26 Thema Biologie-Institut Lamarck 1 2 3 4 Bauwelt 5 | 2009 Biologie-Institut Rue Marie-Andrée Lagroua Weill-Hallée Avenue de France Universität 4 4 1 2 3 Biologie-Institut Lamarck Ein Gebäudeblock im neuen Pariser Stadtquartier Rive Gauche, Masséna Nord: Jean Guervilly Kritik: Sebastian Redecke Fotos: Jean-Marie Monthiers Die Parzelle M 31 mit dem Institutsgebäude gliedert sich in das Neubaugebiet südöstlich der französischen Nationalbibliothek ein. Nach einem städtebaulichen Konzept von Christian de Portzamparc sind hier maximal zehngeschossige „offene Blöcke“ mit Innenhöfen vorgesehen. Jean Guervilly hat dies mit dunkler und heller Fassadenverkleidung thematisiert. Lageplan im Maßstab 1:5000 Einen Bretonen stellt man sich so vor: ruhig, bedächtig, in sich gekehrt und vielleicht auch etwas stur. Bei der Begegnung mit Jean Guervilly bekam ich ein ganz anderes Bild. Nur sehr selten hat mich ein Architekt mit solcher persönlichen Präsenz, inneren Unruhe, aber auch mit einem solchen Enthusiasmus für seine Arbeit empfangen. Guervilly ist aufbrausend und zieht einen unmittelbar in seinen Bann. Und er ist in seinem Eifer kaum zu bremsen. Wir treffen uns vor seinem Universitätsgebäude. Der Neubau ist ein Baustein in der Planung des Quartiers Masséna. Er gehört zum Pariser Stadtentwicklungsgebiet Rive Gauche südöstlich der Nationalbibliothek, also in dem Bereich, wo das städtebauliche Konzept von Christian de Portzamparc eine heterogene, meist hohe Blockbebauung mit nach außen offenen Höfen vorgesehen hat, die sich bei den bereits fertiggestellten Gebäuden ganz unterschiedlich gebärden. Denn mit den zahlreichen Architekten, die sich diesem Thema angenommen haben, ließen sich überraschend viele Varianten entwickeln, und mit der funktionalen Durchmischung ist inzwischen tatsächlich ein neues Stadtquartier entstanden. Der entscheidende Schub ging dabei von der Universität aus. Das Quatier hat sich vor allem mit der Fertigstellung der umgenutzten GrandsMoulins von Rudy Ricciotti und der Halle aux farines von Nicolas Michelin (Heft 38.2006) den Studenten geöffnet, die den Ort jetzt mit Leben erfüllen. Zu diesem universitären Bereich gehört auch das Gebäude für die Biologen, das etwas südlich steht, fast schon an der Avenue de France. Allerdings ist es in erster Linie der Forschung vorbehalten und verfügt daher über keine Seminarräume oder Vorlesungssäle. Jean Guervilly ist von seiner Herangehensweise an ein Projekt restlos überzeugt. Da scheinen Fragen zwecklos – oder sie werden gerne mit Humor in eine ganz andere Richtung gelenkt. Er sieht sein Haus, und das ist zum Verständnis seiner Arbeit wichtig, als ein in sich stimmiges Gesamtwerk, das bis in alle Details seinen Vorstellungen gemäß gefügt wurde. Das erstaunt, handelt es sich doch in weiten Teilen des Raumprogramms um ein Gebäude mit Forschungseinrichtungen, bei dem davon auszugehen ist, dass allein schon durch die Vorgaben der Haustechnik Kompromisse unausweichlich sind. Das Bauwerk auf nahezu quadratischem Grundriss ist als eine orthogonale Komposition von Blöcken oder als ein Block, aus dem Teile herausgeschnitten wurden, zu lesen. Grundlage Bauwelt 5 | 2009 27 28 Thema Biologie-Institut Lamarck Bauwelt 5 | 2009 29 Bauwelt 5 | 2009 Architekt Jean Guervilly, Saint-Brieuc Projektpartner Françoise Mauffert Mitarbeiter Pierre Olivier Vanende, Jacques Rousselet, Loic Guibert Tragwerksplanung BSO, Rennes Landschaftsplanung Bertrand Paulet, Paris Bauherr Semapa, Société d’économie mixte d’aménagement de Paris Herstellerindex www.bauwelt.de/herstellerindex Das Grundstück weist ein Gefälle von drei Metern auf. So ergaben sich Eingänge auf zwei Ebenen. Der Architekt soll die Fenster, die auch um Gebäudeecken führen, nach funktionalen Bedürfnissen im Inneren verteilt haben. Insgesamt waren es wohl gestalterische Entscheidungen für eine gelungene Fassadenkomposition. Schnitt durch die gläserne Eingangshalle und die Fassaden mit den glasierten, nur zwei Zentimeter dünnen Klinkern. Schnitt im Maßstab 1 :25 dieses Aufbaus waren die Erschließung, die Anordnung der frei bleibenden Hofbereiche und die natürliche Belichtung. Durch die Neigung des Terrains ergaben sich Eingänge auf zwei Ebenen. Der eine Eingang liegt unten, an der Rue MarieAndrée Lagroua Weill-Hallée, der andere an der schmaleren Querstraße im Nordwesten, die zur Avenue de France hinaufführt. Die Gestalt des großen, auf der unteren Eingangsebene L-förmig ausgeführten Hofs zeugt vom Können des Architekten in der Handhabung solcher Volumen. Um mehr Licht und Offenheit zu gewinnen, hat er zum Beispiel den Gebäudeteil am oberen Eingang, der vor allem von den Studenten genutzt wird, mit einer gläsernen Halle, in der sich eine Cafeteria befindet, geöffnet, indem er den Bau darüber sechs Meter weit auskragen lässt. Am unteren Eingang wird dem Passanten im Bereich des Gebäuderücksprungs durch einen breiten Durchlass Einblick gewährt. Im Hofraum mit der zur Seitenstraße ansteigenden Grünfläche wurden zwei Eichen und in der Vorzone des unteren Eingangs eine Kiefer gepflanzt. Die Bäume sind bereits über 40 Jahre alt. Damit bekommt die Grünzone etwas „Gewachsenes“, das zum Betrachten einlädt. Das ist wichtig an einem Ort wie diesen, denn so wird er zu einem „erzählenden Raum“, der eine eigene Bedeutung erhält und einen optischen Halt für das Ensemble darstellt. Natürlich, und der Architekt mag mir diese Feststellung nicht verübeln, gibt es die hier gewählte Architektursprache schon seit einer ganzen Reihe von Jahren, besonders in der Schweiz und den Niederlanden. Guervilly ist bei diesem Bau den Protagonisten der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, die ihn ohne Zweifel faszinieren. Sein Gebäude ist somit formal, in seiner rigiden Blockstruktur und in seinem Fassadenaufbau, keine originäre Erfindung. In seiner Klarheit und feinen Gestalt sticht er in dem neuen Stadtquartier als „Import“ deutlich heraus. Mit der Nüchternheit ist im Äußeren die simple Blockstruktur mit den bündig in der Fassade sitzenden Aluminiumfenstern gemeint, die auf jedem Geschoss hin und her zu rutschen scheinen. Was diese inzwischen fast inflationär eingesetzte und zu nerven beginnende Art der Fensterkomposition betrifft, sei etwas polemisch angemerkt, dass sie sogar schon bis in die abseits liegende Stadt Saint-Brieuc in der Bretagne vorgedrungen ist. Bei genauerer Betrachtung liegt der Fall in Paris aber etwas anders. Der Architekt selbst sagt dazu, dass er die Fenster allein nach den inneren Erfordernissen in die Fassaden und manchmal auch um die Gebäudeecken gesetzt habe. Die Öffnungen sollen sich also aus den Innenräumen ergeben haben. Ganz so einfach war es aber wohl doch nicht, denn die Fensteraufteilung ist auf den Wandflächen in sich stimmig und wirkt harmonisch. Es hat innen gewisse Spielräume gegeben, die es erlaubten, die Fenster hier und dort zu „schieben“. Das Elternhaus Guervilly hat außen wie innen nur wenige Materialien verwendet, der Klinker zählt natürlich zu den elementarsten. Seine Gleichmäßigkeit und Logik in ein und demselben Format war Voraussetzung für seine Fügung. Diese Gesetzmäßigkeit des hier gewählten kleinen Verblendklinkers, der nur zwei Zentimeter dünn an die Betonkonstruktion „angeklebt“ wurde, passt zum Entwurfskonzept. Mit Blick auf diese Verblendung zeigt mir der Architekt Fotos von seinem Elternhaus von 1958, das ihn sehr geprägt haben soll. Das Haus gestaltete der Innenarchitekt Alain Richard. Dort sind auch dünne Verkleidungen aus Steinplatten zu sehen. Zur schlichten und funktionalen Ausführung im Quartier Masséna sagt der Architekt: „J’ai toujours fait la mème chose“ und meint damit, dass er sich in seinem Berufsleben immer nur sehr langsam neuen Entwicklungen in der Architektur geöffnet habe – und fügt etwas scherzhaft hinzu, dass er sich in dieser Hinsicht wie eine Schnecke bewege. Einer Schnecke drohe aber leider immer, dass sie zertreten werde. Bei der Haut des Forschungsgebäudes, die mit großer Akribie ausgeführt wurde, fanden circa 22.000 weiße und braune Verblendklinker Verwendung. Die Grundidee ist auch hier einfach. Und von dieser Idee lebt das ganze Gebäude. Die Fassaden direkt an den Straßen des Blocks sind braun, in den eingeschnittenen Höfen weiß. Die Verkleidungssteine wurden tatsächlich einzeln angefügt. Lenkt man den Blick die Fassaden entlang in die Höhe, wird man entsprechend leichte Unebenheiten bemerken, die dem Ganzen eine angenehme Lebendigkeit verleihen. An den Gebäudeecken entschied sich Guervilly – in gewissem Sinn entgegen seinem Credo – für eine aufwendige Lösung. Die schmalen und flachen Steine wurden alle auf Gärung zugeschnitten. Es soll einige Zeit gebraucht haben und auch Geschimpfe zu hören gewesen sein, bis die Handwerker diesen feinen Zuschnitt hinbekamen. Auf der Rückseite, wo das Terrain direkt an ein noch unbebautes Nachbargrundstück und an die Avenue de France grenzt, ist das Gebäude nicht eingeschnitten. Hinter der breiten vertikalen Fensterreihe liegt das Treppenhaus. Das Biologie-Institut erhielt beim französischen Architekturpreis „Equerre d’Argent“ 2008 eine lobende Erwähnung. Der Preis selbst ging an das Depot und Werkstattgebäude der Tram in Nizza von Marc Barani (Heft 25.2008) 30 Thema Biologie-Institut Lamarck Bauwelt 5 | 2009 31 Bauwelt 5 | 2009 Blick vom gläsernen Foyer der oberen Ebene, dem Eingang der Studenten, zur unteren, eigentlichen Eingangsebene an der Rue Lagroua Weil. Die Decke des Foyers kragt sechs Meter weit aus. Die Versorgungsschächte auf den Grundrissen verraten die Funktion des Gebäudes. Reinlich Die glänzend weißen Steinfassaden in den Hofbereichen wirken hell und einladend. Das Weiß korrespondiert mit dem Weiß im Inneren. Guervilly ist kein Architekt der Farben. Auch hier sucht er die Ereignisleere. Er hat alle Wände und Decken weiß, fast schon klinisch weiß, gestaltet. Damit kommen wir zu einem weiteren Wesensmerkmal des Architekten: Er ist ein Pedant der Reinlichkeit. Bei seinen Bauten ist es ihm wichtig, dass sich nirgends Schmutz festsetzen kann. So ist das Weiß nicht nur optisch gewollt. Es gibt zum Beispiel keine Rohre, die verstauben können, und die glatten Klinker der Fassaden sind leicht zu reinigen, selbst wenn Graffiti auftauchen sollten. Damit fügt sich der Stein in das Konzept des Architekten, bei dem alles zusammenpassen und wie bei der Karosserie eines Fahrzeugs eine logische Einheit bilden soll. In diesem Zusammenhang nennt er, als wir das Gebäude besuchen, auch mehrmals Jean Prouvé, dessen Arbeitsweise ihn fasziniert. Denn auch ihn interessierten nur auf Zweckerfüllung ausgerichtete Hüllstrukturen. Bei Guervilly haben sie eine eigene, sehr zurückhaltende Kraft und sind architektonisch mit großer Sicherheit erdacht, die der Bewunderung gebührt: „Faire le minimum, c’est ca qui compte“. Er verfolgt somit kein intellektuelles Schema in der Architektur und gibt alle seine Energie für einfache, verständliche Dinge und in die gute Organisation der tagtäglichen Funktionen eines Gebäudes. Dass Guervilly Jean Prouvé erwähnt, hat noch einen weiteren Grund, der nicht minder von Bedeutung ist: die Technik. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, denn die Technik, ist nicht zu sehen, weder die konstruktiven Elemente noch die Installationen der Labore. Alles wurde sauber kaschiert – bis auf einige wenige, unausweichlich sichtbare Teile wie zum Im hinteren Teil des Foyers ist eine Cafeteria vorgesehen. Unteres und oberes Eingangsgeschoss, 1. Obergeschoss sowie Schnitt im Maßstab 1 : 500 32 Thema Biologie-Institut Lamarck Der Flur in der oberen Eingangsebene zieht sich im Winkel um den Hof. Die Innenwand ist mit Tropenholz verkleidet. Der Architekt liebt dieses Holz, aus dem auch der Rumpf seines Segelboots gefertigt sein soll. Bei der Pförtnerloge auf der unteren Eingangsebene, bei den Fenstern und bei den Sitzflächen im Flur fand es ebenso Verwendung. Beispiel die Scharniere der Gittertore des Hofs oder die Abdeckungen der Klimaöffnungen. Sie wurden eigens entworfen, perfekt ausgearbeitet, bleiben aber immer unkompliziert. Dem Architekt ist es gelungen, den Bauherrn von den solideren und damit teureren Materialien, die nach ihrer Montage ewig halten mögen – eigentlich handelt es sich ausschließlich um Inox –, zu überzeugen. Vielleicht hat ihm dabei seine impulsive und sehr energische Art geholfen. Das Segelschiff Innen sind fast alle Türen, die tiefen Fensterlaibungen, die ebenfalls gerahmten Austritte auf die Terrassen sowie eine Wand des unteren Eingangsflurs mit dunklem Tropenholz gestaltet. Guervilly zeigt mir ein Bild vom schnittigen Rumpf seines aufgebockten Segelschiffs, das allem Anschein nach aus dem gleichen lackierten Holz gefertigt wurde. Hier wird also etwas „Maritimes“ hervorgeholt. Auch dies mag irritieren. Der Architekt hat aber dazu eine dezidierte Meinung: Ein Forschungslabor muss kein „Labor“ sein, es muss sein technisches Innenleben nicht zelebrieren, es kann auch etwas ganz ande- Bauwelt 5 | 2009 res ausdrücken. Der Bauherr zeigte sich offen, als Guervilly sich für das edle Holz entschied, um dem Haus bei aller Schlichtheit und Funktionalität eine gewisse Wohnlichkeit zu verleihen. Und wenn man durch die Flure geht, hat man in der Tat den Eindruck von einem gediegenen Ambiente. Dafür sorgen auch die zahlreichen gut einsehbaren und üppig begrünten Terrassen, die vor allem den Rauchern dienen. Bei meinem Besuch fehlten im Haus noch die Hinweisschilder an den einzelnen Räumen, die das Innere, vor allem das Aussehen der Flure, noch einmal verändern werden. Es ist den Biologen zu raten, an diesem Punkt äußerst vorsichtig zu operieren, denn Guervilly kann nach eigenem Bekunden bei einer Beeinträchtigung seines Werks zu radikalen Mitteln greifen. Wenn ihm etwas nicht passt, entfernt er bei seinen Gebäuden auch schon mal höchstpersönlich nachträglich angebrachte Schilder und Installationen. Wie konsequent er sich bereits bei der Planung mit diesem Punkt einer möglichen Beeinträchtigung des großen Ganzen befasst hat, zeigt sich zum Beispiel bei den Anschlüssen für die Steigleitungen der Feuerwehr im Erdgeschoss. Er hat sie hinter sauber in die Wand ge- 33 Bauwelt 5 | 2009 setzte Inox-Tore versteckt und den obligatorischen Hinweis auf ein Minimum reduziert. Es ist ihm tatsächlich gelungen, dass nirgends an den Fassaden ein späterer Zusatz ins Auge fällt. Alle Teile bilden eine Einheit. Auch von der Klimatechnik, die bei einem Laborgebäude erhebliche Flächen einnimmt, ist von außen nichts zu sehen. Sie wurde vor allem in einer Halle und in einem kleinen Innenhof am höchsten Punkt des Hauses versteckt. Schächte entlang der Flure bieten Raum für die Versorgungsleitungen. Der Neubau steht vis-à-vis der Frontseite der Cité de Refuge der Armée de Salut, die sich im Süden hinter den Bahngleisen aus der Stadt hervorhebt, und reicht auf dieser Gebäudeseite tief hinein in die offene betonierte Unterkonstruktion des neuen Quartiers, denn noch ist mit dem unmittelbaren Nachbarbau, der ebenfalls universitäre Nutzungen aufnehmen soll, nicht begonnen worden. Eines Tages, wenn auch die anderen Nachbarbauten stehen, wird Guervillys Block in die neue städtische Struktur fest eingebunden und von weitem nur noch in schmalen Fassaden-Abschnitten zu sehen sein. Den Architekten stört das nicht. In den noch nicht in allen Teilen eingerichteten Laborräumen sind raumhohe Glaswände eingefügt. Sie trennen den Forschungsbereich von den Arbeitplätzen der Mitarbeiter. Das Haus verfügt in den Obergeschossen über begrünte Terrassen, die von den Rauchern genutzt werden. Große Fensterflächen öffnen sich zu diesen Höfen. Auch in den Obergeschossen mit den Laboren hat man nicht den Eindruck, in einer Forschungsstätte für Biologen zu sein. Noch ist vom Treppenhaus aus der Blick frei über die Avenue de France und die tief liegenden Gleisanlagen des Gare d’Austerlitz, die zurzeit teilweise überbaut werden. Dahinter sieht man Le Corbusiers Cité de Refuge von 1933 und die Wohntürme der Place d’Italie.