7.1 Anatomie und Physiologie der Atmung

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7.1 Anatomie und Physiologie der Atmung
7.1 Anatomie und Physiologie der Atmung
Es gibt keine vergleichbare Körperfunktion wie die Atmung (Respiration), sie
läuft teilweise automatisch (autonom-unwillkürlich), teilweise willkürlich ab.
Die zu ihr gehörenden Muskeln sind die aktivsten im Körper. Sie arbeiten im­
mer, sogar wenn andere Muskeln im Körper ruhen. Trotzdem ähneln die Atem­
muskeln allen anderen Körpermuskeln. Auch und gerade die Atmung verändert
sich schnell, je nachdem, wie wir uns fühlen und ob wir in einem Zustand der
Bedrohung oder Sicherheit sind.
Die an der Atmung beteiligten Muskeln sind in Abbildung 7-1 dargestellt; sie
umfassen das Diaphragma und einige der abdominalen, Brust-, Nacken- und
Schultermuskeln. Die primären Muskeln der Inspiration (Einatmung) sind die
am Rücken gelegenen dorsalen interkostalen Muskeln. Sie vergrößern oder ver­
kleinern den Zwischenrippenraum und die aktive Abwärtsbewegung des Dia­
phragmas. Das Diaphragma kontrahiert immer als erster Muskel, gefolgt von
den Interkostal- und später den Atemhilfsmuskeln. Bei normaler Atmung und
entspannten Muskeln in der Einatmung erfolgt die Ausatmung (Exspiration) im
Wesentlichen passiv (J. E. Butler 2007; Saboisky et al. 2007).
Das thorakale Diaphragma verhält sich sehr ähnlich wie ein Skelettmuskel,
obgleich es einige Merkmale eines glatten Muskels aufweist. Auch wenn es kei­
nerlei Gelenke bewegt, so ist es an Knochen befestigt: an den untersten Rippen
entlang des Rumpfes, am unteren Teil des Sternums (Brustbein) an der Körper­
vorderseite und an den oberen Lendenwirbelkörpern am Rücken (s. Abb. 7-1).
Es kann sich willkürlich wie ein Skelettmuskel bewegen, aber auch unwillkür­
lich. Damit ist die Atmung jederzeit gewährleistet. Das Diaphragma funktio­
niert dann wie der Skelettmuskel, der willkürlich und unwillkürlich den Wim­
pernschlag kontrolliert. Es ist wie ein Skelettmuskel in motorische Einheiten
gegliedert (s. Abb. 6-1, S. 173), die jeweils nur Teile des Diaphragmas kontrahie­
ren können. In niederschwelligen motorischen Einheiten des Diaphragmas
können sogar während der Exspirationsphase bei normaler Atmung chronische
Muskelanspannung festgehalten werden (J. E. Butler 2007; Hammond et al.
1989; Sieck u. Fournier 1989).
Diese Zusammenhänge sind klinisch sehr bedeutsam, halten doch manche
Menschen unnötige Anspannung im Diaphragma und in anderen Atemmus­
keln. Das führt zu beeinträchtigter Atmung und wirkt sich letztlich auf die Ge­
sundheit und das Wohlbefinden aus. Das Zitat von Feldenkrais am Anfang des
Kapitels ist ein gutes Beispiel dafür, wie vergangene oder gegenwärtige Bedro­
hung die Atmung einschränken kann.
Das Diaphragma ist einer der größten Muskeln im Körper. Es bewegt sich
abwärts bei der Einatmung und erweitert so die Lungenkapazität. In der Auf­
wärtsbewegung entspannt es sich, verkleinert dabei die Lungenkapazität und
stößt die Luft aus. Abhängig von der Art der Atmung und des individuellen Be­
findens kann sich das Zentrum des Diaphragmas zwischen 7 und 19 Millimetern
von seinem höchsten zu seinem niedrigsten Punkt bewegen (Scott et al. 2006).
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7 Atem holen, unsere Stimme finden
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Musculus
sternocleidomastoideus
Muskeln der Respiration
Musculi scaleni
inspiratorische
Interkostalmuskeln
exspiratorische
Interkostalmuskeln
exspiratorische
Interkostalmuskeln
Musculus
obliquus
externus
abdominis
Diaphragma
exspiratorische
Abdominalmuskeln
Einatmen
Weitung der Brust
Rippen
Ausatmen
Verengung
der Brust
Lunge
Diaphragma
Zusammenziehen
des Diaphragmas
Entspannung
des
Diaphragmas
obere lumbale
Wirbelkörper
Abb. 7-1 Atemmuskeln (Muskeln der Respiration). Die Inspiration wird prinzipiell durch die
dorsalen (Rücken) Interkostalmuskeln (zwischen den Rippen) kontrolliert und durch die aktive
abwärts gerichtete Expansion des Diaphragmas. Bei großer Anstrengung oder Stress mit forcier­
ter Atmung wird die Inspiration unterstützt von den Hilfsmuskeln inklusive der Musculi scaleni
und Musculi sternocleidomastoidei, die am Hals ansetzen und den Musculi pectorales minores,
die auf der Innenseite des Schulterblattes ansetzen und die Rippen anheben. Die Exspiration
findet im Wesentlichen passiv über die Entspannung der Hauptmuskeln der Inspiration statt. Bei
Anstrengung oder Stress kann die Exspiration von den lateralen Interkostalmuskeln und den
Muskeln der abdominalen Wand (Bauchwand) unterstützt werden.
7.1 Anatomie und Physiologie der Atmung
Während der normalen Respiration atmen wir ungefähr 12- bis 15-mal in der
Minute. Bei forcierter Inspiration aufgrund großer Anstrengung oder Stress er­
höht sich die Atemfrequenz bis zu 40-mal in der Minute. Die forcierte Atmung
wird von den Atemhilfsmuskeln unterstützt. Das schließt folgende Muskeln ein:
●● die Musculi scaleni (obere Befestigung an den Seiten der oberen zervikalen
Halswirbel; untere Befestigung an den oberen zwei Rippen),
●● die Musculi sternocleidomastoidei (obere Befestigung am Processus mastoi­
deus des unteren Schädels; untere Befestigung am Sternum und den Clavi­
keln) und
●● die Musculi pectorales minores (obere Befestigung an der Innenseite des
Schulterblattes und untere Befestigung an der vorderen Oberfläche der 3., 4.
und 5. Rippen).
Bei Anstrengung oder Stress kann die Exspiration, die normalerweise ein passi­
ver Prozess ist, von den seitlichen (lateralen) Interkostalmuskeln und der Bauch­
wand unterstützt werden (s. Abb. 7-1).
Der Nervus phrenicus besteht aus zwei Zweigen. Sie haben die efferente mo­
torische Kontrolle über die linken und rechten Seiten des Diaphragmas. Der
Nervus phrenicus hat auch afferente sensorische Zweige, die Informationen aus
der inneren Auskleidung der Brustwand und der äußeren Haut der Lungen
(Pleura) zum Gehirn senden. Der Nervus phrenicus entspringt dem Rücken­
mark der Halsregion (zervikal), zusammen mit Nerven für die Interkostalmus­
keln. Diese motorischen Nerven sind mit homöostatischen und autonomen
Arealen des Nervensystems im mittleren (Pons) und unteren (Medulla) Teil des
Hirnstamms verbunden. Sie sorgen für die Regulation der automatischen Atem­
funktion.
Die Atmung kann auch willkürlich kontrolliert werden. Diese Kontrolle führt
über direkte Verbindungen vom Motorkortex über den Thalamus und das lim­
bische System zu den respiratorischen spinalen Motoneuronen. Auf diesem
Wege werden die automatischen Atemkontrollzentren im Hirnstamm umgan­
gen. Die willkürliche Kontrolle der Atmung wird bei vielen verschiedenen Akti­
vitäten gebraucht. Hierzu gehören das Sprechen, Singen, Atemanhalten, Pfeifen,
Schlucken, Schlürfen, Trinken, Husten oder mühevolle Aktivitäten anderer
Skelettmuskeln wie beim Heben schwerer Gewichte, Erbrechen oder der
Stuhlentleerung (Butler 2007). Das Diaphragma kann auch zur Kontrolle der
Stabilität der Körperhaltung genutzt werden (s. Fallbericht 6-2, S. 194). Experi­
mente, in denen Menschen aus dem Gleichgewicht gebracht werden, zeigen,
dass sich das thorakale Diaphragma genauso verhält wie das Diaphragma, das
den Beckenboden ausspannt: Es kontrahiert, um die Haltungsstabilität zu unter­
stützen. Höchstwahrscheinlich kommt es zum Druckanstieg in der Abdominal­
wand, um die untere Wirbelsäule zu stabilisieren (Butler 2007; Gandevia et al.
2002).
Die Arbeitsgrundlage vieler Meditationsmethoden besteht in der Schulung
des Unterschiedes zwischen willkürlicher angestrengter Atmung und normal
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entspannter automatischer Atmung und der Fähigkeit, sich dessen bewusst zu
werden. Kasten 7-1 zeigt eine einfache Meditationsübung zur Förderung der
verkörperten Selbstwahrnehmung.
Kasten 7-1: Einfache Atemmeditation
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Sitze in einer bequemen Stellung entweder auf einem Kissen auf dem Boden oder
auf einem Stuhl. Sorge dafür, dass dein Rücken relativ aufrecht und der Raum frei
von Ablenkungen ist. Du kannst das Gleiche auch an einem ruhigen Platz draußen
machen.
Nehme wahr, wie sich dein Atem über die Haut unterhalb der Nasenlöcher und
oberhalb der Lippen bewegt. Verändere nicht die Art, wie du atmest. Beobachte
einfach deinen natürlichen Atem: Wann fließt er frei und entspannt und wann
fühlt er sich angestrengt und gehalten an?
Wenn deine Aufmerksamkeit abschweift, bedanke dich bei dir dafür, dass du es
bemerkst, und bringe dich wieder zurück zum Atem. Wie fühlt er sich auf deiner
Haut an? Achte darauf, welche Körperteile sich beim Atmen bewegen. Kannst
du spüren, wie der Atem deinen Bauch bewegt? Deine Brust? Deine Schultern?
Du kannst dir auch vorstellen und es fühlen, wie die Luft aus deinem Körper
hinaus- und in ihn hineinströmt, und darauf achten, wie dich das mit anderen
atmenden Lebewesen verbindet.
Die Atemmeditation führt uns manchmal in mühelose Atmung hinein. Der
Körper kommt in einen parasympathischen Entspannungszustand und hierin
liegt ein zusätzlicher Gewinn. Dadurch kann nicht nur die Atmung loslassen,
sondern auch die Skelettmuskeln können entspannen und damit die erholsamen
Wirkungen solcher Meditationsübungen ermöglichen (s. Kap. 8).
Stress und Respiration
Soziale Anforderungen und andere Bedrohungen führen zu chronischer Mus­
kelanspannung, die immer mit Anspannung im Diaphragma verbunden ist
(Feldenkrais 1985; Rosen 2003). Diese unglückliche Verbindung hat adaptive
Ursprünge. Das Diaphragma kontrahiert bei der Einatmung, wenn sympathi­
sche Aktivierung im autonomen Nervensystem (ANS) stattfindet. Dadurch wird
der Körper für eine Antwort auf Stress vorbereitet.
Noch einmal zur Erinnerung: Das ANS innerviert die glatten Muskeln, aber
nicht direkt die Skelettmuskeln oder das Diaphragma. Wie also lässt das
ANS unter Stress die Anspannung im Diaphragma und anderen Atemmuskeln
anwachsen? Im Kapitel 6.1 sahen wir, dass es zwei Fälle von sympathisch indu­
zierter Anspannung im Skelettmuskel gibt. Im ersten Fall führen im Blut zirku­
lierende Stresshormone über die Alpha-Motoneurone (Alpha-MN) des Dia­
phragmas, über die Atemmuskeln des Skeletts und durch die Aktivierung des
Dehnungsreflexes in den Muskelspindeln eine Kontraktion in diesen Muskeln
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