raubender Blick in das Bergeller Tal

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Restaurierung und Erweiterung der Villa Garbald in Castasegna
Architekten:
Miller & Maranta, Basel
Quintus Miller, Paola Maranta
Mitarbeiter:
Jean-Luc von Aarburg (Projektleitung),
Sabine Rosenthaler, Tanja Schmid,
Julia Rösch
Bauleitung:
Urs Meng, Castasegna/Basel
Landschaftsarchitektin:
Jane Bihr-de Salis, Kallern
Bauingenieur:
Conzett/Bronzini/Gartmann, Chur
Restauratoren Villa Garbald:
Fontana & Fontana, Jona-Rapperswil
Bauherr:
Fondazione Garbald, Zürich
Aus dem Panoramafenster im neuen Gästehaus
bietet sich vom obersten Geschoss ein atemberaubender Blick in das Bergeller Tal, hinaus
nach Italien. In die gleiche Richtung schweifte
auch der prüfende Blick des Zolldirektors Augustino Garbald. Von seiner Pergola-gesäumten Terrasse kontrollierte er das Treiben rund
um seine Arbeitsstätte, die schweizerisch-italienische Zollstation. Die Handelsroute vom
Engadin über den Malojapass hinunter nach
Chiavenna und Mailand war vor der Eröffnung
der Gotthardroute im Jahre 1882 eine wichtige
europäische Verbindung, auch für den Kulturtransfer.
Genauso führen auch die Spuren des Architekten nach Süden: Gottfried Semper gab in dem
Entwurf einmal mehr seiner auf den Italienreisen entflammten Sehnsucht nach Arkadien
nach. Das in Sempers Zürcher Jahren entwor-
fene Landhaus, das 1862–63 gebaut wurde,
nimmt durch den Einsatz von Gneis für die
Steinmetzarbeiten und die Dachdeckung den
Bezug zur Umgebung auf. Deswegen wurde
der Entwurf von vielen Historikern auch als
regionaltypisch eingestuft. Nach genauerer
Betrachtung scheint er doch weniger der lokalen Tradition der klassischen Palazzi mit ihren Walmdächern, die entlang der ehemaligen
Passstraßen stehen, sondern eher dem italienischen Landhaus verpflichtet. Den Bauplatz
in Castasegna hat Semper selber nie gesehen.
So konnte ihn weder das alpine und zugleich
auch schon südliche Klima beeindrucken, noch
die lokale Topografie, die sich an den nach Süden abfallenden Hängen zwischen den flankierenden Gebirgszügen zeigt. Vielleicht wirkt
die hinter einer Terrassenmauer geduckte dreigeschossige Villa deshalb so fremdartig, selbst
in dieser durch mannigfaltige ausländische
Einflüsse geprägten Grenzregion.
Zusammen mit der Eigentümerin, der Fondazione Garbald, die durch den Fotografen Andrea Garbald, den Sohn des Zolldirektors, 1955
gegründet wurde, hat sich die zukünftige Nutzerin, die ETH Zürich, mit ihrem Engagement
zur Renovation der Villa zum 200. Geburtstag
ihres „Hausarchitekten“ – Semper baute als
ETH-Professor das Zürcher Hauptgebäude sowie die Sternwarte an der Schmelzbergstraße
– selber beschenkt. Der Stolz ist mit der Hoffnung verbunden, in der „Außenstation“, abseits des hektischen Alltags, ein Tagungszentrum für Forschung, Kommunikation und Kultur zu etablieren.
Die alte Villa wurde behutsam an die neuen
Funktionen und Bedürfnisse angepasst. Bei
der umfangreichen Renovierung, die die Basler Architekten Miller & Maranta in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege und dem
Heimatschutz realisierten, wurden originale
Wand- und Deckenmalereien freigelegt. Dadurch ist der Tagungsort heute ein beredtes
Zeugnis für die Farbideale Gottfried Sempers,
dessen Überzeugungen von der Farbigkeit der
antiken Tempel in den berühmten Polychromiestreit des 19. Jahrhunderts eingegangen sind.
Das Primat, das Semper der Farbe jenseits der
„Materialgerechtigkeit“ einräumte, zeigt sich
beispielsweise in den für heutige Verhältnisse
kuriosen Übermalungen der Metalltürbänder
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Das von Gottfried Semper entworfene Landhaus steht hinter der von
einer Pergola gesäumten Terrasse,
von der aus man in westliche Richtung zur Zollstation blickt. Rückwärtig markiert der neue Turm den oberen Abschluss des Grundstücks, mit
dem herrlichen Ausblick nach Italien
(Foto oben rechts).
Der Speisesaal in der Semper-Villa
ist als neu gestalteter Bereich gegenüber den renovierten alten Gästezimmern klar erkennbar.
Erdgeschoss mit Gartenanlage im
Maßstab 1 : 750
Fotos: Ruedi Walti, Basel;
oben rechts: Ralph Feiner, Malans
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Schnittblumen und eines mit Beerensträuchern
gepflanzt. Hinter den Beeten, im oberen Gartenteil, werden in einem neuen Wohngebäude
die restlichen Zimmer für die Tagungsgäste bereitgestellt.
Inspiriert von den norditalienischen Vogeltürmen, den so genannten Roccoli, entwickelten die Basler Architekten für den geforderten
Neubauteil ein aufragendes schlankes Volumen. In der nördlichen Grundstücksecke, an
der Stelle eines abgebrochenen alten Heustalls,
besetzt der Wohnturm den höchsten Punkt
im Garten. Eine alte Bruchsteinmauer, durch
bröcklige Zementschlämme lediglich fragmentarisch bedeckt, umgürtet das gesamte Grundstück: bald Terrassenmauer für die Pergola,
bald Einfriedung, bald Rückwand für das verbliebene angelehnte Stallgebäude. In der Tiefe
der Parzelle liegend, sollte der Neubau mit
der Villa nicht konkurrieren müssen. Die minimale Grundfläche des Turms nimmt dem
Garten nur wenig Raum. Sein schmales Volumen ist der Gartenmauer entwachsen und ragt
zu einer stattlichen Höhe auf. Die Vereinheitlichung der Fensterformate lässt die Lochung
kräftig und abstrakt erscheinen. Auch das Fehlen des für Wirtschaftsgebäude regionalspezi-
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mit Holzmustern oder der Natursteinimitation
einiger Fenstereinfassungen.
An Funktionen beinhaltet die Villa die Aufenthaltsräume der neuen Tagungsstätte und die
Bibliothek, die rücksichtsvoll renoviert wurde
und mit ihrem reichen, ursprünglichen Bestand bestückt und erweitert werden soll. Daneben trifft man auch auf gänzlich neu gestaltete Bereiche wie die Nasszellen der großen
Gästezimmer in den Obergeschossen. Der Solaio genannte Trockenboden unter dem Dach
wurde offen belassen. Die Eingriffe in diesem
Bereich bleiben zurückhaltend, sind in dunklen Farben gehalten und verschwinden optisch
im Schatten der Dachschräge. Die Küchenmöbel sind in Erinnerung an die steinernen Küchen der Region aus schwarzem Beton; sie stehen im Wirtschaftstrakt, der auf den früheren
eingeschossigen Zustand rückgebaut wurde.
An den Speisesaal, der von einem riesigen Esstisch beherrscht wird und wohl nicht zufällig
an großfamiliäre Tafelrunden erinnert, schließt
ein Hof an, der für einen direkten Außenbezug
sorgt. Eine Stützmauer fasst einen Sitzplatz
im Hof und teilt zugleich den Garten in einen
unteren und einen oberen Bereich.
Von zentraler Bedeutung ist dabei das mittige
Baumpaar aus Scheinzypresse und Stechpalme.
Es bildet den Hintergrund des unteren Gartenteils, des Plenums, und schirmt ihn vom
oberen ab. Wurde im Konzept der Landschaftsarchitektin Jane Bihr-de Salis im unteren Bereich größtenteils die originale Bepflanzung
berücksichtigt, sprießen auf der oberen Wiese
Aprikosenbäume und Hortensien, die es vordem nicht gegeben hat. Als Neuinterpretation
des Nutzgartens wurden zudem ein Beet mit
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Gartensaal
Gästezimmer
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Küche
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Bibliothek
Wohnzimmer
Arbeitszimmer
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Der Turm scheint in seiner amorphen
Grundform aus der Grundstücksmauer gewachsen zu sein. Seine exponierte Lage und die beachtliche
Gebäudehöhe lassen ihn in den engen Gassen imposant wirken.
Der Garten differenziert sich in einen unteren Bereich mit Pergola und
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Wasserbecken sowie einen oberen
Teil hinter der Stützmauer mit Blumen- und Beerenbeeten. Den Mittelpunkt des gesamten Gartens bildet
ein Baumpaar, zu dem hin die spitze
Ecke des Turms weist.
Grundrisse im Maßstab 1 : 250
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Baukörper wie einen erratischen Findling entrücken.Aus Budgetgründen musste das grob
verputzte Einsteinmauerwerk aus dem Wettbewerbsentwurf einer innen gedämmten Sichtbetonkonstruktion weichen. Zumindest konzeptionell leidet der Entwurf nicht darunter, sondern bewahrt seine monolithische Kraft.
Das neue Gästehaus wird konsequenterweise
vom Garten her betreten. Von der Eingangshalle und der gemeinschaftlichen Stube winden sich die Zimmer, immer wieder leicht versetzt, um den zentralen Treppenkern hinauf.
Die Rotation um die Treppe scheint die Nutzungen vom Kern zur Fassade hin zu drücken,
was vermeintlich die Knicke in der Hülle entstehen lässt. Letztere verleihen jedem Zimmer
einen eigenen Charakter, ungeachtet der immer gleichen spartanischen Ausstattung.
Die spiralartige Drehung der Erschließung –
sie schleift entgegen dem Uhrzeigersinn an
der aufsteigenden Mauer entlang – schafft im
Inneren eine labyrinthische Intimität. Selbst
bei längerem Aufenthalt geht einem oftmals
die Orientierung verloren, so dass man meint,
das Gebäude sei riesig. Dafür wird man auf
jedem Podest mit einem spannenden Ausblick
belohnt. Die Erschließungsspirale endet im
Kaminzimmer mit dem Panoramafenster nach
Italien. Hier verschmelzen alte Lokaltraditionen, wie das Rösten von Kastanien auf offenem Feuer, mit der globalen Orientierung des
hochtechnologisch gerüsteten ETH-Instituts.
An jedes Gästezimmer im Neubau ist ein
Sanitärraum mit Dusche angeschlossen.
Der alte Schuppen in der Grundstücksmauer bildete die architektonische Analogie für den neuen Turm.
Fotos: Ruedi Walti, Basel;
Analogiebild: Roland Züger, Berlin
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fischen Gneisplattendaches unterstützt die eigenständige Ausstrahlung des Neubaus, obwohl seine Stellung und Materialisierung auf
die Grundstücksmauer referieren.
Diese Mehrdeutigkeit zeigt sich an weiteren
Stellen des Gebäudes und ist als Entwurfsprinzip auch in anderen Bauten von Quintus
Miller und Paola Maranta zu finden. Mit unterschiedlichen Mitteln schaffen sie bewusst
Distanz zum eleganten apricotfarbigen Landhaus: In Anlehnung an den geknickten Nachbarstall und im Gegensatz zu den Wohnbauten ringsum basiert der Turm auf einer amorphen Grundform. Mit Wasserstrahlen wurde
die Zementhaut der nun rohen Sichtbetonoberfläche entfernt, die Kiesel aus dem Bett des
Dorfflusses, der Maira, zeigt. Die versetzt angeordneten Fenster geben keinen Aufschluss
über die Geschossigkeit, sondern lassen den
Die Setzung des Turms an höchster
Stelle steigert zusätzlich die ohnehin
steile Topografie. Der gewendelte Erschließungskern unterstützt diese vertikale Dynamik.
Schnitt im Maßstab 1 : 500
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