und Jugendalter - Dr. med. Thomas Hermann

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4. Irseer Symposium für Kinder-und Jugendpsychiatrie
Psychische Komorbiditäten bei Diabetes
mellitus im Kindes- und Jugendalter
4. Irseer Symposium für Kinder-und Jugendpsychiatrie
Ist Diabetes eine potenziell
psychopathogene Erkrankung?
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Wer ist das?
© 2013 Fachklinik Prinzregent Luitpold
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Das ist der Diabetes!!!
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Alltagsbelastungen des Kindes durch den Diabetes
6-8x Blutzuckertestungen/Tag
6-9x Insulininjektionen/Tag
Bei hohen Werten zusätzlich Urinuntersuchungen auf Aceton! Evtl. zusätzliche
Injektionen.
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Alltagsbelastungen des Kindes durch den Diabetes
Vor jeder Mahlzeit

Spritz-Ess- Abstand (bis max. 60 min) einhalten

berechnen/abwiegen, wie viele Kohlenhydrate darin enthalten sind

Umrechnung auf BE oder KE

berechnen, wie viel Insulin gespritzt werden muss (s.g. BE-Faktoren)
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Alltagsbelastungen des Kindes durch den Diabetes

Vor jedem Sport testen
und evtl. Sport-BE zu sich nehmen

Keine spontane körperliche Betätigung
ohne den BZ im blick zu haben

Vor Fahrten mit Fahrrad oder Moped BZ testen
und ggf. KH verzehren
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Alltagsbelastungen der Eltern durch den Diabetes
Zusätzlich zu den genannten Belastungen bei der Diabetestherapie

Häufige nächtliche BZ-Messungen (Störung des Schlafs , soziale
Beeinträchtigung)

Bei kleinen Kinder keine Einsicht über die Notwendigkeit der Therapie
ständig massive Konflikte, Therapie durchführen unter Gewaltanwendung

Menge der Nahrungsaufnahme bei Kleinkindern nicht sicher abschätzbar
Beendigung des Essens trotz der für eine größere KH-Menge injizierten
Insulindosis
 Komplette Neuorganisation des Alltags notwendig
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Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und
Jugendlichen mit Diabetes mellitus (1)
(Kovacs 1985)
Nach Diabetesmanifestation:
 64% psychische Auffälligkeiten wie anhaltende Traurigkeit,
Feindseligkeit, Gereiztheit gegenüber Eltern und Geschwistern,
vermehrter Rückzug
 36% psychiatrische Symptome wie Verhaltensstörungen,
Aggressivität, depressive Episoden
 Diese Symptome bilden sich in der Regel nach 6-9 Monaten zurück
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Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und
Jugendlichen mit Diabetes mellitus (2)
(Blanz 1995)
Die Rate psychiatrischer Störungen bei Jugendlichen (17-19 Jahre) mit Diabetes
war im Vergleich zu einer parallelisierten KG um den Faktor 3 erhöht.
(Kovacs 1997)
Häufigkeit depressiver Störungen und Angststörungen zwei-dreifach
erhöht.
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Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und
Jugendlichen mit Diabetes mellitus (3)
Depressionen und Angsterkrankungen bei Kinder werden oft nicht
erkannt!!

„Erkrankungen des Erwachsenen“
 Unspezifische Symptome wie psychosomat. Symptome, verminderte
schul. Leistungen, Schulvermeidung, introvertiertes Verhalten,
Schlafstörungen, Aggressivität, Hyperaktivität, selbstverletzendes
Verhalten, Vernachlässigung von Körperpflege, auffallend
uninteressiert an der Diabetestherapie
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Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes (1)
Essstörungen sind insgesamt 2-3x häufiger
v.a. Mischformen aus Anorexie, Bulimie und Binge eating (EDNOS= Eating
Disorder Not Otherwise Specified)
(Colton et al 2004)
Anorexie nicht häufiger
(Neumar-Sztainer 2002)
37,9 % der adoleszenten Mädchen mit Diabetes haben eine gestörtes
Essverhalten
15,9 % der adoleszenten Jungen mit Diabetes
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Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes (2)
 Langfristige Mortalität 6 % höher als bei nur an
Diabetes erkrankten Pat.
 „Insulin-Purging“ bzw. „stilles Erbrechen“
1/3 der weibl. Adoleszenten (Wurst 2002)
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Altersabhängige Probleme

Kleinkinder: Ängstlichkeit, Abwehr, Rebellion
Gefahr einer Interaktionsstörung, Bindungsstörung

Schulkinder: typisch ist Schummeln, um die Eltern nicht zu
enttäuschen bzw. die Eltern zu entlasten sowie auftretende
Injektionsängste
Gefahr der Überforderung

Jugendliche: nachlassende Mitarbeit, Verweigerung „NonCompliance“
Gefahr der völligen Therapieverweigerung
26% messen nicht so oft wie notwendig
40-60 % tragen falsche BZ-Werte ein
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Psychodynamik bei Jugendlichen

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
Aufbau einer stabilen Identität durch die Probleme bei der
Stoffwechselführung erschwert
Negatives Selbstbild
Selbstwertgefühl eingeschränkt
Geringes Selbstvertrauen
Autonomie- Abhängigkeitskonflikte
Schuldgefühle
Ängste ( z.B. Zukunftssorgen, Angst vor Folgeerkrankungen etc.)
Sozialer Rückzug (Häufig Ausschluss von Klassenfahrten, seltenere
Einladungen zu Geburtstagen, weniger Freunde etc.)
Vernachlässigung der Therapie
Lebensbedrohlichen Manipulationen
Speichern und Auslesen von Daten kann die Psychodynamik verstärken!!
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Thanatophiles Verhalten (Campagnoli 1979)
„unbewusste Suizidversuche“
durch grobe Missachtung therapeutischer Maßnahmen,
(von heimlichen Insulininjektionen mit suizidaler Absicht bis
zu Manipulationen der ganzen Familie)
(„Mittel, um sich der unerträglichen häuslichen Situation
zu entziehen“)
= bedrohliche Form einer neurotischen Fehlentwicklung bei
Kindern und Jugendlichen mit Diabetes
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Wechselwirkung zwischen Stoffwechseleinstellung und
psychischen bzw. intellektuellen Problemen:
 psychischer Stress des Patienten  Stresshormone
verhindern gute Stoffwechseleinstellung
 Ungünstige psychosoziale Voraussetzungen behindern die
Durchführung der Therapie schlechte SW-Einstellung
 Depression der Mutter  Risiko für Stoffwechselsituation
des Kindes
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Wechselwirkung zwischen Stoffwechseleinstellung und
psychischen bzw. intellektuellen Problemen:
schlechte Stoffwechseleinstellung  mentale Defizite
 weitere Verschlechterung des Stoffwechsels
besonders gefährdet sind Kinder mit:
 Manifestation vor dem 6 LJ
 Rezidiv. schwere Hypoglykämien
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Was war zuerst da, Henne oder Ei??
Erheblicher psychischer Stress
v.a. in den ersten beiden Lebensjahren
hat Einfluss auf immunologische Prozesse
und daher evtl. auch auf die Entstehung des Typ 1- Diabetes
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Reaktionen der Eltern auf die Diagnosestellung des Diabetes

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

Tiefe Verstörtheit
Leugnung der Realität
Depressive Anpassungsstörung
Angst (Folgeerkrankungen, akute Komplikationen)
Schuldgefühle (Krankheitstheorien, Vererbung)
Völlige Hilflosigkeit
55 % der Mütter reagieren mit einer depressiven Anpassungsstörung
Bei Eltern von Kindern unter 6 Jahren70 %
Väter gaben an, deutlich weniger belastet zu sein
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Reaktionen der Eltern im weiteren Verlauf
„Erlernte Hilflosigkeit“ (1)

Trotz qualifizierter Schulung und intensivem therapeutischen
Bemühen gelingt es bei Weitem nicht immer, den Stoffwechsel gut
ein zu stellen.
V.a. Eltern von jungen Kindern, die sich außerordentlich
verantwortlich für den Lebensweg ihrer Kinder fühlen, leiden
unter den häufigen nicht beeinflussbaren
Stoffwechselschwankungen.

Akute Komplikationen wie schwere Hypoglykämien führen bei den
Eltern oft zu langanhaltenden Ängsten und depressiven
Verstimmungen
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Reaktionen der Eltern im weiteren Verlauf
„Erlernte Hilflosigkeit“ (2)

Häufige nächtliche BZ-Messungen stören den Schlaf und
verschlimmern die depressive Stimmungslage

Das ständige und konsequente Einfordern von Therapie- bzw.
Verhaltensweisen gegen die Wünsche ihrer Kinder stellt für die Eltern
eine hohe psychische Belastung dar.
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Fall 1
Patrick 15 Jahre alter Junge, seit 2 Jahren Diabetes
Reha-Diagnosen: Typ 1- Diabetes, Adipositas, depressive Episode
Psychosoziale Anamnese: zunehmend traurig, zieht sich ins Zimmer zurück,
keine Freunde, häufige Schulfehlzeiten
Mutter alleinerziehend, Trennung der Eltern 7 Monate nach
Diabetesmanifestation („ hätten sich auseinander gelebt“), Kontakt zum Vater
alle 2 Wochen, Patrick hat aber wenig Lust, hin zu gehen
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Fall 1
Lt. Mutter lieber „Bub“, hilft viel im Haushalt, geht einkaufen und kocht für
Mutter
Blutzuckerwerte zunehmend schlechter, HbA1c >12%
Diagnostik: deutliche Auffälligkeiten im DIKJ und AFS
Weitere Informationen im therapeutischer Verlauf:
 Mutter sei nach onkologischer Erkrankung, die aber erfolgreich therapiert
wurde, körperlich noch geschwächt und verbringe viele Stunden am Tag
im Bett
 Mutter geht es an den Wochenenden, in denen Patrick beim Vater ist,
körperlich oft sehr schlecht
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Fall 1
Mutter kann nicht sehen, wenn ihr Sohn sich spritzt,
bricht jedes Mal in Tränen aus.
Mutter hat Patrick noch nie getestet und noch nie
gespritzt.
Erste Injektion in der Klinik sei durch den Vater erfolgt.
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Fall 2
Ann-Kathrin 15 Jahre
seit 7 Jahren Diabetes („Privatpatientin“)
Reha-Diagnosen: Chronische Kopfschmerzen, Untergewicht
Nebendiagnose im Kleingedruckten: Typ 1- Diabetes
Diabetes sei nie ein Problem gewesen, würde ganz offen mit dem Diabetes
umgehen, HbA1c konstant zw. 6,8 und max. 7,3%, ab und zu unerklärliche
Hypoglykämien
Sehr gute Schülerin, trotz relativ vieler Fehlzeiten wegen der Kopfschmerzen,
will mal Designerin werden
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Fall 2
Ziel der Reha:
Verbesserung der Kopfschmerzen, v.a. durch Anwendung von alternativen
Heilmethoden, um den Diabetes bräuchten wir uns nicht kümmern
Familienanamnese:
Einzelkind; Vater: Börsenmarkler (viel unterwegs), Mutter selbstständig
(Boutique)
Angeblich keinerlei somatische bzw. psychische Erkrankungen in der Familie
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Fall 2
Auffälligkeiten im Verlauf:
Sehr wenig BE (9 BE), war nur schwer von einer Anhebung der BE-Anzahl zu
überzeugen, isst sehr langsam und lässt teilweise Essen auf dem Teller
Spritzt äußerst korrekt
Weigert sich bei niedrigen Werten ausreichend schnelle KH zu sich zu nehmen
Will auch außerhalb der Therapien in den Ergometerraum
Von Erziehern beim selbst induzierten Erbrechen erwischt worden
Frische Ritzspuren am linken Unterarm
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Fall 2
 Elterngespräch: Vater wütend auf Klinik („was haben
Sie mit meinem Sonnenschein gemacht“), Mutter
weinend
 Abbruch der Rehamaßnahme unter Androhung eine
Klage
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Fall 2
1 Jahr später:
 Eltern getrennt
 HbA1c > 14%
 Aufenthalt in KJP nach Suizidversuch
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Fall 3
Kimberly 10 Jahre, seit 7 Monaten Diabetes
Reha-Diagnosen:
Diabetes mellitus Typ 1 (E10.90)
Psychosoziale Belastung wegen Diabetes (Z73)
Interaktionsstörung zw. Mutter und Kind (F91.0)
Sozialanamnese und Schulanamnese:
Ältestes von 3 Kindern der Mutter (m, 3 Jahre, w, 8 Jahre)
Häufig wechselnde Beziehungen innerhalb des Familiensystems
Geschwisterrivalität
Mutter deutlich überfordert mit der familiären Situation
sozial-pädagogische Familienhilfe involviert
derzeit kein Schulbesuch!!
Mutter schläft immer bis ca. 14:00, Kinder richten sich morgens selbstständig
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Fall 3
Behandlungsverlauf:
Massive BZ-Schwankungen
K. Kommt immer alleine zum Testen
und Spritzen
Mutter öfters nicht auffindbar
Ergebnis:
Deutliche Stabilisierung der diabetischen Stoffwechsellage
Emotionale Gesamtstabilisierung
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Arbeitsgemeinschaft für psychiatrische und
psychotherapeutische Aspekte in der Kinder-Diabetologie
www.ppag-kinderdiabetes.de
[email protected]
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Herzlichen Dank für Ihre
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