4. Irseer Symposium für Kinder-und Jugendpsychiatrie Psychische Komorbiditäten bei Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter 4. Irseer Symposium für Kinder-und Jugendpsychiatrie Ist Diabetes eine potenziell psychopathogene Erkrankung? 3 Wer ist das? © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 4 Das ist der Diabetes!!! © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 5 Alltagsbelastungen des Kindes durch den Diabetes 6-8x Blutzuckertestungen/Tag 6-9x Insulininjektionen/Tag Bei hohen Werten zusätzlich Urinuntersuchungen auf Aceton! Evtl. zusätzliche Injektionen. © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 6 Alltagsbelastungen des Kindes durch den Diabetes Vor jeder Mahlzeit Spritz-Ess- Abstand (bis max. 60 min) einhalten berechnen/abwiegen, wie viele Kohlenhydrate darin enthalten sind Umrechnung auf BE oder KE berechnen, wie viel Insulin gespritzt werden muss (s.g. BE-Faktoren) © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 7 Alltagsbelastungen des Kindes durch den Diabetes Vor jedem Sport testen und evtl. Sport-BE zu sich nehmen Keine spontane körperliche Betätigung ohne den BZ im blick zu haben Vor Fahrten mit Fahrrad oder Moped BZ testen und ggf. KH verzehren © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 8 Alltagsbelastungen der Eltern durch den Diabetes Zusätzlich zu den genannten Belastungen bei der Diabetestherapie Häufige nächtliche BZ-Messungen (Störung des Schlafs , soziale Beeinträchtigung) Bei kleinen Kinder keine Einsicht über die Notwendigkeit der Therapie ständig massive Konflikte, Therapie durchführen unter Gewaltanwendung Menge der Nahrungsaufnahme bei Kleinkindern nicht sicher abschätzbar Beendigung des Essens trotz der für eine größere KH-Menge injizierten Insulindosis Komplette Neuorganisation des Alltags notwendig © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 9 © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 10 Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus (1) (Kovacs 1985) Nach Diabetesmanifestation: 64% psychische Auffälligkeiten wie anhaltende Traurigkeit, Feindseligkeit, Gereiztheit gegenüber Eltern und Geschwistern, vermehrter Rückzug 36% psychiatrische Symptome wie Verhaltensstörungen, Aggressivität, depressive Episoden Diese Symptome bilden sich in der Regel nach 6-9 Monaten zurück © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 11 Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus (2) (Blanz 1995) Die Rate psychiatrischer Störungen bei Jugendlichen (17-19 Jahre) mit Diabetes war im Vergleich zu einer parallelisierten KG um den Faktor 3 erhöht. (Kovacs 1997) Häufigkeit depressiver Störungen und Angststörungen zwei-dreifach erhöht. © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 12 Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus (3) Depressionen und Angsterkrankungen bei Kinder werden oft nicht erkannt!! „Erkrankungen des Erwachsenen“ Unspezifische Symptome wie psychosomat. Symptome, verminderte schul. Leistungen, Schulvermeidung, introvertiertes Verhalten, Schlafstörungen, Aggressivität, Hyperaktivität, selbstverletzendes Verhalten, Vernachlässigung von Körperpflege, auffallend uninteressiert an der Diabetestherapie © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 13 Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes (1) Essstörungen sind insgesamt 2-3x häufiger v.a. Mischformen aus Anorexie, Bulimie und Binge eating (EDNOS= Eating Disorder Not Otherwise Specified) (Colton et al 2004) Anorexie nicht häufiger (Neumar-Sztainer 2002) 37,9 % der adoleszenten Mädchen mit Diabetes haben eine gestörtes Essverhalten 15,9 % der adoleszenten Jungen mit Diabetes © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 14 Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes (2) Langfristige Mortalität 6 % höher als bei nur an Diabetes erkrankten Pat. „Insulin-Purging“ bzw. „stilles Erbrechen“ 1/3 der weibl. Adoleszenten (Wurst 2002) © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 15 © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 16 Altersabhängige Probleme Kleinkinder: Ängstlichkeit, Abwehr, Rebellion Gefahr einer Interaktionsstörung, Bindungsstörung Schulkinder: typisch ist Schummeln, um die Eltern nicht zu enttäuschen bzw. die Eltern zu entlasten sowie auftretende Injektionsängste Gefahr der Überforderung Jugendliche: nachlassende Mitarbeit, Verweigerung „NonCompliance“ Gefahr der völligen Therapieverweigerung 26% messen nicht so oft wie notwendig 40-60 % tragen falsche BZ-Werte ein © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 17 Psychodynamik bei Jugendlichen Aufbau einer stabilen Identität durch die Probleme bei der Stoffwechselführung erschwert Negatives Selbstbild Selbstwertgefühl eingeschränkt Geringes Selbstvertrauen Autonomie- Abhängigkeitskonflikte Schuldgefühle Ängste ( z.B. Zukunftssorgen, Angst vor Folgeerkrankungen etc.) Sozialer Rückzug (Häufig Ausschluss von Klassenfahrten, seltenere Einladungen zu Geburtstagen, weniger Freunde etc.) Vernachlässigung der Therapie Lebensbedrohlichen Manipulationen Speichern und Auslesen von Daten kann die Psychodynamik verstärken!! © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 18 Thanatophiles Verhalten (Campagnoli 1979) „unbewusste Suizidversuche“ durch grobe Missachtung therapeutischer Maßnahmen, (von heimlichen Insulininjektionen mit suizidaler Absicht bis zu Manipulationen der ganzen Familie) („Mittel, um sich der unerträglichen häuslichen Situation zu entziehen“) = bedrohliche Form einer neurotischen Fehlentwicklung bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 19 Wechselwirkung zwischen Stoffwechseleinstellung und psychischen bzw. intellektuellen Problemen: psychischer Stress des Patienten Stresshormone verhindern gute Stoffwechseleinstellung Ungünstige psychosoziale Voraussetzungen behindern die Durchführung der Therapie schlechte SW-Einstellung Depression der Mutter Risiko für Stoffwechselsituation des Kindes © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 20 Wechselwirkung zwischen Stoffwechseleinstellung und psychischen bzw. intellektuellen Problemen: schlechte Stoffwechseleinstellung mentale Defizite weitere Verschlechterung des Stoffwechsels besonders gefährdet sind Kinder mit: Manifestation vor dem 6 LJ Rezidiv. schwere Hypoglykämien © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 21 Was war zuerst da, Henne oder Ei?? Erheblicher psychischer Stress v.a. in den ersten beiden Lebensjahren hat Einfluss auf immunologische Prozesse und daher evtl. auch auf die Entstehung des Typ 1- Diabetes © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 22 © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 23 Reaktionen der Eltern auf die Diagnosestellung des Diabetes Tiefe Verstörtheit Leugnung der Realität Depressive Anpassungsstörung Angst (Folgeerkrankungen, akute Komplikationen) Schuldgefühle (Krankheitstheorien, Vererbung) Völlige Hilflosigkeit 55 % der Mütter reagieren mit einer depressiven Anpassungsstörung Bei Eltern von Kindern unter 6 Jahren70 % Väter gaben an, deutlich weniger belastet zu sein © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 24 Reaktionen der Eltern im weiteren Verlauf „Erlernte Hilflosigkeit“ (1) Trotz qualifizierter Schulung und intensivem therapeutischen Bemühen gelingt es bei Weitem nicht immer, den Stoffwechsel gut ein zu stellen. V.a. Eltern von jungen Kindern, die sich außerordentlich verantwortlich für den Lebensweg ihrer Kinder fühlen, leiden unter den häufigen nicht beeinflussbaren Stoffwechselschwankungen. Akute Komplikationen wie schwere Hypoglykämien führen bei den Eltern oft zu langanhaltenden Ängsten und depressiven Verstimmungen © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 25 Reaktionen der Eltern im weiteren Verlauf „Erlernte Hilflosigkeit“ (2) Häufige nächtliche BZ-Messungen stören den Schlaf und verschlimmern die depressive Stimmungslage Das ständige und konsequente Einfordern von Therapie- bzw. Verhaltensweisen gegen die Wünsche ihrer Kinder stellt für die Eltern eine hohe psychische Belastung dar. © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 26 © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 27 Fall 1 Patrick 15 Jahre alter Junge, seit 2 Jahren Diabetes Reha-Diagnosen: Typ 1- Diabetes, Adipositas, depressive Episode Psychosoziale Anamnese: zunehmend traurig, zieht sich ins Zimmer zurück, keine Freunde, häufige Schulfehlzeiten Mutter alleinerziehend, Trennung der Eltern 7 Monate nach Diabetesmanifestation („ hätten sich auseinander gelebt“), Kontakt zum Vater alle 2 Wochen, Patrick hat aber wenig Lust, hin zu gehen © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 28 Fall 1 Lt. Mutter lieber „Bub“, hilft viel im Haushalt, geht einkaufen und kocht für Mutter Blutzuckerwerte zunehmend schlechter, HbA1c >12% Diagnostik: deutliche Auffälligkeiten im DIKJ und AFS Weitere Informationen im therapeutischer Verlauf: Mutter sei nach onkologischer Erkrankung, die aber erfolgreich therapiert wurde, körperlich noch geschwächt und verbringe viele Stunden am Tag im Bett Mutter geht es an den Wochenenden, in denen Patrick beim Vater ist, körperlich oft sehr schlecht © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 29 Fall 1 Mutter kann nicht sehen, wenn ihr Sohn sich spritzt, bricht jedes Mal in Tränen aus. Mutter hat Patrick noch nie getestet und noch nie gespritzt. Erste Injektion in der Klinik sei durch den Vater erfolgt. © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 30 Fall 2 Ann-Kathrin 15 Jahre seit 7 Jahren Diabetes („Privatpatientin“) Reha-Diagnosen: Chronische Kopfschmerzen, Untergewicht Nebendiagnose im Kleingedruckten: Typ 1- Diabetes Diabetes sei nie ein Problem gewesen, würde ganz offen mit dem Diabetes umgehen, HbA1c konstant zw. 6,8 und max. 7,3%, ab und zu unerklärliche Hypoglykämien Sehr gute Schülerin, trotz relativ vieler Fehlzeiten wegen der Kopfschmerzen, will mal Designerin werden © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 31 Fall 2 Ziel der Reha: Verbesserung der Kopfschmerzen, v.a. durch Anwendung von alternativen Heilmethoden, um den Diabetes bräuchten wir uns nicht kümmern Familienanamnese: Einzelkind; Vater: Börsenmarkler (viel unterwegs), Mutter selbstständig (Boutique) Angeblich keinerlei somatische bzw. psychische Erkrankungen in der Familie © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 32 Fall 2 Auffälligkeiten im Verlauf: Sehr wenig BE (9 BE), war nur schwer von einer Anhebung der BE-Anzahl zu überzeugen, isst sehr langsam und lässt teilweise Essen auf dem Teller Spritzt äußerst korrekt Weigert sich bei niedrigen Werten ausreichend schnelle KH zu sich zu nehmen Will auch außerhalb der Therapien in den Ergometerraum Von Erziehern beim selbst induzierten Erbrechen erwischt worden Frische Ritzspuren am linken Unterarm © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 33 Fall 2 Elterngespräch: Vater wütend auf Klinik („was haben Sie mit meinem Sonnenschein gemacht“), Mutter weinend Abbruch der Rehamaßnahme unter Androhung eine Klage © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 34 Fall 2 1 Jahr später: Eltern getrennt HbA1c > 14% Aufenthalt in KJP nach Suizidversuch © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 35 Fall 3 Kimberly 10 Jahre, seit 7 Monaten Diabetes Reha-Diagnosen: Diabetes mellitus Typ 1 (E10.90) Psychosoziale Belastung wegen Diabetes (Z73) Interaktionsstörung zw. Mutter und Kind (F91.0) Sozialanamnese und Schulanamnese: Ältestes von 3 Kindern der Mutter (m, 3 Jahre, w, 8 Jahre) Häufig wechselnde Beziehungen innerhalb des Familiensystems Geschwisterrivalität Mutter deutlich überfordert mit der familiären Situation sozial-pädagogische Familienhilfe involviert derzeit kein Schulbesuch!! Mutter schläft immer bis ca. 14:00, Kinder richten sich morgens selbstständig © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 36 Fall 3 Behandlungsverlauf: Massive BZ-Schwankungen K. Kommt immer alleine zum Testen und Spritzen Mutter öfters nicht auffindbar Ergebnis: Deutliche Stabilisierung der diabetischen Stoffwechsellage Emotionale Gesamtstabilisierung © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold 37 Arbeitsgemeinschaft für psychiatrische und psychotherapeutische Aspekte in der Kinder-Diabetologie www.ppag-kinderdiabetes.de [email protected] © 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Subline