Zielzellspezifische Chemotherapie über den GnRH

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DIAGNOSTIK + THERAPIE
TRANSLATIONALE FORSCHUNG IN DER ONKOLOGIE II
Zielzellspezifische Chemotherapie
über den GnRH-Rezeptor
C. Gründker, A.R. Günthert, G. Emons
Das Prinzip ist einfach: Bei der rezeptorvermittelten Therapie
(Receptor Targeted Therapy) werden nur Zellen therapiert, die
den entsprechenden Rezeptor an ihrer Zelloberfläche tragen
(Target Cells). Zellen, die solche Rezeptoren nicht besitzen,
werden geschont. Welche Forschungsarbeiten nötig sind, um
einen Erfolg versprechenden Wirkstoff zu entwickeln, wird im
Folgenen am Beispiel des zytotoxischen GnRH-Analogons
ZEN-008 gezeigt.
Der Vorteil der rezeptorvermittelten
Therapie über G-Protein-gekoppelte
Membranrezeptoren gegenüber anderen zielzellspezifischen Verfahren (wie
der Therapie mit Antikörpern) ist, dass
der Ligand nach Bindung an den Rezeptor in die Zelle aufgenommen wird.
Antikörper bleiben dagegen in der Regel an der Zelloberfläche hängen, was
ihr Wirkspektrum stark einschränkt.
Koppelt man einen lipophilen Wirkstoff an den Liganden, so wird dieser
zusammen mit dem Liganden über
den Rezeptor unter Umgehung von
Resistenzmechanismen in die Zelle
eingeschleust. In den Lysosomen wird
der Wirkstoff dann abgespalten und
gelangt durch seine Lipophilie in den
Zellkern, um dort seine Wirkung zu
entfalten.
GnRH-Rezeptor als Ziel
Der Gonadotropin-Releasing-Hormon(GnRH)-Rezeptor bietet sich für
eine zielzellspezifische Therapie besonders an. Denn etwa 80% aller Endometrium- und Ovarialkarzinome sowie mehr als 50% aller Mammakarzinome besitzen Rezeptoren für GnRH
(1), aber keine anderen Organe und
auch keine hämatopoetischen Stammzellen – abgesehen von den Organen
des Reproduktionstraktes, die normalerweise bei der chirurgischen Therapie entfernt werden (2). Wichtige
Organe wie das Herz haben keine
GnRH-Rezeptoren, sodass besonders
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gefürchtete kardiologische Nebenwirken ausbleiben.
Eine rezeptorvermittelte Chemotherapie kann mit zytotoxischen Analoga von Peptidhormonen erfolgen. Derartige Hybridwirkstoffe werden durch
die kovalente Bindung eines Chemotherapeutikums an ein Trägerhormon
synthetisiert.
Voraussetzungen der
Synthese eines
Hybridwirkstoffes
Das zytotoxische GnRH-Analogon ZEN008 (AN-152) ist ein solcher Hybridwirkstoff. Hier ist das Chemotherapeutikum Doxorubicin kovalent an eine Seitenkette des GnRH-Agonisten [DLys6]GnRH gekoppelt. ZEN-008 eignet
sich zur zielgerichteten Therapie von
Tumoren, die Rezeptoren für GnRH besitzen. Durch die selektive Anreicherung der zytotoxischen Substanz im
Tumor wird eine verbesserte Wirksamkeit bei verminderter Toxizität erzielt
(3). Die Entwicklung des ZEN-008 und
seiner Vorläufer ging von Andrew V.
Schally und seinem Mitarbeiter Attila
Nagy (beide: Tulane University, New
Orleans, Louisiana, USA) aus (4). Schally und Roger Guillemin erhielten 1977
zusammen den Nobelpreis für Medizin
für ihre Entdeckungen zur Produktion
von Peptidhormonen im Gehirn.
Die Entwicklung und Synthese solcher
Hybridwirkstoffe ist aber alles andere
als einfach. Mehrere Voraussetzungen
müssen erfüllt sein, damit die Substanz überhaupt wirken kann. So muss
der Hybridwirkstoff zuerst einmal in
der Lage sein, noch an den Rezeptor
zu binden. Jede Veränderung eines Liganden birgt die Gefahr, dass die Bindung an den Rezeptor erschwert oder
gar verhindert wird. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass der Wirkstoff
zwar an den Rezeptor binden kann,
dieser nach der Bindung aber nicht
mehr in die Zelle internalisiert wird,
also der Wirkstoff gar nicht in die Zel-
Serie Translationale Forschung
Translationale Forschung (TraFo) ist die Bezeichung für
Forschungsaktivitäten zwischen Labor und Krankenbett.
Der Begriff leitet sich ab von translation = Übersetzung.
Ziel ist es, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in
die klinische Anwendung umzusetzen. Aber auch der umgekehrte Weg ist Aufgabe dieses neuen Forschungszweiges,
nämlich die Entwicklung neuer Fragestellungen für die
Grundlagenforschung aus der Patientenversorgung heraus.
In einer achtteiligen Serie stellt die „Kommission Translationale Forschung“ der AGO den Leserinnen und Lesern des
FRAUENARZT einige wichtige TraFo-Themen vor, die bereits
jetzt Bedeutung für die Diagnostik und Behandlung von
Krebspatientinnen haben oder sie in ganz naher Zukunft
bekommen werden.
Antitumoreffekte in vitro
In unseren In-vitro-Studien konnten
wir die rezeptorvermittelte Aufnahme
und die Wirkung von ZEN-008 in GnRHRezeptor-positiven Endometrium-,
Ovarial- und Mammakarzinomen zeigen. ZEN-008 bindet an GnRH-Rezeptoren auf der Oberfläche der Tumorzellen. Nach der Bindung wird der gesamte Komplex, bestehend aus dem
Rezeptor und dem gebundenen Liganden ZEN-008, innerhalb weniger
Minuten in Form von Membranvesikeln
(coated pits und coated vesicles) von
der Zelloberfläche ins Zellinnere aufgenommen. Nachfolgend kann der Rezeptor intrazellulär abgebaut, recycelt
und damit an die Oberfläche zurückgebracht werden. Dabei wird auch der
Wirkstoffkomplex aus Doxorubicin, der
eigentlichen Wirkkomponente, und
dem GnRH-Agonisten [D-Lys6]GnRH,
dem Trägerhormon, aufgespalten. Das
nun frei gewordene Doxorubicin gelangt durch seine Lipophilie in den
Zellkern, interkaliert in die DNA und
löst den programmierten Zelltod aus,
die Apotose (s. Abb. 2).
Beobachtungen mit dem konfokalen
Laser-Scanning-Mikroskop zeigten die
Aufbau des Hybridwirkstoffs ZEN-088 (AN-152)
O
O
OH
C
O
O
C
OH
H3CO
O
(CH2)3
O
Leu
C
D-Lys
Tyr
Linker
Ser
OH
Doxorubicin
CH3
O
O
Trp
[D-Lys6]GnRH
His
HO
pGlu
NH2
Abb. 1: Der Hybridwirkstoff ZEN-008 (AN-152) besteht aus dem Wirkstoff Doxorubicin,
der über einen Linker kovalent an das Trägerhormon [D-Lys6]GnRH gekoppelt ist.
Die GnRH-Rezeptor-vermittelte Internalisierung
von ZEN-008 induziert Apoptose
am Rezeptor
ZEN-008
Bindung von ZEN-008
an den GnRH-Rezeptor
DIAGNOSTIK + THERAPIE
le hinein gelangt. Detailkenntnisse
von Aufbau und Struktur des Rezeptors sind daher sehr hilfreich. Eine weitere Voraussetzung ist die Stabilität
des Hybridwirkstoffs. So muss die Substanz stabil genug sein, sodass sie die
Passage durch das Blutserum unbeschadet übersteht. Andererseits darf
der Wirkstoff nicht zu stabil sein. Um
wirken zu können, muss der Hybridwirkstoff in der Zielzelle in das Trägermolekül, den GnRH-Agonisten, und
die eigentliche Wirksubstanz, das Doxorubicin, aufgespalten werden können. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst also die Anwendbarkeit und
Wirksamkeit eines Hybridwirkstoffes.
Im Fall der zielzellspezifischen Chemotherapie mit einem zytotoxischen
GnRH-Analogon waren viele Versuche
notwendig, bis die Substanz gefunden
war, die alle Bedingungen gut erfüllt:
ZEN-008 (AN-152) (s. Abb. 1).
Internalisierung
5 min
internalisiert
MDR-1
Vesikel
Umgehung der
Resistenzmechanismen
ZEN-008
Spaltung von
ZEN-008
10 min
im Zellkern
Zellkern
Induktion von
Apoptose
Doxorubicin
15 min
Abb. 2: Zelluläre Aufnahme mit Umgehung der Multi-Wirkstoff-Resistenz (Multi Drug Resistance, MDR-1) und Wirkmechanismus des Hybridwirkstoffs ZEN-008 (AN-152). Links: Aufnahmen mit dem konfokalen Laser-Scanning-Mikroskop zur Lokalisierung von ZEN-008 bzw.
dem Wirkstoffanteil Doxorubicin. Nach fünf Minuten kann ZEN-008 an den GnRH-Rezeptoren
auf der Zelloberfläche lokalisiert werden. Bereits nach zehn Minuten wurde ZEN-008 internalisiert. Nach 15 Minuten ist der gesamte Vorgang abgeschlossen. Das abgespaltene
Doxorubicin befindet sich im Zellkern und induziert eine Apoptose der Zelle.
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DIAGNOSTIK + THERAPIE
GnRH-Rezeptor-vermittelte Aufnahme von ZEN-008 in GnRH-Rezeptorpositiven Zellen (5). In GnRH-Rezeptor-negativen Zellen sowie nach Blockade der GnRH-Rezeptoren in den
GnRH-Rezeptor-positiven Zellen konnte keine Aufnahme von ZEN-008 in die
Zellen beobachtet werden (5). Bei der
Laser-Scanning-Mikroskopie wird ausgenutzt, dass der Doxorubicin-Anteil
des Hybridwirkstoffes bei einer Anregungswellenlänge von 455 nm fluoresziert und damit sichtbar gemacht
werden kann (s. Abb. 2). In Wachstumsexperimenten mit humanen Endometrium- und Ovarialkarzinomzelllinien konnte gezeigt werden, dass
auch die Wirksamkeit von ZEN-008 von
der GnRH-Rezeptor-vermittelten Aufnahme abhängt (5). Der wachstumshemmende Effekt von ZEN-008 konnte durch einen Überschuss von GnRHAnaloga kompetitiv gehemmt werden.
In GnRH-Rezeptor-negativen Zellen
hat ZEN-008 keinerlei Wirkung auf das
Wachstum gezeigt (5). Die Effekte
konnten auch für das Mammakarzinom
bestätigt werden (6).
Antitumoreffekte in vivo
Nach erfolgreicher Testung in vitro wurden In-vivo-Untersuchungen am Nacktmausmodell durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass intravenös appliziertes
ZEN-008 bei gleicher Dosis das Tumorwachstum GnRH-Rezeptor-positiver Karzinome erheblich besser hemmt
als das reine Chemotherapeutikum Doxorubicin (7). Nebenwirkungen waren
im Gegensatz zum Doxorubicin bei der
Anwendung von ZEN-008 nicht zu beobachten (7). In GnRH-Rezeptor-negativen Zellen dagegen wirkt ZEN-008
erwartungsgemäß nicht, während reines Doxorubicin in alle Zellen gelangt
und dadurch die nicht unerheblichen
und unerwünschten Nebenwirkungen
verursacht. Diese Ergebnisse zeigen
eindrucksvoll die hohe Wirksamkeit und
Effektivität der tumorzellspezifischen
Chemotherapie mit ZEN-008 bei GnRHRezeptor-exprimierenden Tumoren. Da
die Dichte der GnRH-Rezeptoren auf
der Zelloberfläche während der Behandlung nicht abnimmt, ist eine wie-
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derholte Anwendung der Therapie möglich (7). Dadurch wird die Effektivität
der Therapie noch weiter gesteigert.
Umgehung der Multi Drug
Resistance
Durch die GnRH-Rezeptor-gebundene
Aufnahme von ZEN-008 via Membranvesikel kann die so genannte Multi-Wirkstoff-Resistenz (Multi Drug Resistance, MDR-1) umgangen werden,
die durch das lipophile Doxorubicin
induziert wird (8, 9). Dadurch wird
eine primäre oder sekundäre Chemoresistenz verhindert. Daher ist selbst
bei einer schon bestehenden Resistenz gegen Doxorubicin die Anwendung von ZEN-008 erfolgreich.
Phase-I-Studie ohne gravierende Nebenwirkungen
In der klinischen Phase I, die seit
Anfang 2005 durchgeführt wird (Studienleitung: Prof. Dr. Günter Emons,
Universitäts-Frauenklinik Göttingen),
konnte bereits eine gute Verträglichkeit von ZEN-008 bei Frauen mit
Ovarial-, Endometrium- und Mammakarzinom gezeigt werden. Bis zu
einer Dosis von 160 mg/m2, was einer Dosis von 46 mg/m2 Doxorubicin
entspricht, konnten keine dosislimitierenden Toxizitäten beobachtet werden. Inzwischen konnte die Dosiseskalierung bis zur vergleichbaren Standarddosis für Doxorubicin erhöht werden. Gravierende Nebenwirkungen
sind dabei, anders als beim Doxorubicin, nicht beobachtet worden.
Literatur
1. Gründker C, Günthert AR, Westphalen S,
Emons G: Biology of GnRH systems in human gynecological cancers. Eur J Endocrinol 146 (2002) 1–14.
2. Gründker C, Emons G: GnRH in cancers of
reproductive organs. In: Lunenfeld B (ed):
GnRH Analogs in Human Reproduction.
Taylor & Francis, London, 2005, pp 16–28.
3. Gründker C: Cytotoxic luteinizing hormone-releasing hormone conjugates and
its use in gynecological cancer therapy.
Eur J Endocrinol 143 (2000) 569–572.
4. Schally AV, Nagy A: Chemotherapy targeted to hormone receptors on tumors. Eur
J Endocrinol 141 (1999) 1–14.
5. Westphalen S, Kotulla G, Kaiser F et al.:
Receptor mediated antiproliferative effects of the cytotoxic LHRH agonist AN152 in human ovarian and endometrial
cancer cell lines. Int J Oncol 17 (2000)
1063–1069.
6. Krebs LJ, Wang X, Pudavar HE et al.: Regulation of targeted chemotherapy with
cytotoxic luteinizing hormone-releasing
hormone analogue by epidermal growth
factor. Cancer Res 60 (2000) 4194–4199.
7. Gründker C, Völker P, Griesinger F et al.:
Antitumor effects of cytotoxic LHRH analog AN-152 on human endometrial and
ovarian cancers xenografted into nude
mice. Am J Obstet Gynecol 187 (2002)
528–537.
8. Günthert AR, Gründker C, Bongertz T et
al.: Induction of apoptosis by AN-152, a
cytotoxic analog of luteinizing hormonereleasing hormone (LHRH), in LHRH-R
positive human breast cancer cells is independent of multi drug resistance-1
(MDR-1) system. Breast Cancer Res Treatment 87 (2004) 255–264.
9. Günthert AR, Gründker C, Bongertz T et
al.: Internalisation of cytotoxic luteinizing hormone-releasing hormone analog
AN-152 induces multi drug resistance 1
(MDR-1)-independent apoptosis in human
endometrial and ovarian cancer cell lines.
Am J Obstet Gynecol 191 (2004) 1164–
1172.
Für die Autoren
Fazit: hocheffizient
Das zytotoxische GnRH-Analogon ZEN008 ist ein hocheffizienter und hochspezifischer Wirkstoff für die rezeptorvermittelte Chemotherapie von
GnRH-Rezeptor-positiven Endometrium-, Ovarial- und Mammakarzinomen.
Danksagung
Wir danken der Deutschen Krebshilfe –
Dr. Mildred Scheel Stiftung für die großzügige Unterstützung unserer Forschung.
PD Dr. rer. nat.
Carsten Gründker
AG Molekulare Gynäkologie
Klinik für Gynäkologie und
Geburtshilfe
Robert-Koch-Straße 40
D-37075 Göttingen
Tel. +49 551 39-9810
Fax +49 551 39-9811
E-Mail grundker@
med.uni-goettingen.de
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