11 Jahre nationales Referenzzentrum für Infektionen durch Blut und

Werbung
Übertragbare Krankheiten
11 Jahre nationales Referenzzentrum für Infektionen
durch Blut und Blutprodukte
Das Nationale Referenzzentrum für Infek-
Bulletin 10
8. März 2010
tionen durch Blut und Blutprodukte (NRZ) erfüllt eine
Reihe von wichtigen Aufgaben, welche es unter anderem ermöglichen, dass die Restrisiken für die transfusionsbedingte Übertragung von Humanem Immundefizienz-Virus (HIV), Hepatitis-C-Virus (HCV) und HepatitisB-Virus (HBV) so umfassend wie möglich epidemiologisch beschrieben werden können. Dieser Artikel
beschreibt kurz die Geschichte und Arbeitsweise des
Referenzzentrums und gibt eine Zusammenfassung
der wichtigsten epidemiologischen Trends der letzten
13 Jahre. Die theoretisch berechneten Restrisiken für
transfusionsbedingte Übertragungen betragen heute
noch ungefähr 1 mögliche Transfusion pro 2,3 Millionen
Spenden. Bei HBV ist das Restrisiko zurzeit noch bedeutend höher, soll aber bald durch verbessertes Screening
im Labor weiter verbessert werden.
336
AUFGABEN DES
REFERENZZENTRUMS
Um über eine zuverlässige Überwachung von Infektionen durch Blut
und Blutprodukte zu verfügen, erfüllt das NRZ für Infektionen durch
Blut und Blutprodukte folgende Aufgaben: i) die Häufigkeit von transfusionsbedingten Infektionen feststellen, ii) das Erheben und die Berechnungen von jährlichen Statistiken zu den Fragestellungen wie
Prävalenzen, Inzidenzen und Restrisikoberechnungen der Infektionen
durch HIV, HBV und HCV, iii) im
Falle von neu auftretenden Infektionen bei Spendern und/oder Empfängern von Blutprodukten sind
detaillierte Abklärungen vom Typ
«Lookback» zu initiieren, zu leiten
und durchzuführen, iv) das Führen
einer speziellen Serothek für Retrospektivstudien, v) die Organisation
und Durchführung einer externen
Qualitätskontrolle der Infektionsmarker HIV-1, HBV, HCV und Treponema pallidum für das Spendenscreening sowie vi) spezielle Aufträge und Mandate im Bereich der
Laboruntersuchungen.
Das NRZ legt dem BAG jährlich
einen Bericht über die durchgeführten Tätigkeiten vor. Die Datengrundlage für diesen Bericht wird
dem NRZ von der Dachorganisation
des schweizerischen Blutspendedienstes, Schweizerisches Rotes
Kreuz (BSD SRK), und von den
13 regionalen Blutspendediensten
zur Verfügung gestellt.
Die Gesetzgebung, welche sich
hauptsächlich auf die Sicherheit der
Produkte zum Schutz von Empfängern konzentriert, schreibt vor, dass
die notwendigen Vorkehrungen zu
treffen sind, wenn bei einem Spender oder Empfänger eine durch Blut
übertragbare Infektion festgestellt
wird. Hat man nun den Verdacht,
dass ein Blutprodukt die Ursache
für eine Infektionskrankheit eines
Empfängers sei, muss eine sorgfältige Abklärung bei Spendern und
Empfängern (sogenannte LookbackAbklärung) vorgenommen werden.
Diese Lookback-Abklärungen werden von der Meldestelle durchgeführt, welche die entsprechenden
Daten sammelt, zusammenstellt und
auswertet. Dem BAG wird zwei Mal
pro Jahr ein Bericht zu diesen Lookback-Abklärungen zur Verfügung gestellt.
Das Referenzlabor hat bis 2002
für den BSD SRK Schweiz neu auf
den Markt kommende Tests für die
Infektionsmarker HIV, HCV und HBV
begutachtet und für die Routinetestung im Blutspendenscreening frei-
gegeben. Diese Praxis hat sich mit
der Einführung der IVD-Norm im
Jahre 2002 geändert. Mit der Inkraftsetzung des Heilmittelgesetzes wurde auch die CE-Markierung
von Testverfahren für die Schweiz
akzeptiert. Grundsätzlich können
heute Screeningassays zugelassen
werden, welche eine CE-Markierung tragen und die zusätzlichen
Anforderungen für das Screening
von Blutprodukten erfüllen (BAG
Bulletin Nr. 10, 1997).
RECHTLICHE GRUNDLAGE
Der Bericht Voyame «Blut und Aids»
aus dem Jahr 1994 hatte im kantonalen Vollzug bezüglich des Blutspendedienstes Mängel festgestellt
(Arbeitsgruppe Blut und Aids) [1].
Dieser Bericht kam unter anderem
zum Schluss, dass das schweizerische Blutspendewesen reorganisiert und die Kontrolle einer einzigen Behörde zugeteilt werden
sollte. Bis anhin waren grundsätzlich die Kantone zuständig. Eine
Ausnahme bildete schon damals
die Kontrolle der Impfstoffe, die
vom Bundesamt für Gesundheit
(BAG) vollzogen wurde. Im Jahr
1996 wurde die Kontrolle von Blut
und Blutprodukten aufgrund eines
Bundesbeschlusses neu national
geregelt und diese Aufgabe an den
Bund delegiert [2]. In Ergänzung zu
den Kontrolltätigkeiten wurde es
sowohl von den nationalen Behörden (BAG) als auch vom Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) als nötig erachtet, das Auftreten von Infektionen
durch Blut und Blutprodukte national zu erfassen. Die Vollzugsbehörde sollte grundsätzlich das BAG
sein. Zu diesem Zweck wurde ein
nationales Referenzzentrum (NRZ)
für Infektionen durch Blut und
Blutprodukte geschaffen. Auf den
1. September 1997 wurde das Zentrallaboratorium des Schweizerischen
Roten Kreuzes (ZLB) damit beauftragt, das nationale Referenzzentrum für Infektionen durch Blut und
Blutprodukte zu führen.
Die Schaffung dieses nationalen
Referenzzentrums ergänzte die
Massnahmen, die aufgrund der Blutkontrollverordnung vorgeschrieben
waren. Dadurch konnten die epidemiologische Überwachung und die
Qualitätskontrolle verstärkt sowie
die Lookback-Abklärungen festgelegt werden.
Mit dem Verkauf des ZLB an den
australischen Plasmafraktionierer
CSL sowie der Reorganisation, Abspaltung und Gründung des Blutspendedienstes Bern ging diese
Referenztätigkeit im Jahr 2000 an
den Blutspendedienst Bern (BSD)
über. Gleichzeitig mit der Tätigkeit
für das nationale Referenzzentrum
werden diejenigen des Referenzlabors Infektionsmarker des Blutspendedienstes des SRK vom BSD
Bern wahrgenommen.
Mit der Inkraftsetzung des Heilmittelgesetzes auf den 1. Januar
2002 wurde die Verantwortung und
Aufsicht über das Blutspendewesen zum grössten Teil vom BAG an
Swissmedic übertragen. Der Aufgabenbereich von Swissmedic bezüglich Blutspendewesen umfasst Gebiete wie die Betriebsbewilligung,
Inspektionen und die Hämovigilanz.
Für die Überwachung und Beurteilung der epidemiologischen Daten
des Blutspendewesens blieb nach
wie vor das BAG zuständig.
(nicht transfundiert, transfundiert,
Spende vernichtet etc.). Wenn
möglich werden weitergehende Informationen zum Status der/des
Empfänger/s eingeholt (verstorben,
lebend, nicht infiziert, infiziert, nicht
mehr kontaktierbar, verweigert Kontakt etc.) und, falls vorhanden, ebenfalls Probenmaterial untersucht. Es
erfolgt eine jährliche statistische Zusammenstellung der Resultate dieser Abklärungen.
Beim patientenbezogenen Lookback-Verfahren (PLB) wird die Möglichkeit der Übertragung eines infektiösen Agens durch Blutprodukte bei einem Patienten abgeklärt, der in Folge einer Transfusion
eine Infektionskrankheit entwickelt
hat. Dazu gehört die Suche nach
den implizierten Spendern und die
Abklärung der Möglichkeit, ob die
involvierten Blutprodukte zur Infektion des Empfängers geführt
haben. Existieren von den involvierten Spendern keine nachfolgenden
Spenden mit bekannten Untersuchungsresultaten, sind mögliche
Massnahmen der Zugriff auf Serothekproben oder allenfalls das Aufbieten des Spenders zu einer Nachuntersuchung.
METHODIK
Hat man den Verdacht, eine Transfusion sei die Ursache für eine Infektionskrankheit, muss eine sorgfältige Abklärung bei Spendern und
Empfängern vorgenommen werden.
Spenderbezogene und patientenbezogene Lookback-Verfahren haben zum Ziel, allenfalls mögliche
transfusionsbedingte Infektionen
aufzuklären. Diese Daten liefern
zusätzlich einen wichtigen Beitrag
zum Überblick der epidemiologischen Situation von HIV, HCV und
HBV im Blutspendewesen.
Definitionen
Das spenderbezogene LookbackVerfahren (SLB) zielt darauf ab, den
biologischen Status und die Verwendung einer oder mehrerer früherer Spende/n zu überprüfen, die
von einem serokonvertierten Spender stammen und die trotz negativen Ergebnissen des Suchtests infektiös sein könnten. Dazu werden
Proben des Spenders aus der Serothek untersucht und abgeklärt, wie
und wann die Produkte der jeweiligen Spenden verwendet wurden
Testung/Screening
der Blutspenden
Bei jeder Spende muss das Blut des
Spenders mit CE-konformen, dem
neuesten wissenschaftlichen Stand
entsprechenden hochsensitiven Assays auf die 3 Marker der für das
Blutspendewesen wichtigsten Virusinfektionen HIV, HCV und HBV
untersucht werden. In der Schweiz
sind momentan von behördlicher
Seite her (Swissmedic) die folgenden infektiologischen Testmarker
an allen Blutspenden durchzuführen: anti-HIV 1/2, anti-HCV, HBsAg,
anti-Treponema pallidum und die
Alaninaminotransferase (ALAT) (Verordnung über die Bewilligung im
Arzneimittelbereich, AMBV Nr. 812.
212.1).
Die Nucleic-Acid-Technik (NAT) für
den Nachweis des Hepatitis-C-Virus
in Blutspenden wurde in verschiedenen europäischen Ländern zwischen 1998 und 2001 eingeführt. In
einigen Ländern geschah dies vorerst auf freiwilliger Basis, wurde
dann aber zum Teil später von den
entsprechenden Behörden als obligatorisch erklärt. In der Schweiz
wurde die NAT für das Hepatitis-CVirus ab dem 1. September 1999
als obligatorisch angeordnet. Die
HIV-1-NAT wurde im März 2002
durch den BSD SRK Schweiz eingeführt und im September 2004 auch
von behördlicher Seite her (Swissmedic) auf Verordnungsstufe als
Obligatorium verankert (AMBV, Artikel 18). Minimal müssen hier die behördlich vorgeschriebenen Nachweisgrenzen von 5000 IU/ml (entspricht 31 500 Kopien/ml) für HCV,
resp. 10 000 IU/ml (entspricht 5600
Kopien/ml) für HIV-1 in der Einzelspende erreicht werden. Bis vor
knapp zwei Jahren wurden die NATUntersuchungen in der Regel in
Minipools bestehend aus 24 bis 96
Spenden durchgeführt. Der Grund
dafür war, dass die in der Routine
eingesetzten molekularen Testverfahren sehr empfindlich waren und
die Testung an Einzelspenden zum
Zeitpunkt der Einführung der NATTestung im Blutspendewesen noch
nicht routinetauglich und zahlbar
war. Seit knapp zwei Jahren sind
zwei kommerzielle NAT-Systeme
auf dem Markt, welche es erlauben,
die Untersuchungen im Einzelspendenformat oder in kleinen Minipools
durchzuführen. Dadurch kann gerade auch beim Hepatitis-B-Virus
eine Erhöhung der Sicherheit der
Blutprodukte erreicht werden.
8. März 2010
Krankheiten
ERGEBNISSE
VIREN
Daten
Die Anzahl der entnommenen Blutspenden ist im letzten Jahrzehnt
schweizweit um gut 35% von
572 504 im Jahr 1996 auf 361 387
im Jahr 2006 zurückgegangen. In
den Jahren 2007 und 2008 hat die
Anzahl der Entnahmen wieder leicht
zugenommen. Die bestätigt positiven Spenden haben im gleichen
Zeitraum mehr oder weniger parallel zu den Entnahmen ebenfalls abgenommen (Tabelle 1).
Die Daten der Tabelle 1 bilden
die Grundlagen für die Berechnung
der Prävalenzen bezüglich HIV, HBV
und HCV bei Neuspendern und für
diejenige der Inzidenzen bei Mehrfachspendern.
Obwohl der Fragebogen und die
Informationen bezüglich eines Risikoverhaltens und der für das Blut-
Bulletin 10
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
337
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
Krankheiten
Tabelle 1a
Anzahl geleistete Spenden in den Jahren 1996 bis 2008. Im gleichen Zeitraum als konfirmiert positiv gefundene HIV-, HCVund HBV-Spender. Prävalenzen pro 100 000 Neuspender (in Klammer)
1996
MS
ES
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
532 441 481 963 454 232 422 145 423 149 400 401 391 060 395 379 375 608 345 769 340 089 341 441 344 389
40 063
39 370
26 793
31 005
29 149
31 577
41 772
19 172
20 436
20 059
21 298
26 077
30 705
HIV MS 9
4
3
1
1
6
1
2
5
2
3
4
1
HIV ES
2 (5,1)
0 (0*)
4 (12,9)
3 (10,3)
1 (3,2)
1 (2,4)
3 (15,6)
0 (0*)
2 (10,0)
3 (14,1)
1(3,8)
3 (9,8)
8
8
19
8
1
2
4 (10,0)
HCV MS 54
3
6
1
2
5
0
HCV ES 65 (162,3) 61 (154,9) 25 (93,3)
33 (106,4) 33 (113,2) 22 (69,7)
14 (33,5)
30 (156,5) 17 (83,2)
18 (84,8)
13 (61,0)
19 (72,9)
24 (78,2)
HBV MS 21
7
3
5
4
2
4
8
10
4
9
7
HBV ES 66 (164,7) 70 (177,8) 34 (126,9) 34 (109,7) 32 (109,8) 34 (107,7) 36 (86,2)
4
43 (224,3) 42 (205,5) 29 (144,6) 35 (164,3) 28 (107,4) 39 (127,0)
MS: Mehrfachspender; ES: Erstspender
* keine positiven Neuspender in diesem Jahr entdeckt
8. März 2010
Tabelle 1b
Zusammenfassung Inzidenzraten pro 100 000 Personenjahre für HIV, HCV, HBV und Lues, 1996–2008
HCV-Inzidenz/100 000
HIV-Inzidenz/100 000
HBV-Inzidenz/100 000
Lues-Inzidenz/100 000
1996
16,75
2,79
15,49
12,09
1997
2,62
1,31
7,78
7,21
1998
2,88
1,08
3,43
9
1999
7,4
0,39
6,50
2,34
1997
1998
1999
2000
HCV-Inzidenz/100 000
Bulletin 10
2001
0,44
2,66
7,40
0,84
2002
1,35
0,45
3,21
0,45
2003
2,68
0,9
5,33
6,27
2004
0,94
2,36
4,5
9,44
2005
0,51
1,02
4,88
5,64
2006
1,04
1,56
2,48
5,73
2007
2,51
2,01
4,78
2,01
2008
0
0,49
9,28
2,44
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
1996
338
2000
3,3
0,4
8,71
0
spendewesen möglichen Risiken in
den letzten Jahren nochmals erweitert und ausgebaut worden sind,
gibt es auch unter den Mehrfachspendern immer noch neu entdeckte Fälle. Diese haben in den
letzten Jahren abgenommen, sind
aber auf einem relativ tiefen Niveau
stehen geblieben. Die Gründe für
diesen Sachverhalt sind nicht ersichtlich. Eventuell spielt die Tatsache eine Rolle, dass die von den
Spendern erworbenen Infektionen
asymptomatisch verlaufen. Eine
weitere mögliche Erklärung könnte
auch sein, dass nicht alle Fragebogen wahrheitsgetreu ausgefüllt werden.
2001
2002
HIV-Inzidenz/100 000
2003
2004
HBV-Inzidenz/100 000
2005
2006
2007
2008
Lues-Inzidenz/100 000
Heute noch vorhandene
Infektionsrisiken
Unter den bekannten transfusionsassoziierten Risiken wurde in der
Vergangenheit die Übertragung von
pathogenen Viren als eines der
grössten Risiken einer Transfusion
angesehen. In den letzten 20 Jahren
wurden aus diesem Grund grosse
Anstrengungen unternommen, dieses Risiko zu minimieren und aus infektiologischer Sichtweise möglichst
sichere Blutprodukte zu produzieren.
Aufgrund der Einführung von immer
neueren Generationen von serologischen Testsystemen und der Einführung der NAT konnte diese hohe
Sicherheit erreicht werden.
In der Abbildung 1 sind die diagnostischen Fenster von HIV, HCV
und HBV dargestellt. Als diagnostisches Fenster bezeichnet man die
Phase nach der Infektion, während
der die Infektion labortechnisch
noch nicht nachgewiesen werden
kann. Die diagnostischen Fenster
für diese drei Viren haben sich im
letzten Jahrzehnt durch den Einsatz
von immer empfindlicheren serologischen Tests und die zusätzliche
Testung mit molekularbiologischen
Methoden (NAT) kontinuierlich verkürzt. Die Frage bleibt, ob Individuen, welche ganz kurz nach einer
Infektion getestet werden und deren Viruslast im Blut daher sehr tief
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
Krankheiten
Abbildung 1
Diagnostische Fenster für HIV, HCV und HBV.
Serologische 3.-Generations-HIV-Tests erkennen eine Infektion nach durchschnittlich 21 Tagen, HIV-Ag/Ab-Kombinationstests
ca. nach 16 bis 18 Tagen, HIV-1-NAT in Minipools nach 11 bis 15 Tagen (abhängig von Minipoolgrösse und Ausgangsvolumen)
und Einzel-NAT-Tests nach ca. 6 Tagen. Serologische HCV-Tests (anti-HCV) erkennen eine HCV-Infektion durchschnittlich nach
65 Tagen, HCV-NAT in Minipools, abhängig von Minipoolgrösse und Ausgangsvolumen, zwischen 20 und 23 Tagen, EinzelNAT nach einigen wenigen Tagen. Die wahrscheinliche HBV-Nachweisgrenze der Einzel-NAT für HBV liegt bei ca. 24 Tagen.
Mit empfindlichen HBsAg-Tests werden infizierte Individuen durchschnittlich nach 38 Tagen erfasst. Chronisch infizierte HBV«Ausscheider» werden aber oftmals auch mit empfindlichen HBsAg-Assays verpasst und können im besten Fall nur mit EinzelNAT entdeckt werden. Zusammenfassend: Mit der Einzel-NAT-Testung der Viren HIV und HCV scheint es möglich zu sein, alle
theoretisch potenziell infektiösen Spenden zu finden. Bei HBV scheint dies auch mit der Einzel-NAT nicht möglich zu sein.
Infektion
Viruslast
geq/ml
10
Tag 6
Tag 15
Verdoppelungszeiten
Tag 21
6
10 3
HIV-RNA HIV-Ag
17,8 h
Anti-HIV
Tag 3
Tag 65
10 6
10 3
AntiHCV 10,8 h
HCV-RNA
Tag 8
Tag 24
Tag 38
HBV-DNA
Tage 0
5
unterhalb
Infektiositätsniveau?
10
15
20
25
30
35
2,5 d
HBsAg
40
45
50
55
60
65
70
Infektiös
ist, überhaupt infektiös sind. Diese
Fragestellung der Infektiosität von
tief virämischen Spenden steht
heute im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Fokus.
Mit den aktuell in der Schweiz
eingesetzten serologischen Nachweisverfahren liegen die durchschnittlichen diagnostischen Fenster für HIV, HCV und HBV bei 22, 66
resp. 59 Tagen. Mit der Einführung
der NAT im Minipoolformat konnten
diese bei HIV-1 und HCV auf durchschnittlich 11 respektive 21 Tage
vermindert werden. Mit der Einführung einer allfällig hochsensitiven
Einzelspendentestung könnte nochmals eine Verkürzung auf 3 respektive 6 Tage erreicht werden.
Die in den Industrienationen hergestellten Blutprodukte sind heute
im Hinblick auf virale Erreger sehr
sicher [3]. Die Zahl der möglichen
Übertragungen und damit der
mögliche Nutzen der NAT kann an-
hand statistischer Schätzungen auf
der Basis epidemiologischer Daten,
der Berücksichtigung der mittleren
Dauer des noch vorhandenen
diagnostischen Fensters, Verdoppelungszeiten der einzelnen Viren und
der Anzahl Fälle bei Mehrfachspenden geschätzt werden.
Die für die Schweiz theoretisch
berechneten Restrisiken sind vergleichbar mit Daten aus dem europäischen Umfeld, den USA, Japan
und Australien [3–7]. Die für die
Jahre 2005–2008 durchschnittlich
berechneten Restrisiken für HIV,
HCV und HBV liegen bei 1:2 700 000,
1:2 000 000 und 1:130 000 Spenden
(Abbildung 2). Da in der Schweiz
jährlich ca. 0,35 Millionen labile
Blutprodukte verabreicht werden,
könnte theoretisch gesehen etwa
noch alle 5–7 Jahre eine transfusionsbedingte HCV resp. HIV-1-Übertragung stattfinden.
Wie aus diesen Zahlen unschwer
zu erkennen ist, liegt das theoretisch berechnete Restrisiko für das
Hepatitis-B-Virus deutlich höher als
für HIV und HCV. Momentan ist in
der Schweiz für das Screening auf
das Hepatitis-B-Virus von behördlicher Seite aus nur die HBsAg-Testung vorgeschrieben. Diskussionen
bezüglich der Einführung zusätzlicher Marker für das Screening von
HBV sind heute in Europa ein aktuelles Thema. Um das Restrisiko
von HBV zu senken, könnte man die
Spenden zusätzlich mit anti-HBc
oder HBV-NAT oder beiden Markern
testen. Damit diese Fragestellung
in der Schweiz geklärt werden kann,
sind die vorliegenden epidemiologischen Verhältnisse erst einmal
zu klären. Verschiedene grössere
und kleinere Studien bezüglich der
anti-HBc-Situation in der Schweizer
Spenderpopulation wurden im Jahre
2006 durchgeführt ([8, 9] C. Steine-
Bulletin 10
10 3
8. März 2010
10 6
339
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
Krankheiten
Abbildung 2
Reduktion der theoretischen Restrisiken von HIV, HCV und HBV pro Million Spenden für die Jahre 1996 bis 2008. Die Berechnungen des Restrisikos wurden überlappend immer für 3 Jahre durchgeführt. Mögliche Übertragungen pro Millionen
Spenden
16
14
12
10
8
6
4
2
0
96–98
97–99
98–00
99–01
00–02
Bulletin 10
8. März 2010
HIV
340
mann persönliche Mitteilung). Aktuell sind auch bezüglich HBV- und
NAT-Technologie in der Schweiz
zwei Studien am laufen. Bis Februar
2009 wurden insgesamt gegen
400 000 Spenden mit der neuen
NAT-Technologie (Einzelspendentestung oder Minipools von 6 Spenden) getestet. Insgesamt wurden
dabei 8 Spenden entdeckt, welche
HBsAg-negativ aber HBV-DNA-positiv waren.
Der Kosten-Nutzen-Frage muss
neben der klinisch epidemiologischen Fragestellung aber mindestens gleich viel Gewicht beigemessen werden. Die Antwort auf die
Frage, ob und falls ja wie viele
Spender aufgrund von neu eingeführten Parametern ausgeschlossen werden müssten, muss geklärt
werden. Der Blutspendedienst kann
es sich nicht leisten, Spender aufgrund von falsch reaktiven Resultaten auszuschliessen, da sonst unter
Umständen die Versorgung mit
Blutprodukten in der Schweiz gefährdet werden könnte. Die zusätzlichen Kosten, welche aufgrund von
neuen Tests entstehen, müssen
ebenfalls in Betracht gezogen werden. In der heutigen, im Gesundheitswesen finanziell angespannten
Zeit muss die Einführung neuer
01–03
HCV
02–04
03–05
04–06
05–07
06–08
HBV
oder zusätzlicher Tests auch einen
entsprechend hohen Nutzen, d.h.
eine klare Verbesserung der Sicherheit der Blutprodukte, bewirken.
Obwohl heute das theoretisch berechnete Restrisiko sehr tief ist,
wird aber auch mit diesen Techniken aus verschiedenen Gründen
nie eine 100-prozentige Sicherheit
erreicht. Menschliche Fehler wie
Verwechslungen, unbemerkte Ausfälle bei der Testung etc. oder andere Faktoren wie seltene Virusvarianten, atypische Antikörperbildungen stellen heute wahrscheinlich
ein grösseres Risiko dar als das
Risiko der noch vorhandenen kleinen diagnostischen Fenster, während deren eine transfusionsbedingte Übertragung noch möglich
wäre.
Lookback-Verfahren und tatsächlich in der Fensterphase
gefundene positive Spenden
Um die Plausibilität dieser theoretischen Restrisikoberechnungen überprüfen zu können, ist es unerlässlich, diese mit den tatsächlich gefundenen positiven Spenden in der
Fensterphase, wie auch mit den
sich tatsächlich ereigneten transfusionsbedingten Infektionen, zu vergleichen. Es ist davon auszugehen,
dass gerade bei den Hepatitiden
ein gewisses Underreporting vorkommt, vorwiegend aufgrund von
asymptomatischen Verläufen oder
aber der Tatsache, dass nicht genügend schützende Antikörper vorhanden sind. Einige wenige Fälle
von transfusionsbedingten Infektionen wurden trotz Vorhandensein
von anti-HBs-Antikörpern beschrieben [10, 11, 12, 13].
In der Schweiz wurden seit der
Einführung der HCV-NAT im Juli
1999 bis und mit Ende 2008 ca.
4,5 Millionen Spenden getestet und
dabei 2 HCV-NAT-positive, serologisch negative Spenden entdeckt.
Bei einer dieser HCV-NAT-positiven
Spenden war die ALAT mit 88 IU/ml
über dem damaligen Grenzwert für
die Freigabe der Blutprodukte [14].
Für das HI-Virus wurde seit der Einführung der HIV-1-NAT im März
2003 (ca. 2,4 Millionen Spenden
gestestet) keine HIV-1-NAT-positive,
serologisch negative Spende gefunden. Es liegen vergleichbare Daten
aus dem europäischen Umfeld vor.
Stand Ende 2003: Ungefähr 58 Millionen Spenden wurden mit der
HCV-NAT getestet, darunter wurden 54 HCV-NAT-positive, serologisch negative Spenden entdeckt.
Bei 35 Millionen HIV-NAT-geteste-
Krankheiten
ten Spenden wurden 13 HIV-NATpositive, aber serologisch negative
Spenden gefunden [4]. Der grösste
Teil dieser Spenden wurde im Minipoolverfahren untersucht. Daher
kann davon ausgegangen werden,
dass wahrscheinlich NAT-Einzelspendentestung noch einige zusätzliche Fälle entdeckt hätte.
Ein weiterer Punkt, welcher in
die Gesamtsichtweise dieser Fragestellung einzubeziehen ist, sind die
SLB und PLB. Die Anzahl von SLBMeldungen verharren für die beiden
Viren HIV und HBV seit Beginn
dieser Verfahren im Jahr 1997 im
Durchschnitt auf einem sehr tiefen
Niveau (Abbildung 3). Im Vergleich
dazu sind die Meldungen betreffend Hepatitis C erst ab dem Jahr
2000 auf ein ebenfalls sehr tiefes
Niveau gesunken.
Bei diesen durchgeführten SLB
konnten nur zwei transfusionsbedingte Infektionen festgestellt werden. Insgesamt wurde in diesen 10
Jahren nur je eine Fensterspende
für das Hepatitis-C-Virus und eine
für das Hepatitis-B-Virus gefunden,
welche zu einer transfusionsbedingten Infektion beim Empfänger
führten.
Analog den SLB war auch die Anzahl PLB-Meldungen für die beiden
Viren HIV und HBV über die letzten
10 Jahre hinweg auf einem sehr tie-
fen Niveau. Für HCV ist die Anzahl
PLB seit dem Jahr 1998 kontinuierlich gesunken und im Jahr 2007 auf
einem vergleichbaren Niveau wie
für HIV und HBV angelangt (Abbildung 4).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Sicherheit
der labilen Blutprodukte in Bezug
auf die drei Viren HIV, HCV und HBV
heute auf einem sehr hohen Niveau
ist. Mit der Einführung der NAT-Testung ist das Risiko einer transfusionsbedingten HIV- oder HCV-Infektion sicher nochmals kleiner geworden. Seit der Implementierung
der NAT-Technologie ist in Europa
nur noch von vier Fällen, je drei HIV
resp. einer HCV-Übertragung berichtet worden. Weltweit ist seit der
Einführung der NAT-Technologie bis
heute von acht HIV- respektive sieben HCV-NAT «Durchbruch» transfusionsbedingten Infektionen berichtet worden [15].
Trotz all diesen Verbesserungen
muss auch in Zukunft den «alten»
Viren, welche ständig neuen Mutationen unterworfen sind, wie auch
neuen oder wieder aufkommenden
pathogenen Mikroorganismen eine
sehr grosse Aufmerksamkeit geschenkt werden, damit wir nicht
wieder von einer globalen Katastrophe wie Anfang der 80er-Jahre mit
HIV heimgesucht werden. An die-
ser Stelle muss erwähnt werden,
dass trotz allen eingeführten technischen und organisatorischen Sicherheitsmassnahmen eine sorgfältige Spender/innen-Selektion absolut unabdingbar ist, damit Personen
mit Risikoverhalten oder bekannter
Exposition zu relevanten Infektionserregern a priori von der Spende
ausgeschlossen werden.
Damit die Restrisiken der heute
getesteten viralen Erreger auf diesem tiefen Niveau bleiben, sind die
Diagnostikahersteller, die Behörden
und auch die Anwender der Tests
aufgefordert, die Entwicklungen bezüglich Mutanten, neuer Subtypen
und prozentualem Anteil von Subtypen in Europa aufmerksam im Auge
zu behalten und gegebenenfalls
auch schnell und effizient zu agieren.
Zusätzliche Massnahmen
Wie oben dargestellt, waren bisher
HIV, HCV und HBV ganz klar im Mittelpunkt des Interesses, da potenzielle Übertragungen dieser drei Viren das grösste medizinische Risiko
darstellen. Es gibt aber noch eine
Anzahl anderer Viren, welche für
bestimmte Gruppen von Empfängern ebenfalls zu lebensbedrohlichen Zuständen führen können.
Hierbei handelt es sich um zellständige Viren, wie z. B. das Cytomega-
8. März 2010
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
Bulletin 10
Abbildung 3
Anzahl Meldungen spendenbezogener Lookback-Verfahren (SLB) pro Jahr 1997–2008
30
25
20
15
10
5
0
1997
1998
1999
2000
2001
HIV
2002
2003
HBV
2004
2005
2006
2007
2008
HCV
341
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
Krankheiten
Abbildung 4
Anzahl Meldungen patientenbezogener Lookback-Verfahren (PLB) pro Jahr 1997–2008
60
50
40
30
20
10
0
1997
1998
1999
2000
2001
Bulletin 10
8. März 2010
HIV
342
lievirus (CMV), das Epstein-Barr-Virus (EBV), das humane Herpesvirus
8 (HHV 8) sowie das humane T-ZellLeukämie-Virus (HTLV I/II).
Die Leukozytendepletion ist ein
Verfahren, welches heute während
der Verarbeitung der Blutprodukte
eingesetzt wird. Dieses Verfahren
kann neben anderen unerwünschten Transfusionsreaktionen, wie febrilen nicht hämolytischen Transfusionsreaktionen, Alloimmunisierungen gegen HLA-Antigene, Graftversus-Host-Erkrankungen oder der
Beeinflussung von immunologischen
Funktionen beim Empfänger, auch
in Leukozyten vorkommende Mikroorganismen wie Yersinien, HTLV
I/II, CMV, EBV und HHV 8 reduzieren. Mithilfe der am 1. Juli 1999 in
der Schweiz obligatorisch eingeführten Leukozytendepletion werden die Wirtszellen der oben genannten Viren während der Verarbeitung des Vollblutes ungefähr um
einen Faktor 100 000 reduziert.
Das CMV, welches in der Bevölkerung häufig vorkommt, aber üblicherweise keine beeinträchtigende
Erkrankung verursacht, kann bei
stark immungeschwächten Patienten oder bei Neugeborenen zu
schwerwiegenden transfusionsbedingten Erkrankungen führen. Da
die medizinische Relevanz für ein
generelles Screening nicht gegeben
2002
2003
HBV
2004
2005
2006
2007
2008
HCV
ist, wird für solche Patienten ausschliesslich Blut von ausgesuchten
und getesteten Spendern verwendet. Heute ist man überwiegend
der Meinung, dass mit der Einführung der generellen Deleukozytierung von Blutprodukten das Übertragungsrisiko einer CMV praktisch
genauso tief ist, wie wenn man
CMV-seronegative Spenden für die
Transfusion verwendet. Ein anderes
Beispiel ist das HTLV I/II, das hierzulande extrem selten auftritt. Daten einer Studie zeigten, dass bei
1,2 Millionen Blutspenden aus der
Schweiz keine HTLV-positive Spende
entdeckt wurde. Daher erscheint
bei diesem Virus eine systematische Testung bisher nicht gerechtfertigt [16]. Allerdings kommt dieses
Virus z. B. in der Karibik oder Asien
wesentlich häufiger vor, sodass die
Zahl der infizierten Personen angesichts des modernen Massentourismus in Zukunft erheblich ansteigen
und auch in der Schweiz dazu führen könnte, dass in Zukunft die Blutspenden routinemässig auf HTLV
I/II untersucht werden.
Die oben erwähnten Massnahmen werden vor allem für die Sicherheit von labilen Blutprodukten
wie Erythrozytenkonzentraten und
Thrombozytenkonzentraten eingesetzt. Diese «kurzlebigen» Blutprodukte, die von einem oder einigen
wenigen Spendern stammen, werden in der Regel einem einzigen
Patienten verabreicht. Die stabilen
Blutprodukte (fraktionierte Proteine
wie Albumin, Immunglobuline etc.),
welche von der Plasma verarbeitenden Industrie aus dem Blut gewonnen werden, werden in grossen
Mengen aus Tausenden von Blutspenden gepoolt. Hier ist natürlich
das Risiko, dass eine kontaminierte
Spende sehr viele Empfänger treffen kann, theoretisch wesentlich
grösser.
Das Hepatitits-A-Virus (HAV) und
das Parvovirus B19 sind Viren, welche bei stabilen Blutprodukten eine
wichtige Rolle spielen, aber nicht zu
den klassischen transfusionsrelevanten Viren zählen. Diese beiden
Viren haben vor allem für die Plasma
verarbeitende Industrie eine grosse
Bedeutung als Kontaminanten von
Blutprodukten, die aus Plasmapools
hergestellt werden. Die Gefahr für
diese Produkte beruht bei diesen
Viren auf der hohen Inaktivierungsresistenz. Dadurch konnte es immer wieder zu Übertragungen dieser beiden Viren kommen, z.B. über
einzelne Chargen von Faktor-VIIIoder Faktor-IX-Konzentraten oder
andere stabile Blutprodukte, bei denen das Virus durch den Herstellungsprozess selbst nicht genügend
abgereichert oder eliminiert wurde
Krankheiten
BAKTERIEN
Blutprodukte können durch Bakterien kontaminiert sein und so zu
transfusionsbedingten Infektionen
führen. Das Risiko ist insbesondere
erhöht bei Thrombozytenkonzentraten aus dem einfachen Grund, dass
diese bei Raumtemperatur gelagert
werden müssen. Das Thrombozytenkonzentrat stellt natürlicherweise
auch ein ideales «Nährmedium» für
die Bakterien dar. Beim «predonation sampling» werden die ersten
30 ml der Blutspende in einen separaten Beutel abgezweigt. Dadurch
gelangen allfällig in der tiefen Hautschicht vorhandene Bakterien, welche durch die Desinfektion der Haut
nicht abgetötet worden sind, nicht
ins Blutprodukt. Das predonation
sampling ist seit dem Jahr 2002
in der Schweiz obligatorisch. Aufgrund dieser Massnahme konnte
das Risiko der bakteriellen Kontamination um gut 50% reduziert werden. Man geht davon aus, dass in
der Schweiz noch ca. 1 von 5000
Thrombozytenkonzentraten mit Bakterien kontaminiert ist. Mit grosser Wahrscheinlichkeit führen aber
lange nicht alle kontaminierten
Thrombozytenkonzentrate zu einer
Infektion beim Empfänger, da diese
oftmals schon präoperativ antibiotisch abgeschirmt werden. Es konnten in den Jahren 2005 bis 2007,
ausgehend von 3 Spenden, insgesamt 5 transfusionsbedingte bakterielle Übertragungen nachgewiesen
werden [27, 28].
Trotzdem stehen bei den transfusionsassoziierten Infektionen vor
allem die bakteriellen Infektionen im
Vordergrund. Mit welchen zusätzlichen Massnahmen, vor allem bei den
am häufigsten involvierten Thrombozytenkonzentraten, diese Vorkommnisse am wirkungsvollsten reduziert werden können, wird zurzeit
international diskutiert. Grundsätzlich
werden einerseits das bakterielle
Screening und andererseits die Anwendung von Pathogenreduktionsverfahren als mögliche Lösungsansätze betrachtet. Beide Ansätze haben sowohl Vor- als auch Nachteile.
PRIONEN
Für nicht nachweisbare oder auch
unbekannte Infektionserreger und
im Besonderen für Prionen, den Erreger der neue Variante der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (nvCJD), kann
durch eine Transfusion eine mögliche Übertragungskette entstehen.
Aus diesem Grund wurde ein Ausschluss von Blutspendern, die seit
1980 labile Blutprodukte (Erythrozytenkonzentrate, Thrombozyten und
Quarantäneplasma) oder eine Transplantation erhalten haben, durchgesetzt. Dieser Beschluss wurde von
Swissmedic, vom BAG und vom
BSD SRK gemeinsam gefällt. Die
Umsetzung erfolgte auf den 1. Oktober 2004.
Es handelt sich hierbei um eine
präventive Massnahme, die durch
die Notwendigkeit entstanden ist,
den Patienten die grösstmögliche
Sicherheit zu bieten. Sie basiert auf
der Verhinderung eines Risikos für
die Gemeinschaft und nicht darauf,
bei einem einzelnen Individuum das
Risiko zu vermindern. Dieser Beschluss ergänzt die schon eingeführten Massnahmen, wie den Ausschluss von Spendern, welche sich
zwischen 1980 und 1996 länger als
sechs Monate in Grossbritannien
aufgehalten haben, die eine Transplantation erhalten haben, mit Hormonen menschlichen Ursprungs
behandelt wurden, einen Eingriff
am Gehirn oder am Rückenmark
über sich ergehen lassen mussten
oder in deren Familie ein Blutsverwandter an CJD gestorben ist.
Seit einigen Jahren wird weltweit
daran gearbeitet, einen einfachen,
routinetauglichen Assay mit hoher
Sensitivität und Spezifität für den
Nachweis von Prionen im Blut von
Patienten und Spendern zu entwickeln. Es ist zurzeit nicht damit zu
rechnen, dass ein solcher Test bereits in den nächsten Jahren auf
den Markt kommt.
HÄMOVIGILANZ
Die Transfusionskette beginnt beim
ersten Informationsgespräch des
potenziellen Blutspenders mit einer
medizinisch ausgebildeten Fachperson und endet mit der Dokumentation des klinischen Zustandes des
Empfängers nach erfolgter Transfusion. Im Falle einer vermuteten unerwünschten Transfusionsreaktion
(TR) erfolgt eine entsprechende Abklärung: Dokumentenüberprüfung,
klinische Untersuchung, Laboranalytik und anschliessend eine Meldung aller relevanten Ergebnisse an
Swissmedic. Die gesammelten Daten dienen dann als Grundlage für
den von Swissmedic erstellten Hämovigilanzbericht [27, 28]. Dieser
Bericht stellt ein weiteres wichtiges
Instrument des Überwachungssystems dar und gibt auch wichtige Informationen zur Sicherheit von labilen Blutprodukten und über die Art
und Grössenordnung von Transfusionsrisiken. Seit dem ersten Erscheinen dieses Hämovigilanzberichtes im Jahre 2003 wurde von
keiner viralen transfusionsbedingten Infektion berichtet.
Von den bei Swissmedic eingegangenen Meldungen beziehen sich
1 bis 2% auf transfusionsbedingte
Infektionen. Hier ist aber festzuhalten, dass sich diese Meldungen
ausschliesslich auf vermutete Kontaminationen von Thrombozytenkonzentraten beziehen. In den meisten Fällen konnte aber das Trombozytenkonzentrat als tatsächliche Ursache ganz klar ausgeschlossen
werden [27].
8. März 2010
[17–26]. Aus diesem Grund werden
die Plasmapools, aus denen stabile
Blutprodukte hergestellt werden,
regelmässig von den Plasmafraktionierern mit der NAT auf HAV und
Parvovirus B19 getestet.
Auch in Zukunft werden wir sehr
aufmerksam bleiben müssen und
neue epidemiologische Tendenzen
von neuen oder schon bekannten
Erregern gut beobachten, um allenfalls gewappnet zu sein, wenn neue
potenzielle Bedrohungen auftauchen wie die Malaria, das DengueVirus, das West-Nile-Virus, das Chikungunya-Virus etc. Daher ist die
Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Spitälern, Behörden und der
Diagnostikindustrie von grosser Bedeutung.
Bulletin 10
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
WACHSAMKEIT
Trotz all den gemachten Fortschritten darf nicht vergessen werden,
dass die Globalisierung und die
hohe Mobilität der Menschen die
Sicherheit der Blutprodukte beeinträchtigen. Neue, bislang in Mitteleuropa unbekannte oder zumindest
343
왘 왘 왘 왘 왘 왘 Übertragbare
Krankheiten
medizinisch nicht relevante Erreger
werden durch den Tourismus, aber
auch durch die zunehmenden Migrationsbewegungen zu neuen Herausforderungen für die Blutspendedienste. Erreger wie das SARSCoronavirus, das West-Nile-Virus
(WNV), aber auch «alte Bekannte»
wie die Vogelgrippe oder eine neu
zu erwartende Influenzapandemie
sind Beispiele der letzten Zeit, die
zeigen, dass nur durch ständige
Wachsamkeit (Rückstellung von
Spendern bei Auslandaufenthalten
oder Krankheitszeichen, Weiterentwicklung von neuen diagnostischen
Methoden) das erreichte hohe Mass
an Sicherheit von Blutprodukten beibehalten werden kann.
Mitgeteilt von: Dr. Christoph
Niederhauser, Blutspendedienst SRK
Bern AG.
쐍
Bulletin 10
8. März 2010
Bundesamt für Gesundheit
Abteilung Übertragbare Krankheiten
Sektion Impfungen
Telefon 031 323 87 06
344
Literatur
1. Arbeitsgruppe «Blut und Aids»:
Zusammenfassung, SRK Zentralkomitee 1. Juni 1994: Strukturanpassung
BSD SRK.
2. Bundesbeschluss vom 22. März 1996
über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten. SR
818.111: AS 1996 2296. Evtl. noch
neuerer Beschluss vorhanden.
Transplantationsgesetz.
3. Glynn SA, Kleinman SH, Wright DJ
and Busch MP. For the NHLBI
Retrovirus Epidemiology Donor Study.
International application of the
incidence rate/window period model.
Transfusion. 2002; 42: 966–972.
4. Coste J, Reesink HW, Engelfriet CP,
Laperche S, Brown S, Busch MP,
Cuijpers HT, Elgin R, Ekermo B,
Epstein JS, Flesland O, Heier HE,
Henn G, Hernandez JM, Hewlett IK,
Hyland C, Keller AJ, Krusius T,
Levicnik-Stezina S, Levy G, Lin CK,
Margaritis AR, Muylle L, Niederhauser
C, Pastila S, Pillonel J, Pineau J, van
der Poel CL, Politis C, Roth WK,
Sauleda S, Seed CR, Sondag-Thull D,
Stramer SL, Strong M, Vamvakas EC,
Velati C, Vesga MA, Zanetti A. 2005.
International forum: Implementation
of donor screening for infectious
agents transmitted by blood by
nucleic acid technology: update to
2003. Vox Sang. 2005, 88: 289–298.
5. Niederhauser C, Schneider P, Fopp M,
Ruefer A and Lévy G. Incidence of
viral markers and evaluation of the
estimated risk in the Swiss blood
donor population from 1996 to 2003.
Eurosurveillance 2005; 10: 7–8.
6. Pillonel J, Laperche S, le groupe
«Agents transmissibles par transfusion»
de la Société française de transfusion
sanguine, L’Etablissement français du
sang et le Centre de transfusion
sanguine des armées. Risque résiduel
de transmission du VIH, du VHC et du
VHB par transfusion sanguine entre
1992 et 2002 en France et impact du
dépistage génomique viral. BEH.
2003; 48: 233–236.
7. Soldan K, Barbara JAJ, Ramsay ME
and Hall AJ. Estimation of the risk of
hepatitis B virus, hepatitis C virus and
human immunodeficiency virus
infectious donations entering the
blood supply in England, 1993–2001.
Vox Sang. 2003; 84: 274–286.
8. Niederhauser C, Graziani M, Stolz M,
Tinguely C, Mansouri Taleganhi B and
Schneider P. Blood donor screening:
how to decrease the risk of transfusion transmitted Hepatitis B Virus?
2008. Swiss Med Wkly. 138: 134–141.
9. Stebler C, Infanti L, Eiche B, Santoro
M, Rüfli T, Doepfner C and Rüsch M.
Prevalence of anti-HBc antibodies in
Swiss Blood Donors, a 4 month
survey at the Blood Transfusion
Center Basel. ISBT Congress 2006
Cape Town.
10. Hoofnagle JH, Seefe LB, Bales ZB.
and Zimmermann HJ. Type B hepatitis
after transfusion with blood containing
antibody to hepatitis B core antigen.
The New England Journal of Medicine
1978; 298: 1379–1383.
11. Thiers V, Nakajima E, Kremsdorf D,
Mack D, Schellekens H, Driss F,
Goudeau A, Wands J, Sninsky J,
Tiollais P. et al. Transmission of
hepatitis B from hepatits-B-seronegative subjects. Lancet 1988;
2: 1273–1276.
12. Loriot MA, Marcellin P, Bismuth E,
Martinot-Peignoux M, Boyer N,
Degott C, Erlinger S and Benhamou
JP. Demonstration of hepatitis B virus
DNA by polymerase chain reaction in
the serum and the liver after spontaneous or therapeutically induced
HBeAG to anti-HBe or HBsAg to antiHBs seroconversion in patients with
chronic hepatitis B. Hepatology 1992;
15: 32–36.
13. Elghouzzi MH, Courouce AM,
Magnius LO, Lunel F and Lapierre V.
Transmission of hepatitis B virus by
HBV-negative blood transfusion.
Lancet 1995; 346: 964.
14. Stolz M, Gilgen M and Niederhauser
C. 2003. HCV-PCR Minipool Testing –
3 Years in the Largest Swiss Blood
Transfusion Service. Vox Sanguinis.
84: 105–110.
15. Busch M. Blood Safety (IPFA/PEI 15th
Workshop on «Surveillance and
Screening of Blood Borne Pathogens»
13–15 May 2008, Vienna, Austria)
16. Böni J, Bisset LR, Burckhardt JJ,
Joller-Jemelka HI, Bürgisser P, Perrin
L, Gorgievski M, Erb P, Fierz W,
Piffaretti JC, Schüpbach J and the
Swiss HIV Cohort Study. Prevalence
of Human T-Cell Leukemia Virus Types
I and II in Switzerland. J Med Virol.
2004, 72: 328–337.
17. Lyon DJ, Chapman CS, Martin C,
Brown KE, Clewley JP, Flower AJ,
Mitchell VE. Symptomatic parvovirus
B19 infection and heat-treated factor
IX concentrate. Lancet. 1989; 13;
1(8646): 1085.
18. Morfini M, Azzi A, Zakrewska K,
Clappi S, Kolumban P, Longo L, Rossi
Ferrini P. Hypoplastic anaemia in a
haemophilic first infused with a
solvent detergent treated factor VIII
concentrate. The role of human
parvovirus B19. Am J Hematol. 1992;
39: 149–150.
19. Yee TT, Cohen BJ, Pasi KJ and Lee
CA. Transmission of symptomatic
parvovirus B19 infection by clotting
factor concentrate. Br J Haematol.
1996; 93: 457–459.
20. Robertson BH, Alter MJ, Bell BP,
Evatt B, McCaustland KA, Shapiro CN,
Sinha SD, Souci JM. Hepatitis A virus
sequence detected in clotting factor
concentrates associated with disease
transmission. Biologicals. 1998;
26: 95–9.
21. Chudy M, Budek I, Keller-Stanislawski
B, McCaustland KA, Neidhold S,
Robertson BH, Nübling CM, Seitz R,
Löwer J. A new cluster of hepatitis A
infection in hemophiliacs traced to a
contaminated plasma pool. J Med
Virol. 1999; 57: 91–9.
22. Hino M, Ishiko O, Honda KI, Yamane
T, Ohta K, Takubo T and Tatsumi N.
Transmission of symptomatic
parvovirus B19 infection by fibrin
sealant used during surgery. Br J
Haematol. 2000; 108: 194–195.
23. Schneider B, Becker M, Brackmann
HH and Eis-Hübinger AM. Contamination of coagulation factor concentrates
with human parvovirus B19 genotype
1 and 2. Thromb Haemost. 2004; 92:
838–845.
24. Wu CG, Mason B, Jong J, Erdman D,
McKernan L, Oakly M, Soucie M,
Evatt B and Yu MY. Parvovirus B19
transmisson by a high-purity factor VIII
concentrate. Transfusion. 2005; 45:
1003–1010.
25. Fryer JF, Hubbard AR and Baylis SA.
Human parvovirus PARV4 in clotting
VIII concentrates. Vox Sang. 2007;
341–347.
26. Schneider B, Fryer JF, Oldenburg J,
Brackmann HH, Baylis SA, EisHübinger AM. Frequency of contamination of coagulation factor concentrates with novel human parvovirus
PARV4. Haemophilia. 2008; Epup
ahead of print. DOI: 10.1111/j.
1365–2516. 2008. 01800.x
27. Jutzi M. Haemovigilance Jahresbericht
2005 und 2006. 2007 Swissmedic.
www.Swissmedic.ch/haemo.asp
28. Jutzi M. Haemovigilance Jahresbericht
2007. 2008 Swissmedic.
www.Swissmedic.ch/haemo.asp
Herunterladen