NeuroStress: Pathophysiologie und Diagnostik

Werbung
Priv.Doz. Dr.med. W.P. Bieger, Dr. rer. nat. A. Neuner
Goethestraße 4, 80336 München
NeuroStress: Pathophysiologie und Diagnostik
Eine wachsende Zahl gesundheitlicher Störungen steht im Zusammenhang mit erworbenen Störungen der
neurohormonellen Regulation (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) und des neuronalen
Netzwerks, bei dem die Balance exzitatorischer (anregender, aktivierender) und inhibitorischer
(dämpfender, hemmender) Signalsysteme verloren gegangen ist. Verantwortlich sind tiefgreifende
Veränderungen der Lebensweise, zunehmend komplexe Umweltbedingungen, falsche und zu
energiereiche Ernährung, Bewegungsmangel, Reizüberflutung, Fernseh-/EDV-Konsum, Lärmbelastung,
Arbeitsintensität, Konkurrenzdruck, soziale Vereinzelung, wachsende schulische, berufliche und FreizeitBelastungen. Die daraus erwachsende, anhaltende Stressbelastung äußert sich in Leistungsabfall,
Motivationsverlust, Konzentrationsschwäche, kognitiven Blockaden, Unruhe, Ängsten, Depressionen,
Essstörungen, Schlafproblemen, Tagesmüdigkeit (Fatigue) bis zum Burn-Out, wobei individuell
disponierende Faktoren und genetische Besonderheiten mitentscheidend sind. Zu den herausragenden
Konsequenzen chronischer Stressbelastung gehört die Depression. Man spricht von der
„StressDepression“, die nach Angaben der WHO schon bald zu den häufigsten Krankheitsursachen
überhaupt zählen wird.
Belastung führt zu tiefgreifenden neuroendokrinen, hormonellen und auch immunologischen
Anpassungsreaktionen. Hormone, Neurotransmitter, Neuropeptide und die Zytokine des Immunsystems,
sind Teile eines komplexen Netzwerks, das nicht nur der Steuerung einzelner Organfunktionen dient,
sondern ein umfassendes, interaktives Kommunikationssystem mit Signalvermittlung über Blutbahn,
Nervenbahnen und Extrazellulärraum darstellt. Dieses NeuroStress-System umfasst einerseits die
Stresshormone: CRH (Corticotropin-Releasing Homon), Cortisol und Adrenalin; die Neurotransmitter
Noradrenalin, Dopamin, Serotonin, GABA, Glutamat sowie weitere Aminosäureabkömmlinge; außerdem
einige vorwiegend proinflammatorische Zytokine wie TNF-alpha, Interleukin-1, IL-6 und Interferon-gamma.
Stresshormone und Neurotransmitter wirken eng zusammen und steuern maßgeblich psychisches und
emotionales Befinden. Selbst die proentzündlichen Zytokine können Schmerzen, Müdigkeit,
Gedächtnisstörungen und Depressionen auslösen. Auch die Sexualhormone DHEA(S), Progesteron,
Östradiol oder Testosteron sind für die Stimmungslage bei beiden Geschlechtern mitbestimmend.
Am Anfang der Reaktionsfolge auf ein akutes Stressereignis (physisch oder psychisch) steht der
Neurotransmitter Noradrenalin aus dem Locus coeruleus (LC), der zusammen mit hypothalamischen
serotoninergen Neuronen die CRH-Ausschüttung in der Hypothalamusregion des Gehirns anstößt und
über ACTH aus der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) Cortisol aus der NNR aktiviert. Umgekehrt stimuliert
CRH in Stresssituationen die Ausschüttung von Noradrenalin aus dem LC, das zusammen mit Dopamin
und Serotonin die Koordination der neuronalen Stressantwort übernimmt. Die neuroendokrine
Reaktionsachse ist maßgeblich für den Erfolg und die Effizienz der Anpassungsreaktionen des
Stoffwechsels, des Herz-Kreislaufsystems, der Muskulatur, der Hirntätigkeit und der Immunabwehr. GABA
und Glutamat sind die dominierenden zentralen Neurotransmitter, die an mehr als 70% aller neuralen
Aktivitäten beteiligt sind. Beide werden aus der Aminosäure Glutamin gebildet und steuern hemmend
(GABA) und aktivierend (Glutamat) das zentrale Aktivitätsniveau. Jede Stressreaktion ist außerdem von
einer Entzündungsantwort mit zumindest kurzfristiger Ausschüttung proentzündlicher Zytokine durch
Noradrenalin begleitet. Die Zytokine beeinflussen nicht nur die Immunitätslage sondern verstärken die
neuroendokrine Stressantwort.
CRH aus dem paraventrikulären Kernbereich des Hypothalamus steuert über CRH1-Rezeptoren des
Hypophysenvorderlappens (HVL) die ACTH-Ausschüttung und die Cortisolsekretion. Dieser Regelkreis
unterliegt enger Rückkopplung, da der Anstieg von Cortisol die CRH- und ACTH-Sekretion retrograd
hemmt, bis es wieder zur Normalisierung der zirkulierenden Cortisolmenge kommt. CRH-positive Neuronen
finden sich außerdem über das ganze ZNS verteilt. Vielfach enthalten diese extrahypothalamischen Kerne
außer CRH auch ADH (Vasopressin), das synergistisch mit CRH wirkt. extrahypothalamische CRHNeuronen sind für die autonomen und psychischen Komponenten der Stressreaktion maßgeblich. Sie
wirken bei der Steuerung des Essverhaltens mit (CRH wirkt anorektigen), bei der Energiebereitstellung, der
Immunantwort über CRH2-Rezeptoren auf Immunzellen (Stimulation der zellulären Immunität), der
Motivation und der Gemütslage. Weitere CRH2-Rezeptoren finden sich an Blutgefäßen, Mastzellen,
1
Magen-Darm-Trakt, Herz und Muskulatur. Im Gegensatz zum HTP-HVL-NNR-Regelkreis unterliegen die
CRH2-vermittelten, extrahypothalamischen CRH-Wirkungen keiner Rückkopplungshemmung.
Cortisol wird normalerweise in der zweiten Nachthälfte produziert, sodass es morgens nach dem
Aufstehen in maximaler Konzentration verfügbar ist. Nach dem Aufstehen fällt es sehr schnell ab um im
weiteren Tagesverlauf bis auf ein abendliches Minimum weiter abzusinken. In Belastungssituationen
kommt es zu kurzfristigen Anstiegen. Im Alter verändert sich die Cortisol-Gesamtproduktion nicht, die
Tageskurve flacht jedoch ab, es kommt zu erhöhter Stressempfindlichkeit mit stärkerer
Cortisolausschüttung in Belastungssituationen.
DHEA
(Dehydroepiandrosteron),
das
zweite
in
diesem
Zusammenhang
relevante
Nebennierenrindenhormon, wird wie Cortisol über hypophysäres ACTH mitgesteuert. Nach Sulfatierung zu
DHEAS dient es als Vorstufe der meisten NNR-Steroidhormone, auch von Cortisol selbst, hat aber
offensichtlich auch direkte Hormonwirkungen. Im Unterschied zu Cortisol hat DHEAS geringere
Tageszeitabhängigkeit, ist jedoch stark altersabhängig. Wie Cortisol wirkt DHEAS antientzündlich, im
Unterschied zu Cortisol jedoch immunstimulierend und TH1-aktivierend. DHEA wird als Neurohormon
eingestuft, da es auch direkt im ZNS gebildet werden kann und zentrale Wirkungen hat: es fördert die
Motivation, wirkt antidepressiv und steigert die kognitive Leistungsfähigkeit.
Das Aktivitätsniveau der endokrinen Stressachse (Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde) ist bei
längerer Stressbelastung erhöht. Cortisol ist morgens hoch, der Tagesrhythmus intakt, jedoch zu höherem
Konzentrationsniveau verschoben, sodass sich ein funktioneller Hypercortisolismus etabliert. Chronische
Stressbelastung kann zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen führen, wobei genetische Faktoren von
Bedeutung sind. Die Mehrheit kompensiert auch lange anhaltenden Stress ohne tiefgreifende
gesundheitliche Störungen, die neuroendokrine Regulation bleibt auf hohem Niveau intakt. Nicht selten
entwickelt sich jedoch eine zunehmende Resistenz der peripheren Stressachse (ACTH, Cortisol)
gegenüber der zentralen Dauerstimulation (CRH) bis zur Blockade mit Absinken von Cortisol und
Auflösung des physiologischen Tagesrhythmus. Auch die individuelle Entzündungsdisposition ist
mitentscheidend, ob Dauerstress toleriert wird oder zu Krankheitsreaktionen führt. Cortisolexzess bei
Dauerbelastung oder schweren traumatischen Ereignissen kann erhebliche Langzeitfolgen für die
Gehirnfunktion haben. Er behindert die Synthese von Neurotransmittern, forciert den Untergang von
Gehirnzellen und hemmt die Neurogenese, Cortisolexzess wirkt neurotoxisch.
Die Katecholamine Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin werden aus der Aminosäure Phenylalanin
bzw. direkt aus Tyrosin synthetisiert, wobei Vitamin C, Vitamin B6, Kupfer, Magnesium und Folat
(Tetrahydrobiopterin) essentielle Kofaktoren sind. Die Synthese der Neurotransmitter ist vor allem
abhängig von ausreichendendem Vitamin B6 (Pyridoxalphosphat)-Angebot. Zusammen mit Folsäure und
Vitamin B12 ist Vitamin B6 auch in den Metabolismus schwefelhaltiger Aminosäuren eingebunden. Defizite
Abbildung 1:
Biosynthese
der
Katecholamine
2
eines oder mehrerer dieser drei Vitamine können zur Homocysteinämie und zur Abnahme von SAdenosylmethionin (SAMe) führen, das u.a. Methylgruppen für die Umwandlung von Noradrenalin in
Adrenalin und von Serotonin in Melatonin liefert. Vitamin C ist speziell notwendig für die Synthese von
Dopamin und Noradrenalin.
Dopamin ist die Vorstufe von Noradrenalin und Adrenalin und seinerseits einer der wichtigsten
Neurotransmitter im ZNS. Es wird vorwiegend über noradrenerge und CRH-Neuronen stimuliert. Im
Zusammenspiel mit Noradrenalin und in enger Wechselwirkung mit Serotonin ist Dopamin die zentrale
stimulierende (exzitatorische) Kraft. Es kann als der Kraftstoff bezeichnet werden, der den Organismus
antreibt. Dopamin steuert Motorik, Koordination, Konzentration, Motivation und geistige Wachheit. Bei
chronischem Dopaminexzess und Serotoninmangel entwickelt sich zentrale Fatigue (Erschöpfbarkeit,
schnelle Ermüdbarkeit). Außerdem kann Dopamin im Exzess prooxidativ und neurotoxisch wirken. Zeichen
eines Dopaminmangels sind neben der zentralen Fatigue (CFS) muskuläre Schwäche (Ermüdbarkeit),
Konzentrationsstörungen,
Vergesslichkeit,
Aufmerksamkeitsdefizite
(ADS),
Tagesmüdigkeit,
Motivationsverlust, Selbstzweifel, Depressionen und psychovegetative Störungen (Libidoverlust). Im Alter
geht die Dopamin-Syntheseleistung des ZNS zurück, auch die Anzahl der Dopaminrezeptoren sinkt ab,
sodass die Gefahr des dauerhaften Dopamindefizits zunimmt.
Adrenalin wird im Nebennierenmark aus Dopamin über Noradrenalin synthetisiert, wobei die erforderliche
Methylgruppe über SAMe (S-Adenosylmethionin) beigesteuert wird. Als Neurotransmitter steigert Adrenalin
u.a. die Pulsfrequenz, das Herzminutenvolumen, den Blutdruck und erhöht die mentale Aktivität. Die
Bedeutung adrenerger Neurone im ZNS ist gering. Adrenalin ist in erster Linie ein Hormon, das
vornehmlich für die Energiebereitstellung durch verstärkte Glykolyse/Gluconeogenese, Lipolyse und
erhöhte Sauerstoffaufnahme, gesteigerte Atemfrequenz zuständig ist.
Noradrenalin (NA) ist dagegen ein echter Neurotransmitter, der in den noradrenergen Neuronen des ZNS
und der Peripherie (Sympathikus) synthetisiert wird. NA steigert den Blutdruck ohne das
Herzminutenvolumen zu ändern, und senkt die Pulsfrequenz. Es erhöht das Aufmerksamkeits/Wachheitsniveau, fördert Konzentration, Motivation und Motorik. NA wirkt sowohl appetitstimulierend (α2Rezeptoren des Hypothalamus), andererseits über zentrale ß-Rezeptoren, die CRH-Stimulation und die
Interaktion mit Serotonin, hemmend. Kurzfristig wirkt NA proentzündlich, langfristig hemmt es mit Cortisol
die zelluläre Immunaktivität und begünstigt einen humoralen TH1 > TH2-Shift. Noradrenalinmangel führt zu
Motivationsabfall, Antriebs- und Konzentrationsschwäche, kognitiven Einbußen mit Störung des
Kurzzeitgedächtnis und häufig auch zu Depressionen.
Serotonin zählt ebenfalls zu den primären, herausragend wichtigen Neurotransmittern. Es wird aus der
Aminosäure Tryptophan über 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) durch das Enzym Tryptophanhydroxylase
(Tph) unter Mitwirkung von Vitamin B6 gebildet und zum Teil weiter in Melatonin umgewandelt.
Abbildung 2
Biosynthese
von Serotonin
3
Bei der aktiven, Transporter-gebundenen Passage durch die Blut-Hirn-Schranke konkurrieren die
Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin, Leucin, Isoleucin, Methionin, Valin und Histidin mit Tryptophan,
sodass bei breitem Aminosäureangebot (Eiweißmahlzeit) die Tryptophanaufnahme ins ZNS eher behindert
wird. Insulin stimuliert die Aufnahme der Aminosäuren in die Muskelzelle, Tryptophan kann sich allerdings
durch Bindung an Albumin dem Muskeluptake entziehen. Daher erhöht kohlehydratreiche Ernährung über
den Insulinanstieg das Tryptophanangebot im ZNS, während eiweißreiche Nahrung kompetitiv die
Tryptophanaufnahme hemmt. Bei Serotoninmangel kommt es häufig zu Heißhunger auf Kohlehydrate
(„Craving“).
Die Tph ist das limitierende Enzym der Serotoninsynthese. Sie kommt in zwei Varianten vor: in einer
peripheren, vor allem im Magen-Darm-Trakt exprimierten Form als Tph1, wo Serotonin an der Regulation
der Motilität, Motorik und Resorptionsfunktion beteiligt ist; außerdem in einer zentralen Tph2-Form, von der
genetische Varianten mit z.T. eingeschränkter Enzymaktivität exisitieren.
Tryptophan wird nur zum geringen Teil (ca. 5%) zu Serotonin aufgebaut. Unter den zahlreichen anderen
Metaboliten von Tryptophan sind die in die Immunregulation involvierten Kynurenine besonders
hervorzuheben. Bei Aktivierung der Immunabwehr mit Anstieg proinflammatorischer Zytokine wird die
Kynureninsynthese zu Lasten von Serotonin über das Enzym IDO (Indolamin-Dioxigenase) gesteigert. Die
mit Abstand stärkste IDO-aktivierende Wirkung hat Interferon-gamma (IFNγ > IFNα > IL-1ß > TNFα).
Chronische Aktivitätssteigerung proinflammatorischer Zytokine bei viralen Infekten, Tumoren,
Autoimmunerkrankungen oder Therapie mit Zytokinen führt daher zu ausgeprägtem Tryptophan-,
Serotonin- und ev. auch Melatoninmangel. Depressionen, Fatigue/Müdigkeit, Schlaf- und kognitive
Probleme sind daher keineswegs seltene Nebenwirkungen bei chronisch-entzündlichen Prozessen und
häufiger noch bei der Zytokintherapie. Die unter IFNγ-Einfluss gebildeten Kynurenine haben starke
Hemmwirkung auf die T-Effektorzellen, ihr Anstieg in der akuten Entzündungsphase dient damit der
späteren Downregulation der Immunabwehr. Der Tryptophanentzug mit Steigerung der ApoptoseSuszeptibilität gilt als zentraler Wirkmechanismus von IFNγ gegenüber Tumorzellen oder Virus-infizierten
Zellen.
Wie alle Neurotransmitter wird Serotonin nach synaptischer Ausschüttung und Signaltransfer umgehend
metabolisiert. Ein Teil wird jedoch aktiv neuronal rückresorbiert und senkt den Neusynthese-Bedarf. Dieser
Reuptake-Spareffekt wird durch ein Transporterprotein in der synaptischen Membran, den
Serotonintransporter HTT (Hydroxytryptamintransporter), geleistet, von dem genetische Varianten mit
eingeschränkter Leistungsfähigkeit existieren, die den Spareffekt vermindern und einen latenten bis
manifesten Serotoninmangel verursachen können. Moderne Antidepressiva, sog. SSRI’s (SerotoninReuptake-Inhibitoren), wirken über HTT-Blockade und erhöhen die synaptosche Verfügbarkeit von
Serotonin.
Als Neurotransmitter hat Serotonin ein enorm breites Wirkungsspektrum. Interaktiv mit Dopamin und
Noradrenalin wirkt es stark stimmungsaufhellend, entspannend, aggressionsregulierend, schlaffördernd
und antidepressiv, es fördert Motivation und kognitive Leistung und erhöht die Schmerzschwelle. Zudem
beeinflusst es direkt und indirekt über CRH-Ausschüttung das Essverhalten, wirkt appetitregulierend und
stoppt den Heißhunger auf Kohlehydrate und verbessert den Energiestoffwechsel (Temperatursteigerung).
Glutamat ist der bedeutendste exzitatorische Neurotransmitter, der quantitativ die größte Rolle im ZNS
spielt. Glu hat besondere Bedeutung für motorische Funktionen (Muskelarbeit, Sinne, Koordination) und
beeinflusst die Sekretion hypophysärer Hormone (HGH, ACTH). Glu wirkt vorwiegend über zwei
Kategorien von Rezeptoren: die ionotropen NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat) oder die Ca++spezifischen AMPA-Rezeptoren. Etwa 70 Prozent der exzitatorischen Aktivitäten im ZNS finden unter
Beteiligung von Glutamat statt. Unverzichtbar ist Glu bei der Vermittlung von Sinneswahrnehmungen, bei
der Ausführung von Bewegungen und für höhere Gehirnfunktionen wie Lernen und Gedächtnis. Auch die
Appetitregulation ist Glu-abhängig, es wirkt appetitsteigernd und supprimiert das Sättigungsempfinden. Es
wird daher in der Tierzucht auch als Mastmittel für schnellen Körpergewichtaufbau eingesetzt.
Im Überschuss entwickelt Glutamat ausgeprägtes neurotoxisches Potential durch Destruktion der
Glutamatrezeptoren (Exzitotoxizität) und Induktion der Apoptose von Nervenzellen. Damit hat Glutamat
erhebliche Bedeutung für neurodegenerative Krankheiten wie Epilepsie, Lähmungen nach Schlaganfall,
Parkinson und Alzheimer.
Glutamat entsteht im Citratzyklus aus α-Ketoglutarat (αKG) und einem Ammoniumion durch die Reaktion
der Glutamat-Dehydrogenase (GDH). Ein weiteres Ammoniumion kann über die Reaktion der GlutaminSynthase (GlnS) abgefangen werden, wobei Glutamin entsteht. Beide Reaktionen dienen der spontanen
Entgiftung aller Gewebe und sind im Hirn von besonderer Bedeutung.
Für die endgültige Entgiftung müssen Ammoniumionen dem Harnstoffzyklus zugeführt werden. Dies erfolgt
sowohl durch Übertragung auf Oxalacetat (OA), als auch über die Glutamat-Dehydrogenase Reaktion.
Glutamin kann mit α-Ketoglutarat unter Wirkung von Glutamat-Synthase (GluS) zu zwei Molekülen
Glutaminsäure umgesetzt und damit der GDH-Reaktion zugeführt werden.
4
Abbildung 3
Biosynthese
Glutamat
GABA
von
und
Glutamin und Glutaminsäure können ineinander umgewandelt werden, wobei Ihre Wirkungen sehr
unterschiedlich sind. Unter Mitwirkung der GlnS können aus Glutamin mit einem Molekül Ketoglutarat zwei
Moleküle Glutaminsäure generiert werden. Lebensmittel enthalten vorwiegend Glutaminsäure: Käse, Milch,
Schinken, Geflügel, Eier. Glutamin ist die höchstkonzentrierte Aminosäure im Körper. Es ist die wichtigste,
nichtessentielle Stickstoffquelle und der bedeutendste Energielieferant in der Nahrung. Zusammen mit
Cystein und Glycin ist Glutamin außerdem ein Ausgangsstoff für das besonders wichtige Glutathion.
Im Nervensystem ist Glutaminsäure einerseits Lieferant des wichtigsten exzitatorischen Neurotransmitters
Glutamat, andererseits auch Vorstufe des wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitters, GABA.
GABA (Gamma-Aminobuttersäure) ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter des ZNS mit der nach
Glutamat zweithöchsten Konzentration. GABA und Glutamat wirken bei fast allen neuronalen Vorgängen
im ZNS modulierend mit. 60 - 80% aller Neurone weisen GABA-Rezeptoren auf, GABA wird aus Glutamat
durch das Enzym Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD: Kofaktor Vitamin B6) synthetisiert oder alternativ
aus Glutamin durch Glutaminase gebildet. GABAerge Neurone sind vorwiegend "Interneurone", die die
neuronale Kommunikation moderieren. Drei Klassen von GABA-Rezeptoren, GABAA-C, sind bekannt.
GABAA ist ein Chloridionen-selektiver Kanal, der nach GABA-Bindung inhibitorische Signale generiert,
GABAB ist ein G-protein-gekoppelter Rezeptor, der über Kaliumeinstrom zur Inhibiton durch
Hyperpolarisiation der Zellmembran führt, GABAC–Rezeptoren sind ionenselektiv und durch
pharmakologische Substanzen nicht beeinflussbar. Benzodiazepine und Barbiturate wirken über den
GABAA-Rezeptor durch Verstärkung der GABA-Wirkung.
GABA wirkt in erster Linie durch Hemmung der präsynaptischen Freisetzung exzitatorischer
Neurotransmitter.
Es
hemmt
die
CRH-ACTH-Cortisol-Stressachse
und
die
hypophysäre
Gonadotropinsekretion. Aktivierung exzitatorischer Neurone wird durch Steigerung der GABA-Synthese
gegenreguliert. GABA wirkt anxiolytisch, analgetisch, relaxierend, antikonvulsiv und blutdruckstabilisierend.
Außerdem besitzt GABA eine noch über Serotonin und Melatonin hinausreichende schlaffördernde
Wirkung. Neben seiner Inhibitorfunktion im ZNS beeinflusst GABA massiv die hypophysäre HGH-Sekretion
über Aktivierung des hypothalamischen HGH-Releasing-Hormons und ist durch Modulation der
Insulinsekretion wichtiger Partner der Stoffwechselregulation.
5
NeuroStress Diagnostik
Speichelhormone
Die Messung von Cortisol und DHEA im Speichel ist besonders geeignet, die neurohormonelle
Funktionsachse zu prüfen. Speichel hat gegenüber Serum verschiedene Vorteile: die stressfreie
Probengewinnung im normalen Tagesablauf; Messung der biologisch aktiven Hormonfraktion; optimale
Korrelation mit der freien, biologisch aktiven Hormonfraktion im Serum; hohe Stabilität des Testmaterials.
Im Serum sind die lipophilen Steroidhormone wie Cortisol zu über 98% an Carrierproteine gebunden
(SHBG, CBG, Albumin), sekretorische Peaks verändern die Hormon-Gesamtkonzentration im Serum weit
weniger als im Speichel, wo ausschließlich das freie, ungebundene Hormon vorkommt. Die Messung des
Cortisoltagesprofils im Speichel findet daher zunehmende Verbreitung.
DHEA zirkuliert im Serum vorwiegend in sulfatierter, hydrophiler Form, im Speichel findet sich jedoch mehr
das lipophile, nicht-sulfatierte DHEA, das die Zellmembranen der Speichelepithelien ungehindert passieren
kann. Auch seine Speichelkonzentration korreliert hervorragend mit dem freien DHEA im Serum.
Neurotransmitter
Für die Bestimmung der Neurotransmitter hat sich der zweite Morgenurin als besonders geeignet erwiesen.
Während die Neurosteroide zyklisch mit einem nächtlichen Maximum synthetisiert werden, folgt die
Neurotransmittersynthese aktuellem Bedarf und fällt Nachts auf ein Minimum ab, das sich im ersten
Morgenurin wiederfindet. Der zweite Morgenurin ist dagegen ein geeigneter Spiegel der Tagesaktivität.
In zahlreichen Arbeiten wurde die Eignung der Neurotransmitter im Urin als Marker für die ZNS-Aktivitäten
gezeigt. Dies bestätigen u.a. Vergleichsmessungen in Serum, Speichel und Urin; Vergleiche von Urin und
Liquor und die therapieabhängigen Veränderungen der NT-Ausscheidung. Allerdings kann auch die Niere
selbst NT’s synthetisieren, sodass das Messergebnis ein falsches Bild liefern kann. Auch die
Rückresorption der NT’s in der Nieren kann gestört sein, sodass es zu vermehrter Exkretion und „falsch“
hohen Urinwerten kommen kann. Schließlich können Pharmaka die NT-Ausscheidung erheblich
beeinflussen, vor allem ß-Blocker, Antihypertensiva oder Antidepressiva.
Die Labordiagnostik ist eine unverzichtbare Hilfe für eine gezielte, individuell angepasste Behandlung. Sie
ist im Vorfeld sinnvoll, um ev. Erkrankungen des ZNS, peripherer Nerven, der Hypophyse bzw.
Nebennieren zu erkennen. Sie erlaubt die Feststellung des individuellen Reaktionstyps, der Belastbarkeit,
der Burn-out-Problematik und des Depressionsmodus. Als Verlaufskontrolle unter Therapie kann die
Laboranalyse zur Optimierung der Behandlung beitragen.
Häufig ist es sinnvoll, auch die hormonelle Situation der Patienten im Rahmen der Erstuntersuchung
abzuklären, vor allem bei älteren Patienten. Der vorzeitige oder auch altersgemäße Abfall von Östradiol,
Progesteron oder der Androgene (Testosteron > DHEA, Relation Testosteron:Östradiol) bei Männern und
Frauen kann zu ähnlichen Symptomen wie bei den neuroendokrinen Störungen führen: Kräfteverfall,
Müdigkeit, Antriebsschwäche, Muskelabbau, Gewichtszunahme (Fettanteil), Libidoverlust, kognitiven
Einbußen, Schlafstörungen und Depressionen.
Gentestung
Eine Reihe von genetischen Varianten der in die NT-Synthese involvierten Enzyme wie der Tph2
(Tryptophanhydroxylase 2), der Membrantransporter wie der HTTP (Hydroxytryptamintransporterprotein),
der Abbauenzyme wie der MAO (Monoaminoxidase) oder der COMT (Catechol-O-Methyltransferase) und
einzelner Rezeptoren (Glucocorticoidrezeptor, CRH-Rezeptor) stehen bereits heute für die
Routinediagnostik zu Verfügung. Vor allem die Bestimmung genetischer Varianten des Serotoninpathways
hat vielfache Anwendung gefunden (Tph2, HTTP, MAO), da sie für bis zu 80’% Einschränkungen der
Serotoninverfügbarkeit verantwortlich scheinen.
Inflammation
Für die Beurteilung der Entzündungsaktivität sind verschieden Möglichkeiten vorhanden. Die Messung der
Serumkonzentration proentzündlicher Zytokine ist für TNF-alpha und IL-6 sinnvoll. Das unter dem Einfluss
von IL-6 in der Leber gebildete CRP ist dagegen zu wenig sensitiv, um die diskreten Veränderungen des
inflammatorischen Niveaus bei anhaltendem Stress, Depressionen, Schmerzreaktionen, etc. zu erfassen.
Informativer ist die funktionelle Analyse der Zytokininduktion in vitro. Die Prävalenz bzw. Stressorabhängige Induktion von INF-gamma erlaubt die Feststellung der spezifisch-entzündlichen
Immunzellreaktion (TH1-Reaktionstyp) bzw. des unspezifisch-inflammatorischen Reaktionstyps (TNFalpha).
6
Befund: 65j. Patient mit neuroendokriner Insuffizienz, Depression, Schlafstörung, Adynamie Appetitlosigkeit,
erekt. Dysfunktion. Behandlung mit Aminosäurevorstufen der Neurotransmitter (5-Hydroxytryptophan,
Tyrosin und Kofaktoren) und DHEA
ng/ml
akuter Stress
452.3
452.3
(Sp)
DHEA (Sp)
hoher Stress
853.2
853.2
Burn-Out
123.3
123.3
Normbereiche
300 --600
600 pg/ml
6.2
2.1
1.5
7-10 (8.oo)
(08.oo)ng/ml
3.2
1.5
0.9
3-6 (12.oo) „
1.9
1.8
0.8
2-5 (16.oo)
(17.oo) „
0.9
1.0
0.5
<1.5 (20.oo) „
(2MU)
Adrenalin (2MU)
29.4
1.3
1.8
8 – 12 µg/g Krea
Noradrenalin “
96.5
94.2
22.3
30 – 55 µg/g Krea
Dopamin
“
130.6
255.8
99.4
125 – 175 µg/g Krea
Serotonin
“
162.0
52.8
67.8
175 – 225 µg/g Krea
GABA
“
22.4
7.3
9.2
1.5 - 4.0 µg/g Krea
Glutamat
“
13.5
56.2
63.1
10 – 25 µg/g Krea
PEA
“
300.0
734.2
324.5
175 – 350 ng/g Krea
Histamin
“
28.0
18.2
9.5
(Sp)
Cortisol (Sp)
10 - 25 µg/g Krea
Tabelle: Gegenüberstellung der neuroendokrinen Funktionsparameter im NeuroStress-Profil bei
akutem/anhaltendem Stress bis zum Burn-Out-Vollbild .
Literatur
Bell C, Abrams J, Nutt D: Tryptophan depletion and its implications for psychiatry. Br J Psychiatry 178: 399 – 405,
2001
Bierhaus A, Wolf J, Andrassy M et al.: A mechanism converting psychosocial stress into mononuclear cell
activation. PNAS 100: 1920 – 1925, 2003
Björntorp P, Rosmond R: Obesity and cortisol. Nutrition 16: 924-936, 2000
Capuron L, Ravaud A, Neveau PJ, Maes M, Dantzer R: Association between decreased serum tryptophan
cocentrations and depressive symptoms in cancer patients undergoing cytokine therapy. Molec Psychiatry 7:468473, 2002
Chaudhuri A, O Behan P: Fatigue in neurological disorders. Lancet 363: 978 – 988, 2004
7
Deijen JB, Wientjes CJE, Vullinghs HFM, Cloin PA, Langfeld JJ: Tyrosine improves cognitive performance and reduces blood
pressure in cadets after one week of a combat training course. Brain Res Bull 48: 203 – 209, 1999
Delgado PL, Moreno FA: Role of norepinephrine in depression. Clin Psychiatry 61: Suppl. 5 – 12, 2000
Dunn AJ: Cytokine activation of the HPA axis. Ann NY Acad Sci 608 – 619, 2002
Elenkov IJ, Wilder RL, Chrousos GP, Vizi ES: The sympathetic nerve – an integrative interface between two supersystems: the brain
and the immune system. Pharmacol Rev 52: 595-638, 2000
Grohmann U, Fallarino F, Puccetti P: Tolerance, DCs and tryptophan: much ado about IDO. Trends Immunol 24: 242 – 48, 2003
Flynn, M. et al.: Hormonal responses to excessive training: Influence of cross training. Int. J. Sports Med. 18:191-196, 1997
Frieri M: Neuroimmunology and inflammation: implications for therapy of allergic and autoimmune diseases. Ann Allergy Asthma
Immunol 90: 34 – 40, 2003
Heim C, Ehlert U, Hellhammer DH: The potential role of hypocortisolism in the pathophysiology of stress-related bodily disorders.
Psychoneuroendocrinology 25: 1 – 35, 2000
Henning J. et al.: Upright posture influences salivary Cortisol. Psychoneuroendocrinology 25: 69-83, 2000
Hoffmann A, Levchenko, Scott ML, Baltimore D: The IkB – NF-kB signalling module: temporal control and selective gene activation.
Science 298: 1241-1245, 2002
Kavelaars A, Kuis W, Knook L, Sinnema G, Heijnen CJ: Disturbed neuroendocrine-immune interactions in chronic fatigue syndrome. J
Clin Endocrinol Metab 85: 692-696, 2000
Konsman JP, Parnet P, Dantzer R: Cytokine-induced sickness behaviour: mechanisms and implications. Trends Neurosci 25: 154159, 2002
Kubera M, Lin AH, Kenis G, Bosmans E, van Bockstaele D, Maes M: Anti-inflammatory effects of antidepressants through
suppression of the interferon-y/interleukin-10 production ratio. J Clin Psychopharmacol 21: 199-206, 1999
Larson SJ, Dunn AJ: Behavioural effects of cytokines. Brain Behaviour Immunity 15: 371-387, 2001
Levite M, Chowers Y: Nerve-driven immunity: neuropeptides regulate cytokine secretion of T cells and intestinal epithelial cells in a
direct, powerful and contextual manner. Ann Oncology 12: S19-S25, 2001
Mayer W, Bartram R, Bieger WP: MCS. eine chronische Entzündung? Z Umweltmedizin 10: 88-96, 2002
McCraty, R. et al.: The impact of a new emotional self-management program to stress, emotions, heart rate variability, DHEA and
Cortisol. Integr. Physiol. Behav. Sci 33 (2): 151-170, 1998
Munn DJ, Shifizadeh E, Attwood JT, Bondarev I, Pashine A, Mellor AL: Inhibition of T cell proliferation by macrophage tryptophan
catabolism. J Exp Med 189: 1363-1372, 1999
Patarca R: Cytokines and chronic fatigue syndrome. Ann NY Acad Sci 185-202, 2002
Paterson IA, Juorio AV, Boulton AA: 2-Phenylethylamine: A modulator of catecholamine transmission in the mammalian nervous
system. J Neurochem 55: 1827 – 1837, 1990
Raison CL, Miller AH: When not enough is too much: the role of insufficient glucocorticoid signalling in the pathophysiology of stressrelated disorders. Am J Psychiatry 160: 1554 – 1565, 2003
Refojo D, Liberman AC, Holsboer F, Arzt F: Transcription factor-mediated molecular mechanisms involved in the functional cross-talk
between cytokines and glucocorticoids. Immunol Cell Biol 79: 385-394, 2001
Silberstein SD: Migraine. Lancet 363: 381 – 391, 2004
Tebbe JJ, Arnold R: Serotonin und Serotoninrezeptoren. Dt Ärzteblatt 101: A936 – A942, 2004
ThyagaRyan S, Felten DL: Modulation of neuroendocrine-immune signaling by L-deprenyl and L-desmethyldeprenyl in aging and
mammary cancer. Mech Ageing Dev 123: 1065 –1079, 2002
van Praag HM: Crossroads of corticotropin releasing hormone, corticosteroids and monoamines. Neurotoxicity Research 4: 531 –
555, 2002
Waagepetersen HS, Sonnewald U, Schousboe A: The GABA paradox: multiple roles as neurotransmitter, metabolite, and
neurdifferentiative agent. J Neurochem 73: 1335 – 1342, 1999
Wallace DJ, Linker-Israeli M, Hallegua D, Silverman S, Silver D, Weisman MH: Cytokines play an aetiopathogenetic role in
fibromyalgia: a hypothesis and pilot study. Rheumatology 40: 7432-749, 2001
Westermann, J. et al.: Determination of Cortisol iin saliva and serum by a luminescence-enhanced enzyme immunoassay. Clin. Lab.
50: 11-24, 2004
8
WHO -World Health Organsisation: Chronic effects of organic solvents on the central nervous system and diagnostic criteria. Doc. 5,
Copenhagen, 1985
Wolkowitz, O.M. et al.: Neuropsychiatric Effects of Dehydroepiandrostendione (DHEA) in Kalimi, M., Regelson W. eds.:
Dehydroepiandrostendione (DHEA) – Biochemical, physiological and clinical aspects. Walter de Gruyter Berlin, New York, 2000, 271298
Wüst S, Federenko I, Hellhammer DH, Kirschbaum C: Genetic factors, perceived chronic stress, and the free cortisol response to
awakening. Psychoneuroendocrinol 25: 707-720, 2000
9
Herunterladen