Sommergrippe Mit Grippe verbinden wir meist die Vorstellung von nasskaltem Herbstund Winterwetter, das die körpereigenen Abwehr schwächt. Das trifft nur bedingt zu, neuerdings kommt auch die Sommergrippe häufiger vor. Text: Gerhard Leibold D er Oberbegriff Sommergrippe ist nicht einheitlich definiert. Am besten versteht man darunter alle grippeartigen Erkrankungen, die in der wärmeren Jahreszeit auftreten. Die typische Sommergrippe Die grippeartigen Infektionen und auch die seltenere echte Influenza verlaufen in der wärmeren Jahreszeit häufig ähnlich wie in den kühleren Monaten: Unterschiedlich hohes Fieber, Schnupfen, Heiserkeit und Husten, ferner unspezifische Allgemeinsymptome wie allgemeines Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen. 48 Natürlich | 6-2005 In der wärmeren Jahreszeit beobachtet man auch vermehrt atypische Verlaufsformen, insbesondere Magen-DarmInfektionen. Dabei besteht im Sommer ein höheres Risiko, dass es rasch zu lebensbedrohlichen Verlusten an Flüssigkeit und Mineralsalzen kommt, weil diese bereits mit dem Schweiss vermehrt ausgeschieden werden. Als erstes Warnzeichen einer solchen Komplikation treten Muskelkrämpfe vor allem in den Waden auf. So weit muss es aber nicht kommen, wenn man bei Erbrechen und Durchfall die Flüssigkeits- und Mineralstoffverluste rechtzeitig durch Mineralwässer, Obst- und Gemüsesäfte ausgleicht und bei Bedarf durch Arzneimittel mit Mineralsalzen ergänzt. Die typische Sommergrippe dauert 7 bis 10 Tage. Bestehen die Symptome länger oder verschlimmern sie sich, sollte man fachliche Hilfe anvisieren, ehe sich Komplikationen einstellen. Dazu kommt es bei der Sommergrippe aber relativ selten. Besonders anfällig für Komplikationen sind Menschen: • die noch an anderen (meist chronischen) Krankheiten leiden, • deren Immunsystem geschwächt ist (zum Beispiel durch chronische Krankheitsherde, Umweltgifte oder altersbedingt) • die unter hohem Dauerstress stehen. Naturheilkunde GESUNDHEIT Immunität hinterlässt die typische Sommergrippe nicht. Die wirksamste Vorsorge und Therapie besteht darin, das Immunsystem zu stärken. Die aus eigener Kraft überwundene Infektion aktiviert den Immunschutz oft so gut, dass die Abwehrstoffe weitere Infektionen für einige Zeit verhüten. Aber das darf nicht mit Immunität verwechselt werden. Andere Formen der Sommergrippe Grippeartige Erkrankungen in der wärmeren Jahreszeit müssen nicht durch Erkältungs- und Influenzaviren entstehen. Zu den wichtigsten anderen gehören CoxiellaBakterien, Coxsackie- und Hantaviren, Legionellen und Leptospiren. Eine zuverlässige Unterscheidung der Erreger anhand der Symptomatik ist kaum möglich, die Beschwerden ähneln sich oft zu stark. Ein schlagkräftiges Immunsystem verhindert meist die akute Sommergrippe. Wenn es doch einmal überfordert wird, überwinden intakte Selbstheilungsregulationen die Infektion meist ohne Komplikation. Foto: ABDA Geeignete Vorsorgemassnahmen Im Einzelfall mögliche Komplikationen sind Bronchitis durch bakterielle Zusatz-(Super-)infektionen, Nasennebenhöhlen-, Mittelohrentzündungen, seltener Lungen-, Rippenfellentzündungen, Magen-Darm-Katarrhe und Erkrankungen der Harnorgane. Nach einer schweren Sommergrippe kann die Rekonvaleszenz noch mehrere Wochen dauern. Typisch sind abnorme Müdigkeit, Schwächezustände, Herz-Kreislauf-Beschwerden, niedriger Blutdruck, depressive Verstimmungen, gelegentlich Verdauungsstörungen. Diese Symptome können auch auf eine beginnende Komplikation hinweisen, Klarheit schafft nur die fachliche Untersuchung. Die Grundvoraussetzungen für ein allzeit intaktes Immunsystem sind bekannt: Ernährung, Bewegung, Abhärtung, Entspannung und positive Lebensgrundeinstellung. Vollkommenen Schutz bieten sie nicht, aber gelegentliche leichte Infektionskrankheiten gelten aus naturmedizinischer Sicht sogar als nützlich, weil sie das Immunsystem trainieren. Bei Bedarf können Immunmodulatoren nach fachlicher Verordnung verabreicht werden. Geeignete Heilmittel sollen mit dem Therapeuten abgestimmt werden, vor allem die Heilpflanze Echinacea bewährt sich gut. Nach längeren Injektionsserien mit dieser Heilpflanze traten in Einzelfällen ernste Nebenwirkungen auf, nicht aber bei der Einnahme. Dennoch soll Echinacea nicht längere Zeit ununterbrochen verabreicht werden. Homöopathische Zubereitungen wirken ebenfalls gut, ihre Risiken sind gleich Null. Weniger bekannte Immunmodulatoren sind Eleutherokokkus, Ginseng, Thymusextrakte, das Bienenkittharz Propolis und Baumflechten. Knoblauch steigert zwar nicht die Abwehr, wirkt aber antibiotisch. Nicht zuletzt kann gegen einige Erreger der Sommergrippe (wie Leptospiren), die vorwiegend im Beruf übertragen werden, eine aktive Immunisierung erfolgen. Gefährdete Berufsgruppen sollten sich durch Impfung schützen. Therapie der Sommergrippe Fast jeder erkrankt gelegentlich an einem grippeartigen Infekt. In der kühleren Jahreszeit handelt es sich meist um Erkältung oder Influenza. Grippeähnliche Beschwerden im Sommer können durch verschiedene Erreger verursacht werden. Meist handelt es sich zwar auch um eine Erkältung, genau kann das nur durch fachliche Untersuchung diagnostiziert werden. Selbsthilfe durch bewährte Naturheilverfahren kommt nur in Frage, wenn ohne Zweifel eine Erkältung vorliegt. Bewährte Hausmittel sind Holunderund Lindenblütentee. Beide steigern die Abwehrfunktionen und wirken schweisstreibend, was bei Fieber nützlich ist. Ferner enthalten sie reizlindernde, entzündungshemmende Wirkstoffe, die vor allem die Atemwege günstig beeinflussen. Da Holunder und Lindenblüten sich in ihren Wirkungen verstärken, sollten sie zusammen verabreicht werden. Einleitend gibt man alle 1 bis 2 Stunden 1 Tasse, insgesamt bis zu 5 Tassen, anschliessend täglich 3 bis 4 Tassen bis zur Heilung. Wenn der Tee rechtzeitig angewendet wird, kann die beginnende Infektion nicht selten über Nacht ausheilen. Noch bessere Ergebnisse erzielt man, wenn Holunder-/Lindenblütentee mit einer Schwitzpackung kombiniert wird. Das erzeugt künstliches Fieber, das vielen Erregern schadet, und steigert die Immunfunktionen. Wenn bereits Fieber besteht, ist die Schwitzpackung verboten, sonst drohen ernste Komplikationen. Herz-Kreislauf-Patienten müssen ganz darauf verzichten, wenn nichts anderes verordnet wird. Die Sauna wird unter Umständen besser als die Schwitzpackung vertragen, aber auch sie ist bei Fieber und/oder HerzGefäss-Krankheiten grundsätzlich verboten. Wer noch nie in der Sauna war, sollte damit nicht bei einer beginnenden Infektion anfangen. Die Ernährung besteht vorwiegend aus vitaminreicher Rohkost, Obst-, Gemüsesäften und reichlich Mineralwasser. Auch Natürlich | 6-2005 49 Zeckenschutz ist wichtiger denn je Die ersten schönen Frühlingstage locken viele ins Freie. Doch Vorsicht: Jetzt lauern auch wieder Zecken in Gräsern, Sträuchern und im Unterholz von Waldrändern, Wiesen, Parks und Gärten. Durch Zeckenstiche können vor allem zwei Erkrankungen übertragen werden: die Frühsommer-Meningo-Encephalitis (FSME) und die Lyme-Borreliose (siehe auch Natürlich 4-2004). Die FSME ist eine Viruserkrankung, die zu einer Hirnhautentzündung führen kann. Bei der durch Bakterien übertragenen Lyme-Borreliose kann es zu chronischen Entzündungen an Haut, Herz, Nervensystem und Gelenken kommen. Häufig wird eine durch Zecken verursachte Erkrankung nicht gemeldet oder nicht erkannt. Denn: Die Symptome werden irrtümlicherweise für eine Sommergrippe gehalten. Dies ergab eine Untersuchung von Professor Peter Kimmig vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg zusammen mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Sie zeigte, dass 1,5 Prozent aller vermeintlichen Sommergrippen auf eine akute FSME-Infektion und sogar 13,5 Prozent auf eine akute Borreliose zurückzuführen waren. 1 bis 2 Fastentage mit Mineralwasser und Holunder-/Lindenblütentee sind angezeigt, um die Immunfunktionen zu steigern. Meist zeigt der Körper mit Appetitlosigkeit an, dass er von der Nahrungsverwertung entlastet werden soll. Bei ernsteren Infektionen kann längeres Fasten angezeigt sein, aber nur nach fachlicher Anweisung. Nach Rohkost- oder Fastentagen darf man nicht sofort zur gewohnten Kost zurückkehren. Bis zur Ausheilung bleibt man bei leichter, möglichst vegetarischer Ernährung mit viel vitaminreicher Rohkost. Naturmedizinische Basisbehandlung Wenn Soforthilfe die akute Krankheit nicht aufhalten konnte, wird naturmedizinische Selbsthilfe oder fachliche Therapie notwendig, das hängt vom individuellen Krankheitsbild ab. Besser zieht man unnötig den Mediziner zu, als ein Risiko einzugehen. Im Mittelpunkt der naturmedizinischen Basistherapie steht die Stärkung der körpereigenen Abwehr- und Selbstheilungsregulationen, damit sie den Infekt aus eigener Kraft heilen. Naturheilmittel zur Immunsteigerung wurden bereits bei der Vorsorge vorgestellt, vor allem Echinacea eignet sich sehr gut, aber auch die anderen genannten Massnah- Naturheilkunde GESUNDHEIT Gegen FSME gibt es noch keine spezielle Therapie. Die Behandlung beschränkt sich bislang auf die Symptome. Ähnliches gilt für die Borreliose. Wie Sie sich schützen können: • Den besten Schutz vor einer FSME bietet eine Schutz-Impfung. Wichtig zu wissen: Aufgrund der globalen Erwärmung besteht das Risiko, dass sich das Virus immer weiter nach Norden ausbreitet. Der Impfschutz hält etwa drei Jahre lang an. • Damit die Spinnentiere mit ihrem Saugrüssel gar nicht erst zustechen können, sollte man in gefährdeten Gebieten geschlossene Kleidung tragen (feste Schuhe, lange, eng anliegende Hosen und Hemden, am besten helle Farben). Doch Vorsicht: Zecken krabbeln zumeist eine Zeit herum, bis sie eine geeignete Hautstelle finden. Daher sollte man vor allem in Risikogebieten die Haut regelmässig nach Zecken absuchen. Zusätzlich können Zeckenschutzmittel aufgetragen werden. Sie bieten allerdings laut Stiftung Warentest keinen umfassenden Schutz. Medical Mirror men kommen in Frage. Bei chronischer Abwehrschwäche bewähren sich Thymusextrakte oft am besten. Homöopathische Behandlung der Sommergrippe ist auch mit anderen Wirkstoffen möglich, die zum Teil bald die Symptome lindern, aber nicht wie chemische Arzneimittel ganz unterdrücken. Lediglich bei leichteren Infektionen kann Selbsthilfe möglich sein. Dazu eignen sich Komplexmittel mit mehreren Wirkstoffen, die sich ergänzen und verstärken. Komplexmittel gibt es unter verschiedenen Handelsnamen in der Apotheke, das Fachpersonal kann über geeignete Produkte beraten. Diät und Heilfasten sind auch zur Behandlung der Sommergrippe als Basistherapie angezeigt. Wiederholte Diätkuren können sogar langjährige Immunschwäche normalisieren. Verordnung und Verlaufskontrolle sind Aufgaben des Therapeuten. Trotz guter praktischer Erfahrungen ist die Vitalstofftherapie umstritten. Selbst wenn man ihr eigene therapeutische Wirkung abspricht, empfehlen sich einige Vitalstoffe zur unterstützenden Behandlung und Nachsorge, zum Beispiel eine Vitamin-C-Zink-Kombination zur Abwehrsteigerung. Eine MegadosenVitalstofftherapie kann nützlich sein, zur Selbsthilfe kommen so hohe Vitalstoffdosen aber nicht in Frage, sie sind nicht immer verträglich. Resistente Bakterien begünstigt Bei ernsteren Infektionen kann die Naturmedizin auch helfen, aber man sollte sich nicht allein darauf verlassen. Trotz aller Vorbehalte gegen Antibiotika sollten sie in solchen Fällen von Anfang an verabreicht werden. Naturmedizin wird dadurch nicht überflüssig, sondern ergänzt die Antibiotikakur. Wer Naturmedizin bevorzugt, nimmt notwendige Antibiotika oft zu kurz und niedrig dosiert ein. Dann überleben Bakterien, stärkere Medikamente werden erforderlich, die Entwicklung resistenter Bakterienstämme wird begünstigt. Das betrifft nicht nur einzelne Patienten, sondern uns alle. Bei Virusinfektionen sind Antibiotika wirkungslos und überflüssig. Eine Ausnahme gilt, wenn zur Viruskrankheit eine bakterielle Superinfektion kommt. Die vorgeschädigten Zellen können den Bakterien weniger Widerstand entgegensetzen, das Risiko von Komplikationen steigt. Deshalb sind Antibiotika im Einzelfall indiziert. Seit einigen Jahren gibt es antivirale Wirkstoffe, die eine Vermehrung der Viren im Körper blockieren. Die Infektion verläuft leichter und kürzer, Komplikationen kommen seltener vor. Für Risikopatienten können solche Medikamente notwendig sein, normalerweise wird das Immunsystem ohne solche Arzneien mit den Viren fertig. Die naturmedizinische Basistherapie lindert auch die Symptome einer Infektion, aber das kann einige Zeit dauern. Dann ist zusätzliche Therapie erforderlich, etwa mit Heilpflanzen gegen Entzündungen der Atem- und Verdauungswege. Ausserdem eignen sich noch kalte Wadenwickel zur Fiebersenkung, Kräuterinhalationen bei Erkrankungen der Atemwege, warme Bäder bei Gelenk- und Muskelschmerzen, Kopfwickel bei Kopfschmerzen. Symptomlindernde Medikamente zur Selbsthilfe erhält man nach Beratung in der Apotheke, bei stärkeren Beschwerden wird auch diese Therapie fachlich verordnet. Die Sommergrippe als Warnzeichen einer Immunschwäche sollte eigentlich Anlass zu der selbstkritischen Frage sein, ob und welche gesundheitsgefährdenden Gewohnheiten zu ändern sind, und zwar noch bevor sie zu ernsteren Folgen führen. ■ Natürlich | 6-2005 51