CAMPUS INNENSTADT INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ENTSPANNUNGSTHERAPIE Dr. med. Birgit Witzens Allgemeinmedizin Naturheilverfahren, Akupunktur, Homöopathie, med. Hypnotherapie, Psychotherapie ENTSPANNUNGSVERFAHREN (synonym:Entspannungstechniken, Entspannungsmethoden) sind übende Verfahren zur Verringerung körperlicher und geistiger Anspannung oder Erregung. Körperliche Entspannung und das Erleben von Gelassenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden sind eng miteinander verbunden. Entspannungsverfahren werden als Behandlungsverfahren in der Psychotherapie und allgemein zur Psychohygiene genutzt. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 2 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN VORGEHEN Für die Übung der Entspannungsverfahren gibt es ritualisierte Settings, in denen eine bestimmte Zeitdauer der Übung mit festgelegten Übungsphasen, eine bestimmte körperliche Haltung, zumeist Sitzen oder Liegen, und die Konzentration auf bestimmte Vorstellungen oder Empfindungen vorgegeben werden. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 3 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ZIELE Ziel aller Entspannungsverfahren ist die Entspannungsreaktion, die sich auf neuronaler Ebene in einer Aktivierung des Parasympathikus und einer Schwächung des Sympathikus äußert. Auf der körperlichen Ebene wird der Muskeltonus verringert, die Reflextätigkeit vermindert, die peripheren Gefäße erweitert, die Herzfrequenz verlangsamt, der arterielle Blutdruck gesenkt, der Sauerstoffverbrauch reduziert, die Hautleitfähigkeit verringert und zentralnervös die hirnelektrischen und neurovaskulären Aktivität verändert. Auf der psychologischen Ebene wird in der Entspannungsreaktion Gelassenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden erlebt und die Konzentrationsfähigkeit und Differenzierungsfähigkeit der körperlichen Wahrnehmung ist verbessert. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 4 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ZIELE Alle Entspannungsverfahren zielen durch häufiges Wiederholen der Entspannungsreaktion auf eine Bahnung und Stabilisierung derselben im Zentralnervensystem ab. Je länger ein Entspannungsverfahren geübt ist, also je öfter und stärker die Entspannungsreaktion wiederholt wurde, desto schneller und leichter kann sie auf Grund von Konditionierungsprozessen im Alltag aktiviert werden. Eine kurze Selbstinstruktion oder eine kleine bewusste körperliche Veränderung können dann, selbst in Stresssituationen, schnell beruhigend wirken. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 5 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ZIELE Die Entspannungsreaktion steht im Gegensatz zur Stressreaktion. Manche Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel die progressive Muskelentspannung, nutzen stärker die Möglichkeit durch Veränderung körperlicher Funktionen auf psychische Vorgänge Einfluss zu nehmen. Autogenes Training versucht durch Veränderungen psychischer Vorgänge die körperlichen Funktionen zu beeinflussen. In beiden Vorgehensweisen kann sich der Übende über die Zusammenhänge zwischen seinen körperlichen Empfindungen und seinen Bewusstseinszuständen bewusster werden. In der Übung eines Entspannungsverfahrens lernt der Übende seine Gedanken und seinen Körper bewusst zu beeinflussen. Eine in dieser Weise bewirkte Steigerung des Wohlbefindens und Linderung oder bessere Bewältigung von Beschwerden stärkt das Erleben von Selbstwirksamkeit, Selbstkontrolle und Selbstkompetenz. Beide Reaktionen unterliegen psychophysiologischen Prozessen in der Wechselwirkung zwischen psychischen Vorgängen und körperlichen Funktionen. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 6 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN STRESS UND GEFÜHLE VERÄNDERN DEN KÖRPER : NEURONALE KORRELATE Folge von posttraumatischem Stress: DendritenAbbau im Hippocampus und Präfrontalhirn -> Verkleinerung Und Vergrößerung der Amygdala Gefühl der Hilflosigkeit setzt Feedbacksystem außer Kraft –Cortisol wirkt toxisch! KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 7 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN Migräne Sucht Adipoitas Atemnot Hyperventilation Schleimhaut Amygdala Adrenokorticotrope Achse Vegetativum: Innere Organe Übelkeit Brechreiz Muskulatur Spasmen Immunsystem Stoffwechsel Herz-Kreislauf IL 6 erhöht Insulin Tachykardie RR-Intervall ImmunSchwindelgefühle Metabolisches Syndrom schwäche Allergie Zittrigkeit Adipositas Carcinogene se VermeidungsVerhalten Gedrückte Stimmung Myogelosen Tendopathie Chondrose Diskopathie Therapieversagen Rentenbegehren Schmerz KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 8 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN GESCHICHTE Methoden der Entspannung und Selbstbeeinflussung waren schon im Altertum bekannt, beispielsweise in der indischen Yogalehre oder der japanischen ZenMeditation. Die geistigen Grundlagen dafür finden sich im buddhistischen Satipatthana. Allerdings sind diese Methoden kaum von der Weltanschauung der jeweiligen Lehre zu trennen, oder sie verlieren durch eine solche Loslösung an Wirkung. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in der Esoterischen Sektion der Adyar-Theosophischen Gesellschaft eine mit dem autogenen Training weitgehend identische Form von Entspannungsübungen durchgeführt. Johannes Heinrich Schultz entwickelte mit dem autogenen Training eine Technik, die unabhängig vom kulturellen Umfeld und der Weltanschauung anwendbar sein sollte. Vor ihrer Ausarbeitung war er lange Zeit in einem Berliner Hypnose-Ambulatorium tätig. Auf diesen Erfahrungen aufbauend, hat J. H. Schultz mit den Vorarbeiten zum autogenen Training vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, nach wissenschaftlichen Prinzipien eine Selbsthilfemethode entwickelt und 1926 die erste Arbeit über die „Autogenen Organübungen“ veröffentlicht. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 9 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN AUTOGENES TRAINING Die Veröffentlichung des Buches „Das autogene Training“ erfolgte 1932. Die ursprünglichen Methoden von J. H. Schultz wurden seither aufgrund neuer Erkenntnisse erweitert. Während das autogene Training ursprünglich zur Unterstützung der psychotherapeutischen Behandlung kranker Menschen entwickelt wurde, wird autogenes Training heute ebenso von gesunden Personen angewendet. Beispielsweise zur Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität, zur Besserung sportlicher Leistungen oder des Lernens und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit im Managementbereich. Grundlage für die Arbeiten und das Buch war seine Entdeckung, dass die meisten Menschen in der Lage sind, einen Zustand tiefer Entspannung allein mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft zu erreichen. So lässt sich beispielsweise bei Personen, die sich intensiv Wärme in ihren Armen vorstellen, tatsächlich eine Zunahme der Oberflächentemperatur messen, die auf eine Zunahme der Durchblutung zurückgeführt wird. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 10 04/05/15 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN AUTOGENES TRAINING Methode Der Übende konzentriert sich auf kurze formelhafte Vorstellungen, die einige Zeit langsam wiederholt werden, wie zum Beispiel „Die Arme und Beine sind schwer.“ oder „Die Atmung geht ruhig und gleichmäßig.“ KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 11 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN DIE GRUNDSTUFE Die Grundstufe besteht aus sechs Übungen: Erleben der Schwere Erleben der Wärme Herzregulierung Atmungsregulierung Bauchwärme Stirnkühlung KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 12 04/05/15 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN DIE MITTELSTUFE In der Mittelstufe werden formelhafte Vorsatzbildung eingesetzt, um eine Verbesserung des Verhaltens (oder eine Vermeidung schlechten Verhaltens) herbeizuführen. Ein Beispiel für einen solchen Vorsatz – zum Beispiel in einem Training zur Vorbereitung einer Rede vor Publikum – ist: „Ich bleibe ruhig und gelassen.“. Solche Vorsätze werden stets positiv formuliert, also zum Beispiel nicht: „Ich werde während der Rede nicht nervös.“ Voraussetzung für die Mittelstufe ist die durch Übungen aus der Grundstufe herbeigeführte Entspannung. Oft werden auch Entspannungsübungen und Vorsatzformulierungen in einer einzigen Übung gemischt. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 13 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN PROGRESSIVE MUSKELENTSPANNUNG Edmund Jacobson entwickelte die Progressive Muskelentspannung (Progressive Muskelrelaxation) ungefähr in der gleichen Zeit, in der Schultz das Autogene Training entwickelt hatte. Bei diesem Entspannungsverfahren spannt der Übende einzelne Muskelgruppen an und lässt sie wieder los. Wesentliches Element der meist einfachen und schnell zu erlernenden Übungen ist die Achtsamkeit des Übenden für die empfundenen Unterschiede zwischen Anspannung und Entspannung. Durch die Entspannung der Muskeln sinkt der Blutdruck und die Pulsfrequenz, der Organismus kommt zur Ruhe und kann die eigenen Selbstheilungskräfte nützen. So kann auch dem Stress vorgebeugt werden. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 14 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN PROGRESSIVE MUSKELENTSPANNUNG Die Methode der progressiven Muskelentspannung wird häufig im Rahmen einer Verhaltenstherapie eingesetzt, beispielsweise bei der Behandlung von Angststörungen, wo sie im Rahmen einer systematischen Desensibilisierung zur Anwendung kommt. Aber auch bei arterieller Hypertonie, Kopfschmerzen, chronischen Rückenschmerzen, Schlafstörungen sowie Stress lassen sich mit progressiver Muskelentspannung gute Erfolge erzielen. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 15 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN EVIDENZ In einer 1994 publizierten Metastudie wurden 66 bis 1985 publizierte Studien mit zusammen etwa 3000 Patienten zur PMR als eigenständigem (und nicht lediglich die Verhaltenstherapie unterstützendem) Therapieverfahren ausgewertet. In 75 % der Studien wurden deutliche Symptombesserungen, Die PMR ist differentiell wirksam, am besten bei Patienten mit leichteren Symptomen, die von vornherein der Wirksamkeit der PMR positiv gegenüberstanden. Aufgrund dessen und der relativ leichten Erlernbarkeit wird die PMR als das für die klinische Praxis geeignetste Entspannungsverfahren bezeichnet. in 60 % darüber hinaus Verbesserungen der allgemeinen Befindlichkeit festgestellt. Diese waren stabil. Bei Angst- und Spannungszuständen (inklusive damit verbundener körperlicher Beschwerden) sei die spezifische Wirksamkeit der PMR gut belegt. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 16 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ANDERE Meditative Verfahren: Vielfältige Meditationsmethoden und Yoga sind fernöstliche Praktiken mit spirituellem Hintergrund, die im Westen häufig säkularisiert auf Grund ihrer entspannenden Wirkung praktiziert und auch in die klinische Praxis integriert werden. Der Meditation und dem Yoga werden neben der Entspannungsreaktion weitergehende positive Wirkungen zugeschrieben. Meditation: Im klinischen Bereich wird vor allem die Achtsamkeitsmeditation angewendet, wie sie im Zen und im Vipassana praktiziert wird, und von Jon Kabat-Zinn in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion als Entspannungsverfahren in der Verhaltenstherapie eingeführt wurde. Yoga: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand ein säkularisiertes Yoga, das vor allem wegen seiner positiven Effekte, sowohl auf die physische als auch auf die psychische Gesundheit, praktiziert wird. In Achtsamkeit praktizierte Körperstellungen (Asanas) und Atemübungen (Pranayama) bewirken eine Entspannungsreaktion. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 17 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ANDERE Hypnose: Mit Hypnose können Trancen mit tiefen Entspannungszuständen induziert werden. Das Verfahren kann eigenständig nur als Selbsthypnose durchgeführt werden, bei der die erreichbaren Entspannungszustände weniger tief als in der Hypnose sind. Das autogene Training ist eine standardisierte Form der Selbsthypnose. Imaginative Verfahren: Fantasiereisen, Imaginationen oder Visualisierungen dienen, wenn sie als Entspannungsmethoden genutzt werden, der Vertiefung der Entspannung und sind oft Teil anderer Entspannungsverfahren wie in der Oberstufe des Autogenen Trainings oder in einigen Formen der Meditation. Biofeedback: Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts werden Biofeedback-Verfahren entwickelt und erforscht. Bei dieser Methode werden dem Übenden biologische Körperfunktionen, die normalerweise nicht wahrgenommen werden können, wie zum Beispiel Puls, Hautleitwert oder Hirnströme mittels elektronischer Hilfsmittel akustisch oder visuell zurückgemeldet und damit bewusst gemacht. Der Übende lernt, autonome Körperfunktionen willentlich und objektiv messbar zu beeinflussen. Biofeedback-Methoden können als eigenständige Verfahren angewendet oder zur Unterstützung beim Erlernen von Entspannungsverfahren genutzt werden. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 18 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN ANDERE Entspannung in Bewegung: Neben den in ruhender, meist sitzender oder liegender Haltung geübten Entspannungsverfahren gibt es selbstständig übbare Methoden, die durch achtsame Bewegungen eine Entspannungsreaktion bewirken. Die erreichbare Entspannungsreaktion ist in diesen Übungen kleiner als in Übungen mit ruhender Haltung. Die Übungen sind als Entspannungsverfahren besonders für Menschen geeignet, denen eine längere ruhende Haltung schwer fällt oder die in der ruhenden Haltung zur Schläfrigkeit neigen. Qigong und Taijiquan: Körpertherapiemethoden: Die fernöstlichen Methoden Qigong und Taijiquan dienen vorrangig der langsamen, meditativen Übung harmonischer fließender Bewegungen. In einigen Körpertherapiemethoden wurden Übungen entwickelt, die außerhalb von Therapiesitzungen geübt werden können. Dazu zählen die Alexander-Technik, die Feldenkrais-Methode, die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) und AtemtherapieMethoden sowie die Funktionelle Entspannung. KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN® 19 INSTITUT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN