Unverkäufliche Leseprobe

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Unverkäufliche Leseprobe
Ottmar Edenhofer / Michael Jakob
Klimapolitik
Ziele, Konflikte, Lösungen
2017. 128 S.: mit 14 Abbildungen und 2 Tabellen.
Broschiert. ISBN: 978-3-406-68874-4
Weitere Informationen finden Sie hier:
http://www.chbeck.de/15999347
© Verlag C.H.Beck oHG, München
Das Ziel von Klimapolitik besteht darin, die Folgen des Klimawandels zu begrenzen. Kaum ein Politikbereich ist so sehr abhängig von der Wissenschaft. Das hat auch einen Vorteil: Wissenschaftliche Erkenntnisse kann man nicht mit einem bloßen
Machtwort manipulieren. Regierungen können in der Debatte
mit der Wissenschaft nicht mehr ausschließlich auf Macht und
Interesse rekurrieren, sondern müssen sich auf Wahrheit, Objektivität, Fakten und Werte beziehen. Noch hat die Menschheit
wenig Erfahrung mit der gerechten und effizienten Nutzung
globaler Gemeinschaftsgüter. Daher kommt der Klimapolitik
eine besondere Bedeutung zu, denn sie hat für die internationale Kooperation auf vielen Feldern eine Vorbildfunktion.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin, stellv. Direktor und
Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Von 2008 bis 2015 war er
einer der Vorsitzenden des Weltklimarates (IPCC). Unter seiner
Leitung entstand der IPCC-Sonderbericht zu erneuerbaren Energien und der Vermeidung des Klimawandels (SRREN) sowie der
Fünfte Sachstandsbericht «Climate Change 2014: Mitigation of
Climate Change» des Weltklimarates. Bei C.H.Beck ist von ihm
als Mitherausgeber lieferbar: Global, aber gerecht. Klimawandel bekämpfen, Entwicklung ermöglichen (2000).
Dr. Michael Jakob arbeitet am Mercator Research Institute for
Global Commons and Climate Change (MCC) mit den Forschungsschwerpunkten Klimapolitik in Entwicklungsländern,
Infrastrukturpolitik sowie Wirtschaftswachstum.
Ottmar Edenhofer/Michael Jakob
KLIMAPOLITIK
Ziele, Konflikte, Lösungen
Verlag C.H.Beck
Mit 14 Abbildungen und 2 Tabellen im Text
Für Annette, Sarah und Jacob (OE)
Für Evelyn, Hans und Rike (MJ)
Originalausgabe
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2017
Satz, Druck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen
Umschlaggestaltung: Uwe Göbel, München
Umschlagabbildung: Sonnenprotuberanz, © IAM/akg-images
Printed in Germany
isbn 978 3 406 68874 4
www.chbeck.de
Inhalt
Vorwort
7
1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
Welche Risiken birgt der Klimawandel?. . . . . . . . . . . . .
Was ist mit der Vermeidung gefährlichen Klimawandels
gemeint? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Internationale Klimapolitik als Wette. . . . . . . . . . . . . . .
10
10
2. Die Bestandsaufnahme der Klimapolitik
Die Entwicklung der Emissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum . . . . . . . .
Die Renaissance der Kohle und das Angebot fossiler
Energieträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abholzung und Landnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Energieeffizienz und erneuerbare Energien . . . . . . . . . . .
18
19
25
13
15
29
33
35
3. Ziele und Wege der Klimapolitik
Das 2 °C-Ziel als langfristige Klimapolitik . . . . . . . . . . .
Die Pfade der Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dem technischen Fortschritt eine neue Richtung geben .
Die Kosten und Risiken des Klimaschutzes . . . . . . . . . .
Wachstumsverzicht und Klimaschutz. . . . . . . . . . . . . . .
Anpassung – auch bei erfolgreicher Klimapolitik
unvermeidlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Solar Radiation Management – der letzte Pfeil im
Köcher? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
39
42
46
51
55
4. Instrumente und Institutionen der Klimapolitik
Ein Preis für Emissionen und andere Politikinstrumente.
Warum wir internationale Klimapolitik benötigen . . . . .
Die internationalen Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . .
62
65
68
75
58
60
Nach Paris: Vorschläge für die Ausgestaltung der
internationalen Klimapolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Die Klimapolitik der Europäischen Union . . . . . . . . . . . 85
Die deutsche Energiewende und der Klimaschutz. . . . . . 92
Stadtentwicklung, Verkehr und Klimaschutz . . . . . . . . . 101
Klimapolitik, Ungleichheit und Armutsbekämpfung . . . 102
5. Die Rolle der Wissenschaft in der Klimapolitik
Der Weltklimarat (IPCC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der IPCC und die Modelle der wissenschaftlichen
Politikberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die künftigen Herausforderungen für den IPCC . . . . . .
Nochmals ein Rückblick aus der Zukunft . . . . . . . . . . .
105
109
114
118
121
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Quellen für Daten und Grafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Vorwort
Dieses Buch bietet eine knappe Übersicht über die Klimapolitik.
Es will den Leser in die daraus erwachsenden Konflikte und die
Möglichkeiten ihrer Überwindung einführen. Unser Ziel ist es,
den aktuellen Stand der Forschung in allgemein verständlicher
Sprache darzustellen, ohne dabei die komplexen Zusammenhänge, die es zur Vermeidung des Klimawandels zu berücksichtigen gilt, so zu vereinfachen, dass sie den Eindruck falscher
Sicherheit erwecken. Die Kolleginnen und Kollegen am Mercator
Research Institute on Global Commons and Climate Change
(MCC) und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
(PIK) haben uns durch ihre Forschungen und in vielen produktiven Diskussionen geholfen, das Problem der Klimapolitik besser zu verstehen. Die Arbeit mit vielen Forschern weltweit, vor
allem mit den Autorinnen und Autoren des Intergovernmental
Panel on Climate Change (IPCC), haben unsere Argumente geschärft und uns ermöglicht, die Grenzen unserer eigenen Expertise zu überschreiten. Die Fehler des Buches gehen zu unseren
Lasten. Die Begegnung mit Menschen, die schon heute an den
Folgen des Klimawandels, unter schlechten Regierungen und
unter wuchernder Korruption leiden, hat uns motiviert, dieses
Buch zu schreiben.
Zur Entstehung dieses Buchs haben zahlreiche Kollegen durch
inhaltliche und stilistische Vorschläge beigetragen. Hierfür danken wir Annette und Jacob Edenhofer, Christian Flachsland,
Sabine Fuss, Lion Hirth, Brigitte Knopf, Nicolas Koch, Ulrike
Kornek, Fabian Löhe, Jan Minx, Michael Pahle und Rike
Schweizer. Wir danken Susanne Stundner für gründliches Korrekturlesen und Kay Schröder für die Erstellung der Abbildungen.
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Vorwort
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Hitzetote in Pakistan, Überschwemmungen in Russland, Dürren in Kalifornien, schmelzende Gletscher, Ernteverluste und
ein Jahrhundertwein im Rheingau 2015, einem der wärmsten
Jahre seit dem Beginn der Klimaaufzeichnungen: Das sind schon
heute erste Anzeichen des Klimawandels. Selbst wenn sich kein
einzelnes dieser Ereignisse mit Sicherheit auf die globale Klimaveränderung zurückführen lässt, wird doch ihr Auftreten mit
dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur sehr viel wahrscheinlicher. Die globale Erwärmung ist zu einem großen Teil
auf die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zurückzuführen.
Das Ziel der Klimapolitik lässt sich daher klar formulieren: Die
Nutzung der fossilen Energieträger muss begrenzt werden, um
die Folgen des Klimawandels abzumildern. Der Weltklimarat
(Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat in einem dreißigjährigen Indizienprozess nachgewiesen, dass wir
durch die Verbrennung der fossilen Energieträger, andere Treibhausgasemissionen und durch die Abholzung der Wälder bereits heute für einen Temperaturanstieg von ungefähr 0,8 °C
verantwortlich sind. Die Menschheit muss sich daher Rechenschaft darüber ablegen, in welchem Umfang sie den zukünftigen Klimawandel begrenzen kann und will.
Dieser Frage widmet sich unser Buch. Es bietet eine Übersicht
über die Ziele der Klimapolitik, zeigt Konfliktlinien in der wissenschaftlichen Analyse auf und diskutiert Lösungsansätze. Es
unterscheidet sich damit von den naturwissenschaftlichen Einführungen in den Klimawandel. Wir zeigen, nach welchen Kriterien man entscheiden kann, wie viel Klimaschutz betrieben
wird, welche Techniken dabei zum Zuge kommen und welcher
Politiken es bedarf. Daher sprechen wir in diesem Buch nicht
nur von Fakten, sondern gleichermaßen von Werten.
In Kapitel 1 wird erklärt, warum es einer ambitionierten Klimapolitik bedarf und wie sie gerechtfertigt werden kann. Was ist
unter gefährlichem Klimawandel zu verstehen, und welche Optionen stehen uns zur Verfügung, um diesen abzuwenden? In
der Klimapolitik muss das Risiko gefährlichen Klimawandels
Vorwort
9
abgewogen werden gegen die Risiken der Emissionsvermeidung.
Das Konzept der klimapolitischen Wette zeigt, dass Klimapolitik Risikomanagement ist und gerade aus diesen Gründen eine
ambitionierte Klimapolitik gerechtfertigt werden kann.
In Kapitel 2 legen wir eine Bestandsaufnahme der Klimapolitik vor. Diesen Status quo vergleichen wir mit den klimapolitischen Zielen, wie sie in Paris vereinbart wurden, um daraus
den zukünftigen Handlungsbedarf abzuleiten. Um die Kluft
zwischen dem, was ohne Klimaschutzmaßnahmen geschehen
würde, und dem, was geschehen müsste, um gefährlichen Klimawandel abzuwenden, zu überbrücken, bedarf es eines grundlegenden Umbaus des Energiesystems und der Landnutzung.
Dieser Umbau kann jedoch nur gelingen, wenn auch die Fundamente von Wirtschaft und Gesellschaft erneuert werden. Damit setzen wir uns in Kapitel 3 auseinander. Dabei geht es vor
allem um Techniken, Risiken und Kosten der Emissionsvermeidung. Wir zeigen, dass es nicht die Welt kostet, den Planeten zu
retten, und sich daher eine ambitionierte Klimapolitik begründen lässt. Auch wenn die Kosten des Klimaschutzes tragbar
sind, sind die politischen Herausforderungen dennoch gewaltig.
In Kapitel 4 skizzieren wir, wie die internationale und die nationale Klimapolitik ausgestaltet werden können. Warum ist es
so schwierig, ein internationales Abkommen abzuschließen und
welchen klimapolitischen Handlungsspielraum haben Nationalstaaten? Wir zeigen Wege aus der Sackgasse, in die sich die europäische und deutsche Klimapolitik manövriert haben.
Die internationale Klimapolitik hat sich im Weltklimarat ein
einzigartiges Gremium geschaffen, das für ihre Agenda von fundamentaler Bedeutung ist. Das ist Grund genug, diese Institution und die Rolle der Wissenschaft in der Politikberatung im
letzten Kapitel darzustellen.
Wir verzichten im Text auf Literaturangaben, da die wissenschaftliche Literatur in den letzten Jahren explosionsartig gewachsen ist. Stattdessen findet der Leser im Literaturanhang
Angaben zu weiteren Einführungen in die Thematik, zu Überblicksaufsätzen, aber auch zu wichtigen Aufsätzen der Fachliteratur, die eine weitere Orientierung ermöglichen sollen.
1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
Welche Risiken birgt der Klimawandel?
Die Ozeane, die Atmosphäre, die Böden und die Wälder sind
Lagerstätten für Treibhausgase – man nennt sie auch die globalen Senken. Treibhausgase, die in die Atmosphäre abgelagert
werden, haben dort eine Verweildauer von Tausenden von Jahren. Daher füllen sich diese Lagerstätten von Jahr zu Jahr, weil
der Bestand der Treibhausgase zunimmt. Je höher dieser Lagerbestand ist, desto höher ist auch die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Vor der Industriellen Revolution
lag die Treibhausgaskonzentration noch bei etwa 280 ppm. Die
Abkürzung «ppm» steht für «parts per million», also die Anzahl an Treibhausgasmolekülen in einer Million Moleküle in
der Atmosphäre. Diese Konzentration ist durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe, Entwaldung, Landnutzung und industrielle Prozesse stetig gestiegen, derzeit beträgt sie etwa 400 ppm.
Die erhöhte Konzentration der Treibhausgase verändert den
Strahlungshaushalt der Erde. Das von der Erde reflektierte Sonnenlicht verbleibt verstärkt in Form von Wärme in der Atmosphäre, so dass sich die globale Mitteltemperatur erhöht. Auch
lokale klimatische Bedingungen sind von diesem Anstieg betroffen, ebenso der Wärmetransport über die Zirkulation von
Luft und Wasser.
Der Anstieg der globalen Mitteltemperatur birgt beträchtliche Risiken für die Lebensbedingungen auf der Erde. Da die
zukünftigen Folgen des Klimawandels nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können, hat der Weltklimarat die Klimafolgen in Risikoklassen eingeteilt, genannt «reasons for concern».
Abbildung 1 zeigt die mit dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur verbundenen Risiken. In die erste Klasse fallen Risiken
etwa für Korallenriffe und die Ökosysteme der Arktis, die bereits bei einem Temperaturanstieg von 1,5 °C bedroht sind. Die
Welche Risiken birgt der Klimawandel?
4
3
2
1
0
Einzigartige
und bedrohte
Systeme
Extremwetterereignisse
Großskalige
Global
Verteilung
singuläre
aggregierte
der Auswirkungen Auswirkungen Ereignisse
Änderung der globalen Mitteltemperatur
°C
5
11
Heute
Bezug:
Vorindustrielles
Niveau
Zusätzliche Risiken durch Klimawandel
Nicht feststellbar
Gering
Hoch
Sehr hoch
Abb. 1: Anstieg der globalen Mitteltemperatur und die damit
verbundenen Risiken. Quelle: IPCC (2014 a)
Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen und tropischen Stürmen wird in einer zweiten Risikoklasse analysiert. Die Verteilung der Risiken über Regionen und Einkommensklassen
werden in der dritten, die ökonomischen Schäden für die Weltwirtschaft in der vierten Klasse zusammengefasst. Großskalige
singuläre Ereignisse für den gesamten Planeten sind etwa der
Verlust der polaren Eisschilde. Ihre Wahrscheinlichkeit mag
vielleicht gering sein, kann aber mit irreversiblen und drastischen Auswirkungen einhergehen. Es ist bislang unklar, bei
welchem Temperaturanstieg mit großskaligen, abrupten und irreversiblen Änderungen im Erdsystem zu rechnen ist. Aber bereits ein Temperaturanstieg von nur 1 °C könnte zum praktisch
vollständigen Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes
führen. Die Freisetzung von Methan, das im Permafrost gebunden ist, würde den Klimawandel womöglich weiter beschleu-
12
1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
nigen. Korallenriffe in warmen Regionen und das arktische
Ökosystem zeigen bereits jetzt erste Symptome irreversibler
Zerstörung.
Die Risikoeinschätzungen in Abbildung 1 beruhen auf Expertenmeinungen. Sie gründen sowohl auf der Kenntnis der biophysikalischen Folgen des Klimawandels als auch auf der subjektiven Einschätzung der damit einhergehenden Gefahren und
Schäden. Diese Übersetzung von biophysikalischen Wirkungen
in Schäden ist unvermeidbar, wenn die Klimafolgen für politische Entscheidungssituationen aufbereitet werden sollen. Entscheidungsträger können sich nur dann mit der Abwehr von
Gefahren beschäftigen, wenn sie als solche beschrieben und
grundsätzlich vermieden werden können.
So illustriert Abbildung 1, welche Risiken der bereits beobachtete Temperaturanstieg von ca. 0,8 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau mit sich bringen könnte: Veränderte Niederschläge schmälern in vielen Regionen die landwirtschaftlichen
Erträge. Die zunehmende Erwärmung und Versauerung der
Ozeane beeinträchtigt Meeresorganismen und bedroht damit
die Lebensgrundlage vieler Menschen (z. B. die Fischerei). Die
Störung des Wasserkreislaufes vermindert die Qualität und
Quantität der verfügbaren Wasserressourcen.
Findet die globale Gemeinschaft keinen Weg in eine weltweite, gemeinsame Klimapolitik, ist ein Anstieg der globalen
Mitteltemperatur bis 2100 um 3,7 °C bis 4,8 °C wahrscheinlich.
Diese Abschätzung beruht auf 300 computergestützten Szenarien internationaler Forschergruppen, die der Weltklimarat zusammengestellt hat. Diese Szenarien gehen davon aus, dass es zu
keiner ausreichend ambitionierten Klimapolitik kommt. Sie treffen zugleich unterschiedliche Annahmen über Bevölkerungs-,
Wirtschafts- und Technologieentwicklungen, die es erlauben,
eine Zukunft ohne Klimapolitik auszuloten.
Mit welchen Gefahren ist in einer Welt zu rechnen, in der die
globale Mitteltemperatur 4 °C oder mehr über dem vorindustriellen Niveau liegen wird? Die Zerstörung von Ökosystemen,
Artensterben, ein Einbruch der weltweiten Nahrungsmittelproduktion sowie sinkende Arbeitsproduktivität aufgrund hoher
Was ist mit der Vermeidung gefährlichen Klimawandels gemeint? 13
Temperaturen und zunehmender Luftfeuchtigkeit in tropischen
Ländern werden wahrscheinlicher. Der Klimawandel dürfte
auch unmittelbare Folgen für den Menschen haben. So zeigt
eine aktuelle Untersuchung, dass der medizinisch-technische
Fortschritt durch den Klimawandel teilweise zunichtegemacht
werden könnte. Dieser führt demnach nicht nur zu mehr
Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Herzinfarkten, sondern
erschwert den Zugang zu sauberem Wasser, verknappt Nahrungsmittel und fördert die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern, die vor allem Menschen in armen Ländern schädigen
werden. Die Begrenzung des Klimawandels wird daher von vielen Experten als die größte Herausforderung für die Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert bezeichnet.
Was ist mit der Vermeidung gefährlichen
Klimawandels gemeint?
Welcher Temperaturanstieg für die Menschheit verkraftbar ist,
kann nicht allein aufgrund der naturwissenschaftlichen Klimafolgenforschung entschieden werden, denn Menschen und Gesellschaften können sich bis zu einem gewissen Grad an den
Klimawandel anpassen. Anpassungsstrategien sind vor allem
kurz- und mittelfristig wirksam: Bewässerungssysteme, höhere
Deiche, Küstenschutz und eine widerstandsfähigere Infrastruktur sind nur einige Beispiele dafür. Die Wirksamkeit solcher
Maßnahmen lässt sich nur schwer voraussagen, da die Folgen
des Klimawandels diese Anpassungsleistungen zunichtemachen
können. Es ist daher plausibel, dass bei einem ungebremsten
Klimawandel in vielen Regionen der Welt zunächst die Kosten
der Anpassung steigen und schließlich deren Grenzen erreicht
werden.
Für kleine Inselstaaten oder für die Bewohner der Arktis
könnte der Handlungsspielraum schnell erschöpft sein. In heißen Regionen könnte die Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft so unerträglich werden, dass die betroffenen Menschen in die gemäßigteren Zonen überzusiedeln versuchen, um
dort eine einträglichere Beschäftigung zu finden. Zwar wird im-
14
1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
mer wieder behauptet, dass sich beispielsweise Bauern an den
Klimawandel auch ohne staatliche Intervention anpassen können, indem sie sich gegen Ernteausfälle versichern oder auf resistentes Saatgut setzen. Auch mag es noch relativ einfach sein,
einen Meeresspiegelanstieg von 20 oder 30 cm zu verkraften.
Steigt dieser aber um mehrere Meter, helfen wohl keine Dämme
mehr; dann müssten ganze Städte umgesiedelt werden. Gerade
für viele Megastädte, die am Meer liegen, besteht diese Option
jedoch nicht. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Pflanzen wie
Reis, Mais oder Weizen, die für die Welternährung entscheidend sind, noch ausreichend Erträge liefern, wenn die globale
Mitteltemperatur um mehr als 4 °C steigt. Diese Beispiele zeigen, dass die Grenzen der Anpassung selbst für effiziente Stadtregierungen, findige Bauern und kluge Versicherungsunternehmen schnell erreicht sein können. Es wäre daher fahrlässig,
würde die Weltgemeinschaft eine ambitionierte Klimapolitik
unterlassen, weil sie glaubte, Anpassung sei einfacher und billiger als Vermeidung. Anpassung wird Vermeidung ergänzen
müssen – ein Ersatz kann sie nicht sein.
Da sich die Grenzen konventioneller Anpassungsmaßnahmen nicht eindeutig bestimmen lassen, wird über Alternativen
dazu diskutiert. Denkbar wäre etwa bei fortschreitender globaler Erwärmung der Einsatz von Technologien, mit deren Hilfe
der Strahlungshaushalt der Erde durch Abschirmung einfallenden Lichts direkt gesteuert und der Planet damit abgekühlt
werden kann. Ein Beispiel hierfür ist das Einbringen von Rußpartikeln in obere Schichten der Atmosphäre. Ganz zu schweigen davon, dass sich derartige Technologien bislang noch nicht
in großem Maßstab anwenden lassen, sind sie auch mit
beträchtlichen Risiken behaftet, die wir in Kapitel 3 ausführlicher diskutieren. Es wäre daher unvernünftig, sich lediglich
auf Geo-Engineering zu verlassen und auf die Verminderung von Emissionen zur Reduktion der Erderwärmung zu verzichten.
Selbst eine starke Verminderung der Treibhausgasemissionen
kann das Risiko gefährlichen Klimawandels nicht auf null reduzieren – sie kann jedoch die Risiken entscheidend vermin-
Internationale Klimapolitik als Wette
15
dern. Daher hat sich die internationale Gemeinschaft in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations
Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) darauf
verständigt, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf maximal 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
Das im Dezember 2015 in Paris formulierte UNFCCC-Klimaabkommen geht sogar über dieses Ziel hinaus, indem es die
Möglichkeit anstrebt, die Schranke bei 1,5 °C zu schließen.
Allerdings bringt eine ambitionierte Politik der Emissionsvermeidung auch Kosten mit sich, da emissionsarme Energiequellen meist teurer sind als herkömmliche fossile Energieträger.
Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob und wie sich Emissionsminderungen ökonomisch rechtfertigen lassen.
Internationale Klimapolitik als Wette
Wie im vorherigen Abschnitt diskutiert, lassen sich die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels nicht genau vorhersagen. Vielmehr spricht man von möglichen Schäden und der
Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens. Eine rationale Klimapolitik wird also die möglichen Auswirkungen des gefährlichen
Klimawandels den Kosten der Emissionsreduktion gegenüberstellen müssen. Wie soll diesen in einem vernünftigen Entscheidungskalkül Rechnung getragen werden? Die politischen Entscheidungsträger gehen eine Wette ein, wenn sie sich für eine
ambitionierte Klimapolitik entscheiden. Die explizite Formulierung dieser Wette zeigt, was die Befürworter und die Gegner
einer Klimapolitik voraussetzen müssen, damit ihre Politik vernünftig ist. Die gegenwärtige Debatte und vor allem die wissenschaftlichen Fakten lassen sich damit besser einschätzen und
bewerten.
Wir gehen davon aus, dass die Menschheit zwei Handlungsoptionen hat: entweder eine ambitionierte Klimapolitik zu betreiben oder aber keine Klimapolitik zu betreiben. Die Menschheit ist mit zwei möglichen Zuständen des Klimasystems
konfrontiert – entweder würde ungebremster Klimawandel gefährliche Auswirkungen haben, oder aber er wäre harmlos. Die-
16
1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
sen beiden Zuständen ordnen wir die Wahrscheinlichkeiten p
und 1–p zu.
Im ersten Fall entstehen ohne Klimapolitik langfristige und
irreversible Schäden (V), selbst mit optimalen Anpassungsmaßnahmen. Mit einer ambitionierten Klimapolitik werden die
Schäden des Klimawandels hingegen auf das Niveau E begrenzt.
im zweiten Fall würde es selbst ohne Klimapolitik nur zu einem
harmlosen Klimawandel kommen, ohne dass dabei nennenswerte Schäden auftreten. In beiden Fällen führt Klimapolitik zu
kurzfristigen Kosten (C). Wenn die Vermeidung von Emissionen Kosten verursacht, dann ist das Vorzeichen positiv. Es ist
sogar denkbar, dass das Vorzeichen negativ ist und ein Nettonutzen durch Emissionsminderung entsteht (also negative Kosten). Letzteres wäre der Fall, wenn beispielsweise die Kosten
des Umbaus des Energiesystems durch die Verringerung der lokalen Luftverschmutzung aufgewogen würden. In diesem Fall
ließe sich das Klimaproblem wahrscheinlich relativ einfach lösen. Diese Hoffnung hat sich allerdings bislang nicht erfüllt,
und wir müssen davon ausgehen, dass der Umbau des Energiesystems Kosten verursacht.
Die Entscheidungsträger wählen vernünftigerweise jene Option, die die geringsten zu erwartenden Kosten mit sich bringt.
Die Wahrscheinlichkeit für gefährlichen Klimawandel ist zunächst eine Einschätzung der Entscheidungsträger. Nichthandeln würde zu erwarteten Kosten von p·V führen, Klimaschutz
hingegen zu Kosten von C+p·E. Der risikoneutrale Entscheidungsträger würde sich also genau dann für einen ambitionierten Klimaschutz entscheiden, wenn p > C / (V–E).* Diese Formel
zeigt, dass ein ambitionierter Klimaschutz umso eher unternommen wird, je größer die Wahrscheinlichkeit des gefährlichen Klimawandels ist, je größer die verursachten Schäden des
* Im Falle des Nichthandelns würden die Schäden V mit einer Wahrscheinlichkeit von
p eintreten, so dass sich erwartete Schäden von p·V ergeben. Im Falle des Handelns
fallen Kosten von C mit Sicherheit an, sowie geringere Schäden von E mit Wahrscheinlichkeit p. Hieraus ergeben sich dann erwartete Gesamtkosten von C +p·E. Der risikoneutrale Entscheidungsträger wird sich also für Klimapolitik aussprechen, wenn die
erwarteten Kosten C + p · E kleiner sind als die erwarteten Kosten ungebremsten Klimawandels von p·V.
Internationale Klimapolitik als Wette
Gefährlicher Klimawandel
Wahrscheinlichkeit p
Harmloser Klimawandel
Wahrscheinlichkeit 1–p
Ambitionierte
Klimapolitik
Geringe Schäden (E) +
Minderungskosten (C)
Minderungskosten (C)
Keine Klimapolitik
Hohe Schäden (V)
Weder Kosten noch
Schäden (0)
17
Abb. 2: Die klimapolitische Wette anhand gesellschaftlicher Kosten unter
verschiedenen Handlungsoptionen und Auswirkungen des Klimawandels.
Klimawandels, je mehr Schäden durch eine Verminderung der
Emissionen vermieden werden können und je geringer die Kosten des Klimaschutzes sind. Selbst bei geringer Wahrscheinlichkeit des gefährlichen Klimawandels wäre eine ambitionierte
Klimapolitik auch dann rational, wenn die Kosten niedrig sind
oder die Schäden des Klimawandels durch eine ambitionierte
Klimapolitik deutlich vermindert werden können.
Dieses einfache Entscheidungskalkül ist in Wirklichkeit deutlich komplexer. So könnte man argumentieren, dass potentiell
katastrophale Schäden höher gewichtet werden sollten, selbst
wenn diese nur eine sehr kleine Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen. Auch stellt die Bewertung der Zukunft ein ethisches
Problem dar, weil die Frage geklärt werden muss, ob alle Generationen gleich behandelt werden sollen. Wenn nachfolgende
Generationen mit den künftigen Klimaschäden leichter fertig
werden, weil sie reicher sind als die heutige Generation, wäre es
vertretbar, dass die heutige Generation nicht die gesamte Last
des Klimaschutzes tragen muss. Diesen Sachverhalt kann man
in das Kalkül dadurch einbeziehen, dass langfristige Schäden
weniger gewichtet werden als die kurzfristigen. Man spricht
auch davon, dass die Schäden abdiskontiert werden. Je stärker
sie abdiskontiert werden, desto geringer werden die eventuellen
Schäden für künftige Generationen gewichtet. Auch müssten
mögliche Risiken einer Politik der ambitionierten Emissionsvermeidung, die wir in Kapitel 3 diskutieren, mit einbezogen werden. Das Entscheidungskalkül würde dadurch komplizierter
werden, an der Grundstruktur änderte sich jedoch wenig.
Wer gegen eine ambitionierte Klimapolitik argumentiert,
18
2. Die Bestandsaufnahme der Klimapolitik
müsste somit zweierlei zeigen: Erstens wäre der empirische
Nachweis zu führen, dass die Kosten und Risiken des Umbaus
zu hoch und die Klimaschäden vernachlässigbar klein sind;
oder aber es müsste normativ begründet werden, warum kommenden Generationen kein großes Gewicht beigemessen werden soll. Wer hingegen für eine ambitionierte Klimapolitik argumentiert, müsste zeigen, dass die Kosten und Risiken des
Klimaschutzes gegenüber den Schäden eines ungebremsten Klimawandels gering sind. Selbst hohe Diskontraten, sofern sie
sich ethisch überhaupt rechtfertigen lassen, stellen eine ambitionierte Klimapolitik auch dann nicht in Frage, wenn sich dadurch das Risiko von Katastrophen erheblich reduzieren lässt.
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