SAW TETUEDEB TIEHNOHCS ?ETUEH 142 ELLE ”Die Ruge nehmt ihr nicht. Zu dicke Lippen und zu blond.” Für Nachrichtensendungen waren bereits diese beiden Attribute ein Handicap. ELLE: Frau Ruge Sie litten jahrelang an einer Hautkrankheit, der sogenannten ”Stewardessen”-Krankheit. Ein Thema in dem Buch, das Sie gemeinsam mit Herrn Duve geschrieben haben. Wie geht man mit so einer Krankheit um, wenn man tagtäglich in der Öffentlichkeit steht? Nina Ruge: Ich habe mich unter einem Schutzfilm aus Make-up versteckt. Bis heute gehe ich nicht ungeschminkt aus dem Haus. ELLE: Wie kam es denn dazu? Nina Ruge: Es handelt sich offensichtlich um eine Reaktion auf die Inhaltsstoffe in der TVSchminke, die ich jahrelang täglich auf der Haut hatte. Dr. Stefan Duve: Man nennt das auch periorale Dermatitis, eine Akne-ähnliche Hauterkrankung, die zu Rötungen, vergrößerten Poren und Pickeln im Gesicht führt. Nina Ruge: Fatal für eine Moderatorin. Manchmal verzweifelten die Visagisten geradezu bei der Aufgabe, diese interessante Hügellandschaft in meinem Gesicht abzudecken. ELLE: Und eine makellose Haut gilt ja in unserer Gesellschaft als das Schönheitsideal ILLUSTRATION: WWW.IRISOLSCHEWSKI.COM, FOTOS: ANDREAS ACHMANN ELLE X X L B E A U T Y S P E Z I A L schlechthin. Denken Sie denn, Schönheit hat auch eine gesellschaftliche Aufgabe? Heidi Gross: Ja, denn Schönheit ist angenehm. Sie inspiriert und bereichert uns intuitiv. Dabei geht es nicht nur um Menschen. Alles, was als schön wahrgenommen wird, hat den gleichen Effekt. Dr. Rebekka Reinhard: Das denke ich auch. Auf der anderen Seite ist die Schönheit gerade in unserer Leistungsgesellschaft in Gefahr, auf eine Leis tung reduziert zu werden. Sie steht mehr und mehr für Sinnkompensation und Kontrolle. ELLE: Warum? Dr. Rebekka Reinhard: Gerade in einer Welt, in der wir aufgrund von Globalisierung und Werteverfall die Kontrolle über unser Leben zu verlieren scheinen, ist zum Beispiel ein Schönheitseingriff etwas sehr Konkretes, denn man hat ein sichtbares Ergebnis. Im Zweifelsfall verlässt man sich statt auf einen Gott, der sich nicht mehr zeigen will, dann eben die Vergötterung seiner Selbst oder seines gemachten Gesichts. Nina Ruge: Allerdings herrscht hier in Deutschland eine echte Verklemmtheit, was Schönheitseingriffe betrifft. Darüber spricht man nicht. Dr. Stefan Duve: Na ja, ich finde schon, dass die Leute vor al- lem in den großen Städten offener geworden sind. Wer aber meiner Erfahrung nach oft noch ein großes Problem damit hat, ist die ältere Generation der Ehemänner. Dr. Sabine Zenker: Das habe ich auch festgestellt. Die dürfen die Rechnung nicht sehen. ELLE: Welche sind denn derzeit die neuesten und beliebtesten Schönheitseingriffe? Dr. Sabine Zenker: Zu den häufigsten zählen sicherlich Botolinumtoxin und Unterspritzungen mit Hyaluronsäure zum Auffüllen von Falten und Lippen. Dr. Stefan Duve: Zu den neueren Methoden zählen die Fettreduktion mittels Kälte und Ultherapy, ein nichtinvasives Ultraschall-Lifting, das den natürlichen Regenerationsprozess der Haut mit dem Ziel der Kollagen-Neubildung anregt. So können Wangen, Hals und die Augenpartie ohne invasive Eingriffe gestrafft werden. ELLE: Und welche Eingriffe halten Sie für bedenklich? Dr. Sabine Zenker:Alle Eingriffe, bei denen man auf der Straße von Weitem schon denkt: ”Die hat etwas gemacht.” Außerdem finde ich es gefährlich, wenn Schönheitseingriffe für Patienten so selbstverständlich wie Shoppen werden. Manche kaufen sich einen neue Lippe wie eine neue ChanelTasche. Und das kann auch ”Ich finde es gefährlich, wenn Schönheitseingriffe so selbstverständlich wie Shoppen werden” zur Sucht werden. Deshalb ist es für mich als Dermatologin und für mich persönlich wichtig, das richtige Maß zu finden und einen Eingriff auch dem Leben und dem Kontext des Patienten anzupassen. Dr. Stefan Duve: Ich halte alle Eingriffe, die irreparabel sind – zum Beispiel ein schlechtes Facelift oder Dauerimplantate in den Lippen – für riskant. Da immer mehr junge Leute zu uns kommen, ist es wichtig, dass man etwas anwendet, das man auch wieder korrigieren kann. ELLE: Ganz stoppen kann man mit Schönheitseingriffen das Älterwerden ja sowieso nicht. Wie sollten wir im Zusammenhang mit Schönheit damit umgehen? Heidi Gross: Älterwerden ist gerade für eine sehr schöne Frau, die sich vor allem über ihr Aussehen definiert, ein Problem. Für Männer ist das nicht so schwer. ELLE: Auf Laufstegen und Werbeplakaten tauchen aller- dings derzeit immer mehr Best-Ager-Models, also reifere Models, auf ... Heidi Gross: Ich mache da zwei gegenläufige Trends aus: Auf der einen Seite werden mehr Best Ager in der Werbung eingesetzt, da sich damit bestimmte Produkte einfach glaubwürdiger verkaufen lassen. Auf der anderen Seite werden die Mädchen immer jünger. ELLE: Jugendliche Schönheit bleibt das Maß der Dinge? Heidi Gross: Ja, das wird sich so schnell nicht ändern. Dr. Rebekka Reinhard: Es ist ein bisschen ungerecht. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, bei dem das Weibchen schön sein muss. Im Tierreich – zum Beispiel bei Pfauen – ist das Männchen der Part, der sich optisch anstrengen muss, damit er ausgewählt wird. Nina Ruge: Ich denke, wenn wir diese Währung Beauty nicht aus einer gewissen Distanz betrachten, wird das für Frauen zu einer grauenhaften Falle. Dagegen hilft nur gesunder Humor. Und das Interesse an Dingen, die jenseits unserer äußeren Form existieren: die befreiende Erkenntnis, dass tiefes Lebensglück aus unserem Inneren kommt, nicht von außen. DAS GESPRÄCH MODERIERTEN CHRISTA VON BERNUTH UND ALEXANDRA LINK ELLE 143