Die Beziehung zwischen Milchsäurekonzentration und Gewebs-pH beim DS-Carcinosarkom der Ratte * HERMANN MATTHIAS RAUEN, MICHAEL FRIEDRICH u n d KLAUS NORPOTH Physiologisch-Chemisches Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster/Westfalen ( Z . Naturforschg. 22 b , 1018—1020 [1967] ; eingegangen am 20. Januar 1967) Correlation of lactate-concentration and H®-concentration in tissue of rat DS-carcinosarcoma was tested with an improved method by intravital pH-measuring. After i. v. dosages of glucose the testing was effected by measurement of 24 points equally distributed within the pH-range of about 6.1 — 7.1. Therefrom we compute the acidification factor y= ~ A p R ZJcms = 2 5 . 2 ± 5.9 x 10 3 [g-Mol-1]. In the tested pH-range the f a c t o r is p r a c t i c a l l y constant. Tumorgewebe unterscheiden sich von den korrespondierenden normalen Geweben auch durch eine höhere H®-Konzentration. Sie ist im wesentlichen eine Funktion erhöhter Lactatbildungs-Geschwindigkeit bzw. erhöhter Glykolyse-Geschwindigkeit. Durch Zufuhr hochdosierter Glucose zum tumortragenden Tier wird diese komplexe Fließgröße in Richtung noch höheren Umsatzes nur im Tumorgewebe, aber nicht im normalen Gewebe, beeinflußt. Dadurch sinkt das Tumorgewebs-pH deutlich ab. Ausmaß und Zeitfunktion der pn-Senkung sind durch in-vivoMessungen der H®-Konzentration in verschiedenen Tumorgeweben seit längerem bekannt 1 - 3 . Da diese pn-Senkung fast ausschließlich die Folge erhöhter Lactatansammlung ist, sollte eine gesetzmäßige Beziehung zwischen H®- und Lactatkonzentration bestehen. K A H L E R und R O B E R T S O N konnten am Hepatom 31 der Ratte nach Glucosezufuhr eine solche Funktion nicht nachweisen 4 . Auch am JensenSarkom der Ratte ließ sie sich nicht verifizieren 1 . In einer kürzlich in dieser Zeitschrift von M. VON ARD E N N E und F. R I E G E R publizierten mathematischen in-vivo-Theorie des Gärungsstoffwechsels der Krebsgeschwülste 5 wird die Beziehung -ApR = y Acms (1) aufgestellt, wobei — Ap^ die pn-Differenz zwischen Normalgewebe und Tumorgewebe bzw. auch die* Ausgeführt mit Sondermitteln des K u l t u s m i n i s t e r i u m s N o r d r h e i n - W e s t f a l e n und der D e u t schen Forschungsgemeinschaft. 1 C . VOEGTLIN, R . H . FITCH, H . KAHLER, J . M . JOHNSON U. J . 2 THOMPSON, Nat. Inst. Health 164, 1 [1935]. M . EDEN, B . HEINES U. H . KAHLER, J . Nat. Cancer Inst. 1 6 , 541 [1955]. W. jenige zwischen Tumorgeweben vor und nach Glucosezufuhr bedeutet, ferner y ein „Ansäuerungsfaktor" und Acms die Milchsäurespiegel-Differenz. Da im Hinblick auf mehrere zur Zeit diskutierte Hypothesen über gezielte Tumortherapien dieser Beziehung eine besondere Bedeutung beigemessen wird, haben wir mit einer modifizierten Meßtechnik am DS-Carcinosarkom der Ratte die in (1) wiedergegebene Funktion überprüft. Methodik 1. Tumoren Die im Ergebnisteil angeführten pH-Werte wurden am DS-Carcinosarkom der Ratte gemessen. Tumorzellsuspensionen gleicher Zelldichte wurden den Ratten eines Wistar-Stammes in konstanter Dosierung intraglutaeal injiziert. Danach entwickelten sich innerhalb 10 — 14 Tagen die kompakten Tumoren zu einer Größe von etwa 2,5 cm Durchmesser. 2. Registrierung der Tumor acidität Hierzu dienten Glasmikroelektronen besonderer Anfertigung durch die Firma Dr. W. I n g o 1 d , Frankfurt a. M., mit spitzkegelförmiger Meßmembran. Die tumortragenden Ratten wurden mit 100 mg Urethan / 1 0 0 g Körpergewicht in wäßriger Lösung i.p. narkotisiert und 2 — 4 Elektroden in verschiedene Gewebebezirke der freipräparierten Tumoren appliziert. Der Acta Univ. Inst. Cancer 18, 2 5 6 [ 1 9 6 2 ] . W . B . ROBERTSON, J . Nat. Cancer Inst. 3 , 4 9 5 3 P . SCHEID U. P . KUNZE, 4 H . KAHLER U. 5 M . VON ARDENNE [1943]. [1966]. Unauthenticated Download Date | 5/12/16 4:01 AM U. F . RIEGER, Z. Naturforschg. 21 b, 472 leicht angeritzte Schwanz hing in ein Gefäß mit physiologischer Kochsalzlösung, in das auch die Kalomel-Bezugselektrode eintauchte. Von jeder Meßelektrode und der einen Bezugselektrode führten die Ableitungen über je ein pH-Meßgerät der Firma M e t r o h m AG., Herisau (Schweiz), Typ E 300 (Meßgenauigkeit ± 0,02 PH-Einheiten), zu einem Sechsfarbenschreiber der gleichen Firma. Diese Meßanordnung wurde jeweils vor Versuchsbeginn mit Standard-Pufferlösungen geeicht und nach Versuchsende nachkontrolliert. 1 opu «i Ol iOl ?0 -Q 1 -2 oflj ~ 0ß22 X E 3. Erhöhung der Tumor acidität Um verschiedene Aciditätsgrade im Tumorgewebe zu erzielen, injizierte man abgestufte Dosen D-Glucose, als 50-proz., auf PH 7,5 gepufferte wäßrige Lösung, in die V. jugularis. Maximal wurden 0,6 g D-Glucose/100 g Körpergewicht verabreicht. Nachdem sich die Tumorgewebs-pH-Werte stationär eingestellt hatten, wurden alle Elektroden zugleich entfernt, binnen weniger Sek. die Gewebeteile um die Einstichöffnungen der Elektroden in Portionen zu je 250 — 500 mg excidiert und in flüssige Luft eingetragen. Man verwendete nur kompakte Gewebeteile ohne makroskopisch erkennbare Nekrosen. 4. Analyse des Lactats Die tiefgefrorenen Tumorstückchen wurden nun nach der Vorschrift von HOHORST 6 weiterverarbeitet. Zur quantitativen Bestimmung der Lactatkonzentration gebrauchten wir den LDH-Test-Boehringer TC-G 15977. Ergebnisse Zur Prüfung von (1) stehen uns 24 Messungen von pn-Werten und Lactatkonzentrationen zur Verfügung, die über den pn-Bereich von 6,1 bis 7,1 und den Lactatkonzentrations-Bereich von 1,0 bis 5,0 • 1 0 - 5 Mol/g Feuchtgewicht verteilt sind. Bei einer Einteilung der pn-Einzelwerte in Klassen von 0,2 pn-Einheiten und Eintragen der zugehörigen Lactatkonzentrationen in ein Koordinatensystem erhält man die Gerade in der Abbildung. Der Regressionskoeffizient errechnet sich aus den Einzelwerten zu — 39,7 + 8,9. Unter Verwendung von (1) ergibt sich somit: y= r -r- 1 — — = 25,2 ± 5,9 • 103 [g • M o l " 1 ] . 39,7 ± 8 , 9 - I O " 6 ' 16 J Die Linearitätsprüfung der Regression mit Hilfe der F-Verteilung 7 ergab auch auf dem niedrigsten Signifikanzniveau (p = 0,05) keinen Anhalt für eine nicht6 H J . HOHORST, i n : H . M . BERGMEYER, „ M e t h o d e n der enzyma- tischen Analyse", Verlag Chemie GmbH., Weinheim/Bergstraße 1962, S. 266 ff. 0p33 Opil i i i i i 6,1 6,3 6,5 6,7 6.9 i 7,1 Ph- Abb. 1. Beziehung zwischen Lactat- und H®-Konzentration im DS-Carcinomsarkom der Ratte. Der Abbildung liegen 2 4 z. T. nach i. v. Glucosezufuhr gewonnene Meßwerte von Lactatkonzentration und pH-Wert im Tumorgewebe zugrunde. lineare Beziehung. Auffällig im Vergleich zu den Ergebnissen früherer Autoren ist die geringe Streuung der Einzelwerte um die Regressionsgerade. Bei der Lactat- bzw. pn-Bestimmung in verschiedenen Bezirken des gleichen Tumors zeigten sich bemerkenswerte Unterschiede. Diese waren bei Messungen ohne Glucosezufuhr besonders ausgeprägt. Diskussion Es ist möglich, daß wir im DS-Carcinosarkom der Ratte ein besonders geeignetes Untersuchungsobjekt für pn-Messungen in vivo angetroffen haben. Die wesentlich geringere Streuung unserer Meßergebnisse im Vergleich zu denen von K A H L E R und R O BERTSON 4 dürfte aber weitgehend durch die verbesserte Meßtechnik bedingt sein. Auch haben wir über den gesamten pn-Bereich von pn 6,1 bis pn 7,0 gemessen, während die genannten Autoren nur die beiden pn-Bereiche um pn 7,0 und pn 6,4 berücksichtigten. Für das DS-Carcinosarkom ergab sich aus unseren Meßwerten eine Regressionsfunktion, deren Linearität statistisch nicht widerlegt werden kann. Der 7 Siehe S. KOLLER, in: H. M . RAUEN, Biochemisches Taschenbuch, Berlin-Göttingen-Heidelberg-New York, 2. Aufl., 2. Band, S. 1014 ff. Unauthenticated Download Date | 5/12/16 4:01 AM Ansäuerungsfaktor y darf damit in dem gesamten erfaßten p^-Bereich als konstant angesehen werden. Unterhalb pn 6,0 gilt diese Konstanz zweifellos nicht mehr. Umgeht man im in-vitro-Versuch die durch Selbsthemmung der Glykolyse in vivo im Bereich dieses Wertes gesetzte Säuerungsschranke durch Milchsäurezusatz zu Körperflüssigkeiten, so resultieren mit zunehmender Erschöpfung der Pufferkapazitäten Pufferungskurven, deren nichtlinearer Verlauf sich kontinuierlich bis in den pn-Bereich unserer in-vivo-Experimente fortsetzt. Der gemessene Säuerungsfaktor besitzt daher auch zwischen pg 6,1 und PH 7,0 nur relative Konstanz. Aber die Nichtlinearität der Regressionsfunktion von H®- und Lactatkonzentration ist hier offenbar so gering, daß sie auch bei der geringen Streuung unserer Meßwerte nicht nachgewiesen und daher, wie es v. A R D E N N E für Tumoren allgemein annimmt 5 , praktisch vernachlässigt werden kann. Berechnet man aus den von K A H L E R und R O B E R T SON 4 angegebenen mittleren Lactatkonzentrationen für die pn-Bereiche um pn 6,4 und 7,0 den Ansäuerungsfaktor, so ergibt sich mit 22-10 3 [ g - m o l - 1 ] ein Wert im Streubereich des von uns am DS-Carcinosarkom ermittelten Faktors. Der Vergleichswert für Rattenserum beträgt nach eigenen Messungen 78,1-IO 3 [ g ' m o l - 1 ] (unveröffentlichte Versuche). Von M. v. A R D E N N E wird der an Rinderblutplasma bestimmte Ansäuerungsfaktor mit 40'IO 3 [ g ' m o l - 1 ] angegeben. Die Pufferkapazität der untersuchten Krebsgewebe ist danach vergleichsweise hoch. KAHL E R und R O B E R T S O N 4 erörtern sogar eine gegenüber dem normalen Lebergewebe erhöhte Pufferkapazität des Hepatoms 31. Aus den Experimentaldaten läßt 8 H. NETTER, Theoretische Biochemie, delberg 1959, S . 1 8 9 ff. Berlin-Göttingen-Hei- sich jedenfalls keine Bestätigung für die Annahme eines allgemein gültigen Ansäuerungsfaktors ablesen, der zur Berechnung der Puffereigenschaften von Körperflüssigkeiten ebenso wie von normalen und bösartigen Geweben im Bereich zwischen pn 6,0 und 7,0 herangezogen werden kann. Eine solche Annahme ist auch theoretisch nicht gut zu begründen, da bereits die Puffersysteme der normalen Körperflüssigkeiten und -gewebe sehr unterschiedlich sind 8 . Mit unserer Versuchsanordnung kann nunmehr untersucht werden, ob sich die hohe Pufferungsfähigkeit des DS-Carcinosarkoms und des Rattenhepatoms 31 auch an anderen Krebsgeweben nachweisen und darüber hinaus als allgemeine Eigenschaft bösartiger Gewebe darstellen läßt. Die starken Schwankungen der Lactatkonzentration in verschiedenen Bezirken des gleichen Tumors führen wir auf unterschiedliche glykolytische Aktivität in diesen Gewebebereichen zurück. Vergleichsmessungen von Tiefen-pn und Oberflächen-pH, die ebenfalls am DS-Carcinosarkom vorgenomenm wurden, haben die unterschiedliche Reaktionsweise der oberflächlichen und tiefen Gewebeschichten auf Glucosezufuhr sehr deutlich zum Ausdruck gebracht 9 . Die Inhomogenität der Tumoren hinsichtlich Lactatbildung und davon abhängiger Gewebesäuerung hat Konsequenzen für die Tumortherapie. Denn jedes Behandlungsprinzip, das auf der relativ hohen H®-Konzentration im Tumorgewebe basiert, oder dessen Selektivwert durch sie mitverursacht ist, richtet sich gegen Zellverbände, deren Empfindlichkeit gegenüber dem cancerotoxischen Eingriff großen Schwankungen unterliegt. Diese Variabilität kann durch Glucosezufuhr nicht ausgeschaltet, vielleicht aber verringert werden. 9 H . M. RAUEN U. M. FRIEDRICH, Vortrag während der Tagung der Gesellschaft für Physiologische Chemie, vom 13. bis 15. Oktober 1966 in Marburg/Lahn. Unauthenticated Download Date | 5/12/16 4:01 AM