Identifizierung und Charakterisierung von Neuronen des Hirnstamms

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7. DGA Jahrestagung 2004
Cochleäre Projektionen: Identifizierung und Charakterisierung
von Neuronen des Hirnstamms
Stefan Reuss
Anatomisches Institut, Fachbereich Medizin, Johannes Gutenberg-Universität, 55099 Mainz
Einleitung
Cochleäre Projektionsneurone sind im oberen Olivenkomplex (superior olivary complex, SOC) lokalisiert. Sie
vermitteln den Einfluß des Zentralnervensystems auf das
Corti-Organ des Innenohrs, indem sie über das Rasmussen-Bündel Informationen an Sinneszellen (Haarzellen)
leiten. Während es z.B. im visuellen System keine neuronalen Projektionen der nachgeschalteten Zentren zu den
Sinneszellen (Photorezeptoren) gibt, kommt im auditorischen System ein Mechanismus vor, der eine gewisse
Modulation der Wahrnehmung erlauben. Diese Neurone,
Teil der absteigenden (deszendierenden) Hörbahn, werden
als efferent bezeichnet (das Gehirn verlassend). Im Gegensatz dazu stehen die afferenten Neurone, die Erregung
an den Haarzellen aufnehmen und zum Gehirn leiten (z.Ü.
Schwartz 1992, Reuss 2000, Moore und Linthicum 2004).
Identifizierung der Projektionsneurone
Um diese Neurone zu identifizieren, wird einem Versuchstier (z.B. Ratte) ein neuronaler Tracer (z.B. Fluorogold) in die Scala tympani der Cochlea injiziert, wo sich
die Substanz in der Perilymphe verteilt. Sie wird an Synapsen aufgenommen (Abb. 1) und über Zellfortsätze
transportiert. In den zugehörigen Zellkörpern wird der
Tracer gespeichert bzw. im weiteren in die übrigen Zellfortsätze transportiert. Erstens wird die Substanz also von
afferenten Dendriten, die in erster Linie von Zellen des
Ggl. spirale cochleae stammen, aufgenommen (Abb. 1a),
von dort in die Ganglienzellen transportiert und ist
schließlich in axonalen Endigungen im Ncl. cochlearis zu
finden (Abb.2). Zweitens wird Fluorogold auch von den
axonalen Endigungen (Abb. 1b) der Projektionsneurone
des SOC aufgenommen und retrograd in die zugehören
Somata transportiert und dort abgelagert. Nach einigen
Tagen lassen sich die Neurone in Hirnschnitten bzw.
cochleären Präparaten identifizieren. Da Fluorogold eine
unter entsprechenden Anregung selbst fluoreszierende
Substanz ist, werden keine weiteren Schritte wie Immunhistochemie oder spezielle Färbungen benötigt.
Abb. 1: Schnitt durch die Cochlea der Ratte nach Applikation
von Fluorogold in die Scala tympani. Die Substanz wird von
Terminalen der afferenten Dendriten basal und lateral der
inneren Haarzellen (a) bzw. basal der äußeren Haarzellen (b)
aufgenommen.
Abb. 2: Frontalschnitt durch den unteren Hirnstamm der Ratte
nach intracochleärer Applikation von Fluorogold. Markierte
efferente (olivocochleäre) Neurone finden sich vorwiegend in
der lateralen oberen Olive (LSO), teilweise auch in paraolivären Regionen wie der superioren paraolivären Olive (SPO).
Axonale Endigungen der afferenten Neurone des Ganglion
spirale cochleae sind im Nucleus cochlearis sichtbar. Auch die
Zellen des Ggl. vestibulare sind markiert.
Die Zellen sind als neuronale Subpopulationen an charakteristischen Stellen zu finden. Markierte Neurone finden sich im Bereich des oberen Olivenkomplexes, vorwiegend in der lateralen (LSO; Abb. 2), aber auch in der
medialen oberen Olive (MSO), im medialen Nucleus des
Trapezkörpers (MNTB) sowie in peri- und paraolivären
Regionen (Abb. 3), mit jeweils unterschiedlichen Anteilen
(entsprechend ihrem Projektionsmuster) ipsi- und contralateral zur Applikationsseite (Riemann und Reuss 1998;
Reuss et al. 1999; Riemann und Reuss 1999a,b).
Abb. 3: Nach intracochleärer Applikation von Fluorogold sind
im Frontalschnitt durch den unteren Hirnstamm der Ratte Fluorogold-markierte Zellen auch in dorsal-periolivären (DPO, a)
und in ventral-periolivären (VPO, b) Regionen zu finden.
Da die cochleäre Perilymphe über den Ductus reuniens auch mit dem vestibulären System in Verbindung
steht, tritt Tracer über und folglich sind retrograd markierte Neurone auch in den vestibulären Nuclei des Hirnstamms zu finden, außerdem im Ganglion vestibulare
(Scarpa-Ganglion; s. Abb. 2).
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Charakterisierung von Transmittersystemen
Dieses neuronale Tracing läßt sich erfolgreich mit Methoden zur Untersuchung neuroaktiver Substanzen nutzen.
Dabei kann untersucht werden, welche Transmittersubstanzen die identifizierten Neurone selbst bilden bzw.
durch welche sie reguliert werden, was sich morphologisch als Innervation zeigen würde. In der Vergangenheit
wurde das Vorkommen mehrerer Substanzen beschrieben,
u.a. die Neurotransmitter Azetylcholin, Serotonin, GABA,
Glutamat, Glycin sowie die Neuromodulatoren Substanz
P und CGRP (z.Ü. Eybalin 1993). Die hier vorgestellten
Untersuchungen konzentrierten sich auf eine Substanz,
die einerseits als Neurotransmitter bzw. -modulator angesehen, andererseits mit der Regulierung des Blutflusses
im Innenohrs in Verbindung gebracht wird. Es handelt
sich dabei um das gasförmige, kurzlebige Molekül Stickstoffmonoxid („Stickoxid“, NO), das in Neuronen durch
das Enzym neuronale NO-Synthase (nNOS) gebildet
wird. Gegen dieses Peptid gerichtete Antiseren sind
kommerziell erhältlich und können benutzt werden, um in
Kombination mit neuronalem Tracing entsprechende
neuronale Gruppen zu charakterisieren. Darüberhinaus
sind Doppel- und Tripelmarkierungen verschiedener
Transmitter mit unterschiedlichen Fluoreszenzfarben
möglich (zu methodischen Aspekten s. Reuss und Reuss
2001).
Stickoxid-produzierende Neurone im oberen
Olivenkomplex
Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann aus dem Vorhandensein des Enzyms nNOS in einem Neuron auf die Produktion von Stickoxid durch diese Zelle geschlossen
werden, wenn auch die quantitativen Aspekte (Aktivität
des Enzyms) dabei nur in Näherung berücksichtigt werden können. Positive Neurone finden sich in allen Teilen
des SOC in relativ großer Zahl (Reuss 1998), wobei nicht
nur das Protein nachgewiesen werden kann, sondern auch
durch in situ-Hybridisierung die entsprechende mRNA
demonstriert wird (Abb. 4).
Quantitative Untersuchungen an Meerschweinchen,
Ratten und Hamstern in meinem Labor haben gezeigt, daß
in der LSO sechs bis sieben Prozent der Neurone olivocochleäre Projektionsneurons sind, daß zehn bis 20 Prozent der LSO-Neurone nNOS enthalten, daß aber nur
zwei bis vier Prozent der olivocochleären Neurone nitrerg
sind (Abb. 5).
Abb. 5: Kombinierte Darstellung im selben Schnitt der lateralen
superioren Olivenregion (LSO) nach intracochleärer Applikation von Fluorogold (a) und mit immunhistochemischer Darstellung der neuronalen Stickoxidsynthase (nNOS, b). Pfeile deuten
jeweils auf markierte Zellen hin.
Während auch im MNTB nur fünf bis sechs Prozent
der Neurone olivocochleäre Neurone sind, enthalten aber
50-70 % der Neurone nNOS und nahezu alle olivocochleären Neurone sind nitrerg (Abb. 6). Die übrigen olivären
Zellgruppen (MSO und perioliväre) enthalten zwar
nNOS-immunreaktive Zellen und Projektionsneurone,
aber keine doppeltmarkierten Zellen.
Abb. 6: Kombinierte Darstellung im selben Schnitt des medialen
Nucleus des Trapezkörpers (MNTB) nach intracochleärer Applikation von Fluorogold (a) und mit immunhistochemischer
Darstellung der neuronaler Stickoxidsynthase (nNOS, b).
py=Pyramidenbahn
Herkunft und Wirkung des cochleären
Stickoxids
Abb. 4: In situ-Hybridisierung zur Darstellung der mRNA für
neuronale Stickoxid-Synthase (Frontalschnitt, Ratte). Signale
finden sich vor allem in der lateralen Olive (LSO) und im medialen Nucleus des Trapezkörpers (MNTB), lokalisiert dorsal
der Pyramidenbahn (py).
Mehrere neurale Quellen stehen für cochleäres Stickoxid zur Verfügung. Erstens sind die meisten Ganglienzellen des Ggl. spirale cochleae nitrerg (Riemann und
Reuss 1999a), zweitens stammt eine zusätzliche nitrerge
Projektion aus dem Ggl. trigeminale (Ggl. Gasseri; s.
Reuss und Riemann 1999b), drittens sind - wie hier gezeigt - auch Subpopulationen der cochleären Projektionsneurone sowie deren Synapsen nitrerg. Es kann daher
davon ausgegangen werden, daß von Neuronen produziertes NO auch in der Cochlea zur Verfügung steht.
Interessanterweise projiziert nur ein kleiner Teil der
nitrergen Neurone des SOC in die Cochlea; ähnliches gilt
- wie wir kürzlich gezeigt haben (Schaeffer et al. 2003) auch für die olivocolliculäre Projektion. Unsere nächsten
Untersuchungen sollen klären, ob weitere NOproduzierende Zellen des SOC die Kerngebiete des Lateralen Lemniscus innervieren und/oder ob Stickoxid eher
intrinsisch regulierende Aufgaben übernimmt. Besonders
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interessante funktionelle Aspekte sind dabei alterskorrelierte Veränderungen (Reuss et al, 2000), NO-GlutamatWechselwirkung (Glutamat bewirkt Calcium-Influx,
wodurch nNOS aktiviert wird), die Stimulation der
cGMP-Produktion
sowie
verstärkte
TransmitterFreisetzung durch NO, und die Regulation des cochleären
Blutflusses. Auf jeden Fall aber stellt das Vorkommen
dieser gefäßrelaxierenden, in höheren Konzentrationen
jedoch neurotoxischen Substanz in oberem Olivenkomplex und Cochlea einen interessanten Aspekt physiologischer und pathophysiologischer Mechanismen des Innenohres dar (z.Ü. Reuss und Riemann 2000).
Danksagung
Ich danke U. Disque-Kaiser, PD Dr. R. Riemann und
Dr. D. Schaeffer für wertvolle Hilfe, Kooperation und
Diskussion sowie DFG und MAIFOR-Programm der
Johannes Gutenberg-Universität für die finanzielle Förderung meiner Arbeiten am auditorischen Hirnstamm.
Literatur
Eybalin M (1993) Neurotransmitters and neuromodulators
of the mammalian cochlea. Physiol Rev 73, 309-373
Moore JK, Linthicum FH (2004) Auditory System. In:
The Human Nervous System, Second Edition, Elsevier (USA), pp. 1241-1279
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Riemann R, Reuss S (1998) Projection neurons in the
superior olivary complex of the rat auditory brainstem: A double retrograde tracing study. Otorhinolaryngology 60, 278-282
Riemann R, Reuss S (1999a) Nitric oxide synthase in
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guinea pig. Hearing Res 135, 181-185
Riemann R, Reuss S (1999b) Nitric oxide synthase in
trigeminal ganglion cells projecting to the cochlea of
rat and guinea pig. Neuroreport 10, 2641-2645
Schaeffer DF, Reuss MH, Riemann R, Reuss S (2003) A
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Schwartz IR (1992) The superior olivary complex and
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