pflegewissenschaft
Unter der Anleitung von
Birgit Bernhardt, MAS
Graz, am 27. November 2016
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Ehrenwörtliche Erklärung
„Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.“
Graz am 27.11.2016
Kerstin Wutscher, eh.
II
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Zusammenfassung
Diese Bachelorarbeit soll einen Überblick über Gewalt, speziell im Pflegebereich sowie
deren Entstehung geben. Außerdem sollen die Umstände, welche zur Entstehung von Gewalt
in der Pflege führen können hinreichend dargelegt werden. So haben Beobachtungen und
Erfahrungsberichte gezeigt, dass schlechte Rahmenbedingungen, Überforderung, mentale
Überlastung und ein hohes Stresslevel einen großen Einfluss auf das Entstehen von
Gewaltsituationen haben. Des Weiteren wird untersucht, wie unsere Aktionen die
Reaktionen anderer beeinflussen und auch Pflegekräfte oftmals Gewalt durch Patientinnen
und Patienten ausgesetzt sind. Darüber hinaus soll diese Bachelorarbeit die notwendigen
Rahmenbedingungen
für
eine
gewaltfreie
Pflege
aufzeigen,
sowie
allgemeine
Präventionsstrategien darlegen.
Summary
The aim of this thesis is to give an overview about violence and the emergence of violence
especially in care settings. It describes the circumstances of violent actions in care and
documents that experience reports and observations have shown the great impact of bad
work conditions, overtaxing and mental stress as a general high stress level on violence in
care. In this paper I examine the influence of action and reaction as well as the fact that also
care givers often face violent patients. Furthermore, this thesis argues the relevant
circumstances for a nonviolent acting, considering also prevention measurements.
III
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ........................................................................................................................... 1
2. Methode ............................................................................................................................. 3
3. Gewalt ................................................................................................................................ 3
3.1. Begriffsklärung Gewalt .............................................................................................. 3
3.1.1. Indirekte Gewalt .................................................................................................. 4
3.1.2. Personale oder direkte Gewalt ............................................................................. 5
3.1.3. Kulturelle Gewalt ................................................................................................ 5
3.2. Rahmenbedingungen .................................................................................................. 6
3.3. Rechtliche Basis ......................................................................................................... 7
4. Aggression ......................................................................................................................... 8
4.1. Begriffsklärung Aggression ........................................................................................ 8
4.2. Diverse Aggressionstheorien ...................................................................................... 9
4.2.1 Triebtheorie nach Freud ........................................................................................ 9
4.2.2. Die Frustrations-Aggressions Hypothese ............................................................ 9
4.2.3. Lerntheoretische Erklärungsmodelle: Theorien des sozialen Lernens .............. 10
4.2.4. Motivationstheorie ............................................................................................. 11
4.3. Aggressionsregulatoren ............................................................................................ 11
5. Pflege und Gewalt............................................................................................................ 13
5.1. Konfrontation von Pflegenden mit Gewalt und Aggression ..................................... 13
5.2. Reaktion und Verhalten ............................................................................................ 13
5.2.1. Klärung der Umstände ....................................................................................... 14
5.2.2. Vermeidung von Konfliktsituationen, Ausbrennverhinderung .......................... 15
5.2.3. Beruhigung Betroffener ..................................................................................... 16
5.2.4. Verharmlosung und Ignoranz ............................................................................. 17
5.2.5. Anforderung von Unterstützung ........................................................................ 17
5.2.6. Bestrafung.......................................................................................................... 18
5.3. Gewaltformen seitens des Pflegepersonals............................................................... 18
5.3.1. Psychische Gewalt ............................................................................................. 19
5.3.2. Physische Gewalt ............................................................................................... 19
5.3.3. Sexuelle Gewalt ................................................................................................. 20
5.3.4. Soziale Gewalt ................................................................................................... 20
5.3.5. Fürsorgliche Gewalt .......................................................................................... 20
5.3.6. Vernachlässigung Pflegebedürftiger Menschen ................................................. 20
6. Tötung .............................................................................................................................. 21
IV
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
7. Mitwissende ..................................................................................................................... 22
7.1. Verharmlosung .......................................................................................................... 22
7.2. Aufdeckungsbarriere Gefühlsmisstrauen .................................................................. 23
7.3. Aufdeckungsbarriere des Nicht-Ernst-Nehmens ...................................................... 23
7.4. Aufdeckungsbarriere des Übersehens ....................................................................... 24
8. Gewaltvermeidung durch 'Know-how' ............................................................................ 24
8.1. Stellvertretende Interpretation der Pflegesituation ................................................... 24
8.2. Zusammenwirken von objektivem Pflegebedarf und den tatsächlichen
Gegebenheiten ................................................................................................................. 25
8.3. Befolgung beruflicher Übereinkünfte und Normen.................................................. 25
9. Prävention ........................................................................................................................ 26
9.1. Pflegerische Professionalität .................................................................................... 26
9.2. Kompetenz auf fachlicher Ebene .............................................................................. 26
9.3. Kompetenz auf sozialer Ebene ................................................................................. 27
9.4. Organisation der Arbeit ............................................................................................ 27
9.5. Gespräche im Team .................................................................................................. 27
9.6. Supervision ............................................................................................................... 28
9.7. Balintgruppe ............................................................................................................. 28
9.8. Weiterbildung ........................................................................................................... 28
9.9. Selbstpflege .............................................................................................................. 28
10. Ausblick ......................................................................................................................... 29
11. Schlussfolgerung............................................................................................................ 30
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 31
V
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
„Der reißende Strom wird gewalttätig genannt.
Aber das Flußbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.
Der Sturm, der die Birken biegt, gilt als gewalttätig.
Aber wie ist es mit dem Sturm, der die Rücken der Straßenarbeiter biegt?“
(Bertold Brecht)
1. Einleitung
Im Laufe der letzten Jahre wurde in den Medien immer wieder von Gewalt im Bereich der
Pflege berichtet, die Problematik scheint demnach allseits bekannt zu sein. Die
Öffentlichkeit reagierte fortwährend empört und verständnislos. Wie kann es nur zu
Missständen dieser Art kommen? Jedoch bestand vermutlich nicht ausreichend Interesse an
der Thematik um den Dingen weiter auf den Grund zu gehen und dem Übel Abhilfe zu
schaffen. In unserer Gesellschaft scheint dies noch immer ein Tabuthema darzustellen,
obwohl jeder Mensch eines Tages pflegebedürftig uns somit davon betroffen sein könnte.
Auch im Zuge des Studiums der Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen
Universität Graz wurde auf diese aktuelle Problematik kaum eingegangen.
Gewalt und Aggression treten immer wieder im Kontext der Pflege auf, diese Tatsache ist
Anlass genug für eine detaillierte Abklärung der möglichen Ursachen. Doch welche Formen
der Gewalt finden sich im Umfeld der Pflege und wer ist betroffen? Bereits erste Einblicke
in den pflegerischen Alltag zeigen, dass sowohl Pflegende als auch Pflegebedürftige, die
Rolle einer Täterin oder eines Täters genauso wie die eines Opfers bekleiden können, jeder
Mensch ist im Stande Gewalt auszuüben.
In meiner Arbeit werden anfangs die Begriffe „Gewalt“ und „Aggression“ beschrieben, auch
werden diverse Formen von Gewalt näher erörtert. Im weiteren Verlauf liegt das
Hauptaugenmerk meiner theoretischen Forschung auf der Gewalt im Pflegebereich und
deren beeinflussenden Faktoren. Ebenfalls werden verschiedene Prinzipien zur Prävention
von Gewalt im Setting der Pflege dargestellt.
Doch das Ziel dieser Arbeit ist nicht nur die Problematik von Gewalt im Pflegebereich
aufzuzeigen, sondern auch auf die kontinuierlich wachsende Herausforderung im
Pflegealltag aufmerksam zu machen.
1
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Aufgrund
der
umfassenden
Literaturrecherche,
ergab
sich
für
mich
folgende
Forschungsfrage:
„Inwiefern sind die Ansätze und Ansprüche eines gewaltfreien Umgangs im Pflegebereich
in der Realität umsetzbar?
2
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
2. Methode
Für die Behandlung der Thematik und die Beantwortung der Forschungsfrage, wurde
zunächst eine Literaturrecherche im Internet durchgeführt. Diese erfolgte in der
medizinischen Datenbank PubMed, wobei Keywords in englischer Sprache, wie violence,
caregiver, abuse, care, nursing, care recipients, etc. verwendet wurden. Diese wurden
schließlich noch mit den Operatoren „AND“, „OR“ und „NOT“ miteinander verbunden.
Anhand der gesammelten Informationen, erfolgte eine erste Strukturierung der Arbeit und
es wurde weitere Fachliteratur in Form von Büchern, sowie wissenschaftliche Quellen aus
dem Internet herangezogen.
3. Gewalt
Gewalt und Macht stehen in direktem Zusammenhang und mit Hilfe von Gewalt wird
oftmals versucht Macht noch weiter auszubauen, so werden Schwächere zusätzlich
geschwächt, indem sie von vermeintlich Stärkeren unterdrückt werden.
3.1. Begriffsklärung Gewalt
Gewalt ist ein facettenreicher Begriff, nicht jeder Mensch versteht darunter das Gleiche und
dementsprechend unterschiedlich, sind auch die Erklärungsversuche. Im Allgemeinen wird
Gewalt aber mit der Verletzung, Schädigung oder Kränkung einer anderen Person in
Verbindung gebracht (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S.16).
Die folgenden Definitionen werden hier angeführt, da sie gut verständlich sind und ebenso
die Weitläufigkeit des Begriffs zum Ausdruck bringen.
„Die Wurzel des deutschen Wortes 'Gewalt' kommt aus dem indogermanischen 'val'
(lateinisch 'valere'). Das Verb 'giwaltan' oder 'waldan' bedeutete ursprünglich
Verfügungsgewalt besitzen und Gewalt haben, sowie 'in einem breiten Sinne für Kraft haben,
Macht haben, über etwas verfügen können, etwas beherrschen...“ (Imbusch 2002, S. 28
zitiert in Schulz 2014, S.13)
„Gewalt als die Gesundheit der Bevölkerung gefährdendes Problem wurde bisher u. a.
weitgehend ignoriert, weil keine eindeutige Problemdefinition vorliegt. Gewalt ist ein
äußerst diffuses und komplexes Phänomen, das sich einer exakten wissenschaftlichen
Definition entzieht und dessen Definition eher dem Urteil des Einzelnem überlassen bleibt.
Die Vorstellung von akzeptablen und nichtakzeptablen Verhaltensweisen und dessen, was als
3
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Gefährdung empfunden wird, unterliegen kulturellen Einflüssen und sind fließend, da sich
Wertvorstellungen und gesellschaftliche Normen ständig wandeln. Noch vor einer
Generation wurde Disziplin in britischen Schulen durchaus ganz normal noch mit dem Stock
durchgesetzt, mit dem die Schüler auf das Gesäß, die Beine oder Hände geschlagen wurden.
Heute kann ein Lehrer, der sich in dieser Form an einem Kind vergreift, dafür strafrechtlich
verfolgt werden.“ (Weltgesundheitsorganisation 2003, S. 5)
„Gewalt ist jede Zwangsmaßnahme, die den Willen und Widerstandes Opfers überwindet,
ihm eine Handlung aufzwingt, seine Willensfreiheit beeinträchtigt oder es schädigt. Gewalt
ist nach der Schädigung des Opfers zu definieren. Die Macht oder Schädigung geht von der
Struktur oder von einem Täter aus. Die meisten Menschen neigen dazu, nur andere als
gewalttätig zu sehen, um die Einsicht in die Verwicklung in allgegenwärtige Gewalt
abzuwehren. Auch sanfte oder verschleierte Gewalt bringt einen Menschen dazu, etwas zu
tun, was er freiwillig nicht tun würde, d.h. Manövriert ihn in die Abhängigkeit
hinein.“ (Grond 2007, S. 14)
Gewalt hat viele „Gesichter“ und nicht immer ist sie auf den ersten Blick zu erkennen. Im
Pflegebereich lässt sich Gewalt angelehnt an das Modell des „Gewaltdreiecks“ in drei
Kategorien einteilen. Die indirekte Gewalt, die personale oder direkte Gewalt und die
kulturelle Gewalt (Osterbrink & Andratsch 2015, S. 43-44).
3.1.1. Indirekte Gewalt
Indirekte Gewalt zählt zur strukturellen Form der Gewalt und ist stets an äußere Umstände
und Gegebenheiten, jedoch nicht an eine handelnde Person gebunden. Sie basiert auf
gesellschaftlichen, institutionellen Strukturen, welche in ihrer Art Einfluss auf Menschen
haben (Osterbrink & Andratsch 2015, S. 48).
Eine Person die mitten im Leben stand und bedingt durch ein Gebrechen nicht mehr in der
Lage ist, den Alltag allein zu Hause zu bewältigen, ist eine sehr gute Veranschaulichung für
Indirekte Gewalt. Diese Person nimmt beispielsweise die Möglichkeit wahr, in ein
Pflegeheim zu übersiedeln, wo sie sich dann den Tagesabläufen anpassen muss. Die Abläufe
sollten zeitgerecht eingehalten werden, Vorschriften und Regeln sind einzuhalten. Indirekte
Gewalt orientiert sich nicht an den Bedürfnisseen der Heiminsassen, sondern richtet sich
nach Regeln, die der Organisation der Pflegeeinrichtung zu Gute kommen (Grond 2007, S.
14). Leidtragende dieser Form von Gewalt, können sowohl Pflegebedürftige, als auch
Pflegende sein. Die strukturelle Gewalt äußert sich unterschiedlich. Etwa durch
4
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Unterbesetzung des Personals, Überdosierung von Medikamenten um Pflegebedürftige
ruhig zu stellen, einem Mangel an Privatsphäre und vielem mehr. Rechtliche Strukturen, wie
auch wirtschaftliche Faktoren beeinflussen die Rahmenbedingungen, wodurch Pflegeheime
zu einer fremdbestimmten Einrichtung werden. Den Bewohnerinnen und Bewohnern ist es
nicht möglich, sich unter diesen Umständen frei zu entfalten (Grond 2007, S. 15).
3.1.2. Personale oder direkte Gewalt
Die personale oder auch direkte Gewalt ist unmittelbar als solche zu erkennen. Es handelt
sich entweder um ein aktives Tun oder um eine Unterlassung einer notwendigen Aktion. In
beiden Fällen ist eine sofortige, negative Veränderung die Folge (Osterbrink & Andratsch
2015, S. 44). Die kulturelle und ebenso die strukturelle Gewalt können mitunter die Auslöser
für personale Gewalt sein. Unter direkter oder personaler Gewalt versteht man eine
physische, psychische oder auch finanzielle Schädigung des Opfers.
Personale Gewalt kann, wie folgt, kategorisiert werden (Grond 2007, S. 16):
•
passive und auch aktive Vernachlässigung
•
materieller Abusus, finanzielle Ausnutzung
•
physische und psychische Misshandlung, verbale Gewalt, Freiheitsentzug,
Drohungen
3.1.3. Kulturelle Gewalt
Sehr viele Traditionen, Sitten und Bräuche aus vergangener Zeit sind es wert, erhalten zu
bleiben. Doch ebenso gibt es kulturell bedingte Gepflogenheiten, die längst keinen Platz
mehr in unserer Gesellschaft finden sollten. Dazu gehört beispielsweise die Abwertung der
Frau, welche in ferneren Kulturkreisen immer noch an der Tagesordnung steht, sich aber
auch hierzulande unter anderem durch ungleiche Bezahlung bemerkbar macht. In diversen
Religionen sind die Ablehnung der Schulmedizin sowie die Diskreditierung älterer
Menschen noch immer allgegenwärtig. So wurde früher auch in unseren Breitengraden stets
erwartet, dass sich die ältere Generation nach und nach zurücknimmt, anpasst, niemandem
zur Last fällt. Pflegebedürftige haben durch diese noch fest verankerte Denkweise ein
vermindertes Selbstwertgefühl. Nicht selten kommt es vor, dass Pflegebedürftige dies auch
auf Pflegende übertragen. „Warum haben Sie keinen besseren Beruf gefunden, als Alten die
Windeln zu wechseln?“, mit dieser Art von kultureller Gewalt, muss sich das Pflegepersonal
5
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
tagtäglich auseinandersetzen (Grond 2007, S. 15-16).
3.2. Rahmenbedingungen
Rahmenbedingungen können dazu beitragen, dass sich Pflegende überfordert fühlen. Dazu
zählen Umstände wie wenig Anerkennung, kein Mitbestimmungsrecht, die hohen
emotionalen Anforderungen und Ansprüche an Wertvorstellungen (Grond 2007, S. 27).
Erfolgserlebnisse bleiben aus, da sich die gesundheitliche Situation der Pflegebedürftigen
meist nur verschlechtert. Auch wird Pflegenden oft krankheitsbedingt, aggressives Verhalten
entgegengebracht (Hörl 2001, S. 319). Dies kann dazu beitragen, dass Pflegende mit der
Situation überfordert sind und ständig dem Druck ausgesetzt sind, alle Kriterien zu erfüllen.
Die Unzufriedenheit wird mit dem Druck, Theorie in der Praxis umsetzen zu müssen, unter
schwierigen Bedingungen, wie Zeitmangel, einem desolaten Arbeitsklima, geprägt von
einem Mangel an Empathie geschürt. Es wird den Pflegekräften fast schon
Übermenschliches abverlangt. Arbeitsteilungen sind oft nicht klar, die Dienstverteilung
unregelmäßig, so dass Rollenkonflikte untereinander vorprogrammiert sind. Alles muss
schnell gehen, auf diese Art wird die Pflege anderer Menschen zur „gefährlichen
Routine“ (Grond 2007, S. 27).
Die Arbeit an Bewohnerinnen oder den Bewohnern ist minutiös geplant, und kann fast schon
als Fließbandarbeit betitelt werden: „20 bis 25 min für Ganzkörperwäsche, 15 bis 20 min für
die Hauptmahlzeit, 8 bis 10 min für das Ankleide, nur 4 bis 6 min für das Auskleiden und 2
bis 3 min für das Wasserlassen. Diese Zeitangaben gelten für gesunde alte Menschen, aber
nicht für demente Personen, die teilweise die dreifache Zeit brauchen.“ (Grond 2007, S. 28)
Früher wurde der Beruf des Pflegenden vermehrt als Berufung gesehen. Gegenwärtig jedoch
bleibt für Menschlichkeit während der Dienstzeit nicht mehr viel Zeit übrig. In vielen
Einrichtungen gehören das Vorlesen aus der Zeitung, die angeregte Unterhaltung mit den zu
Pflegenden oder das simple Halten der Hand um Beistand zu symbolisieren, leider oftmals
der Vergangenheit an. Es wird nur noch körperliche Pflege belohnt und entlohnt. Die Arbeit
in einem Pflegeheim darf auch aus dem physiologischen Standpunkt nicht unterschätzt
werden, so gehört schweres Heben zum Alltag. Die psychischen Belastungen werden jedoch
von vielen Pflegenden als größere Bürde gesehen, denn es bleibt keine Zeit für Emotionen
und Gefühle und dem Pflegepersonal bietet sich auch kaum Gelegenheit zur Erholung
(Grond 2007, S. 27-28).
6
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
3.3. Rechtliche Basis
Es gilt grundsätzlich, bei drohender Gefahr ohne Möglichkeit rechtzeitig Hilfe zu holen das
Recht sich selbst zu verteidigen und dafür die notwendigen Mittel einzusetzen. In diesem
Zusammenhang spricht man von Notwehr. Generell differenziert man diesbezüglich
folgende Begriffe (Schirmer et al. 2006, S. 47):
•
Angriff: Darunter versteht man jede von einer Person drohende Verletzung rechtlich
gestützter Interessen.
•
Gegenwärtig: Steht ein Angriff unmittelbar bevor, findet gerade statt oder wird noch
länger andauern, so spricht man von gegenwärtig.
•
Erforderlichkeit: Stellt eine Verteidigungshandlung das 'mildest geeignete Mittel' dar,
einen Angriff umgehend zu beenden, so gilt diese als erforderlich.
•
Gebotenheit: Notwehr ist geboten, wenn diese nicht rechtsmissbräuchlich geschieht.
Sie dient nicht zur Maßregelung und darf auch nicht provozierend eingesetzt werden.
„§34 StGB Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit,
Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder
einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der
widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der
ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich
überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr
abzuwenden.“ (Schirmer et al. 2006, S. 48)
Doch auch Notstandshandlungen sind Grenzen gesetzt. So gilt hinsichtlich der
„Erforderlichkeit“ eine gerechtfertigte Befürchtung als Grundvoraussetzung. Die
Möglichkeit alleine, ist hier nicht ausreichend. Die „Interessensabwägung“ fordert eine
Abwägung der entgegengesetzten Interessen, der betroffenen Rechtsgüter und des Ausmaßes
der ihnen drohenden Gefahr. In diesem Fall muss das geschützte Interesse das beeinträchtigte
deutlich
überwiegen.
Die
Angemessenheit
der
Notstandshandlung
dient
der
Übereinstimmung von Notstandshandlung und den Wertvorstellungen der Allgemeinheit
(Schirmer et al. 2006, S. 49).
Der Schutz und die Sicherheit von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Pflegenden steht
stets an erster Stelle. Hierbei sollten die Gefahrenquellen so gering als möglich gehalten
7
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
werden und deswegen vorsorglich folgendes beachtet werden (Schirmer et al. 2006, S.50):
•
Waffen oder Gegenstände, welche als solche verwendet werden könnten, sollten
nicht in greifbarer Nähe für Bewohnerinnen und Bewohnern aufbewahrt werden.
•
Räumlichkeiten müssen überschaubar arrangiert werden, auch Fluchtwege sind von
größter Wichtigkeit.
•
Notfallvorrichtungen, wie Alarmknöpfe müssen unmittelbar erreichbar angebracht
sein.
•
Kommunikation ist von enormer Bedeutung, beispielsweise müssen Informationen
über aggressive oder gefährdete Bewohnerinnen und Bewohner weitergeben werden.
4. Aggression
Beinahe jeder Mensch kennt Aggressionen oder wurde bereits mit ihnen konfrontiert. Im
folgenden Abschnitt wird dieser Begriff näher beschrieben und Aggressionstheorien werden
erörtert.
4.1. Begriffsklärung Aggression
Aus dem Lateinischen Wort „aggredi“ abgeleitet, bedeutet Aggression so viel, wie aktives
Herangehen und beschreibt somit den Gegensatz zur Passivität. In Lexika wird Aggression
häufig mit Feindseligkeit, einer gereizten Einstellung oder Angriffsverhalten in Verbindung
gebracht (Bärsch & Rohde 2013, S. 10). Aggression und Gewalt treten meist in Korrelation
miteinander auf, auch wird Aggression vermehrt als Teilmenge von Gewalt angesehen.
Grund dafür könnte sein, dass sich diese beiden Begriffen nicht eindeutig voneinander
trennen lassen. Während mit Gewalt oft schwere Verletzungen, auch Gesetzesüberschreitung
assoziiert werden, sind es bei der Aggression eher leichte Verletzungen, wie das Übertreten
sozialer Normen (Gugel 2010, S. 55).
Es wird versucht zwei mögliche Definitionen des Begriffs der Aggression anzuführen:
„Aggression ist ein beobachtetes Verhalten, dessen Qualität und/oder Häufigkeit den
eigenen Körper oder den anderer Personen, die dingliche oder soziale Umwelt schädigt,
erheblich beeinträchtigt oder stört. Die Beeinträchtigung, Schädigung oder Störung ist Ziel
und/oder Wirkung dieses Verhaltens.“ (Heinrich 1992, S. 17-18 zitiert in Kienzle & PaulEttlinger 2007, S. 17-18)
8
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
„Aggressivität ist die erhöhte Bereitschaft eines Individuums zur Aggression (sowohl
genetisch angelegt als auch erworben). Der Hang einer Person zu ständigen Aggressionen
kann Krankhaft sein.“ (Bärsch & Rohde 2013, S. 10)
4.2. Diverse Aggressionstheorien
Seit langem wird versucht den Ursachen von Gewalt und Aggression auf den Grund zu
gehen. Die Psychologie bedient sich hinsichtlich dessen diverser Theorien, welche
Aufschlüsse über die Hintergründe geben sollen.
4.2.1 Triebtheorie nach Freud
Psychoanalytiker Sigmund Freud und ebenso Verhaltensforscher Konrad Lorenz gingen
davon aus, dass Aggressionen zu den natürlichen, angeborenen Trieben des Menschen
gehören. Kommt es zu einer Aufstauung der Aggressionen können sich diese auch plötzlich
und unkontrolliert entladen. Jeder Mensch kann also in bestimmten Situationen aggressiv
handeln, dies ist in Verbindung mit Kampf und/oder Flucht, eine lebensnotwendige
Eigenschaft (Bärsch & Rohde 2013, S. 11). Der sogenannte Aggressionstrieb existiert, laut
Sigmund Freud, im Areal des Unterbewussten, des „Es“ ist aber im „Über-Ich“ an äußere
Einflüsse geknüpft, wird dort entschärft, überwacht und geleitet. Faktoren, welche das
Ausbrechen von offenen Aggressionen begünstigen sind beispielsweise Angst, Schmerz oder
Alkohol bedingt (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 21).
4.2.2. Die Frustrations-Aggressions Hypothese
Die Frustrations-Aggressions-Theorie besagt, dass Aggression nicht zu den angeborenen
Trieben gehört, sondern stets das Resultat von Frustration sei. Diese Theorie wurde von den
Psychologen Dollard, Miller, Doob, Mowrer, Sears entwickelt und erstmalig im Jahr 1939
veröffentlicht (Schulz 2014, S. 26).
Die sogenannte Frustrations-Aggressions-Hypothese von Dollard und Miller (1972), besagt
grundlegend folgendes (Donald & Miller 1972, zitiert in Kienzle & Paul-Ettlinger 2007,
S.21):
•
„Aggression ist immer die Folge einer Frustration.
•
Frustration führt immer zu irgendeiner Form von Aggression.“
Ähnlich wie andere Emotionen bildet sich auch die Aggression aus einem nicht gestillten
9
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
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Bedürfnis. Wird ein Mensch daran gehindert seinen Bedürfnissen nachzugehen, können
Aggressionen die Konsequenz davon sein. Werden Erwartungen nicht erfüllt, neigt der
Mensch zu Frustration, worauf nicht jede Person auf dieselbe Art reagiert, manche werden
laut, andere ziehen sich vollkommen zurück (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 21).
4.2.3. Lerntheoretische Erklärungsmodelle: Theorien des sozialen Lernens
„Die Lerntheorie beschäftigt sich mit der Frage, was Menschen dazu bewegt, sich aggressiv
zu verhalten und was ihr aggressives Verhalten aufrechterhalten lässt. Aggressives Verhalten
erfordert komplizierte Fertigkeiten und damit soziale Lernprozesse. Lernen bedeutet dabei
eine Veränderung von Verhalten und Erleben aufgrund von Erfahrungen.“ (Heinemann
1996, S. 22 zitiert in Schulz 2014, S. 28)
Modelllernen: Lernen durch Beobachtung
Das sogenannte soziale Lernen basiert auf dem Prinzip der Beobachtung. Ein Mensch
beobachtet eine Verhaltensweise bei einem anderen Menschen und imitiert diese. Durch
Belohnung wird dieses Verhalten ebenfalls gefestigt und gestärkt (Kienzle & Paul-Ettlinger
2007, S. 22). Die Experimente von Bandura, Ross und Ross (1963) konnten belegen, dass
Kinder beobachtetes aggressives Verhalten, unabhängig ob reale Begebenheit oder Film,
nachahmen. Auch die Beobachtung von aggressivem Modellverhalten allein ist ausreichend,
um dieses Verhalten selbst anzunehmen (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 23-24).
Nicht alle Personen sind gleichermaßen als entsprechendes Modell zur Imitation geeignet.
Nach Kienzle und Paul-Ettlinger (2007, S. 24) werden Personen bevorzugt,
•
„die einen höheren sozialen Status haben,
•
die Erfolg haben,
•
die man als sich selbst ähnlich empfindet oder
•
die man liebt.“
Verstärkungslernen: Instrumentelles Lernen
Der Psychologe Burrhus Frederic Skinner fand heraus, dass operantes Verhalten dazu
beiträgt aggressives Verhalten zu erlernen. Positive Konsequenz steigert das Auftreten eines
Verhaltens, negative Konsequenz hingegen führten zu einem verminderten Auftreten eines
Verhaltens. Hierbei wird von einer positiven oder negativen Verstärkung gesprochen. Keine
10
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Folgen auf eine Verhaltensweise führt zu einer Art Löschung, das heißt, dass das Verhalten
nach einiger Zeit gar nicht mehr auftritt (Schulz 2014, S. 29).
Tausch und Tausch (1979 zitiert in Kienzle und Paul-Ettlinger 2007, S. 26) berufen sich auf
diverse Studien, welche die Bedeutung der Verstärkung beim Modelllernen belegen.
•
„Es zeigt sich das wichtige Ergebnis, dass ein Gewährenlassen von aggressivem
Verhalten verstärkend wirken kann.
•
Bei einer direkten Verstärkung des aggressiven Verhaltens (z.B. durch Lob) zeigt sich
daraufhin eine Steigerung des aggressiven Verhaltens.
4.2.4. Motivationstheorie
Die Quintessenz dieser Theorie basiert auf einem „eigenständigen, überdauernden
Aggressionsmotiv“. Erlernte oder angeborene Verhaltensmuster, Frust aber auch die
Aussicht auf Erfolg oder Misserfolg, können die Verwirklichung dessen beeinflussen.
Kornadt (1981 zitiert in Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 27) versuchte Ansätze anderen
Theorien
in
dieses
Modell
zu
implizieren.
Oppositionell
dazu
steht
die
Aggressionshemmung, welche an die negative Konsequenz des Auslebens von Aggression
geknüpft ist. In der Motivationstheorie stehen die Vermeidung und Entstehung Aggressiven
Verhaltens im Konflikt zueinander. Die Aggressionshemmung tritt bei psychischer,
physischer Krankheit aber auch bei geistiger Beeinträchtigung in reduzierter Form auf
(Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 26). Als „Abreagieren“, also das Kanalisieren von
Wutausbrüchen, kann bei körperlich und geistig gesunden Menschen unter anderem Sport
dienen. Krankheitsbedingte Einschränkung kann allerdings bedingen, dass diese Option
wegfällt. In der Persönlichkeitsentwicklung spielt die „Ich-Reifung“ demnach eine tragende
Rolle, da diese großen Einfluss auf die Kontrolle von aggressivem Verhalten hat. Faktoren,
wie Spannungszustände psychischer und physischer Natur, aber auch Erkrankungen, können
zu Regression bezüglich der Persönlichkeit führen (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 2627).
4.3. Aggressionsregulatoren
Meist führt das Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu aggressivem Verhalten, Menschen
werden nicht ohne Grund aggressiv. Auch der Vorsatz hinter dem aggressiven Verhalten ist
facettenreich. Die sogenannte Unmutsaggression kann dazu dienen seinem Ärger Luft zu
11
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
machen, des Weiteren wird auch noch zwischen der Vergeltungsaggression, der
Abwehraggression und der Erlangungsreaktion unterschieden. Schließlich kann es ebenfalls
zu einer situationsbedingten spontanen Aggression kommen (Osterbrink & Andratsch 2015,
S. 61). Die Gründe für aggressives Verhalten in pflegerischen Einrichtungen sind ebenso
unterschiedlich. So können Pflegebedürftige gewalttätig, bedingt durch Frustration über das
Verhalten anderer, reagieren. Gewalt kann aber auch angewandt werden, um sich zu wehren
oder durch eine Angstsituation, welche ausweglos erscheint, auftreten. Dies betrifft vor
allem Personen, die unter einer Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkeiten leiden. Oft
werden Situationen missverstanden und so nicht richtig eingeschätzt. Die Vorgeschichte der
pflegebedürftigen Person ist für eine richtige Einschätzung von enormer Bedeutung.
Fachkompetenz und ein hohes Maß an Empathie sind dabei die Grundvoraussetzungen
(Schirmer et al. 2006, S. 41).
Gewalt hat immer mehrere Eckpfeiler. Grond (2007, S. 24-25) veranschaulicht
unterschiedliche Faktoren, welche aggressives Verhalten verstärkend aber auch vermindernd
beeinflussen können.
Aggressionsverstärkende Faktoren:
•
bisheriger Erfolg mit Aggression
•
Vorurteile
•
Überforderung, Dauerstress
•
Provokation
•
Bevormundung
•
Alkohol
Aggressionsmindernde Faktoren:
•
Belohnen nicht aggressiven Verhaltens
•
Besprechen nicht aggressiven Verhaltens
•
Abreaktion an Ersatzobjekten
•
sinnvolle Beschäftigung
•
alternative Entspannung
12
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
•
Beschwichtigen, Versöhnen
Die Berücksichtigung dieser Faktoren, kann im Setting der Pflege bereits maßgebend zur
Qualitätssicherung beitragen (Grond 2007, S. 25).
5. Pflege und Gewalt
Wen betrifft Gewalt in der Pflege? Nicht selten wird in Einrichtungen beobachtet, dass
gewisse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufiger von gewaltsamen Übergriffen betroffen
sind als andere. Doch welche Ursachen liegen dem zugrunde? Richter und Berger (2001)
haben festgestellt, dass jüngere Pflegende, bedingt auch durch weniger Berufserfahrung als
ältere Kolleginnen und Kollegen öfter Opfer von Übergriffen werden. Das Risiko von
Auszubildenden ist sogar um das 2,5-fache erhöht (Richter & Berger 2001, zitiert in
Schirmer et al. 2006, S. 14). Doch nicht nur Pflegende, auch Pflegebedürftige können Opfer
von Gewalt werden. In diesem Fall liegen die Ursachen meist tiefer verwurzelt. Die Täterin
oder der Täter fühlt sich selbst klein und unbedeutend, durch das Unterdrücken und
Kleinmachen anderer steigt aber ihr eigenes Selbstwertgefühl (Grond 2007, S. 26).
5.1. Konfrontation von Pflegenden mit Gewalt und Aggression
Ob eine Situation als gefährlich oder harmlos eingestuft wird, liegt im Ermessen des
Einzelnen und ist somit individuell. So kann drohendes Verhalten und verbale Attacken für
die eine Person bereits eine potentielle Gefahrenquelle sein, eine andere Person ist jedoch
der Auffassung, dass dies „nur“ als Beleidigung zu deklarieren sei. Aufgrund dieser
unterschiedlichen Betrachtungsweisen fällt es schwer sich diesbezüglich auf Richtlinien und
Regelungen zu berufen (Schirmer et al. 2006, S. 46).
5.2. Reaktion und Verhalten
In Gewaltsituationen ist es von größter Wichtigkeit, Emotionen und Aggressivität nicht auf
sich selbst und die eigene Person zu beziehen. Im professionellen Fachbereich der Pflege ist
es sogar essentiell ein neutrales und differenziertes Verhalten an den Tag zu legen. Oft sind
aggressive Reaktionen einer Bewohnerin oder eines Bewohners nicht vorhersehbar und es
ist deswegen unabdinglich eine ausgeglichene innere Einstellung und Ruhe zu finden
(Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 35). Das Fundament dafür bildet die Selbsterkenntnis,
denn nur wer seine eigenen Emotionen zulassen kann und nicht versucht diese zu
unterdrücken, hat die Möglichkeit auch den Richtigen Umgang mit Emotionen zu erlernen
13
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
und die eigenen Reaktionen angemessen zu kanalisieren. Ein wichtiger Faktor hierbei ist die
Kommunikation. In vielen Fällen erkennt nämlich jemand aus dem Kollegium bereits den
Ansatz einer Gewalthandlung und die oder derjenige sollte sich nun nicht davor scheuen,
ihre/seine Beobachtungen zu thematisieren. Gewalt darf kein Tabuthema sein, sondern
Betroffene müssen sich offen äußern können, nur auf diesem Weg können Verhaltensansätze
dieser Art zukünftig vermieden werden (Grond 2007, S. 105).
Ein starkes Selbstwertgefühl ist eine gute Grundvoraussetzung für ein gewaltpräventives
Verhalten. Dieses entwickelt sich jedoch nur aus einem guten Selbstbewusstsein, in dessen
Rahmen man sich seiner Fähigkeiten, Stärken als auch Schwächen bewusst sein sollte
(Bärsch & Rohde 2013, S. 46). Selbstpflege ist hierbei der Schlüssel. Auf sich achten, die
hohen Ansprüche an sich selbst relativieren und sich mit sozialen Kontakten, die einem
Freude bereiten, belohnen, durch den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen mittels
Supervision zu lernen und profitieren. Elementar ist jedoch, dass sich Pflegepersonen
darüber im Klaren sind, dass auch sie oftmals Aggressionen entwickeln. Wer diese Gefühle
verleugnet oder unterdrückt, ist gefährdet diese auszuleben (Grond 2007, S. 106-107).
5.2.1. Klärung der Umstände
Sind Pflegende mit einer unvorhersehbaren Gewaltsituation konfrontiert, so macht sich
zunächst Schock breit. Eine differenzierte Pflegekraft reagiert dann den Umständen
entsprechend angemessen, beobachtet genau und analysiert in weiterer Folge die möglichen
Auslöser der Eskalation. Auf diese Weise könnte das Ausbrechen der Aggression zukünftig
gänzlich vermieden oder zumindest bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar gemacht
werden. Eine professionelle Analyse des Sachverhaltes ermöglicht auch einen
unvoreingenommenen Zugang zu den betreffenden Bewohnerinnen oder Bewohnern.
Schuldzuweisungen sind hierbei unangebracht, es geht um Verständnis dem anderen
gegenüber, vielmehr ist in dieser Situation alles hilfreich, was zur Klärung der Lage beiträgt
(Kienzle & Paul-Ettinger 2007, S. 43).
Ursprünglich für die Arbeit im psychiatrischen Bereich gedacht, entwickelte der Norweger
Roger Almvik die Brøset-Gewaltcheckliste. Christoph Abderhalden und Ian Needham
editierten diese (Brøset-Violence-Checklist Switzerland, BVC-CH). Die BVC-CH kann ein
hilfreiches Instrument hinsichtlich der Einschätzung des Gewaltrisikos sein. Die Version aus
Norwegen beinhaltet die sechs Verhaltensweisen, Reizbarkeit, Lärmigkeit, Verwirrtheit,
körperliches Drohen, verbales Drohen und Angriff auf Gegenstände. Wird eine
14
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Verhaltensweise beobachtet, so bekommt die Patientin oder der Patient, jeweils einen Punkt
dafür. Abderhalden und Needham fügten hinzu, dass je nach Risikogefühl der
Überprüfenden Person, noch weitere sechs Punkte vergeben werden können.
Abderhalden und sein Team stellten also folgendes fest (Abderhalden 2004, S. 78 zitiert in
Bärsch & Rohde 2013, S. 112):
„0-3 Punkte
Sehr geringes Risiko
4-6 Punkte
Geringes Risiko (1 von 100 Patienten wird gewalttätig)
7-9 Punkte
Erhebliches Risiko (1 von 10 Patienten)
10-12 Punkte
Hohes Risiko (1 von 4 bis 1 von 5 Patienten)“
Mögliche Gründe für ein gewalttätiges Verhalten der pflegebedürftigen Person
(Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 44):
•
Hatte die Person Schmerzen?
•
Lag eventuell ein Schlafdefizit vor?
•
Hatte die betroffene Person Durst oder Hunger?
•
War ein spezielles Ereignis kurz zuvor der Auslöser?
•
Lag eine Über-, oder Unterforderung vor?
•
Fühlte sich die pflegebedürftige Person einsam?
•
War Angst vor einem Ereignis (Tod, sterben, Kontrollverlust) der Grund?
•
Hatte die Person Schwierigkeiten mit jemandem?
•
Traten Konflikte mit einer Pflegeperson auf?
•
Liegt eine Krankheit vor, die das Aggressionspotential beeinflusst?
5.2.2. Vermeidung von Konfliktsituationen, Ausbrennverhinderung
Um Konfliktsituationen längerfristig aus dem Weg zu gehen, gibt es unterschiedliche
Bewältigungsstrategien für den Alltag. Der erste Schritt hierfür ist die Arbeit an sich selbst.
Andere zu pflegen, erfordert auch sich selbst zu pflegen. Um eine dauerhaft positive
Wirkung zu erzielen, sind Coping-Strategien erforderlich, welche zur Bewältigung des
15
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Problems beitragen und dieses nicht nur vertagen. Fengler (2000) gibt diesbezüglich einen
Überblick möglicher Coping-Strategien (Fengler 2000, zitiert in Hamborg, Entzian, Huhn &
Kämmer 2003, S. 30):
1. Die Informationslücken müssen geschlossen werden. Es müssen so viele
Informationen als möglich zusammengetragen werden um sich ein klares Bild zu
machen.
2. Den Rat anderer einholen. Es ist wichtig auch mal die Meinung eines
Außenstehenden zur Kenntnis zu nehmen.
3. Unbeschwertheit an den Tag legen. Alles Negative hat auch sein Positives. Hierbei
bewusst, die gute Seite des Problems erkennen.
4. Nicht am Problem festhalten. Ablenkung durch andere Dinge, schafft oft die Distanz
die es benötigt, um einen anderen Blickwinkel zu gewinnen.
5. Konstruktiven Input geben und das Beste aus der Basissituation zu machen.
6. Das Risiko abwägen und auch auf die schlimmstmögliche Situation gefasst sein.
7. Nach Faktoren suchen, welche die Situation beeinflussen könnten.
8. An Erfahrungswerte anknüpfen und daraus profitieren.
9. Situationen aktiv entschärfen und nicht abwarten bis die Situation eskaliert.
10. Die Priorität der Situation abklären, bestenfalls mit einer dritten Person um eine
objektive Meinung zu erhalten.
5.2.3. Beruhigung Betroffener
Machtlosigkeit kann ebenfalls ein Faktor sein, der dazu beiträgt aggressives Verhalten
gegenüber Pflegenden auszuleben. Die Abhängigkeit und Ohnmacht sowie die Tatsache über
viele Belange nicht mehr selbst entscheiden zu dürfen, kann pflegebedürftige sehr
frustrieren. Oft liegt dies auch daran, dass Pflegehandlungen missverstanden werden oder
den Bewohnerinnen und Bewohnern die Notwendigkeit dieser Pflegehandlungen einfach
nicht klar ist. Um Situationen dieser Art zu entschärfen bedarf es vermehrter
Kommunikation und Empathie. Hier ist es von größter Wichtigkeit mit der betroffenen,
pflegebedürftigen Person die Sachlage zu klären und verständlich zu machen, was die
Pflegekraft vor hat und warum dies gemacht wird. Bewohnerinnen und Bewohner müssen
16
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
die Notwendigkeit der Pflegehandlung verstehen und diesbezüglich gilt es beruhigend auf
die Person einzuwirken und über die positiven Aspekte der Pflegehandlung zu informieren,
sowie das Wohlwollen dem zu Pflegenden gegenüber in den Vordergrund zu rücken (Kienzle
& Paul-Ettlinger 2007, S. 38).
5.2.4. Verharmlosung und Ignoranz
Der Verharmlosung von negativen Verhaltensweisen im Setting der Pflege können zweierlei
Ursachen zu Grunde liegen. Zum einen ist es möglich, dass sich die pflegebedürftige Person
nicht mehr ernstgenommen fühlt, was wiederum eine Steigerung der Aggression zur Folge
haben könnte. Zum anderen ist es ebenfalls möglich, dass sich die pflegebedürftige Person
dadurch in ihrem Verhalten bestätigt fühlt und dies noch weiter ausführt (Kienzle & PaulEttlinger 2007, S. 40).
Das Ignorieren von aggressivem Verhalten hat ähnliche Auswirkungen. Die Pflegebedürftige
Person verhält sich unangemessen, wird dies ignoriert, so kann das Schweigen als Akzeptanz
gedeutet werden und eventuell zu einer Verstärkung des Verhaltens führen. Auch hier besteht
die Möglichkeit, dass sich die pflegebedürftige Person nicht ernst genommen fühlt und sich
so das Aggressionspotential steigert. Zum Beispiel packt eine Bewohnerin oder ein
Bewohner die Pflegekraft am Arm und hindert diese mit ihrer Handlung fortzufahren. In der
Annahme weitere Konflikte zu vermeiden, wird dies oft ignoriert. Eine angemessene
Reaktion wäre jedoch gewesen, die Person auf ihr unangebrachtes Verhalten hinzuweisen
(Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 41).
5.2.5. Anforderung von Unterstützung
Der Pflegealltag bietet sich ständig neue Herausforderungen, was passiert aber, wenn diese
nicht mehr allein bewältigt werden können? Ist Gefahr im Verzug, so ist es unabdingbar
Hilfe zu holen bevor die Situation eskaliert. Sind beispielsweise Gegenstände, welche als
Waffe verwendet werden könnten in greifbarer Nähe für die bereits aggressive
pflegebedürftige Person, so wäre Hilfe zu holen und Unterstützung von Kolleginnen und
Kollegen anzufordern, die richtige Entscheidung. In solchen Situationen kann die richtige
Reaktion entscheidend sein und zur Entschärfung oder Eskalation beitragen. Hierbei ist ein
hohes Maß an Empathie und auch Erfahrung gefragt. Ein anderes Beispiel wäre, dass die
Bewohnerin oder der Bewohner die Aggression direkt gegen die Pflegekraft richtet. Unter
diesen Umständen kann es wirkungsvoll sein mit der Pflegehandlung einfach weiter
17
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
fortzufahren, um so das Aggressionspotential abzuschwächen (Kienzle & Paul-Ettlinger
2007, S. 39).
5.2.6. Bestrafung
Eine Überforderung der Pflegekraft kann dazu führen, dass diese auf unangemessene,
unprofessionelle Weise reagiert, hierzu zählt auch die Bestrafung.
Drohungen und Strafen könnten das unerwünschte Verhalten der betreffenden
pflegebedürftigen Person eventuell in dieser Situation für den Moment stoppen, jedoch hat
dies langfristig keine Wirkung. Im Gegenteil, denn die Angst vor weiteren Bestrafungen
kann die Aggression noch weiter schüren und so auch Trotzreaktionen hervorrufen, wie
beispielsweise einkoten (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 41).
5.3. Gewaltformen seitens des Pflegepersonals
Pflegende sind nicht nur der Gewalt anderer ausgesetzt, sie können auch aktiv Gewalt an
Pflegebedürftigen ausüben. Das „Überpflegen“ ist bereits eine subtile Gewaltform, diese
wird nur nicht immer sofort realisiert. Im Folgenden werden unterschiedliche Formen der
Gewalt zunächst übersichtlich dargestellt und darauf näher beschrieben.
Darstellung der Gewaltformen gegen Heimbewohner (Schneider 2006, zitiert in Grond
2007, S. 84):
•
„Psychische Gewalt: Handgreiflichkeiten, Schubsen, Immobilisieren, Fixieren,
falsche Medikamente, Überdosis, Psychopharmaka ohne Einwilligung, künstliche
Ernährung wider Willen, Dauerkatheter
•
Psychische oder emotionale Gewalt: Drohungen, Beleidigungen, Befehle, rüder
Umgang, Duzen, Klingel außer Reichweite, Erpressungen, oberflächliche
Zuwendung, nachts Waschen, Bedrängen, Einschüchterungen, Verharren auf der
Expertenrolle, den Tod prophezeien, unsensibler Umgang mit Sterbenden
•
Finanzielle Gewalt: Drängen zu Geschenken oder zu Testamentsänderung
•
Vernachlässigung: Hilfe unterlassen, Nahrung, Kleidung oder Hygienevorenthalten,
in Ausscheidungen liegen lassen, Toilettengang, Wärme oder Pflege verweigern, Arzt
nicht benachrichtigen
•
Freiheitsbeschränkung: Bettgitter, Einsperren, Einschließen, Isolieren, Verlegen,
18
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Zivilrechte behindern
•
Strukturelle Gewalt: Personalmangel, Frühstückszeiten des Personals, rigide
Zeitpläne für Essen, Schlafen, Wecken oder Besuche, fester Tagesplan, der nicht an
den Bedürfnissen der Bewohner orientiert ist, Verbot von Beziehungen, Störung von
Lebensraum und Privatsphäre.Pflegenden geben zu, einmal jährlich in 40%
psychische Gewalt und in 10% körperliche Gewalt anzuwenden.
In der Altenpflege ist passive Gewalt (z.B. Vernachlässigung) häufiger als aktive, psychische
häufiger als körperliche und indirekte häufiger als direkte.“
5.3.1. Psychische Gewalt
Diese Form der Gewalt kommt am häufigsten im Setting der Pflege vor. Verbale
Misshandlungen geschehen tagtäglich und beginnen bereits beim Duzen, denn dadurch
wertet die Pflegekraft die pflegebedürftige Person bereits ab. Des Weiteren zählen dazu das
Dehumanisieren durch das Vermeiden von Gesprächen, das Anschreien, das Missachten der
Privatsphäre, sowie Beschimpfungen oder Erniedrigungen und das absichtliche Verspotten
der pflegebedürftigen Person (Grond 2007, S. 82). Diese Form der Gewalt hinterlässt keine
sichtbaren, äußerlichen Spuren, weshalb sie auch deutlich schwieriger festzustellen ist.
Trotzdem ist sie für die Betroffenen spürbar (Osterbrink & Andratsch 2015, S. 45).
5.3.2. Physische Gewalt
Die physische Gewalt beinhaltet jegliche Form von Misshandlungen. Ziel ist es einer
anderen Person Schmerz und/oder körperlichen Schaden zuzufügen. Offensichtlich sind
hierbei Handlungen, wie etwa Treten, Schlagen, Festhalten etc. (Osterbrink & Andratsch
2015, S. 44). Jedoch kommt körperliche Gewalt gegen kranke oder pflegebedürftige
Menschen deutlich seltener vor. In manchen Fällen wird diese jedoch auch nicht sofort
wahrgenommen. Um sich Mehrarbeit zu sparen, werden Bewohnerinnen und Bewohner
gelegentlich fixiert und mit Medikamente gegen ihren Willen ruhiggestellt. Sie sind von den
Pflegekräften abhängig und müssen unter diesen Umständen gegebenenfalls auch unter
Durst, Hunger oder Kälte leiden. Dies geschieht jedoch meist unbewusst und wird sogar als
notwendig für erfolgreiches Arbeiten von den Pflegenden betrachtet. Auch das Aufzwingen
von Waschhandlungen, Beteiligung an Aktivitäten oder Stören des Schlafes zählen zu
psychischer Gewalt (Grond 2007, S. 82).
19
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
5.3.3. Sexuelle Gewalt
Bei dieser Form der Gewalt wird die Sexualität als Instrument für Verletzungen und
Erniedrigung eingesetzt. Dazu zählen sexuelle Übergriffe aller Art, sexuelle Belästigung,
sexueller Missbrauch, sowie Vergewaltigung. Auch diese Form der Gewalt kann auf verbaler
Ebene stattfinden. Blicke und einschlägige Äußerungen sind bereits ausreichend. Sexuelle
Gewalt ist stets aggressiv und machtdemonstrierend, als möglicher Hintergrund wird ein
ausgeprägtes sexuelles Begehren vermutet. Die Opfer werden dabei gedemütigt und
erniedrigt (Osterbrink & Andratsch 2015, S. 48).
5.3.4. Soziale Gewalt
Für Pflegende ist es ein Leichtes, soziale Gewalt auszuüben. Dies bezieht sich unter anderem
auf das Ein- oder Aussperren von Bewohnerinnen und Bewohnern durch Isolation oder
Zwangseinweisungen. Aber auch das Abändern der Besuchszeiten zum Nachteil der
Pflegebedürftigen zählt hier dazu (Grond 2007, S. 83).
5.3.5. Fürsorgliche Gewalt
Auch diese Form der Gewalt wird oft nicht gleich wahrgenommen. Die Pflegekraft meint es
„gut“ mit der pflegebedürftigen Person, nimmt dieser jedoch damit die letzte Autonomie. In
dem Glauben, dass die Pflegenden besser wüssten was gut für die Bewohnerin oder den
Bewohner ist, wird so auch noch die letzte Selbstständigkeit zu Nichte gemacht (Grond
2007, S. 83).
5.3.6. Vernachlässigung Pflegebedürftiger Menschen
Die passive Vernachlässigung, hiermit sind Tätigkeiten, welche vergessen werden könnten,
wie die Verabreichung von Flüssigkeit und Nahrung, das Umlagern etc. gemeint (Grond
2007, S. 83). Die Verweigerung der Kommunikation, Ignorieren von Wünschen, Schmerzen
und Ängsten sind ebenfalls hier angesiedelt (Osterbrink & Andratsch 2015, S. 46).
Bei der aktiven Vernachlässigung geschehen diese Dinge mit Absicht. Auch Missstände
hinsichtlich der Hygiene gehen Hand in Hand mit aktiver Vernachlässigung (Grond 2007, S.
83).
20
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
6. Tötung
Pflegende können durchaus zu Täterinnen und Tätern werden, dies wurde ja bereits
hinreichend erörtert. Ihre Taten können sogar zum Tode führen. Die Beweggründe hierfür
sind jedoch nur schwer nachzuvollziehen. In den wenigsten Fällen liegt eine psychologische
Erkrankung vor und ein allgemeines Motiv existiert ebenfalls nicht. Es konnte beobachtet
werden, dass häufig jene Pflegebedürftige betroffen sind, die als unheilbar krank gelten oder
bereits im Sterben liegen, Gegebenheiten, bei denen das Ableben keine Seltenheit ist
(Rotondo 2005, S. 5). Zu den beeinflussenden Faktoren zählen Überforderung,
Personalmangel, der Mangel an Kommunikation, Strukturelle Unstimmigkeiten und
fehlende Supervision. Hinzu kommt, dass die Täterinnen und Täter diese Handlungen nicht
als Tötung wahrnehmen. Sie sehen sie oftmals als „Erlösung“, „das Beste“ oder „das
Richtige“ an. Pflegende, die morden, sind meist auch sehr engagiert, hoch qualifiziert und
gelten als eher unauffällige Personen, denen Kolleginnen und Kollegen eine solche Tat nie
zutrauen würden. Im Setting der Pflege wird das Töten auch nicht erwartet und es geschieht
meist subtil mit überdosierten Medikamenten (Rotondo 2005, S. 6). Jahrelang kann dies trotz
wiederkehrender Warnzeichen, wie einer erhöhten Sterberate während der Dienstzeit der
betreffenden Pflegekraft, unentdeckt bleiben. Oftmals bekommen die Täterinnen und Täter
bereits prägnante Spitznamen wie „Todesengel“, „Kuss des Todes“, „Hexe“ etc., jedoch wird
dies meist humorvoll von Kolleginnen und Kollegen abgetan und es wird wieder zur
Tagesordnung übergegangen. Trotz der anhaltenden Todesfälle, werden meist keine weiteren
Nachforschungen vom Kollegium angestellt (Rotondo 2005, S. 5-6).
Einige Beispiele zur Veranschaulichung:
•
Im Krankenhaus Wien-Lainz starben auf der Inneren Station unter der Obhut von
Rotraud Prager 1987 73 Patientinnen und Patienten. Dies konnte erst 1989
festgestellt werden. Im Vergleich zu zwei anderen Schwestern derselben Station,
waren dies 4- bis siebenmal so viele Todesfälle. Im Jahr darauf stiegt die Mortalität
auf 123 Patientinnen und Patienten. Was eine 5- bis achtmal höhere Sterberate
bedeutet als bei den anderen Schwestern.
•
1990 ereigneten sich dreiviertel aller Todesfälle eines deutschen Krankenhauses,
während der Dienstzeit von Krankenpfleger Helmut Frey.
•
Zwischen 1985 bis zur Aufdeckung im Februar 1986 starben während der Dienstzeit
von Schwester Michaela Roeder auf der Intensivstation beinahe dreiviertel aller
21
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Patienten (Maisch 1997, S. 163-164).
•
Pfleger Roger A. hat 27 oft demenzkranke, Pflegebedürftige Menschen mit starken
Beruhigungsmitteln oder gar einer Plastiktüte zu Tode gebracht. Die Motive waren
Mitleid und Überforderung, er wurde dafür verurteilt.
•
Der Krankenpfleger Wolfgang L. Ist verantwortlich für 10 Todesopfer in der
Psychiatrie in Güterlsloh und wurde wegen Todschlags verurteilt.
•
Der engagierte Krankenpfleger Stefan L., hatte sich 2006 vor Gericht für 29
Todesfälle in der Klinik Sonthofen zu verantworten. Er tötete seine Opfer durch die
Injektion einer Medikamentenmischung
•
Der Krankenpfleger einer Intensivstation Reinhard B., wurde 1991 wegen
siebenfacher Körperverletzung mit Todesfolge in Rheinfelden verurteilt.
•
Rudi Z., ein Krankenpfleger, wurde 1976 wegen zweifachen Mordes und zweifach
versuchten Mordes in einem Altersheim in Wuppertal verurteilt.
•
Der „Todesengel“ von Wachtberg, Michaela G., erstickte während ihrer Tätigkeit als
Pflegeassistentin im Jahr 2006, 9 hilflose Heimbewohnerinnen. Sie wurde dafür zu
Rechenschaft gezogen und bestraft (Grond 2007, S. 85).
7. Mitwissende
In Lokalen, in der Schule, auf der Straße, beinahe überall wird man mit Übergriffen und
Gewalt konfrontiert. In vielen Fällen reagieren Menschen mit Ignoranz aufgrund von
Unsicherheit und verschließen sich vor dem Offensichtlichen. Leider schürt dieses Verhalten
noch zusätzlich ein Milieu von Gewalt (Bärsch & Rohde 2013, S. 72).
Sehr oft beobachten Kolleginnen und Kollegen Gewalt, ausgeübt von anderen Pflegekräften.
Die sogenannten „Aufdeckungsbarrieren“ und „Verleugnungsrituale“ tragen dazu bei, dass
die Taten unentdeckt bleiben. Sie dienen unter anderem dem Selbstschutz, dem „nicht
wahrhaben Wollens“ und der Vermeidung sich mit den Grausamkeiten auseinandersetzten
zu müssen. Zu diesen Ritualen gehören (Rotondo 2005, S. 8-11):
7.1. Verharmlosung
Hierzu zählt die Vergabe von Spitznamen, wie sie bereits erwähnt wurde. Denn äußert sich
im Kollegium bereits erster Verdacht beziehungsweise wird zunächst wahrgenommen, dass
22
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
es bei einer bestimmten Pflegekraft vermehrt zu Sterbefällen gekommen ist, wird dies
systematisch mit Humor verleugnet.
Dialogform im Kollegium
•
„Todeskuss“ war der Spitzname eines amerikanischen Intensiv Pflegers, als er von
Kolleginnen und Kollegen auf diesen angesprochen wurde, antwortete er, „Ja, heute
schnapp ich mir den Nächsten!“ und alle brachen in Gelächter aus.
•
Angesprochen als „Todesengel“, wurde Michaela Roeder bei Schichtwechsel von
ihren Kolleginnen und Kollegen auf das eventuell bevorstehende Ableben einer
Patientin informiert. Sie entgegnete, „Das Häppchen schaff ich bis zum
Fußballspiel“, welches am Abend übertragen wurde.
•
„Traudl, den haben wir für dich aufgehoben“, tönte es bei Schichtübergabe zur
„Hexe“ Schwester Prager in Wien, betreffend todgeweihten Patientinnen und
Patienten. Sie entgegnete religiös scherzend, „Ja ja, ich hab beim Pepi schon ein
Zimmer b'stellt!“. In Lainz stand „Pepi“ bezeichnend für 'Herrgott' und so lachte das
Kollegium. Auch ihren Spitznamen betreffend scherzte sie „Ja, ich muss mich halt
mal auspendeln lassen. Ich brauch ja nur daneben zu stehn und einen anschaun, schon
stribt er. Ich fürcht mich allmählich ja schon, in den Dienst zu gehen.“
Für Außenstehende mag dies nach einem rauen und zynischen Umgangston klingen. Für
beteiligte Kolleginnen und Kollegen erschien der offene Umgang als Zeichen eines reinen
Gewissens.
7.2. Aufdeckungsbarriere Gefühlsmisstrauen
Pflegende nehmen oft wahr, dass etwas nicht stimmt und Vorgänge nicht so ablaufen, wie
sie es sollten. Die Taten und Fakten können augenscheinlich klar auf der Hand liegen, doch
Beobachterinnen und Beobachter können es nicht glauben. Sie misstrauen ihrer eigenen
Wahrnehmung und zweifeln an ihrem Gefühl, bevor sie jemand anderen beschuldigen.
7.3. Aufdeckungsbarriere des Nicht-Ernst-Nehmens
Wenn eine Kollegin oder ein Kollege gegenüber dem Vorgesetzten, Bedenken oder einen
begründeten Verdacht äußert, so kann es passieren, dass dies nicht ernst genommen wird.
Manchmal werden dann auch vom Vorgesetzten nach anderen Gründen gesucht warum die
betreffende Pflegekraft angeschwärzt wird.
23
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
7.4. Aufdeckungsbarriere des Übersehens
Täter geben oftmals direkte Hinweise zur Tat. Da diese jedoch so offensichtlich sind, werden
sie von den beteiligten Kolleginnen und Kollegen oft übersehen. Wie der bereits erwähnte,
scherzhafte Umgang mit den zuvor genannten Geschehnissen, denn Beteiligte rechnen nicht
damit, dass sie hierbei eigentlich mit der Wahrheit konfrontiert werden. Auch im Falle von
Gewalt ohne Todesfolge wird oft geschwiegen. Denn werden interne Schwierigkeiten nach
außen getragen, so gilt man unter Kolleginnen und Kollegen als Nestbeschmutzer. Zu
schweigenden Dritten gehört laut Grond (2007, S. 97):
•
„wer als Mittwisser gleichgültig ist: 'Das geht mich nichts an.'
•
wer fürchtet, als Schlechtmacher den Job zu verlieren
•
wer Empathieschwund wünscht und immer sachlich bleiben will.“
Dabei gilt, wer Gewalt und Missstände beobachtet und diese verschweigt, macht sich
mitschuldig. Jede Person hat eine solche Situation umgehend den zuständigen Stellen zu
melden. Mediale Aufmerksamkeit wäre hierbei aber kontraproduktiv. Die Gefahr der
Dramatisierung schürt Ängste bei älteren Menschen und trägt dazu bei, dass diese später
nicht in einem Pflegeheim untergebracht werden wollen. Die Mitverantwortlichen, wie
Träger, Politik, Heim- und Pflegedienstleitung werden nur in den seltensten Fällen zur
Rechenschaft gezogen. Die Konsequenzen sind stets von den betroffenen Pflegenden zu
tragen (Grond 2007, S. 97-98).
8. Gewaltvermeidung durch 'Know-how'
Eine Zielorientierte und strukturierte Handlungsweise sind die Kennzeichen der
Professionalität im Bereich der Pflege. Dazu gehören (Hamborg, Entzian, Huhn & Kämmer
2003, S. 19):
•
eine stellvertretende Interpretation der Pflegesituation, gestützt von Fachwissen,
•
das Zusammenwirken von objektivem Pflegebedarf und den tatsächlichen
Gegebenheiten der individuellen Situation,
•
die Befolgung beruflicher Übereinkünfte und Normen.
8.1. Stellvertretende Interpretation der Pflegesituation
Professionelle Hilfe bei der Pflege wird meist dann gesucht, wenn sich Angehörige als
24
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Pflegende überfordert fühlen und die Situation nicht mehr tragbar ist. Eine qualifizierte
Pflegekraft deutet die Gegebenheiten ohne persönliche Betroffenheit und ist auch emotional
nicht involviert. Die erste Aufgabe der professionellen Pflege ist es, die Pflegesituation
objektiv einzuschätzen. Dies geschieht geleitet durch Theorie und basiert ebenfalls auf
Erfahrung. Hierbei handelt es sich um eine fachlich geleitete Problemerkennung. Die
Symptomentwicklung, die Wahrnehmung der Personen und die Pflegebedarfsbeobachtung,
tragen bei der systematischen der Ermittlung des Unterstützungs- sowie des Pflegebedarfs
bei (Hamborg, Entzian, Huhn & Kämmer 2003, S. 19).
8.2. Zusammenwirken von objektivem Pflegebedarf und den tatsächlichen
Gegebenheiten
Um im Setting der Pflege professionell handeln zu können, ist interdisziplinäres Fachwissen
von größter Wichtigkeit. Zum einen ist die Pflege aus naturwissenschaftlicher Sicht korrekt
durchzuführen, wie beispielsweise bei sehr alten, bettlägerigen Personen, die Dekubitus
gefährdet sind. Zum anderen leiden diese Personen manchmal unter Lungenmetastasen oder
anderen Krankheitsbildern, die Atemnot hervorrufen und wehren sich dementsprechend
gegen eine Lagerung. In Situationen wie dieser, bedarf es ein hohes Maß an Empathie, sowie
fundiertes Fachwissen um dementsprechend angemessen zu handeln. Welches Ziel, welcher
Zweck und welcher Sinn wird mit der Pflegemaßnahme verfolgt? Dies gilt es stets kritisch
zu hinterfragen.
„Pflegefachlichkeit zeigt sich in der Kompetenz, die objektive Pflegesituation unter
Berücksichtigung der individuellen Gesamtsituation planen, gestalten und bewerten zu
können.“ (Hamborg, Entzian, Huhn & Kämmer 2003, S. 19)
8.3. Befolgung beruflicher Übereinkünfte und Normen
Bei der Befolgung beruflicher Übereinkünfte und Normen sind
•
Perspektivenwechsel
•
Körperhaltung
•
Kommunikation
•
Verhalten
wichtige Faktoren hinsichtlich der sozialpflegerischen Perspektive. Ein Hauptaugenmerk
25
Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
der Pflege ist die Zusammenarbeit. Die pflegebedürftige Person muss mit der
Pflegehandlung einverstanden sein und einwilligen. Entscheidend ist es hierbei die
Menschenwürde und Selbstbestimmung zu achten und eine zufriedenstellende Lösung für
alle Betroffenen zu finden, welche auf den ethischen Grundlagen der Pflegearbeit basiert
(Hamborg, Entzian, Kuhn & Kämmer 2003, S. 18-19).
9. Prävention
Generell lassen sich Präventive Maßnahmen gegen Gewalt in drei Kategorien einteilen, die
Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Die Primärprävention beginnt bereits im
Kindesalter, Wertschätzung und gegenseitige Rücksichtnahme werden dabei über Jahre
gelebt und verinnerlicht, mit dem Ziel aggressives Verhalten und Gewalt gar nicht erst
entstehen zu lassen. Umgelegt auf den Pflegebereich bedeutet dies, Risikofaktoren
rechtzeitig wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Sekundärprävention zielt auf eine
direkte deeskalierende Reaktion in Notsituationen ab. Da Gewalt oft nicht von alleine
aufhört, kommen Sekundärmaßnahmen nach oder während Gewaltsituationen, stoppend zu
tragen. Die Tertiärprävention beinhaltet jegliche Maßnahmen, die dazu dienen, Gewalt
zukünftig zu verhindern. Basis hier ist bereits geschehene Gewalt. Tertiärprävention befasst
sich also ausschließlich mit der Nachbearbeitung von Gewalt (Osterbrink & Andratsch 2015,
S. 186). Aggressives Verhalten ist menschlich und tritt nicht nur im Setting der Pflege auf,
sondern in allen Lebensbereichen. Um eine langfristige Verhaltensänderung bei einer
anderen Person zu erreichen, muss die Bereitschaft, sein eigenes Verhalten zu ändern,
gegeben sein (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 56-57).
9.1. Pflegerische Professionalität
Professionelle Pflege, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden das beste
Fundament für die Prävention von Aggression und Gewalt. Werden Pflegehandlungen mit
gegenseitigem Respekt und einfühlsam vorgenommen, können physische und psychische
Schmerzen größtenteils vermieden werden und die pflegebedürftige Person fühlt sich unter
diesen Umständen gut aufgehoben (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 58).
9.2. Kompetenz auf fachlicher Ebene
Darunter fällt die einschlägige Ausbildung im pflegerischen Bereich und die Fähigkeit
fächerübergreifendes Wissen richtig zu verknüpfen. Die Pflege erfordert ein hohes Maß an
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Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
Empathie, sozialer Kompetenz sowie medizinisches Know-how. Darüber hinaus sind
kontinuierliche Weiterbildungen unerlässlich um stets am neuesten Wissensstand zu sein.
9.3. Kompetenz auf sozialer Ebene
Wie bereits erwähnt, spielt das Einfühlungsvermögen in diesem Berufsfeld eine tragende
Rolle. Die Empathie im Umgang mit anderen Menschen und das Kennen der eigenen
Grenzen sind elementar. Zu den sozialen Kompetenzen zählen auch Teamfähigkeit,
Kommunikationsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Konfliktfähigkeit, sowie Begabung bei der
Gesprächsführung (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 59).
9.4. Organisation der Arbeit
Im Pflegealltag ist die Organisation der Arbeitsabläufe essentiell, denn um allen
Bewohnerinnen und Bewohnern gerecht zu werden und auch die administrative Arbeit nicht
zu vernachlässigen, will jeder Schritt durchdacht sein. Nur durch eine sorgfältige Planung
der Tätigkeiten und Pflegehandlungen werden auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so gut
als möglich entlastet. Eine lückenlose Dokumentation ist dabei unerlässlich. Alle
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ständig am Sammeln von Informationen beteiligt und
sorgen somit für eine vollständige Aufzeichnung aller Geschehnisse. Die professionelle
Dokumentation ist erforderlich um (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 60):
•
das Pflegepersonal rechtlich abzusichern
•
Verhaltensweisen abklären zu können
•
die Kolleginnen und Kollegen bei Schichtwechsel zu informieren
•
die Kommunikation mit Angehörigen zu erleichtern
•
einheitlich zu pflegen
•
Handlungsweisen gegenüber Vorgesetzten zu rechtfertigen
9.5. Gespräche im Team
Um tatsächlich alle Vorgänge zu erfassen, sind regelmäßige Gespräche im Team
unverzichtbar. Hier können Probleme, Auffälligkeiten und auch persönliche Belange, etc.
nochmals im Kollegium ausgetauscht werden um so gemeinsam die bestmöglichen
Lösungsansätze zu erarbeiten (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 62).
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Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
9.6. Supervision
Um im Arbeitsbereich der Pflege langfristig einen hohen Qualitätsstandard gewährleisten zu
können, braucht es die Supervision. Aufgrund der belastenden Arbeitssituation ist ein
neutraler Supervisor, der mit dem Personal diverse Konfliktsituationen mit Hilfe von
unterschiedlichen Kommunikationstechniken erarbeitet, meist fördernd (Kienzle & PaulEttlinger 2007, S. 62).
9.7. Balintgruppe
Der Psychoanalytiker Michael Balint, entwickelte ursprünglich eine Art Reflexionsgruppe
für Ärzte. In dieser wurde die Arzt-Patienten-Beziehung mit Hilfe eines Psychotherapeuten
thematisiert. Balint ging davon aus, dass die Beziehung zwischen Arzt und Patient
erheblichen Einfluss auf die Erkrankung der Patientin/des Patienten hat. Die Balintgruppe
zielt darauf ab, die Beziehung zwischen Arzt und Patientin/Patient und somit auch die
Behandlung zu verbessern. Dieses Konzept hat sich im Laufe der Zeit modifiziert und
kommt nun in mehreren Berufsgruppen, unter anderem auch bei Pflegenden, zum Einsatz
(Osterbrink & Andratsch 2015, S. 190).
9.8. Weiterbildung
Wie viele andere Disziplinen, ist auch die Pflegewissenschaft eine Wissenschaft, die sich
ständig verändert und weiterentwickelt. Neue Erkenntnisse werden gewonnen und im
Pflegebereich adaptiert. So braucht es auch engagiertes Pflegepersonal, welches gewillt ist
neue Wege zu gehen und nicht vor Fort- und Weiterbildung zurückschreckt (Kienzle & PaulEttlinger 2007, S. 63).
9.9. Selbstpflege
Wie auch schon zuvor beschrieben, ist die Selbstpflege ein elementarer Aspekt um im
Pflegeumfeld langfristig bestehen zu können und auch mit Aggression und Gewalt umgehen
zu können. Die Pflegekraft ist ständigem Druck ausgesetzt, denn die „Arbeit am
Menschen“ muss trotz Zeit- und Personalmangels nach bestem Wissen und Gewissen
verrichtet werden. Die Psychohygiene setzt hier an, um wieder ein Gleichgewicht
herzustellen und ein Burnout zu verhindern. Zur persönlichen Ausgeglichenheit tragen
Faktoren, wie ein positives Selbstbild, Entspannung, Freiheitsbeschäftigung, persönliche
Beziehungen, sowie Erholungsphasen wesentlich bei (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 63).
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Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
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10. Ausblick
Die Tatsache, dass die Lebenserwartung kontinuierlich steigt, hat gravierende Auswirkungen
auf das gesamte Gesundheitssystem. Mit steigendem Alter steigt auch das Krankheitsrisiko
und somit auch der Pflegebedarf. Um diesem Umstand gerecht zu werden, bedarf es einer
vollständigen Neuausrichtung der medizinischen und pflegerischen Versorgung. Die Pflege
von älteren Personen gewinnt hierbei zunehmend an Bedeutung. Ziel wäre es, Pflege
menschlich orientiert, effektiv und leistbar zu gestalten (Osterbrink & Andratsch 2015, S.
135). Es besteht die Gefahr, dass die Anzahl der misshandelten Pflegebedürftigen ebenfalls
mit dem Anstieg des Lebensalters einhergeht.
„Epidemiologische Zahlen der WHO zeigen, dass in allen Ländern der europäischen Region
Gewalt und Misshandlung gegenüber alten Menschen ein Thema ist; Schätzungen zufolge
sind pro Jahr etwa vier Millionen alte Menschen im europäischen Raum dem ausgesetzt.
Das volle Ausmaß des Problems ist unbekannt.“ Osterbrink & Andratsch 2015, S. 136)
Das Bewusstsein der Gesellschaft ist dafür jedoch noch nicht ausreichend geschärft, obwohl
jeder von uns eines Tages betroffen sein könnte, wird Gewalt in der Pflege nur selten
thematisiert. Um die bestmögliche Pflege zu gewährleisten, bedarf es zunächst an
Aufklärung. Nur so können Missstände aufgezeigt, künftig verhindert und die
entsprechenden Organe wie Politik, Träger, etc. zur Verantwortung gezogen werden. Das
Pflegewesen sollte von Grund auf durchleuchtet werden, um so in Zukunft angemessenen
Rahmenbedingungen für die Gestaltung einer gewaltfreien Pflege zu schaffen.
Professionelle Pflegekräfte, Empathie, Supervision, Fort- und Weiterbildung sollten dabei
das Fundament bilden.
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Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
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11. Schlussfolgerung
Das kontinuierliche Auftreten von Gewalt im Pflegebereich zeigt, dass diesem Thema
künftig dringend mehr Aufmerksamkeit zu Teil werden sollte. Pflegende und
pflegebedürftige Personen sind täglich physischen und auch psychischen Gewaltsituationen
ausgesetzt, um dies weitgehend zu vermeiden, muss im Interesse aller gehandelt werden.
Bezüglich der Ansätze eines gewaltfreien Umgangs kristallisierte sich während meiner
Recherchen zu diesem Thema schon bald heraus, dass dies nur bedingt möglich ist.
Die Ansprüche an die Pflege sind sehr hoch. Diesen unter enormen Belastungen sowohl
physischer als auch psychischer Natur bei verhältnismäßig geringer Entlohnung gerecht zu
werden, gestaltet sich sehr schwierig. Werden die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen
kann ein hoher Wirkungsgrad von Gewaltfreiheit erzielt werden. Als Ansätze dienen hier
präventive
Maßnahmen
seitens
der
Pflege
wie
Pflegerische
Professionalität,
Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Arbeitsorganisation, Teamgespräche, Supervision,
Weiterbildung, Selbstpflege. Ziel ist es, Gewalt zur Gänze zu verhindern. Doch selbst die
Anwendung sämtlicher Methoden zur Förderung der Gewaltprävention, ist keine Garantie
für einen vollkommen gewaltfreien Umgang im Pflegebereich. Dieser lässt sich nicht in der
Realität umsetzen, zumal auch die Definition von Gewalt subjektiv ist und jede Person
darunter etwas anderes versteht. Pflegende sowie Pflegebedürftige sind Menschen und
bleiben Menschen, auch unter Berücksichtigung aller gewaltverhütenden Faktoren kann
Gewalt niemals gänzlich ausgeschlossen werden. Nicht alle pflegebedürftigen Personen
erfreuen sich bester geistiger Gesundheit, somit haben sie oft keinen Einfluss mehr auf ihr
Verhalten anderen gegenüber. Gewalt, die von pflegebedürftigen, oftmals kranken Menschen
ausgeht, kann demnach kaum verhindert werden. Die zusätzliche Erschwernis, die für
Pflegekräfte im Umgang mit gewalttätigen Patientinnen und Patienten besteht, darf niemals
als Ausrede verwendet werden, um ihrerseits mit Gewalt zu reagieren. Es ist dennoch
essentiell auf die Herausforderungen, denen sich Pflegende tagtäglich stellen müssen,
aufmerksam zu machen, diese nicht unter den Teppich zu kehren oder zu verharmlosen,
sondern ihnen größtmögliche Unterstützung und Anerkennung zukommen zu lassen. Die
Arbeit mit Menschen ist genauso erfrischend, wie unvorhersehbar, nichts ist auszuschließen.
Allerdings kann das Verhalten anderer durch das eigene beeinflusst werden und genau diese
Tatsache sollte niemals außer Acht gelassen werden.
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Bachelorarbeit: Gewalt im Pflegebereich
Kerstin Wutscher
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