Übertragbare Krankheiten 11 Jahre nationales Referenzzentrum für Infektionen durch Blut und Blutprodukte Das Nationale Referenzzentrum für Infek- Bulletin 10 8. März 2010 tionen durch Blut und Blutprodukte (NRZ) erfüllt eine Reihe von wichtigen Aufgaben, welche es unter anderem ermöglichen, dass die Restrisiken für die transfusionsbedingte Übertragung von Humanem Immundefizienz-Virus (HIV), Hepatitis-C-Virus (HCV) und HepatitisB-Virus (HBV) so umfassend wie möglich epidemiologisch beschrieben werden können. Dieser Artikel beschreibt kurz die Geschichte und Arbeitsweise des Referenzzentrums und gibt eine Zusammenfassung der wichtigsten epidemiologischen Trends der letzten 13 Jahre. Die theoretisch berechneten Restrisiken für transfusionsbedingte Übertragungen betragen heute noch ungefähr 1 mögliche Transfusion pro 2,3 Millionen Spenden. Bei HBV ist das Restrisiko zurzeit noch bedeutend höher, soll aber bald durch verbessertes Screening im Labor weiter verbessert werden. 336 AUFGABEN DES REFERENZZENTRUMS Um über eine zuverlässige Überwachung von Infektionen durch Blut und Blutprodukte zu verfügen, erfüllt das NRZ für Infektionen durch Blut und Blutprodukte folgende Aufgaben: i) die Häufigkeit von transfusionsbedingten Infektionen feststellen, ii) das Erheben und die Berechnungen von jährlichen Statistiken zu den Fragestellungen wie Prävalenzen, Inzidenzen und Restrisikoberechnungen der Infektionen durch HIV, HBV und HCV, iii) im Falle von neu auftretenden Infektionen bei Spendern und/oder Empfängern von Blutprodukten sind detaillierte Abklärungen vom Typ «Lookback» zu initiieren, zu leiten und durchzuführen, iv) das Führen einer speziellen Serothek für Retrospektivstudien, v) die Organisation und Durchführung einer externen Qualitätskontrolle der Infektionsmarker HIV-1, HBV, HCV und Treponema pallidum für das Spendenscreening sowie vi) spezielle Aufträge und Mandate im Bereich der Laboruntersuchungen. Das NRZ legt dem BAG jährlich einen Bericht über die durchgeführten Tätigkeiten vor. Die Datengrundlage für diesen Bericht wird dem NRZ von der Dachorganisation des schweizerischen Blutspendedienstes, Schweizerisches Rotes Kreuz (BSD SRK), und von den 13 regionalen Blutspendediensten zur Verfügung gestellt. Die Gesetzgebung, welche sich hauptsächlich auf die Sicherheit der Produkte zum Schutz von Empfängern konzentriert, schreibt vor, dass die notwendigen Vorkehrungen zu treffen sind, wenn bei einem Spender oder Empfänger eine durch Blut übertragbare Infektion festgestellt wird. Hat man nun den Verdacht, dass ein Blutprodukt die Ursache für eine Infektionskrankheit eines Empfängers sei, muss eine sorgfältige Abklärung bei Spendern und Empfängern (sogenannte LookbackAbklärung) vorgenommen werden. Diese Lookback-Abklärungen werden von der Meldestelle durchgeführt, welche die entsprechenden Daten sammelt, zusammenstellt und auswertet. Dem BAG wird zwei Mal pro Jahr ein Bericht zu diesen Lookback-Abklärungen zur Verfügung gestellt. Das Referenzlabor hat bis 2002 für den BSD SRK Schweiz neu auf den Markt kommende Tests für die Infektionsmarker HIV, HCV und HBV begutachtet und für die Routinetestung im Blutspendenscreening frei- gegeben. Diese Praxis hat sich mit der Einführung der IVD-Norm im Jahre 2002 geändert. Mit der Inkraftsetzung des Heilmittelgesetzes wurde auch die CE-Markierung von Testverfahren für die Schweiz akzeptiert. Grundsätzlich können heute Screeningassays zugelassen werden, welche eine CE-Markierung tragen und die zusätzlichen Anforderungen für das Screening von Blutprodukten erfüllen (BAG Bulletin Nr. 10, 1997). RECHTLICHE GRUNDLAGE Der Bericht Voyame «Blut und Aids» aus dem Jahr 1994 hatte im kantonalen Vollzug bezüglich des Blutspendedienstes Mängel festgestellt (Arbeitsgruppe Blut und Aids) [1]. Dieser Bericht kam unter anderem zum Schluss, dass das schweizerische Blutspendewesen reorganisiert und die Kontrolle einer einzigen Behörde zugeteilt werden sollte. Bis anhin waren grundsätzlich die Kantone zuständig. Eine Ausnahme bildete schon damals die Kontrolle der Impfstoffe, die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) vollzogen wurde. Im Jahr 1996 wurde die Kontrolle von Blut und Blutprodukten aufgrund eines Bundesbeschlusses neu national geregelt und diese Aufgabe an den Bund delegiert [2]. In Ergänzung zu den Kontrolltätigkeiten wurde es sowohl von den nationalen Behörden (BAG) als auch vom Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) als nötig erachtet, das Auftreten von Infektionen durch Blut und Blutprodukte national zu erfassen. Die Vollzugsbehörde sollte grundsätzlich das BAG sein. Zu diesem Zweck wurde ein nationales Referenzzentrum (NRZ) für Infektionen durch Blut und Blutprodukte geschaffen. Auf den 1. September 1997 wurde das Zentrallaboratorium des Schweizerischen Roten Kreuzes (ZLB) damit beauftragt, das nationale Referenzzentrum für Infektionen durch Blut und Blutprodukte zu führen. Die Schaffung dieses nationalen Referenzzentrums ergänzte die Massnahmen, die aufgrund der Blutkontrollverordnung vorgeschrieben waren. Dadurch konnten die epidemiologische Überwachung und die Qualitätskontrolle verstärkt sowie die Lookback-Abklärungen festgelegt werden. Mit dem Verkauf des ZLB an den australischen Plasmafraktionierer CSL sowie der Reorganisation, Abspaltung und Gründung des Blutspendedienstes Bern ging diese Referenztätigkeit im Jahr 2000 an den Blutspendedienst Bern (BSD) über. Gleichzeitig mit der Tätigkeit für das nationale Referenzzentrum werden diejenigen des Referenzlabors Infektionsmarker des Blutspendedienstes des SRK vom BSD Bern wahrgenommen. Mit der Inkraftsetzung des Heilmittelgesetzes auf den 1. Januar 2002 wurde die Verantwortung und Aufsicht über das Blutspendewesen zum grössten Teil vom BAG an Swissmedic übertragen. Der Aufgabenbereich von Swissmedic bezüglich Blutspendewesen umfasst Gebiete wie die Betriebsbewilligung, Inspektionen und die Hämovigilanz. Für die Überwachung und Beurteilung der epidemiologischen Daten des Blutspendewesens blieb nach wie vor das BAG zuständig. (nicht transfundiert, transfundiert, Spende vernichtet etc.). Wenn möglich werden weitergehende Informationen zum Status der/des Empfänger/s eingeholt (verstorben, lebend, nicht infiziert, infiziert, nicht mehr kontaktierbar, verweigert Kontakt etc.) und, falls vorhanden, ebenfalls Probenmaterial untersucht. Es erfolgt eine jährliche statistische Zusammenstellung der Resultate dieser Abklärungen. Beim patientenbezogenen Lookback-Verfahren (PLB) wird die Möglichkeit der Übertragung eines infektiösen Agens durch Blutprodukte bei einem Patienten abgeklärt, der in Folge einer Transfusion eine Infektionskrankheit entwickelt hat. Dazu gehört die Suche nach den implizierten Spendern und die Abklärung der Möglichkeit, ob die involvierten Blutprodukte zur Infektion des Empfängers geführt haben. Existieren von den involvierten Spendern keine nachfolgenden Spenden mit bekannten Untersuchungsresultaten, sind mögliche Massnahmen der Zugriff auf Serothekproben oder allenfalls das Aufbieten des Spenders zu einer Nachuntersuchung. METHODIK Hat man den Verdacht, eine Transfusion sei die Ursache für eine Infektionskrankheit, muss eine sorgfältige Abklärung bei Spendern und Empfängern vorgenommen werden. Spenderbezogene und patientenbezogene Lookback-Verfahren haben zum Ziel, allenfalls mögliche transfusionsbedingte Infektionen aufzuklären. Diese Daten liefern zusätzlich einen wichtigen Beitrag zum Überblick der epidemiologischen Situation von HIV, HCV und HBV im Blutspendewesen. Definitionen Das spenderbezogene LookbackVerfahren (SLB) zielt darauf ab, den biologischen Status und die Verwendung einer oder mehrerer früherer Spende/n zu überprüfen, die von einem serokonvertierten Spender stammen und die trotz negativen Ergebnissen des Suchtests infektiös sein könnten. Dazu werden Proben des Spenders aus der Serothek untersucht und abgeklärt, wie und wann die Produkte der jeweiligen Spenden verwendet wurden Testung/Screening der Blutspenden Bei jeder Spende muss das Blut des Spenders mit CE-konformen, dem neuesten wissenschaftlichen Stand entsprechenden hochsensitiven Assays auf die 3 Marker der für das Blutspendewesen wichtigsten Virusinfektionen HIV, HCV und HBV untersucht werden. In der Schweiz sind momentan von behördlicher Seite her (Swissmedic) die folgenden infektiologischen Testmarker an allen Blutspenden durchzuführen: anti-HIV 1/2, anti-HCV, HBsAg, anti-Treponema pallidum und die Alaninaminotransferase (ALAT) (Verordnung über die Bewilligung im Arzneimittelbereich, AMBV Nr. 812. 212.1). Die Nucleic-Acid-Technik (NAT) für den Nachweis des Hepatitis-C-Virus in Blutspenden wurde in verschiedenen europäischen Ländern zwischen 1998 und 2001 eingeführt. In einigen Ländern geschah dies vorerst auf freiwilliger Basis, wurde dann aber zum Teil später von den entsprechenden Behörden als obligatorisch erklärt. In der Schweiz wurde die NAT für das Hepatitis-CVirus ab dem 1. September 1999 als obligatorisch angeordnet. Die HIV-1-NAT wurde im März 2002 durch den BSD SRK Schweiz eingeführt und im September 2004 auch von behördlicher Seite her (Swissmedic) auf Verordnungsstufe als Obligatorium verankert (AMBV, Artikel 18). Minimal müssen hier die behördlich vorgeschriebenen Nachweisgrenzen von 5000 IU/ml (entspricht 31 500 Kopien/ml) für HCV, resp. 10 000 IU/ml (entspricht 5600 Kopien/ml) für HIV-1 in der Einzelspende erreicht werden. Bis vor knapp zwei Jahren wurden die NATUntersuchungen in der Regel in Minipools bestehend aus 24 bis 96 Spenden durchgeführt. Der Grund dafür war, dass die in der Routine eingesetzten molekularen Testverfahren sehr empfindlich waren und die Testung an Einzelspenden zum Zeitpunkt der Einführung der NATTestung im Blutspendewesen noch nicht routinetauglich und zahlbar war. Seit knapp zwei Jahren sind zwei kommerzielle NAT-Systeme auf dem Markt, welche es erlauben, die Untersuchungen im Einzelspendenformat oder in kleinen Minipools durchzuführen. Dadurch kann gerade auch beim Hepatitis-B-Virus eine Erhöhung der Sicherheit der Blutprodukte erreicht werden. 8. März 2010 Krankheiten ERGEBNISSE VIREN Daten Die Anzahl der entnommenen Blutspenden ist im letzten Jahrzehnt schweizweit um gut 35% von 572 504 im Jahr 1996 auf 361 387 im Jahr 2006 zurückgegangen. In den Jahren 2007 und 2008 hat die Anzahl der Entnahmen wieder leicht zugenommen. Die bestätigt positiven Spenden haben im gleichen Zeitraum mehr oder weniger parallel zu den Entnahmen ebenfalls abgenommen (Tabelle 1). Die Daten der Tabelle 1 bilden die Grundlagen für die Berechnung der Prävalenzen bezüglich HIV, HBV und HCV bei Neuspendern und für diejenige der Inzidenzen bei Mehrfachspendern. Obwohl der Fragebogen und die Informationen bezüglich eines Risikoverhaltens und der für das Blut- Bulletin 10 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare 337 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare Krankheiten Tabelle 1a Anzahl geleistete Spenden in den Jahren 1996 bis 2008. Im gleichen Zeitraum als konfirmiert positiv gefundene HIV-, HCVund HBV-Spender. Prävalenzen pro 100 000 Neuspender (in Klammer) 1996 MS ES 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 532 441 481 963 454 232 422 145 423 149 400 401 391 060 395 379 375 608 345 769 340 089 341 441 344 389 40 063 39 370 26 793 31 005 29 149 31 577 41 772 19 172 20 436 20 059 21 298 26 077 30 705 HIV MS 9 4 3 1 1 6 1 2 5 2 3 4 1 HIV ES 2 (5,1) 0 (0*) 4 (12,9) 3 (10,3) 1 (3,2) 1 (2,4) 3 (15,6) 0 (0*) 2 (10,0) 3 (14,1) 1(3,8) 3 (9,8) 8 8 19 8 1 2 4 (10,0) HCV MS 54 3 6 1 2 5 0 HCV ES 65 (162,3) 61 (154,9) 25 (93,3) 33 (106,4) 33 (113,2) 22 (69,7) 14 (33,5) 30 (156,5) 17 (83,2) 18 (84,8) 13 (61,0) 19 (72,9) 24 (78,2) HBV MS 21 7 3 5 4 2 4 8 10 4 9 7 HBV ES 66 (164,7) 70 (177,8) 34 (126,9) 34 (109,7) 32 (109,8) 34 (107,7) 36 (86,2) 4 43 (224,3) 42 (205,5) 29 (144,6) 35 (164,3) 28 (107,4) 39 (127,0) MS: Mehrfachspender; ES: Erstspender * keine positiven Neuspender in diesem Jahr entdeckt 8. März 2010 Tabelle 1b Zusammenfassung Inzidenzraten pro 100 000 Personenjahre für HIV, HCV, HBV und Lues, 1996–2008 HCV-Inzidenz/100 000 HIV-Inzidenz/100 000 HBV-Inzidenz/100 000 Lues-Inzidenz/100 000 1996 16,75 2,79 15,49 12,09 1997 2,62 1,31 7,78 7,21 1998 2,88 1,08 3,43 9 1999 7,4 0,39 6,50 2,34 1997 1998 1999 2000 HCV-Inzidenz/100 000 Bulletin 10 2001 0,44 2,66 7,40 0,84 2002 1,35 0,45 3,21 0,45 2003 2,68 0,9 5,33 6,27 2004 0,94 2,36 4,5 9,44 2005 0,51 1,02 4,88 5,64 2006 1,04 1,56 2,48 5,73 2007 2,51 2,01 4,78 2,01 2008 0 0,49 9,28 2,44 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1996 338 2000 3,3 0,4 8,71 0 spendewesen möglichen Risiken in den letzten Jahren nochmals erweitert und ausgebaut worden sind, gibt es auch unter den Mehrfachspendern immer noch neu entdeckte Fälle. Diese haben in den letzten Jahren abgenommen, sind aber auf einem relativ tiefen Niveau stehen geblieben. Die Gründe für diesen Sachverhalt sind nicht ersichtlich. Eventuell spielt die Tatsache eine Rolle, dass die von den Spendern erworbenen Infektionen asymptomatisch verlaufen. Eine weitere mögliche Erklärung könnte auch sein, dass nicht alle Fragebogen wahrheitsgetreu ausgefüllt werden. 2001 2002 HIV-Inzidenz/100 000 2003 2004 HBV-Inzidenz/100 000 2005 2006 2007 2008 Lues-Inzidenz/100 000 Heute noch vorhandene Infektionsrisiken Unter den bekannten transfusionsassoziierten Risiken wurde in der Vergangenheit die Übertragung von pathogenen Viren als eines der grössten Risiken einer Transfusion angesehen. In den letzten 20 Jahren wurden aus diesem Grund grosse Anstrengungen unternommen, dieses Risiko zu minimieren und aus infektiologischer Sichtweise möglichst sichere Blutprodukte zu produzieren. Aufgrund der Einführung von immer neueren Generationen von serologischen Testsystemen und der Einführung der NAT konnte diese hohe Sicherheit erreicht werden. In der Abbildung 1 sind die diagnostischen Fenster von HIV, HCV und HBV dargestellt. Als diagnostisches Fenster bezeichnet man die Phase nach der Infektion, während der die Infektion labortechnisch noch nicht nachgewiesen werden kann. Die diagnostischen Fenster für diese drei Viren haben sich im letzten Jahrzehnt durch den Einsatz von immer empfindlicheren serologischen Tests und die zusätzliche Testung mit molekularbiologischen Methoden (NAT) kontinuierlich verkürzt. Die Frage bleibt, ob Individuen, welche ganz kurz nach einer Infektion getestet werden und deren Viruslast im Blut daher sehr tief 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare Krankheiten Abbildung 1 Diagnostische Fenster für HIV, HCV und HBV. Serologische 3.-Generations-HIV-Tests erkennen eine Infektion nach durchschnittlich 21 Tagen, HIV-Ag/Ab-Kombinationstests ca. nach 16 bis 18 Tagen, HIV-1-NAT in Minipools nach 11 bis 15 Tagen (abhängig von Minipoolgrösse und Ausgangsvolumen) und Einzel-NAT-Tests nach ca. 6 Tagen. Serologische HCV-Tests (anti-HCV) erkennen eine HCV-Infektion durchschnittlich nach 65 Tagen, HCV-NAT in Minipools, abhängig von Minipoolgrösse und Ausgangsvolumen, zwischen 20 und 23 Tagen, EinzelNAT nach einigen wenigen Tagen. Die wahrscheinliche HBV-Nachweisgrenze der Einzel-NAT für HBV liegt bei ca. 24 Tagen. Mit empfindlichen HBsAg-Tests werden infizierte Individuen durchschnittlich nach 38 Tagen erfasst. Chronisch infizierte HBV«Ausscheider» werden aber oftmals auch mit empfindlichen HBsAg-Assays verpasst und können im besten Fall nur mit EinzelNAT entdeckt werden. Zusammenfassend: Mit der Einzel-NAT-Testung der Viren HIV und HCV scheint es möglich zu sein, alle theoretisch potenziell infektiösen Spenden zu finden. Bei HBV scheint dies auch mit der Einzel-NAT nicht möglich zu sein. Infektion Viruslast geq/ml 10 Tag 6 Tag 15 Verdoppelungszeiten Tag 21 6 10 3 HIV-RNA HIV-Ag 17,8 h Anti-HIV Tag 3 Tag 65 10 6 10 3 AntiHCV 10,8 h HCV-RNA Tag 8 Tag 24 Tag 38 HBV-DNA Tage 0 5 unterhalb Infektiositätsniveau? 10 15 20 25 30 35 2,5 d HBsAg 40 45 50 55 60 65 70 Infektiös ist, überhaupt infektiös sind. Diese Fragestellung der Infektiosität von tief virämischen Spenden steht heute im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Fokus. Mit den aktuell in der Schweiz eingesetzten serologischen Nachweisverfahren liegen die durchschnittlichen diagnostischen Fenster für HIV, HCV und HBV bei 22, 66 resp. 59 Tagen. Mit der Einführung der NAT im Minipoolformat konnten diese bei HIV-1 und HCV auf durchschnittlich 11 respektive 21 Tage vermindert werden. Mit der Einführung einer allfällig hochsensitiven Einzelspendentestung könnte nochmals eine Verkürzung auf 3 respektive 6 Tage erreicht werden. Die in den Industrienationen hergestellten Blutprodukte sind heute im Hinblick auf virale Erreger sehr sicher [3]. Die Zahl der möglichen Übertragungen und damit der mögliche Nutzen der NAT kann an- hand statistischer Schätzungen auf der Basis epidemiologischer Daten, der Berücksichtigung der mittleren Dauer des noch vorhandenen diagnostischen Fensters, Verdoppelungszeiten der einzelnen Viren und der Anzahl Fälle bei Mehrfachspenden geschätzt werden. Die für die Schweiz theoretisch berechneten Restrisiken sind vergleichbar mit Daten aus dem europäischen Umfeld, den USA, Japan und Australien [3–7]. Die für die Jahre 2005–2008 durchschnittlich berechneten Restrisiken für HIV, HCV und HBV liegen bei 1:2 700 000, 1:2 000 000 und 1:130 000 Spenden (Abbildung 2). Da in der Schweiz jährlich ca. 0,35 Millionen labile Blutprodukte verabreicht werden, könnte theoretisch gesehen etwa noch alle 5–7 Jahre eine transfusionsbedingte HCV resp. HIV-1-Übertragung stattfinden. Wie aus diesen Zahlen unschwer zu erkennen ist, liegt das theoretisch berechnete Restrisiko für das Hepatitis-B-Virus deutlich höher als für HIV und HCV. Momentan ist in der Schweiz für das Screening auf das Hepatitis-B-Virus von behördlicher Seite aus nur die HBsAg-Testung vorgeschrieben. Diskussionen bezüglich der Einführung zusätzlicher Marker für das Screening von HBV sind heute in Europa ein aktuelles Thema. Um das Restrisiko von HBV zu senken, könnte man die Spenden zusätzlich mit anti-HBc oder HBV-NAT oder beiden Markern testen. Damit diese Fragestellung in der Schweiz geklärt werden kann, sind die vorliegenden epidemiologischen Verhältnisse erst einmal zu klären. Verschiedene grössere und kleinere Studien bezüglich der anti-HBc-Situation in der Schweizer Spenderpopulation wurden im Jahre 2006 durchgeführt ([8, 9] C. Steine- Bulletin 10 10 3 8. März 2010 10 6 339 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare Krankheiten Abbildung 2 Reduktion der theoretischen Restrisiken von HIV, HCV und HBV pro Million Spenden für die Jahre 1996 bis 2008. Die Berechnungen des Restrisikos wurden überlappend immer für 3 Jahre durchgeführt. Mögliche Übertragungen pro Millionen Spenden 16 14 12 10 8 6 4 2 0 96–98 97–99 98–00 99–01 00–02 Bulletin 10 8. März 2010 HIV 340 mann persönliche Mitteilung). Aktuell sind auch bezüglich HBV- und NAT-Technologie in der Schweiz zwei Studien am laufen. Bis Februar 2009 wurden insgesamt gegen 400 000 Spenden mit der neuen NAT-Technologie (Einzelspendentestung oder Minipools von 6 Spenden) getestet. Insgesamt wurden dabei 8 Spenden entdeckt, welche HBsAg-negativ aber HBV-DNA-positiv waren. Der Kosten-Nutzen-Frage muss neben der klinisch epidemiologischen Fragestellung aber mindestens gleich viel Gewicht beigemessen werden. Die Antwort auf die Frage, ob und falls ja wie viele Spender aufgrund von neu eingeführten Parametern ausgeschlossen werden müssten, muss geklärt werden. Der Blutspendedienst kann es sich nicht leisten, Spender aufgrund von falsch reaktiven Resultaten auszuschliessen, da sonst unter Umständen die Versorgung mit Blutprodukten in der Schweiz gefährdet werden könnte. Die zusätzlichen Kosten, welche aufgrund von neuen Tests entstehen, müssen ebenfalls in Betracht gezogen werden. In der heutigen, im Gesundheitswesen finanziell angespannten Zeit muss die Einführung neuer 01–03 HCV 02–04 03–05 04–06 05–07 06–08 HBV oder zusätzlicher Tests auch einen entsprechend hohen Nutzen, d.h. eine klare Verbesserung der Sicherheit der Blutprodukte, bewirken. Obwohl heute das theoretisch berechnete Restrisiko sehr tief ist, wird aber auch mit diesen Techniken aus verschiedenen Gründen nie eine 100-prozentige Sicherheit erreicht. Menschliche Fehler wie Verwechslungen, unbemerkte Ausfälle bei der Testung etc. oder andere Faktoren wie seltene Virusvarianten, atypische Antikörperbildungen stellen heute wahrscheinlich ein grösseres Risiko dar als das Risiko der noch vorhandenen kleinen diagnostischen Fenster, während deren eine transfusionsbedingte Übertragung noch möglich wäre. Lookback-Verfahren und tatsächlich in der Fensterphase gefundene positive Spenden Um die Plausibilität dieser theoretischen Restrisikoberechnungen überprüfen zu können, ist es unerlässlich, diese mit den tatsächlich gefundenen positiven Spenden in der Fensterphase, wie auch mit den sich tatsächlich ereigneten transfusionsbedingten Infektionen, zu vergleichen. Es ist davon auszugehen, dass gerade bei den Hepatitiden ein gewisses Underreporting vorkommt, vorwiegend aufgrund von asymptomatischen Verläufen oder aber der Tatsache, dass nicht genügend schützende Antikörper vorhanden sind. Einige wenige Fälle von transfusionsbedingten Infektionen wurden trotz Vorhandensein von anti-HBs-Antikörpern beschrieben [10, 11, 12, 13]. In der Schweiz wurden seit der Einführung der HCV-NAT im Juli 1999 bis und mit Ende 2008 ca. 4,5 Millionen Spenden getestet und dabei 2 HCV-NAT-positive, serologisch negative Spenden entdeckt. Bei einer dieser HCV-NAT-positiven Spenden war die ALAT mit 88 IU/ml über dem damaligen Grenzwert für die Freigabe der Blutprodukte [14]. Für das HI-Virus wurde seit der Einführung der HIV-1-NAT im März 2003 (ca. 2,4 Millionen Spenden gestestet) keine HIV-1-NAT-positive, serologisch negative Spende gefunden. Es liegen vergleichbare Daten aus dem europäischen Umfeld vor. Stand Ende 2003: Ungefähr 58 Millionen Spenden wurden mit der HCV-NAT getestet, darunter wurden 54 HCV-NAT-positive, serologisch negative Spenden entdeckt. Bei 35 Millionen HIV-NAT-geteste- Krankheiten ten Spenden wurden 13 HIV-NATpositive, aber serologisch negative Spenden gefunden [4]. Der grösste Teil dieser Spenden wurde im Minipoolverfahren untersucht. Daher kann davon ausgegangen werden, dass wahrscheinlich NAT-Einzelspendentestung noch einige zusätzliche Fälle entdeckt hätte. Ein weiterer Punkt, welcher in die Gesamtsichtweise dieser Fragestellung einzubeziehen ist, sind die SLB und PLB. Die Anzahl von SLBMeldungen verharren für die beiden Viren HIV und HBV seit Beginn dieser Verfahren im Jahr 1997 im Durchschnitt auf einem sehr tiefen Niveau (Abbildung 3). Im Vergleich dazu sind die Meldungen betreffend Hepatitis C erst ab dem Jahr 2000 auf ein ebenfalls sehr tiefes Niveau gesunken. Bei diesen durchgeführten SLB konnten nur zwei transfusionsbedingte Infektionen festgestellt werden. Insgesamt wurde in diesen 10 Jahren nur je eine Fensterspende für das Hepatitis-C-Virus und eine für das Hepatitis-B-Virus gefunden, welche zu einer transfusionsbedingten Infektion beim Empfänger führten. Analog den SLB war auch die Anzahl PLB-Meldungen für die beiden Viren HIV und HBV über die letzten 10 Jahre hinweg auf einem sehr tie- fen Niveau. Für HCV ist die Anzahl PLB seit dem Jahr 1998 kontinuierlich gesunken und im Jahr 2007 auf einem vergleichbaren Niveau wie für HIV und HBV angelangt (Abbildung 4). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Sicherheit der labilen Blutprodukte in Bezug auf die drei Viren HIV, HCV und HBV heute auf einem sehr hohen Niveau ist. Mit der Einführung der NAT-Testung ist das Risiko einer transfusionsbedingten HIV- oder HCV-Infektion sicher nochmals kleiner geworden. Seit der Implementierung der NAT-Technologie ist in Europa nur noch von vier Fällen, je drei HIV resp. einer HCV-Übertragung berichtet worden. Weltweit ist seit der Einführung der NAT-Technologie bis heute von acht HIV- respektive sieben HCV-NAT «Durchbruch» transfusionsbedingten Infektionen berichtet worden [15]. Trotz all diesen Verbesserungen muss auch in Zukunft den «alten» Viren, welche ständig neuen Mutationen unterworfen sind, wie auch neuen oder wieder aufkommenden pathogenen Mikroorganismen eine sehr grosse Aufmerksamkeit geschenkt werden, damit wir nicht wieder von einer globalen Katastrophe wie Anfang der 80er-Jahre mit HIV heimgesucht werden. An die- ser Stelle muss erwähnt werden, dass trotz allen eingeführten technischen und organisatorischen Sicherheitsmassnahmen eine sorgfältige Spender/innen-Selektion absolut unabdingbar ist, damit Personen mit Risikoverhalten oder bekannter Exposition zu relevanten Infektionserregern a priori von der Spende ausgeschlossen werden. Damit die Restrisiken der heute getesteten viralen Erreger auf diesem tiefen Niveau bleiben, sind die Diagnostikahersteller, die Behörden und auch die Anwender der Tests aufgefordert, die Entwicklungen bezüglich Mutanten, neuer Subtypen und prozentualem Anteil von Subtypen in Europa aufmerksam im Auge zu behalten und gegebenenfalls auch schnell und effizient zu agieren. Zusätzliche Massnahmen Wie oben dargestellt, waren bisher HIV, HCV und HBV ganz klar im Mittelpunkt des Interesses, da potenzielle Übertragungen dieser drei Viren das grösste medizinische Risiko darstellen. Es gibt aber noch eine Anzahl anderer Viren, welche für bestimmte Gruppen von Empfängern ebenfalls zu lebensbedrohlichen Zuständen führen können. Hierbei handelt es sich um zellständige Viren, wie z. B. das Cytomega- 8. März 2010 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare Bulletin 10 Abbildung 3 Anzahl Meldungen spendenbezogener Lookback-Verfahren (SLB) pro Jahr 1997–2008 30 25 20 15 10 5 0 1997 1998 1999 2000 2001 HIV 2002 2003 HBV 2004 2005 2006 2007 2008 HCV 341 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare Krankheiten Abbildung 4 Anzahl Meldungen patientenbezogener Lookback-Verfahren (PLB) pro Jahr 1997–2008 60 50 40 30 20 10 0 1997 1998 1999 2000 2001 Bulletin 10 8. März 2010 HIV 342 lievirus (CMV), das Epstein-Barr-Virus (EBV), das humane Herpesvirus 8 (HHV 8) sowie das humane T-ZellLeukämie-Virus (HTLV I/II). Die Leukozytendepletion ist ein Verfahren, welches heute während der Verarbeitung der Blutprodukte eingesetzt wird. Dieses Verfahren kann neben anderen unerwünschten Transfusionsreaktionen, wie febrilen nicht hämolytischen Transfusionsreaktionen, Alloimmunisierungen gegen HLA-Antigene, Graftversus-Host-Erkrankungen oder der Beeinflussung von immunologischen Funktionen beim Empfänger, auch in Leukozyten vorkommende Mikroorganismen wie Yersinien, HTLV I/II, CMV, EBV und HHV 8 reduzieren. Mithilfe der am 1. Juli 1999 in der Schweiz obligatorisch eingeführten Leukozytendepletion werden die Wirtszellen der oben genannten Viren während der Verarbeitung des Vollblutes ungefähr um einen Faktor 100 000 reduziert. Das CMV, welches in der Bevölkerung häufig vorkommt, aber üblicherweise keine beeinträchtigende Erkrankung verursacht, kann bei stark immungeschwächten Patienten oder bei Neugeborenen zu schwerwiegenden transfusionsbedingten Erkrankungen führen. Da die medizinische Relevanz für ein generelles Screening nicht gegeben 2002 2003 HBV 2004 2005 2006 2007 2008 HCV ist, wird für solche Patienten ausschliesslich Blut von ausgesuchten und getesteten Spendern verwendet. Heute ist man überwiegend der Meinung, dass mit der Einführung der generellen Deleukozytierung von Blutprodukten das Übertragungsrisiko einer CMV praktisch genauso tief ist, wie wenn man CMV-seronegative Spenden für die Transfusion verwendet. Ein anderes Beispiel ist das HTLV I/II, das hierzulande extrem selten auftritt. Daten einer Studie zeigten, dass bei 1,2 Millionen Blutspenden aus der Schweiz keine HTLV-positive Spende entdeckt wurde. Daher erscheint bei diesem Virus eine systematische Testung bisher nicht gerechtfertigt [16]. Allerdings kommt dieses Virus z. B. in der Karibik oder Asien wesentlich häufiger vor, sodass die Zahl der infizierten Personen angesichts des modernen Massentourismus in Zukunft erheblich ansteigen und auch in der Schweiz dazu führen könnte, dass in Zukunft die Blutspenden routinemässig auf HTLV I/II untersucht werden. Die oben erwähnten Massnahmen werden vor allem für die Sicherheit von labilen Blutprodukten wie Erythrozytenkonzentraten und Thrombozytenkonzentraten eingesetzt. Diese «kurzlebigen» Blutprodukte, die von einem oder einigen wenigen Spendern stammen, werden in der Regel einem einzigen Patienten verabreicht. Die stabilen Blutprodukte (fraktionierte Proteine wie Albumin, Immunglobuline etc.), welche von der Plasma verarbeitenden Industrie aus dem Blut gewonnen werden, werden in grossen Mengen aus Tausenden von Blutspenden gepoolt. Hier ist natürlich das Risiko, dass eine kontaminierte Spende sehr viele Empfänger treffen kann, theoretisch wesentlich grösser. Das Hepatitits-A-Virus (HAV) und das Parvovirus B19 sind Viren, welche bei stabilen Blutprodukten eine wichtige Rolle spielen, aber nicht zu den klassischen transfusionsrelevanten Viren zählen. Diese beiden Viren haben vor allem für die Plasma verarbeitende Industrie eine grosse Bedeutung als Kontaminanten von Blutprodukten, die aus Plasmapools hergestellt werden. Die Gefahr für diese Produkte beruht bei diesen Viren auf der hohen Inaktivierungsresistenz. Dadurch konnte es immer wieder zu Übertragungen dieser beiden Viren kommen, z.B. über einzelne Chargen von Faktor-VIIIoder Faktor-IX-Konzentraten oder andere stabile Blutprodukte, bei denen das Virus durch den Herstellungsprozess selbst nicht genügend abgereichert oder eliminiert wurde Krankheiten BAKTERIEN Blutprodukte können durch Bakterien kontaminiert sein und so zu transfusionsbedingten Infektionen führen. Das Risiko ist insbesondere erhöht bei Thrombozytenkonzentraten aus dem einfachen Grund, dass diese bei Raumtemperatur gelagert werden müssen. Das Thrombozytenkonzentrat stellt natürlicherweise auch ein ideales «Nährmedium» für die Bakterien dar. Beim «predonation sampling» werden die ersten 30 ml der Blutspende in einen separaten Beutel abgezweigt. Dadurch gelangen allfällig in der tiefen Hautschicht vorhandene Bakterien, welche durch die Desinfektion der Haut nicht abgetötet worden sind, nicht ins Blutprodukt. Das predonation sampling ist seit dem Jahr 2002 in der Schweiz obligatorisch. Aufgrund dieser Massnahme konnte das Risiko der bakteriellen Kontamination um gut 50% reduziert werden. Man geht davon aus, dass in der Schweiz noch ca. 1 von 5000 Thrombozytenkonzentraten mit Bakterien kontaminiert ist. Mit grosser Wahrscheinlichkeit führen aber lange nicht alle kontaminierten Thrombozytenkonzentrate zu einer Infektion beim Empfänger, da diese oftmals schon präoperativ antibiotisch abgeschirmt werden. Es konnten in den Jahren 2005 bis 2007, ausgehend von 3 Spenden, insgesamt 5 transfusionsbedingte bakterielle Übertragungen nachgewiesen werden [27, 28]. Trotzdem stehen bei den transfusionsassoziierten Infektionen vor allem die bakteriellen Infektionen im Vordergrund. Mit welchen zusätzlichen Massnahmen, vor allem bei den am häufigsten involvierten Thrombozytenkonzentraten, diese Vorkommnisse am wirkungsvollsten reduziert werden können, wird zurzeit international diskutiert. Grundsätzlich werden einerseits das bakterielle Screening und andererseits die Anwendung von Pathogenreduktionsverfahren als mögliche Lösungsansätze betrachtet. Beide Ansätze haben sowohl Vor- als auch Nachteile. PRIONEN Für nicht nachweisbare oder auch unbekannte Infektionserreger und im Besonderen für Prionen, den Erreger der neue Variante der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (nvCJD), kann durch eine Transfusion eine mögliche Übertragungskette entstehen. Aus diesem Grund wurde ein Ausschluss von Blutspendern, die seit 1980 labile Blutprodukte (Erythrozytenkonzentrate, Thrombozyten und Quarantäneplasma) oder eine Transplantation erhalten haben, durchgesetzt. Dieser Beschluss wurde von Swissmedic, vom BAG und vom BSD SRK gemeinsam gefällt. Die Umsetzung erfolgte auf den 1. Oktober 2004. Es handelt sich hierbei um eine präventive Massnahme, die durch die Notwendigkeit entstanden ist, den Patienten die grösstmögliche Sicherheit zu bieten. Sie basiert auf der Verhinderung eines Risikos für die Gemeinschaft und nicht darauf, bei einem einzelnen Individuum das Risiko zu vermindern. Dieser Beschluss ergänzt die schon eingeführten Massnahmen, wie den Ausschluss von Spendern, welche sich zwischen 1980 und 1996 länger als sechs Monate in Grossbritannien aufgehalten haben, die eine Transplantation erhalten haben, mit Hormonen menschlichen Ursprungs behandelt wurden, einen Eingriff am Gehirn oder am Rückenmark über sich ergehen lassen mussten oder in deren Familie ein Blutsverwandter an CJD gestorben ist. Seit einigen Jahren wird weltweit daran gearbeitet, einen einfachen, routinetauglichen Assay mit hoher Sensitivität und Spezifität für den Nachweis von Prionen im Blut von Patienten und Spendern zu entwickeln. Es ist zurzeit nicht damit zu rechnen, dass ein solcher Test bereits in den nächsten Jahren auf den Markt kommt. HÄMOVIGILANZ Die Transfusionskette beginnt beim ersten Informationsgespräch des potenziellen Blutspenders mit einer medizinisch ausgebildeten Fachperson und endet mit der Dokumentation des klinischen Zustandes des Empfängers nach erfolgter Transfusion. Im Falle einer vermuteten unerwünschten Transfusionsreaktion (TR) erfolgt eine entsprechende Abklärung: Dokumentenüberprüfung, klinische Untersuchung, Laboranalytik und anschliessend eine Meldung aller relevanten Ergebnisse an Swissmedic. Die gesammelten Daten dienen dann als Grundlage für den von Swissmedic erstellten Hämovigilanzbericht [27, 28]. Dieser Bericht stellt ein weiteres wichtiges Instrument des Überwachungssystems dar und gibt auch wichtige Informationen zur Sicherheit von labilen Blutprodukten und über die Art und Grössenordnung von Transfusionsrisiken. Seit dem ersten Erscheinen dieses Hämovigilanzberichtes im Jahre 2003 wurde von keiner viralen transfusionsbedingten Infektion berichtet. Von den bei Swissmedic eingegangenen Meldungen beziehen sich 1 bis 2% auf transfusionsbedingte Infektionen. Hier ist aber festzuhalten, dass sich diese Meldungen ausschliesslich auf vermutete Kontaminationen von Thrombozytenkonzentraten beziehen. In den meisten Fällen konnte aber das Trombozytenkonzentrat als tatsächliche Ursache ganz klar ausgeschlossen werden [27]. 8. März 2010 [17–26]. Aus diesem Grund werden die Plasmapools, aus denen stabile Blutprodukte hergestellt werden, regelmässig von den Plasmafraktionierern mit der NAT auf HAV und Parvovirus B19 getestet. Auch in Zukunft werden wir sehr aufmerksam bleiben müssen und neue epidemiologische Tendenzen von neuen oder schon bekannten Erregern gut beobachten, um allenfalls gewappnet zu sein, wenn neue potenzielle Bedrohungen auftauchen wie die Malaria, das DengueVirus, das West-Nile-Virus, das Chikungunya-Virus etc. Daher ist die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Spitälern, Behörden und der Diagnostikindustrie von grosser Bedeutung. Bulletin 10 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare WACHSAMKEIT Trotz all den gemachten Fortschritten darf nicht vergessen werden, dass die Globalisierung und die hohe Mobilität der Menschen die Sicherheit der Blutprodukte beeinträchtigen. Neue, bislang in Mitteleuropa unbekannte oder zumindest 343 왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare Krankheiten medizinisch nicht relevante Erreger werden durch den Tourismus, aber auch durch die zunehmenden Migrationsbewegungen zu neuen Herausforderungen für die Blutspendedienste. Erreger wie das SARSCoronavirus, das West-Nile-Virus (WNV), aber auch «alte Bekannte» wie die Vogelgrippe oder eine neu zu erwartende Influenzapandemie sind Beispiele der letzten Zeit, die zeigen, dass nur durch ständige Wachsamkeit (Rückstellung von Spendern bei Auslandaufenthalten oder Krankheitszeichen, Weiterentwicklung von neuen diagnostischen Methoden) das erreichte hohe Mass an Sicherheit von Blutprodukten beibehalten werden kann. Mitgeteilt von: Dr. Christoph Niederhauser, Blutspendedienst SRK Bern AG. 쐍 Bulletin 10 8. März 2010 Bundesamt für Gesundheit Abteilung Übertragbare Krankheiten Sektion Impfungen Telefon 031 323 87 06 344 Literatur 1. Arbeitsgruppe «Blut und Aids»: Zusammenfassung, SRK Zentralkomitee 1. Juni 1994: Strukturanpassung BSD SRK. 2. Bundesbeschluss vom 22. März 1996 über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten. SR 818.111: AS 1996 2296. Evtl. noch neuerer Beschluss vorhanden. Transplantationsgesetz. 3. Glynn SA, Kleinman SH, Wright DJ and Busch MP. For the NHLBI Retrovirus Epidemiology Donor Study. International application of the incidence rate/window period model. Transfusion. 2002; 42: 966–972. 4. Coste J, Reesink HW, Engelfriet CP, Laperche S, Brown S, Busch MP, Cuijpers HT, Elgin R, Ekermo B, Epstein JS, Flesland O, Heier HE, Henn G, Hernandez JM, Hewlett IK, Hyland C, Keller AJ, Krusius T, Levicnik-Stezina S, Levy G, Lin CK, Margaritis AR, Muylle L, Niederhauser C, Pastila S, Pillonel J, Pineau J, van der Poel CL, Politis C, Roth WK, Sauleda S, Seed CR, Sondag-Thull D, Stramer SL, Strong M, Vamvakas EC, Velati C, Vesga MA, Zanetti A. 2005. International forum: Implementation of donor screening for infectious agents transmitted by blood by nucleic acid technology: update to 2003. Vox Sang. 2005, 88: 289–298. 5. Niederhauser C, Schneider P, Fopp M, Ruefer A and Lévy G. Incidence of viral markers and evaluation of the estimated risk in the Swiss blood donor population from 1996 to 2003. Eurosurveillance 2005; 10: 7–8. 6. Pillonel J, Laperche S, le groupe «Agents transmissibles par transfusion» de la Société française de transfusion sanguine, L’Etablissement français du sang et le Centre de transfusion sanguine des armées. Risque résiduel de transmission du VIH, du VHC et du VHB par transfusion sanguine entre 1992 et 2002 en France et impact du dépistage génomique viral. BEH. 2003; 48: 233–236. 7. Soldan K, Barbara JAJ, Ramsay ME and Hall AJ. Estimation of the risk of hepatitis B virus, hepatitis C virus and human immunodeficiency virus infectious donations entering the blood supply in England, 1993–2001. Vox Sang. 2003; 84: 274–286. 8. Niederhauser C, Graziani M, Stolz M, Tinguely C, Mansouri Taleganhi B and Schneider P. Blood donor screening: how to decrease the risk of transfusion transmitted Hepatitis B Virus? 2008. Swiss Med Wkly. 138: 134–141. 9. Stebler C, Infanti L, Eiche B, Santoro M, Rüfli T, Doepfner C and Rüsch M. Prevalence of anti-HBc antibodies in Swiss Blood Donors, a 4 month survey at the Blood Transfusion Center Basel. ISBT Congress 2006 Cape Town. 10. Hoofnagle JH, Seefe LB, Bales ZB. and Zimmermann HJ. Type B hepatitis after transfusion with blood containing antibody to hepatitis B core antigen. The New England Journal of Medicine 1978; 298: 1379–1383. 11. Thiers V, Nakajima E, Kremsdorf D, Mack D, Schellekens H, Driss F, Goudeau A, Wands J, Sninsky J, Tiollais P. et al. Transmission of hepatitis B from hepatits-B-seronegative subjects. Lancet 1988; 2: 1273–1276. 12. Loriot MA, Marcellin P, Bismuth E, Martinot-Peignoux M, Boyer N, Degott C, Erlinger S and Benhamou JP. Demonstration of hepatitis B virus DNA by polymerase chain reaction in the serum and the liver after spontaneous or therapeutically induced HBeAG to anti-HBe or HBsAg to antiHBs seroconversion in patients with chronic hepatitis B. Hepatology 1992; 15: 32–36. 13. Elghouzzi MH, Courouce AM, Magnius LO, Lunel F and Lapierre V. Transmission of hepatitis B virus by HBV-negative blood transfusion. Lancet 1995; 346: 964. 14. Stolz M, Gilgen M and Niederhauser C. 2003. HCV-PCR Minipool Testing – 3 Years in the Largest Swiss Blood Transfusion Service. Vox Sanguinis. 84: 105–110. 15. Busch M. Blood Safety (IPFA/PEI 15th Workshop on «Surveillance and Screening of Blood Borne Pathogens» 13–15 May 2008, Vienna, Austria) 16. Böni J, Bisset LR, Burckhardt JJ, Joller-Jemelka HI, Bürgisser P, Perrin L, Gorgievski M, Erb P, Fierz W, Piffaretti JC, Schüpbach J and the Swiss HIV Cohort Study. Prevalence of Human T-Cell Leukemia Virus Types I and II in Switzerland. J Med Virol. 2004, 72: 328–337. 17. Lyon DJ, Chapman CS, Martin C, Brown KE, Clewley JP, Flower AJ, Mitchell VE. Symptomatic parvovirus B19 infection and heat-treated factor IX concentrate. Lancet. 1989; 13; 1(8646): 1085. 18. Morfini M, Azzi A, Zakrewska K, Clappi S, Kolumban P, Longo L, Rossi Ferrini P. Hypoplastic anaemia in a haemophilic first infused with a solvent detergent treated factor VIII concentrate. The role of human parvovirus B19. Am J Hematol. 1992; 39: 149–150. 19. Yee TT, Cohen BJ, Pasi KJ and Lee CA. Transmission of symptomatic parvovirus B19 infection by clotting factor concentrate. Br J Haematol. 1996; 93: 457–459. 20. Robertson BH, Alter MJ, Bell BP, Evatt B, McCaustland KA, Shapiro CN, Sinha SD, Souci JM. Hepatitis A virus sequence detected in clotting factor concentrates associated with disease transmission. Biologicals. 1998; 26: 95–9. 21. Chudy M, Budek I, Keller-Stanislawski B, McCaustland KA, Neidhold S, Robertson BH, Nübling CM, Seitz R, Löwer J. A new cluster of hepatitis A infection in hemophiliacs traced to a contaminated plasma pool. J Med Virol. 1999; 57: 91–9. 22. Hino M, Ishiko O, Honda KI, Yamane T, Ohta K, Takubo T and Tatsumi N. Transmission of symptomatic parvovirus B19 infection by fibrin sealant used during surgery. Br J Haematol. 2000; 108: 194–195. 23. Schneider B, Becker M, Brackmann HH and Eis-Hübinger AM. Contamination of coagulation factor concentrates with human parvovirus B19 genotype 1 and 2. Thromb Haemost. 2004; 92: 838–845. 24. Wu CG, Mason B, Jong J, Erdman D, McKernan L, Oakly M, Soucie M, Evatt B and Yu MY. Parvovirus B19 transmisson by a high-purity factor VIII concentrate. Transfusion. 2005; 45: 1003–1010. 25. Fryer JF, Hubbard AR and Baylis SA. Human parvovirus PARV4 in clotting VIII concentrates. Vox Sang. 2007; 341–347. 26. Schneider B, Fryer JF, Oldenburg J, Brackmann HH, Baylis SA, EisHübinger AM. Frequency of contamination of coagulation factor concentrates with novel human parvovirus PARV4. Haemophilia. 2008; Epup ahead of print. DOI: 10.1111/j. 1365–2516. 2008. 01800.x 27. Jutzi M. Haemovigilance Jahresbericht 2005 und 2006. 2007 Swissmedic. www.Swissmedic.ch/haemo.asp 28. Jutzi M. Haemovigilance Jahresbericht 2007. 2008 Swissmedic. www.Swissmedic.ch/haemo.asp