Überblick über das Seminar Willkommen zum Seminar der SFU • Angst-/Zwangsstörungen Methodenspezifische Krankheitstheorie IV 9. und 10. Juni 2006 Dr. Margarete Mernyi – Bedeutung in der Organisation von Beziehungen am Beispiel der Panikattacken – Arbeiten mit dem „inneren System“ • Essstörungen – Formen der Essstörungen (Anorexie, Bulimie, BingeEating Disorder) – Psychotherapeutisches Vorgehen (Bulimie) an Hand einer Fallgeschichte Dr.Margarete Mernyi 2006 Soziokulturelle Faktoren, die die Entwicklung von Angststörungen begünstigen Prozeß der Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft in der Postmoderne, bei gleichzeitiger Forderung nach Eindeutigkeit, Einflußnahme, Kontrolle........... und dem damit zwangsläufig verbundenen Scheitern dieser Ideologie (Desillusionierung von Sicherheit) Dr.Margarete Mernyi 2006 Phobische Störung (ICD 10 - F40) Gruppe von Störungen, bei der Angst ausschließlich oder überwiegend durch eindeutig definierte, im allgemeinen ungefährliche Situationen oder Objekte hervorgerufen wird. 1. Agoraphobie F40.0 2. Soziale Phobie F 40.1 3. Spezifisch isolierte Phobien F40.2 3.1. Tierphobien 3.2. Klaustrophobie 3.3. Höhenangst 3.4. Examensangst Dr.Margarete Mernyi 2006 1 Andere Angsstörungen (ICD 10 - F41) Bei diesen Störungen stellen die Manifestationen der Angst die Hauptsymptome dar, ohne auf eine bestimmte Umgebenssituation beschränkt zu sein. Angst ist etwas durchaus Vernünftiges ( Gerhard Berger im Mittagsjournal von Ö1 nach seinem Unfall in Immola) Panikstörung F41.0 Symptome:Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel, Entfremdungsgefühle, Durchfälle..........heftig, anfallsartig und unerklärlich Generalisierte Angststörung F41.1 Generalisierte und anhaltende Angst, die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt ist, sondern frei flottierend. Symptome wie bei der Panikstörung, verbunden mit Vorahnungen über Katastrophen,Tod...............tritt häufiger bei Frauen auf im Zusammenhang mit belastenden Lebenssituationen. Angst und depressive Störung, gemischt F41.2 Gleichzeitiges Bestehen von Angst und Depression, wo weder das eine noch das andere Symptom vorherrscht. sah: Je größer die Angst ist - und je besser es einem gelungen ist durch eine Handlung diese Angst zu überwinden, umso größer ist dieses Gefühl, das im Körper nachhallt und das wir Lust nennen Hüther Gerald, Südwestrundfunk 2003 Es gibt eine Angst die macht klein,die macht einen krank und allein - und es gibt eine Angst, die macht klug, mutiger, freier von Selbstbetrug Andre Heller Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 Zuordnung der Angststörungen Zwangsstörungen Ungerichtet Wesentliche Kennzeichen: Wiederholungen, Stereotypien, nicht beeinflussbar, Idee der „Vorbeugung“, quälend im Erleben Zwangsgedanken Panikstörungen Vermeidung Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang F 42.0 Ausdruck Zwangshandlungen Vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale) F 42.1 Phobien Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt F 42.2 gerichtet Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 2 Die beziehungsgestaltende Auswirkung von Symtomen/ Krankheiten am Beispiel der Angst- und Panikstörungen Verhalten in Verbindung mit Angst Wechselseitige Bedingtheit “Angst vor der Angst” Person A Person B Verhalten ohne Angst Angst Erwartung von Angst Person C Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 Selbstbestätigender Kreislauf Bedeutung der “Angst” als Beziehungsregulativ der inneren und äußeren Welt “Angst vor der Angst” am Beispiel der Sozialphobie “innere Welt” ICH Selbstbeobachtung: Sehnsucht “ganz normal zu sein” Erhöhte Selbstbeobachtung und Selbstabwertung Negative Erwartungen Angst das Ziel nicht zu erreichen “Kind” “Antreiber” Angst “äußere Welt” Person Sicherheitsverhaltens weisen/ Vermeidung von sozialen Situationen/ Vereinsamung Angst vor Versagen, Blamagen, Peinlichkeiten Dr.Margarete Mernyi 2006 Person oder Aufgabe B A Angst Dr.Margarete Mernyi 2006 3 Gefühle von Angst und Panik als inneres Regulativ Familie Einige handlungsanleitende Ideen für die Arbeit mit Symptomen von Angst und Panik (1) Erwartungen an sich selbst Rahmenbedingungen: ? Patnerschaft Arbeit Finanzielle Erwartungen und Belastungen Hohes Verantwortungs bewußtsein und hohe Einsatz-/ Leistungs bereitschaft Bedürfnisse des Organismus ? Gefühle von Angst und Panik Person A Dr.Margarete Mernyi 2006 Einige handlungsanleitende Ideen für die Arbeit mit Symptomen von Angst und Panik (2) Arbeit an der Veränderung des “Angstzirkels” - Entwicklung von Prozessen der Dissoziierung * Beschreibung des Symptoms auf der Ebene der Körperemfindungen und des Verhaltens (Innen-und Außenperspektive) * Erforschen von symptomaufrechterhaltenden Beziehungsmustern (wann ist das Symptom/die Angst zu ersten mal in ihr Leben getreten? Wie haben die anderen darauf reagiert? Wie gehen Eltern/PartnerInnen..... mit Gefühlen von Angst um?....) * Reframing des Symptoms in Bezug auf Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit (Wenn ihr Symptom auch einen Sinn hätte, was wäre das “Gute am Schlechten?) Gibt es Ausnahmen – und wenn ja, wann, mit wem, unter welchen Umständen? * Externalisierung des Symptoms Dr.Margarete Mernyi 2006 * Herstellen einer Sicherheit vermittelnden therapeutischen Beziehung (klare Rahmenbedingungen in Bezug auf Zeit, Regelmäßigkeit, Geld, Raum.........) * Musterunterbrechung durch Balancierung von Stabilität und Veränderung (während der Sitzung und als “Hausaufgabe”: z.B. Auftrag zur Nicht Veränderung, Beobachtungstagebuch...........) * Prüfung der Sinnhaftigkeit des Einzelsettings Dr.Margarete Mernyi 2006 Einige handlungsanleitende Ideen für die Arbeit mit Symptomen von Angst und Panik (3) Dem Organismus Aufmerksamkeit schenken * Was sind die Bedürfnisse des Organismus, die ihm nicht erfüllt werden (können) ? * Welche Erfahrungen hat der/die KlientIn, wie er/sie zur Entspannung kommt – durch Ruhe oder durch Bewegung? * Entsprechend der Erfahrung Auswahl von Behandlungsformen für den Körper:autogenes Training, Jacobson-Entspannungstechniken, Atem- und Stimmübungen, Meditation.......oder Laufen und andere Bewegungsformen, die den Körper in eine rhytmische Bewegung/Atmung bringen Dr.Margarete Mernyi 2006 4 Einige handlungsanleitende Ideen für die Arbeit mit Symptomen von Angst und Panik (4) Arbeit an der grundlegenden Lebensangst – wie kann ein Gefühl von “mehr Aufgehobensein im Leben”(Balancierung von Stabilität und Veränderung) entwickelt werden? * Vorsicht mit biographischer Arbeit, wenn sie nicht in einem Rahmen des “Gesichertseins” erfolgt * Arbeit an Ressourcen(“worauf ist/war Verlaß?”/Stabilität und “welche Anpassungsleistungen gibt/gab es”/Flexibilität) in der eigenen Geschichte und Geschichte der Herkunftsfamilie * Erinnerunmg an Beziehungen, wo es das Gefühl von “Gehaltenwerden” gab * Gab es traumatisierende Erfahrungen (auch in der Generation vorher) – wie können sie in Sprache gebracht, verabschiedet und “vergessen” werden? * Welche Konstrukte (Werte) müssen verändert werden, damit das Engagement für.....Leistung, andere Personen.... relativiert werden kann? Anorexia nervosa Diagnostische Leitlinien (ICD 10) • Körpergewicht: 15 % unter dem erwarteten BMI-Index von 17,5 oder weniger • Gewichtsverlust herbeigeführt durch: Vermeidung von Speisen, übertriebene körperliche Aktivitäten, Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika, selbstinduziertes Erbrechen oder selbstinduziertes Abführen • Körperschema-Störung • Endokrine Störungen • Verzögerung der pubertären Entwicklungsschritte Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 Bulimia nervosa Binge Eating Disorder Diagnostische Leitlinien (ICD 10) Diagnostische Leitlinien (DSM IV) • Andauernde Beschäftigung mit dem Essen/Gier nach Nahrungsmitteln • Versuch dem dickmachenden Effekt der Nahrung entgegenzusteuern: durch selbstinduziertes Erbrechen,Gebrauch von Abführmittel, Diuretika, Appetitzüglern, zeitweise Hungerperioden • Furcht vor Gewichtszunahme, scharf definierte Gewichtsgrenze • Eventuell: vorhergehende Episode der Anorexie Dr.Margarete Mernyi 2006 • Regelmäßige Essanfälle: Große Mengen mit Gefühl des Kontrollverlustes • Die Essanfälle sind mit folgenden Merkmalen assoziiert: Schneller gegessen als „normal“ Es wird solange gegessen, wie „aushaltbar“ Große Mengen, obwohl kein Hungergefühl Isolation beim Essen/Peinlichkeit Verzweiflung Dr.Margarete Mernyi 2006 5 Veränderung der weiblichen Lebenswelten Soziale und ökonomische Aspekte der Essstörungen aus. Kämmerer A, Klingenspor B (Hrsg.) (1989): Bulimie. Zum Verständnis einer geschlechtsspezifischen Esstörung, Stuttgart, Kohlhammer (dzt. leider vergriffen) Traditionelle weibliche Lebensformen Widerspruch:Überangebot von Nahrung und Vorstellung von einer idealtypischen Körperform, die sich an einem extrem niedrigen BMI Index orientiert. • Verbreitung: In den hoch entwickelten Industrienationen (Westeuropa, USA, Japan), neuerdings in der Oberschicht Indiens und in den ehemaligen Ostblockstaaten („westernized cultures“) • Gender-Perspektive: 90-95% der Betroffenen sind Frauen, Ansteigen des Prozentsatzes der betroffenen Männer wissenschaftlich nicht bewiesen • Verantwortungsübernahme für das Gelingen von Beziehungen • Selbstwert abhängig von gelungenen Beziehungsgestaltungen • Die Person ist ein untrennbarere Teil der Berziehung • Lebensziele:“ Versorgungsehe „ Neue Entwicklungen • Jedes Individuum trägt die Verantwortung für sein Leben • Selbstwert ist abhängig vom Gelingen eines „Werks“ • Person und Beziehung werden von einander getrennt gesehen. • Lebensziele: Selbstverwirklichung und Partnerschaft Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 Anorexie als Ausdruck von Konflikten um „die Grenze“ Beziehungsmuster zur „Außenwelt“ Anorexie als Ausdruck von Konflikten um „die Grenze“ Beziehungsmuster zur „Innenwelt“ aus:Reich Günther,Familientherapie der Esstörungen, Göttingen, Hogrefe 2003 aus:Reich Günther,Familientherapie der Esstörungen, Göttingen, Hogrefe 2003 Folgende Bedeutungsgebungen und Werte verknüpfen sich mit Verhalten: • • • • Harmoniebedürfnis und Außenorientierung Verbundenheit - „Ehe zu dritt“ Aufopferung bis zur „Opfer-Eskalation“ Perfektion und Kontrolle Dr.Margarete Mernyi 2006 • Anspruch auf Selbstkontrolle • Verzicht die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen - Blockierung von Emotionen Dr.Margarete Mernyi 2006 6 Bulimie als Ausdruck von Konflikten um Identität und Intimität Beziehungsmuster zur „Außenwelt“ Bulimie als Ausdruck von Konflikten um Identität und Intimität Beziehungsmuster zur „Innenwelt“ aus:Reich Günther,Familientherapie der Esstörungen, Göttingen, Hogrefe 2003 aus:Reich Günther,Familientherapie der Esstörungen, Göttingen, Hogrefe 2003 • • • • • • Folgende Bedeutungsgebungen und Werte verknüpfen sich mit Verhalten: Enge Bindungen und/oder Beziehungsabbrüche Impulsivität/Gewalt/Substanzmittelmißbrauch Verletzung der Grenzen/Intimschranken Vergleich und Konkurrenz Wenig emotionale Resonanz Familiengeheimnisse • Ideales - defektes „Selbst“ • Kontrolle - Kontrollverlust • Stärke/Kompetenz - Scham/Makel Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 Binge Eating Disorder als Ausdruck von Konflikten um das Thema Führung und Verantwortung Zusammenhang zwischen der Organisation von Konflikten und Entstehung von Essstörungen Folgende Bedeutungsgebungen und Werte verknüpfen sich mit Verhalten: Konfliktachse: Bindung - Autonomie • Außenorientierung • Aktivität/Engagement und Leistung • Verantwortungsübernahme - Aufopferung Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 7 Psychotherapeutische Ansätze Systemtherapeutische Vorgehensweise Psychotherapeutische Ansätze Systemtherapeutische Vorgehensweise 1. Ziel der Psychotherapie: Nicht nur Veränderungen des Essverhaltens und Gewicht-Zu- oder Abnahme, sondern zuerst vor allem die Entdeckung des Konflikts, der zum Leiden an der Symptomatik führt und Entwicklung von Lösungsansätzen 2. Vermeidung Kampffeld „Hungern/Fressen“ und „Gewichts- Zu-oder Abnahme“ 3.Unterscheidung: Psychotherapie und Beachtung des körperlichen Zustandes. Untersuchung und Begleitung und Kontrolle des körperlichen Zustandes durch ein/e ÄrztIn des Vertrauens. 4. Etablierung des Konfliktfeldes vor allem um folgende „entweder/oder“ Polaritäten 4.1. Leistung: gewinnen/entsprechen – versagen ausgelassene Perspektive: loslassen 4.2. Beziehung: Harmonie – Konflikt/Streit ausgelassene Perspektive: konstruktive Auseinandersetzung 4.3. Verantwortung: Verantwortungsübernahme für andere – Egoismus ausgelassene Perspektive: Prüfung der Verantwortlichkeit 4.4. Außenperspektive auf Selbst (Körper): keine – hohe Beachtung ausgelassene Perspektive: Innenperspektive 5. „sowohl-als auch“ Perspektive statt „entweder-oder“ Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 Psychotherapie bei Anorexie Psychotherapie bei Bulimie • Infragestellen der bisherigen Lebensgestaltung, indem bisher „Ausgelassenes“ Thema der Psychotherapie wird: • Beziehungsgestaltung zur „Aussenwelt“: Abgrenzung, Erlaubnis von Konflikten, Entwickeln von autonomen Bereichen • Beziehungsgestaltung zum „Selbst“: Loslassen, Entspannung, Wertschätzen von dem „was ist“ • Erweiterung der Zukunftsperspektive • Infragestellen der bisherigen Lebensgestaltung, indem bisher „Ausgelassenes“ Thema der Psychotherapie wird: • Beziehungsgestaltung zur „Aussenwelt“: Balance von Verbindung und autonomen Verhalten in Beziehungen • Beziehungsgestaltung zum „Selbst“: Balance von „aktiv-passiv, mächtig-ohnmächtig, gebennehmen...“ • Erweiterung der Zukunftsperspektive Dr.Margarete Mernyi 2006 Dr.Margarete Mernyi 2006 8 Genogramm Familie X Schweden/Stockholm Österreich/Mühlviertel +1979 62 60 8 seit 23 a 22 Dr.Margarete Mernyi 2006 Psychotherapie bei Binge Eating Disorder • Infragestellen der bisherigen Lebensgestaltung, indem bisher „Ausgelassenes“ Thema der Psychotherapie wird: • Beziehungsgestaltung zur „Aussenwelt“: Erlaubnis zum „Anvertrauen“ ohne autonomes Verhalten in Beziehungen zu verlieren, Verabschiedung von übermäßiger Verantwortungsübernahme/Verpflichtungsgefühl • Beziehungsgestaltung zum „Selbst“: „sich spüren/wahrnehmen“ lernen, in Bewegung kommen, sich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen Dr.Margarete Mernyi 2006 9