Grundkurs Öffentliches Recht I: Staatsorganisationsrecht

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Grundkurs Öffentliches Recht I:
Staatsorganisationsrecht
von
Prof. Dr. Horst Dreier
Wintersemester 2014/15
!
1
2
Recht
Privatrecht
Staatsorganisationsrecht
(Staatsrecht I)
Öffentliches Recht
Strafrecht
Staatsrecht
Verwaltungsrecht
Grundrechte
(Staatsrecht II)
Völkerrecht
(Staatsrecht III)
3
Erster Teil: Einführung
I. 1
!
Das Grundgesetz als Typus des freiheitlichen
demokratischen Verfassungsstaates und
seine Vorbilder
4
Carlo Schmid (1896-1979)
„Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über
die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz.“
Rede im Parlamentarischen Rat am 8. September 1948, in: Der Parlamentarische Rat
1948–1949. Akten und Protokolle, herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom
Bundesarchiv, Bd. 9: Plenum, bearbeitet von Wolfram Werner, 1996, S. 20.
5
Verfassungsentwicklung
U.S.A.
Frankreich
Deutschland
1776 (Virginia Bill of Rights)
1787/88 (U.S.-Verfassung)
1789
(Déclaration des Droits de l’Homme et du
Citoyen)
1791 (Amendments I-X, „Bill
1791, 1793, 1795 (Revolutionsverfassungen)
of Rights“)
1814 (Charte Constitutionnelle)
1830 (Charte Constitutionnelle)
1818/19
(Süddeutsche Konstitutionen)
1848 (Constitution Républicaine)
1848/49
(Paulskirchenverfassung)
1852 (Constitution)
1875 (Constitution)
1871 (Bismarck-Verfassung)
1946 (Vierte Republik)
1919 (Weimarer
Reichsverfassung)
1949 (Grundgesetz)
1958 (Fünfte Republik)
6
Typusprägende Merkmale des modernen
Verfassungsstaates
Verfassungsurkunde
Verfassung im formellen Sinn
mit Kodifikationscharakter
Grundrechte
Grundrechtskatalog zur
Sicherung der gleichen
Freiheit aller
Verfassunggebende Gewalt
bestimmtes (Kollektiv-)
Subjekt als konkreter Urheber
und Schöpfer - das Volk
Vorrang der Verfassung
Verfassungsbindung aller
staatlichen Gewalten
Verfassungsgerichtsbarkeit
als spezifische Form der
Verfassungssicherung
Möglichkeit der
Verfassungsänderung
verfassungsimmanentes Mittel
zur Entwicklung der
Verfassung
•
•
•
•
Staatsorganisation
Volkssouveränität
Gewaltenteilung
Rechtsstaat
Demokratie
7
Staatsorganisationsrecht
„frame of government“
Grundrechte
„bill of rights“
staatliche Organisation und
staatliche Funktionen
Verhältnis des
Einzelnen zum Staat
Staatsrecht I
Staatsrecht II
8
I. 2
Vorrang der Verfassung
Art. 1 III, 20 III GG
Höchstrangigkeit der Verfassung
„paramount law“
GG
Gesetze
Verordnungen, Satzungen, usw.
Gesetze müssen mit dem GG
in Einklang stehen
wenn nicht:
Nichtigkeit/Unvereinbarkeit
9
Änderung des Grundgesetzes?
Ja, aber:
Erschwerte Abänderbarkeit (Art. 79 GG)
Art. 79 I GG: Textänderungsgebot
Art 79 II GG: Zweidrittelmehrheit
Art. 79 III GG: kein „Berühren“ der unabänderlichen Gehalte
(föderale Struktur, Grundsätze der Art. 1 und 20 GG)
„Ewigkeitsklausel“ (Besonderheit des Grundgesetzes!)
10
I. 3
Präambel (1990)
„1Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
!
von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten
Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft
seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
!
2Die
Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin,
Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen,
Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier
Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt
dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“
11
Präambel (1949)
„1Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und
als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt
zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen,
Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu
geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
2Es
hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
3Das
gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung
die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“
12
I. 4
Ausübung der verfassunggebenden Gewalt
Weimarer Nationalversammlung 1919
13
Ausübung der verfassunggebenden Gewalt
Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche 1848
14
Ausübung der verfassunggebenden Gewalt
Französische Nationalversammlung (Ballhausschwur)
1789
15
Emmanuel Joseph Sieyes (1748–1836)
Bedeutendste Schrift:
Was ist der Dritte Stand? (1789)
!
„1. Was ist der Dritte Stand? – Alles.
!
2. Was ist er bisher in der
politischen Ordnung gewesen?
- Nichts.
!
3. Was fordert er? – Etwas zu sein.“
16
Die Lehre von der verfassunggebenden Gewalt
Verfassunggebende Gewalt
des Volkes
(z.B. Nationalversammlung)
„pouvoir
constituant“
Akt der Verfassunggebung
Konstituierung der
verfaßten Gewalten
(Legislative, Exekutive, Judikative)
„pouvoirs
constitués“
17
Ausübung der verfassunggebenden Gewalt
Parlamentarischer Rat 1948
18
I. 5
Entstehung des Grundgesetzes
1.
Frankfurter Dokumente (1. Juli 1948)
2.
Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee (10. bis 23. August 1948)
3.
Parlamentarischer Rat (ab 1. September 1948 in Bonn tagend)
4.
Abstimmung im Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949
(53 Ja-Stimmen, 12 Nein-Stimmen)
5.
Genehmigung durch die Militärgouverneure (12. Mai 1949)
6.
Annahme durch mehr als zwei Drittel der Volksvertretungen in
den (westdeutschen) Ländern (Ablehnung nur durch Bayern) in
der Woche vom 16. bis 22. Mai 1949
7.
Feststellung der Annahme des Grundgesetzes durch den
Parlamentarischen Rat am 23. Mai 1949
19
I. 6
Art. 146 GG
„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit
Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine
Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von
dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
20
II.
Literaturhinweise
Literaturgattungen
• Lehrbücher
• Kommentare
• Monographien
• Aufsätze
• Handbücher /
Enzyklopädien
• Festschriften
21
II.
Empfehlenswerte Studienbücher
Badura, Peter: Staatsrecht, 5. Aufl. 2012
Degenhart, Christoph: Staatsrecht I, 29. Aufl. 2013
Ipsen, Jörn: Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, 26. Aufl. 2014
Maurer, Hartmut: Staatsrecht, 6. Aufl. 2010
Michael, Lothar/Morlok, Martin: Staatsorganisationsrecht, 1. Aufl. 2013
22
Zweiter Teil: Die Verfassungsprinzipien des
Grundgesetzes
!
I. Verfassungsprinzip Republik
vgl. Art. 20 I GG („Bundesrepublik“), Art. 28 I GG
Republik als Nicht-Monarchie
•
•
Staatsoberhaupt wird gewählt
Staatsoberhaupt amtiert nur für eine bestimmte
Zeit
23
!
I. Verfassungsprinzip Republik
Andere Lesart:
Republik als bonum commune?
• Republik ist danach die Bezeichnung für eine
freiheitliche und gemeinwohlorientierte
Staatsform
• Besser: Verankerung in den Grundrechten, im
Rechtsstaats- und Demokratieprinzip
24
II. Verfassungsprinzip Demokratie
(Art. 20 I, II GG)
Begriff, Struktur und Formen der Demokratie (Art. 20 I GG)
1. Herrschaftsform
• Herrschaft durch das Volk,
„Volkssouveränität“
• Nicht: Herrschaftslosigkeit
• berühmtes Zitat:
„government of the people, by the people, for the people“
(Abraham Lincoln, Gettysburg Address, 1863)
!
2. Mehrheitsprinzip
Herrschaft der jeweiligen
Mehrheit
3. Herrschaft auf Zeit
• Keine Verselbständigung von Herrschaft
• Machtwechselchance
→ periodische Wahlen notwendig
25
II.
Begriff, Struktur und Formen der Demokratie (Art. 20 I GG)
4. Opposition
5. freie politische
Willensbildung
6. Minderheitenrechte
26
II.
Ausgestaltungen der Demokratie (Art. 20 II 2 GG)
Entscheidung durch das Volk im
Wege von Abstimmungen
(z.B. Volksbegehren, Volksentscheid)
Entscheidung durch Repräsentanten
des Volkes, die in Wahlen bestimmt
wurden
(Bundestags-, Landtagswahlen)
Direkte Demokratie
z.B. Schweiz, Irland
Repräsentative Demokratie
Einführung direktdemokratischer Elemente
in das GG wäre zulässig!
Das Grundgesetz verbietet
direktdemokratische Elemente nicht
(„Abstimmungen“), ist aber (derzeit)
streng repräsentativ ausgestaltet;
anders die Landesverfassungen
27
Richtiges Zitieren von Normen
1. Unterscheide zwischen Artikeln (Art.) und Paragraphen (§): z.B. Art. 20 GG und § 13 BVerfGG
2. Zitieren mehrerer Normen des gleichen Gesetzes:
z.B. Art. 20, 79 GG oder §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG
3. Genaues Zitieren nach Absätzen, Sätzen, usw.
4. Zitieren in Lang- oder Kurzform: Langform: z.B. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG oder § 67 Satz 1 BVerfGG
Kurzform: z.B. Art. 20 II 2 GG oder § 67 S. 1 BVerfGG
Beide Versionen sind gleichwertig, aber konsequent zu handhaben.
5. Falsch: Art. 20 Abs. II S. 2 GG oder Art. 20 / 2 / 2 GG etc.
28
Die Wahlgrundsätze des Art. 38 I 1 GG
1. Allgemeinheit
der Wahl
2. Unmittelbarkeit der
Wahl
3. Freiheit der Wahl
• Alle Staatsbürger dürfen wählen und gewählt werden
• Beschränkungen aus
zwingenden Gründen
möglich (z.B. Wahlalter)
Kein Wahlmännersystem (wie z.B. bei den
Präsidentenwahlen in den
USA)
• Keine Wählernötigung
(abzugrenzen von zulässiger Beeinflussung)
• Wahlpflicht?
!
4. Gleichheit der Wahl
• Zählwertgleichheit:
(„one man, one vote“)
• Erfolgswertgleichheit: Jede Stimme hat bei der Umrechnung in Sitze
gleiches Gewicht
• Ausnahme: sog. 5%-Klausel (§ 6 III 1 BWahlG)
5. Geheimheit der Wahl
!
während des Wahlvorgangs
!
!
!
(Stimmabgabe darf keinem
anderen bekannt werden)
29
Das Modell demokratischer Legitimation
Art. 20 II 2 GG
!
institutionell-funktionale organisatorisch-personelle
Legitimation
Legitimation
!
d.h. Art. 20 II GG
legitimiert die
Staatsinstitutionen und –funktionen der
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung
!
d.h. alle anderen Staatsorgane
müssen sich durch eine
ununterbrochene Kette von
Berufungsakten auf das Volk
zurückführen lassen
sachlich-inhaltliche
Legitimation
!
d.h. Steuerung von Verwaltung
und Rechtsprechung durch
Gesetz sowie Aufsicht und
Weisung
notwendig ist ein hinreichendes Legitimationsniveau
30
BVerfG vom 21.10.2014 – 2 BvE 5/11
(Rüstungsexportkontrolle)
Rn. 132:
„Die Kontrollfunktion ist zugleich Ausfluss der aus dem Demokratieprinzip
folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Art. 20 Abs. 2
Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Er legt fest, dass das
Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf
die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich auf
den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden
[…]. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft
wird außer durch die Wahl des Parlaments, die vom Parlament beschlossenen Gesetze
als Maßstab der vollziehenden Gewalt und die grundsätzliche Weisungsgebundenheit
der Verwaltung gegenüber der Regierung auch durch den parlamentarischen Einfluss
auf die Politik der Regierung hergestellt.
31
Das ‚Ausgehen der Staatsgewalt‘ vom Volk muss für das Volk wie auch die
Staatsorgane jeweils konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein. Es muss ein
hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht werden, ein bestimmtes
Legitimationsniveau […]. Nur das vom Volk gewählte Parlament kann den Organund Funktionsträgern der Verwaltung auf allen ihren Ebenen demokratische
Legitimation vermitteln. Im Fall der nicht durch unmittelbare Volkswahl legitimierten
Amtswalter und Organe setzt die demokratische Legitimation der Ausübung von
Staatsgewalt regelmäßig voraus, dass sich die Bestellung der Amtsträger auf das
Staatsvolk zurückführen lässt und ihr Handeln eine ausreichende sachlichinhaltliche Legitimation erfährt. In personeller Hinsicht ist eine hoheitliche
Entscheidung demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie
trifft, durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk
zurückführen lässt. Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch Gesetzesbindung
und Bindung an Aufträge und Weisungen der Regierung vermittelt. Letztere entfaltet
Legitimationswirkung aufgrund der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der
Volksvertretung […].“
32
Beispiele für eine „ununterbrochene Legitimationskette“
Beispiel 1:
Wahlvolk
Wahl
Beispiel 2:
Wahlvolk
in den Ländern
Wahlvolk (Bund)
gleiche Anzahl
sonstiger Mitglieder
Mitglieder des
Bundestags
Art. 38 GG, §§ 1 ff. BWahlG
Bundestag
Wahl
Art. 63 GG
Kanzler
Bundes-
versammlung
Bundespräsident
Wahl
Art. 54 III
GG
33
II. 3
Die parteienstaatliche Demokratie
Aufgaben der Parteien
BVerfGE 52, 63 (82 f., Rn. 67 f.):
„Art. 21 GG hat die politischen Parteien als verfassungsrechtlich notwendige
Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt und ihnen auch
einen verfassungsrechtlichen Status zuerkannt. Sie sind die politischen Handlungseinheiten, deren die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen
Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so überhaupt erst einen wirksamen Einfluß
auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen.
!
Die politischen Parteien nehmen an der politischen Willensbildung des Volkes vornehmlich durch ihre Beteiligung an den Wahlen teil, die ohne die Parteien nicht
durchgeführt werden könnten. Sie sind darüber hinaus Zwischenglieder zwischen dem
Bürger und den Staatsorganen, Mittler, durch die der Wille der Bürger auch zwischen
den Wahlgängen verwirklicht werden kann. Sie sammeln die auf die politische Macht
und ihre Ausübung gerichteten Meinungen, Interessen und Bestrebungen, gleichen sie in
sich aus, formen sie zu Alternativen, unter denen die Bürger auswählen können. Die
politischen Parteien üben entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der obersten
Staatsämter aus.“
34
Rechtliche Ausgestaltung der Partei
• Begriff der Partei: Legaldefinition in § 2 ParteienG. Die Partei ist abzugrenzen von der „politischen Vereinigung“ nach § 2
II
! Nr. 1 VereinsG.
• Gründungsfreiheit: Mit
! ihr sind Zulassungs- bzw. Genehmigungsverfahren unvereinbar.
• Doppelstellung der Parteien:
Eine Partei ist
– privatrechtlicher Verein und
– Akteur im Prozeß staatlicher Willensbildung („Beteiligte
am Verfassungsleben“, aber kein Verfassungsorgan)
!
• Demokratische Binnenstruktur:
Die innere Organisation muß demokratischen Grundsätzen
entsprechen (Art. 21 I 3 GG).
35
Chancengleichheit der Parteien
(Art. 21 I GG)
Regel: streng formaler Gleichheitsmaßstab
aber Abstufungen nach Bedeutung der Partei
zulässig (§ 5 ParteienG – lesen!)
Bei der Wahl/im Vorfeld von Wahlen:
• Zurverfügungstellung öffentlicher Einrichtungen (z.B. Stadthalle)
• Infostände in der Fußgängerzone
!
In den Medien:
• Wahlwerbung
• zu TV-Diskussionsrunden: BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), NJW 2002, 2939 f.
36
Chancengleichheit der Parteien
aktuelles Beispiel – Organstreitverfahren: BVerfG vom 10.6.2014 - 2 BvE 4/13
(Zur Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien)
Rn. 25 f.:
„[Zu achten ist] das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus
Art. 21 Abs. 1 GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, in Verbindung
mit Art. 38 Abs. 1 GG oder Art. 28 Abs. 1 GG. Dieses Recht kann dadurch verletzt
werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den
Wahlkampf einwirken […]. Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile
über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen“.
„[D]as Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher
Bestandteil der demokratischen Grundordnung [verwehrt] es staatlichen Stellen […],
eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei
verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr
verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden
Erwägungen beruht“.
37
Parteienfinanzierung
Private
Parteienfinanzierung
(z.B. Mitgliedsbeiträge, Spenden,
Erträge aus eigenem Vermögen)
Bei Spenden gilt:
• sie sind der Höhe nach nicht
begrenzt (§ 25 I 1 ParteienG)
• Grenzen für Barspenden (§ 25 I 2 ParteienG)
• Grenzen für steuerliche
Absetzbarkeit (§§ 10b, 34g EStG,
lies: BVerfGE 8, 51 [65 ff.])
• aber: Publizitätspflichten!
(§§ 23 ff. ParteienG)
Staatliche
Parteienfinanzierung
(z.B. Wahlkampfkostenerstattung,
auch: Aufstockung von Spenden,
„Parteisteuern“)
Überhaupt zulässig?
• Ja, da Parteien nicht nur
privatrechtliche Vereinigungen
sind, sondern „Beteiligte am
Verfassungsleben“, denen
grundgesetzlich verankerte
Tätigkeiten obliegen (BVerfGE
85, 264 [285]).
• lies: § 18 I, III ParteienG
38
II. 4
Die „streitbare Demokratie“
Art. 18 GG:
!
Verwirkung von
Grundrechten
(Besonderheit des GG)
Art. 21 II GG:
Art. 9 II GG:
Verbot einer Partei
durch das
BVerfG
(„Parteienprivileg“)
Verbot von
Vereinigungen
!
!
!
Schutzgut:
freiheitliche demokratische Grundordnung
39
Freiheitliche demokratische Grundordnung
BVerfGE 2, 1 (Leitsatz 2):
„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist
eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine
rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung
des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und
Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind
mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten
Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und
freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit
der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle
politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und
40
Ausübung einer Opposition.“
II. 5
Die Rolle der Grundrechte
BVerfGE 7, 198: „Lüth“
„Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der
Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt […]. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung
ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die
ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in
gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, ‚the
matrix, the indispensable condition of nearly every other form
of freedom‘ (Cardozo).“ (S. 208)
41
Virginia Bill of Rights 1776
„A declaration of rights made by the representatives of
the good people of Virginia, assembled in full and free
convention; which rights do pertain to them and their
posterity, as the basis and foundation of government.“ Section 12:
„That the freedom of the press is
one of the great bulwarks of liberty
and can never be restrained
but by despotic governments.“
42
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