Prof. Dr. Christoph Gröpl Vorlesung Staatsrecht I Demokratieprinzip Staatsgewalt i.S.v. politischer Herrschaft über Menschen kann sich auf Dauer nur behaupten durch Legitimität = Anerkennungswürdigkeit aus Sicht der Gewaltunterworfenen wird erreicht durch Legitimation = erfolgreicher Prozess zur Herstellung von Legitimität (Rechtfertigung von Staatsgewalt) Elemente der Rechtfertigung: Entstehungsgrund der Staatsgewalt – formell (= „woher“) – durch das Volk (Volksherrschaft = Demokratie) inhaltliche Ausrichtung der Staatsgewalt – materiell (= „wozu“) – fundamentaler Staatszweck: Gemeinwohl SRI10/1 Gröpl · Staatsrecht I 2 Demokratieprinzip Art. 20 II 1 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Staatsgewalt = ursprüngliche, grdsl. unbeschränkte und unabgeleitete Herrschaftsmacht Demokratie = Volksherrschaft – Volkssouveränität Volk = Staatsvolk: Menschen, die sich ihrer Zusammengehörigkeit bewusst sind, gemeinsame politische, kulturelle und wirtschaftliche Anliegen verfolgen, den Willen zur Setzung und Durchsetzung eines einheitlichen Rechts haben und sich gemeinsame Staatsorgane geben Vermittlung durch deutsche Staatsangehörigkeit, Art. 116 I GG) (BVerfGE 83, 37 [51] – Ausländerwahlrecht Schleswig-Holstein) Art. 20 II 2 GG: Volkssouveränität erfordert für die Ausübung jeder Staatsgewalt demokratische Legitimation (= Herleitung und Rechtfertigung), d.h., dass jede Entscheidung letztlich auf den Willen des Staatsvolkes zurückgeführt wird (Legitimationskette, Legitimationsniveau: BVerfGE 83, 60 [71 ff.] – AuslWahlR Hamb.), das Staatsvolk tatsächlichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Hoheitsgewalt nimmt. SRI10/2 Gröpl · Staatsrecht I 3 Legitimation durch Repräsentation Notwendigkeit der Repräsentation im modernen Staat – Für direkte Demokratie Staatsvolk zu groß (Quantität) Fragen zu zahlreich und unübersichtlich (Multiplität, Komplexität) wichtigster Akt der demokratischen Legitimation: Wahl der Parlamente (repräsentative = parlamentarische Demokratie, Art. 38, 28 I GG) Volksvertretungen sollen gewährleisten, dass die Staatsgewalt auf der Anerkennung und Billigung des Volkes beruht (Repräsentation) – vgl. Art. 20 II 2 GG Dimensionen der Repräsentation: a) materiell: (Mindest-)Identifikation der Bürger mit staatlichem Handeln b) formell: Volkswahl von Abgeordneten mit freiem Mandat, vgl. Art. 38 I 2 GG (Abgeordnete = „politische Treuhänder“ des ganzen Volkes, keine Vertreter i.S.v. §§ 164 ff. BGB oder gar nur Boten) kein imperatives Mandat, keine „basisdemokratische“ Abhängigkeit keine Identität von Staats- und Volkswillen (unmittelbare Demokratie) – stattdessen: Rückkopplung, Rückbindung (insb. durch Parteien, Art. 21 I GG) P.: Spannungsverhältnis zu Art. 21 I GG: „Fraktionszwang“; Partei-Mitgliederentscheide; jedenfalls: partei-programmatische Wählertäuschung durch Abgeordnete unzulässig Parlament: – Vertrauensgeber für Regierung (vgl. Art. 63–65, 67, 68 GG) – Anteil an der Staatsleitung (insb. durch Gesetze und sonstige Beschlüsse) – „Forum der Nation“, „Marktplatz der Ideen“ SRI10/3 Gröpl · Staatsrecht I 4 Formen repräsentativ-demokratischer Legitimation a) funktionell (institutionell): Ausgestaltung von Institutionen durch den Verfassunggeber (pouvoir constituant) in der Verfassung Konstituierung von Legislative, Exekutive und Judikative mit garantierten Aufgaben-Kernbereichen (vgl. Art. 77 I 1 – Art. 65 – Art. 92) b) organisatorisch-personell: individuelle Berufung der Organ- und Amtswalter durch das Volk (Art. 38 GG) oder durch volksgewählte Organe (vgl. Art. 63, 64; Art. 94 I 2, Art. 95 II; Art. 60 I GG; siehe auch Art. 92 SVerf) c) sachlich-inhaltlich: Bindung aller staatl. Organe an die (von der Volksvertretung beschlossenen) Gesetze (Art. 20 III Hs. 2 GG) parlam. Verantwortlichkeit der Regierung und Weisungsabhängigkeit der Verwaltung (Art. 43 I, Art. 44; Art. 67, 68 GG – Art. 65 S. 2, Art. 86 GG; § 35 S. 2 BeamtStG) Einwirkung des Volkes auf staatliche Willensbildung außerhalb von Wahlen unmittelbar durch Abstimmungen (Art. 20 II 2 Fall 2 GG): Volksbegehren, Volksentscheid, Volksbefragung, Referendum (= Volksentscheid über Parlamentsgesetz oder VerfÄnd) Grundgesetz „antiplebiszitär“: nur Art. 29, 118a GG anders die LVerf, z.B. Art. 99, 100 SVerf Vorformung des politischen Willens in einem öffentlichen Willensbildungsprozess (Art. 5 I, Art. 8, Art. 9 I, Art. 21 I 1 GG) SRI10/4