SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen Niccolo Jommelli: „Berenike, Königin von Armenien“ Sonntag, 12.04.2015, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1 Wir senden einen Mitschnitt aus der Stuttgarter Oper. Dort hatte am 15. Februar „Berenike, Königin von Armenien“ von Niccolo Jommelli Premiere. Unsere Aufnahme basiert im Wesentlichen auf der Vorstellung vom 19. Februar. Es handelte sich um die erste szenische Wiederaufführung dieser Rarität, die bei der Uraufführung am 11. Februar 1766 im großen Hoftheater zu Ludwigsburg eigentlich „Il Vologeso“ hieß. Die Stuttgarter Dramaturgie verweist mit ihrer Umbenennung auf die Tatsache, dass das hier verwendete und redigierte Libretto von Apostolo Zeno aus dem Jahr 1699 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts über 100 Mal vertont wurde. Die Enthusiasten des ‚Dramma per musica‘ wollten damals einen Stoff, ein Theaterstück, das von der Musik und den Dekorateuren jeweils neu eingekleidet wurde, im Fall dieser Historie hieß es mal „Vologeso“, mal „Berenice“ oder „Lucio Vero“, denn das sind die tragenden Personen, die ersten Darsteller, die den handlungstreibenden Konflikt austragen. Bei Niccolo Jommelli, einer europäischen Zelebrität, die von 1753 bis 1769 als Hofkapellmeister in Stuttgart wirkte, kam ein reich gegliedertes, spannend erzähltes Prunkstück heraus, das neben den typischen Momenten der Opera Seria, den Figuren ein besonders reiches Seelenleben gestattet; wie Sie gleich selber hören werden. Je nachdem aus welcher Perspektive man diese Oper betrachtet, erscheint sie noch sehr barock oder schon sehr modern, als Werk der großen Gattungsreform mit ausgesprochen empfindsamen Zügen. – Die Ausführenden sind: Lucio Vero: Sebastian Kohlhepp Vologeso: Sophie Marilley Berenice: Ana Durlovski Lucilla: Helene Schneiderman Flavio: Catriona Smith Aniceto: Igor Durlovski Kaiserliche Diener: Thembinkosi Mgetyengana und Thomas Elwin Das Staatsorchester Stuttgart Leitung: Gabriele Ferro Der Römische Feldherr Lucio Vero hat die Parther geschlagen. Deren König Vologeso soll gefallen sein. Die Verlobte des Partherkönigs, Berenice von Armenien, wurde gefangengenommen. Der mächtige Römer hat sich in sie verliebt. Das ist die Vorgeschichte mit den wichtigsten Protagonisten, die eben schon kurz angesprochen wurden. In den inneren Kreis der Figuren gehört noch Lucilla, die Schwester des Kaisers Marc Aurel. Sie ist mit Lucio Vero verlobt. Lucios Macht verdankt sich nicht allein seinen Leistungen als Heerführer, sondern auch dieser Verbindung. Doch die Liebe zu Berenice macht ihn blind für das politische Geschäft und für Lucilla. Das spricht eigentlich für ihn, dass er wirklich liebt. Doch Berenice liebt nur ihren Vologeso. In dem Augenblick, in dem sie sicher ist, dass ihr Verlobter überlebt hat, hat sie die Kraft, um den Ansturm Lucio Veros abzuwehren. Zugeständnisse macht sie nur zum Schein, für Vologeso etwas zu gewinnen. Der wiederum sieht darin Züge von Untreue. Mit so einem Netz aus echten Gefühlen, aus blinder Liebe und machtvollem Zorn oder falschem Schein erzählt sich das Stück und konfrontiert die Figuren mit immer neuen Abgründen. Jommellis Musik bringt das zum Klingen, aber nicht einfach als pflichtschuldige Ausstattung. Er führt die Situationen durch einen Reigen raffiniert gesetzter Formen. Immer wieder arbeitet er mit großen Accompagnato-Szenen. Er malt die Schmerzen. Er portioniert die Effekte. Jommelli ist ein Meister der Ensemblekonstellation. Das Finale des ersten Aktes ist so ein Meisterstück. Der Sklave, der eingangs einen Angriff auf Lucio Vero wagte, soll den Löwen vorgeworfen werden. Berenike stürzt sich mit ihm in die Arena, denn es ist Vologeso. Lucio muss dem verhassten Nebenbuhler ein Schwert zuwerfen, damit er Berenice nicht verliert. Und Lucilla sieht bei dieser Gelegenheit, dass Lucio ihr untreu ist. Diese emotionale Gemengelage wird musikalisch kunstvoll aufgewogen. Das ist weniger eine kontemplatives Ensemble, sondern eine handlungstragende Nummer, ein Stück echtes Musikdrama. Wichtig für das Verständnis der Geschichte sind noch zwei Nebenfiguren. Zum einen Flavio, der als Gesandter des Marc Aurel Lucilla begleitet. Außerdem Aniceto, der ein Auge auf Lucilla geworfen hat und deshalb sehr daran 2 interessiert ist, dass Lucio Vero und Berenice zusammenkommen. Er rät seinem Feldherrn deshalb nicht von seiner Liebe abzulassen. Damit beginnt der zweite Akt. Lucio Vero versucht Vologeso zu bestechen. Er soll sein Reich zurückbekommen, wenn er nur ihm (Lucio Vero) Berenice überlasse. Vergebens! Schließlich droht er Berenice: Entweder sie schenke ihm ihr Herz, oder er werde Vologeso töten. Berenice kann nicht anders, sie willigt ein. Lucio Vero scheint am Ziel seiner Wünsche zu sein. Niccolo Jommelli: „Berenike, Königin von Armenien“, der erste Teil. „Berenike“, 1. Teil = 01:44:00 SWR2 Opernabend, Sie hören als Mitschnitt aus der Stuttgarter Staatsoper „Berenike, Königin von Armenien“ mit dem Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Gabriele Ferro. In der Titelpartie: Ana Durlovski. Lucio Vero ist Sebastian Kohlhepp. Vologeso: Sophie Marilley. Lucilla: Helene Schneiderman. Flavio: Catriona Smith. Anicetto: Igor Durlovski. Wie schon gesagt, die Dramaturgie der Stuttgarter Oper hat das Stück, das ursprünglich „Il Vologeso“ hieß, in Berenike, umbenannt, um auf den vielfach vertonten Stoff zu verweisen. In diesem Falle wird „Berenike“ etwas altertümlich eingedeutscht. In der italienisch gesungenen Oper heißt die Figur Berenice. Interessant war auch ein anderer Aspekt. Es gab „Vologeso“ in Stuttgart schon mal bei den „Festtagen Alter Musik“ 1993 in einer konzertanten Aufführung, für die seinerzeit Frieder Bernius verantwortlich zeichnete. Spannend erscheint der Vergleich der beiden Zugänge. Nach den Kriterien der historischen Aufführungspraxis wurde in der vorbildlichen Realisierung 1993 der Partherkönig mit einem Countertenor besetzt, die aktuelle Aufführung setzt hier einen Mezzosopran ein. Das ist eine Ermessensfrage. Zudem drückt die szenische Aufführung dieser Produktion ihren etwas anderen Stempel auf. Die Bühnenaktion formt die Dialoge mit. Die Bühnenfiguren sind näher beim Leben und den Leidenschaften … Der deutlichste Unterschied ergibt sich durch Ana Durlovski als Berenice. Hier tritt eine Sängerin auf, die in Stuttgart vor allen Dingen durch Arien des Belcanto-Repertoires aufgefallen ist. Das gibt der Rolle eine andere Farbe. Sie werden das gleich bei dem Höhepunkt der Aufführung bemerken. In der sogenannten ‚Ombra-Szene‘, der SchattenSzene, in der Berenice die Treue zu ihrem Gatten Vologeso fast mit dem Tode bezahlen muss, erleben Sie gerade durch diese Akzentuierung eine Vorform der Wahnsinnsszenen des romantischen Repertoires. Zwei weitere besetzungstechnische Wunder der Aufführung sind zu annoncieren. Zum einen wäre da Igor Durlovski, der als Aniceto aus der Basslage immer wieder ins Kopfregister springt und umgekehrt. Zum anderen darf man auf Helene Schneidermann hinweisen, die bereits 1993 bei den Festtagen die Lucilla sang. Sie ist wieder Lucilla; die Stimme, die Rollendarstellung ist gewachsen, ohne sich zu verschleißen. Alle Achtung! Einen interessanten Versuch machte auch der Dirigent Gabrielle Ferro. Er teilte das Orchester in drei differierende Streichergruppen auf, die rechts, links und in der Mitte des (hochgefahrenen) Grabens platziert waren. Das ermöglichte eine ganz aparte Mischung, zumal eine dieser Gruppen ein ‚echtes‘ Streichquartett war. Die Koordinierungsarbeit zwischen diesen ‚Registern‘ war allerdings nicht immer ganz leicht, so dass sich in die neuen Farben gelegentlich auch leichte ‚Trübungen‘ eingeschlichen haben. „Berenike/Berenice“ war in Stuttgart jedenfalls ein spannendes Experiment, das sich auch szenisch ausformulierte, in einer Szene, die ein Gemälde von Tintoretto, die „Fußwaschung“ mit einem Gegenwartshintergrund konfrontierte. Das Erfolgsteam Wieler/Morabito/Viebrock stand dahinter. 3 Der zweite Teil läuft auf des ‚Glückliche Ende‘ zu, doch zuvor gibt es Hindernisse, ja existentielle Beinahekatastrophen; zum Beispiel die bereits erwähnte Ombra Szene. Berenice, die ihr Herz dem Lucio Vero letztlich verweigern musste, - er möge es ihr aus der Brust reißen, wenn er es wolle, heißt es in der entsprechenden Auseinandersetzung – Berenice glaubt, dass sie sterben muss, da sie sich für die Liebe, bzw. die Treue zu Vologeso entschieden hat. Im Laufe dieses zweiten Teils muss der liebestolle Lucio Vero, der aus Raserei die ihm bestimmte Lucilla verstößt, zu Raison gebracht werden. Schließlich geht aber alles, buchstäblich in letzter Minute gut. Berenice wird gerettet, Vologeso befreit, Flavio mobilisiert das römische Heer gegen den eigenen Feldherrn. Die letzten Knoten löst Lucilla, die Lucio Vero noch einmal die Ehe anbietet. Der kommt zu Besinnung, er nimmt an. Alle atmen auf. Niccolo Jommelli: „Berenike, Königin von Armenien“, der zweite Teil. „Berenike“, 2. Teil = 01:10:00 SWR2 Opernabend. Auf dem Spielplan stand: „Berenike, Königin von Armenien“. Ein Dramma per musica nach Apostolo Zeno. Musik von Niccolo Jommelli. Die Ausführenden waren: Lucio Vero: Sebastian Kohlhepp Vologeso: Sophie Marilley Berenice: Ana Durlovski Lucilla: Helene Schneiderman Flavio: Catriona Smith Aniceto: Igor Durlovski Kaiserliche Diener: Thembinkosi Mgetyengana und Thomas Elwin Das Staatsorchester Stuttgart Leitung: Gabriele Ferro Unser Mitschnitt entstand am 19. Februar. Tonmeister war Michael Sandner. Toningenieur Günther Zapletal. Redaktion Reinhard Ermen. 4