Ausnahmezustand … Ausnahmezustand im im Immunsystem Immunsystem… Die Die Wulstregion Wulstregion des des Haarfollikels Haarfollikels –– ein ein zweiter zweiter epithelialer epithelialer immunologisch immunologisch privilegierter ? Haarfollikels privilegierter Bereich Bereich innerhalb innerhalb des des Haarfollikels? Haarfollikels? 11Katja C. Meyer, 22Jennifer E. Kloepper, 11Stephan Tiede and 11Ralf Paus Katja C. Meyer, Jennifer E. Kloepper, Stephan Tiede and Ralf Paus 1Klinik fü für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitä Universität zu Lü Lübeck, D-23538 Lü Lübeck, Deutschland 2Institut fü für Molekulare Medizin, Medizin, MaxMax-PlanckPlanck-Institut für Biochemie, Biochemie, Martinsried, Deutschland e-mail: [email protected]@uk-sh.de Hintergrund Normalerweise schützt das Immunsystem den Organismus vor Viren, Bakterien, Pilzen und möglichen Entzündungen, hilft bei der Blutstillung und beseitigt defekte oder gealterte körpereigene Zellen. Faszinierenderweise gibt es im Säugetierorganismus Bereiche, die immunologisch privilegiert sind. Das bedeutet, dass in diesen Geweben eine Reihe von Mechanismen zusammenarbeiten, um zerstörerische Immunattacken des Wirtes auf Zellen und Antigene zu unterdrücken, d.h. das „normale Immunsystem“ ist in diesen Bereichen „ausgeschaltet“. Dazu zählen z.B. die vordere Augenkammer, Hoden, ZNS und die Hamsterbacke, ein Teil des Fingernagels oder z.B. bei Schwangerschaft ein Teil des heranwachsenden Fetus (der Fetotrophoblast), der mütterlicher und väterlicher Herkunft ist, und der normalerweise von den Zellen der Mutter als fremd erkannt und abgestoßen werden würde. Es ist bekannt, dass auch das Haarfollikelepithel im Zuge seines Haarzyklus rhythmisch einen solchen Bereich relativen Immunprivilegs im anagenen Haarbulbus (genauer in der Haarmatrix) aufbaut, aufrecht erhält und wieder abbaut (siehe rechtes Schema). Dieses dient dazu, bestimmte zyklusabhängige Proteine, die z.B. für die Pigmentierung der Haare nötig sind und normalerweise nicht im Körper auftauchen, vor einer Immunantwort des Körpers mit Selbstzerstörung und Entzündung zu schützen. Neuere wissenschaftliche Arbeiten von vermeintlichen epithelialen Haarfollikel-Stammzellen lassen vermuten, dass die Wulstregion des Haarfollikels ein zweites Immunprivileg beherbergt, das die dort ansässigen Stammzellen schützen soll. Ein Kollaps dieses Immunprivilegs ist vermutlich auch für eine Reihe von Autoimmunerkrankungen der Haut und Haare (z.B. kreisrunder Haarausfall) verantwortlich. Ziel dieser Arbeit ist, die Wulstregion des anagenen Haarfollikels immunologisch zu charakterisieren. eindringende Mikroorganismen Epidermis ansässige Mikroflora Dermis Talgdrüse Drüse Bindegewebsscheide Wulstregion Immunprivileg Musculus arrector pili Angeborenes Immunsystem äußere Wurzelscheide Basalmembran innere Wurzelscheide Haarbulbus Vorläufer des Haarschaftes Immunprivileg Haarmatrix Modifiziert nach S.Tiede Dermale Papille Methoden & Ergebnisse 2. Die Zahl an MHC-Klasse II positiven Zellen in der Wulstregion ist reduziert. Methoden: Aus Routine-Facelift-Operationen werden mit Einwillung der Patienten entfernte Hautstücke gewonnenen. Diese werden in flüssigem Stickstoff schockgefroren, in 6µm dicke Schnitte geschnitten und anschließend mit immunhistochemischen Färbungen oder Fluoreszenztechniken untersucht. Dabei macht man sich Antigen-AntikörperReaktionen zunutze, die mithilfe von Enzymen und Substraten sichtbar gemacht werden. 1. Die Wulstregion des humanen Haarfollikels zeigt eine geringere MHCKlasse Ia Proteinexpression in den immunoregulatorischen CD200+ (positiven) Regionen der äußeren Wurzelscheide. MHC-Klasse I Moleküle sind Oberflächenmoleküle, die auf nahezu jeder kernhaltigen Zelle vorhanden sind und die als sog. Personalausweis fungieren. Hat eine Zelle kein oder nicht das richtige MHC-Klasse I Molekül exprimiert, wird sie von Zellen des Immunsystems zerstört. So selektiert das Immunsystem körperfremde Zellen (Bakterien, Viren, …) und entartete körpereigene Zellen aus. Charakteristisch für das Immunprivileg ist jedoch eine Herunterregulation von MHC-Klasse I positiven Zellen. CD200-Moleküle haben immunoregulatorische Eigenschaften und schützen vor überschießenden Immunreaktionen. Darüber hinaus gelten sie als Marker für Stammzellen u.a. im Bereich der Wulstregion. Epidermis B A C MHC-class I EnVision A D ESG APM SG CC Distal ORS SG APM Staining intensity 4. Die Wulstregion des humanen Haarfollikels zeigt leicht verstärkte Immun* reaktivität von ICAM-1 AP M APM C AP M proximal ORS distal ORS bulge proximal hair bulb ORS E Verteilungsmuster von CD200-Molekülen (grün-markiert, FITC) und MHC-Klasse-I (rot-markiert, Rhodamin) (TSAMethode). Eine Kerngegenfärbung wurde mit DAPI durchgeführt (blaues Signal). * (B) CD200-Moleküle sindSG hochreguliert in der Wulstregion am Ansatz des Arrector pili Muskels. (C) MHC Klasse-I Proteine Distal ORSsind in der Wulstregion stark vermindert, verglichen mit der distalen äußeren Wurzelscheide und der Epidermis (D). (E) Die äußere Wurzelscheide der Wulstregion weist eine sehr starke CD200 Expression und nahezu keine MHC-Klasse-I Immunreaktivität auf. Distal ORS: distale äußere Wurzelscheide (outer root SGsheath);* SG: Talgdrüse (Sebaceous gland); APM: Arrector pili Muskel; Vergrößerung: (A; B; C; D) 100x and (E) 630x ORS (äußere Wurzelscheide) ist im Wulstbereich und in der proximalen (ORS) eine verstärkte Aktivität von α-MSH sichtbar. (B, C) Die Pfeile zeigen die äußerste Schicht der äußeren Wurzelscheide, die Pfeilköpfe demonstrieren den Musculus arrector pili (APM); B: Wulstregion (Bulge); Distal ORS: distale äußere Wurzelscheide (outer root sheath); SG: Talgdrüse (Sebaceous gland); Vergrößerung (A) 100x and (B) 400x and (C) 630x. ICAM-1 steht für „intercelluläres Adhäsionsmolekül“ und ist von großer Bedeutung bei Entzündungsreaktionen. Es ermöglicht den Entzündungszellen zum Entzündungsherd zu gelangen. Abb.5. Nachweis von ICAM-1 Immunreaktivität an der Ansatzstelle SG 0 Abb.2. (A) Die Immunfluoreszenz-Doppelfärbung zeigt das B SG A B Abb.3. Die Immunreaktivität von MHC-II (rote E 50 SG Distal ORS APM S G Distal ORS * B APM 100 * SG A A Abb.4. (A) Im Gegensatz zu der Epidermis und der distalen 150 A A B D äußere Wurzelscheide der Wulstregion im humanen anagenen Haarfollikel tatsächlich substantiell weniger MHC-Klasse-I Immunreaktivität aufzeigt (A,B) als die distale äußere Wurzelscheide und die Epidermis (C). Am geringsten sind MHC-Klasse I Moleküle im Haarbulbus des humanen Anagen VI Haarfollikels exprimiert (D). (E) Zur Auswertung wird die Farbintensität verschiedener Bereiche des Haarfollikels miteinander verglichen (quantitative Immunhistomorphometrie, ImageJ). Dabei wird deutlich, dass die Wulstregion eine knapp 2/3 schwächere Immunreaktivität aufweist als die distale äußere Wurzelscheide (ORS). ORS: distale äußere Wurzelscheide (outer root sheath); SG: Talgdrüse (Sebaceous gland); APM: Arrector pili Muskel; Epidermis Distal ORS Distal ORS B α-MSH (α-Melanozyten stimulierendes Hormon) ist ein wichtiges Molekül für die Pigmentierung von Haaren und besitzt daneben immunsuppressive Eigenschaften. SG SG Färbung) ist schwach in der Wulstregion, wohingegen die distale äußere Wurzelscheide und die Dermis stärkere Expression zeigen. SG: Talgdrüse (Sebaceous gland); APM: Arrector pili Muskel; B: Wulstregion (Bulge); Vergrößerung (A) 100x and (B) 200x Haarbulbus Abb. 1. Die immunhistochemische EnVision-Färbung zeigt, dass die Distal ORS MHC-Klasse II Moleküle werden auf der Oberfläche von verschiedenen Zellen präsentiert. Diese Zellen nehmen Fremdprotein von z.B. Bakterien auf und bereiten sie derart auf, dass sie dieses dann T-Lymphozyten zeigen können, und es anschließend abgebaut wird. 3. Die lokale Produktion von Immunsuppressoren wie z.B. a-MSH ist verstärkt in der Wulstregion des humanen Haarfollikels. A B des Arrector pili Muskels (APM). SG: Talgdrüse (Sebaceous gland). Vergrößerung (A) 100x and (B) 400x and (C) 630x Zusammenfassung und Perspektiven Die bisherigen Ergebnisse demonstrieren, dass zusätzlich zu dem Immunprivileg im anagenen Haarbulbus und der proximalen Nagelmatrix auch die Wulstregion immunprivilegiert ist. Die stark verminderte doch noch vorhandene Expression von MHC-I sowie die leichte Expression von ICAM-1 Molekülen lassen vermuten, dass das Immunprivileg der Wulstregion etwas schwächer oder labiler ist, als das im Haarbulbus. Kompensatorisch könnten dagegen das immunoregulatorische CD200 und die Produktion von Immunsuppressoren wie α-MSH wirken. Wie eingangs erwähnt, scheint ein Zusammenbruch des Immunprivilegs in der Wulstregion eine bisher unbekannt Rolle in der Entwicklung verschiedener Formen des Haarverlustes zu spielen. Denn bei Kollaps könnten autoaggressive Attacken des Immunsystems hier die Stammzellen zerstören und zu permanenter Haarfollikelzerstörung führen. Neuer Therapieansatz für vernarbendem Haarausfall und ähnlichen Erkrankungen sollte daher sein, das Immunprivileg zu schützen oder wiederherzustellen.