Die Zelle - Kleinste Einheit des Organismus`

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Manuskript
radioWissen
Die Zelle - Kleinste Einheit des Organismus‘
AUTORIN:
Susanne Hofmann
REDAKTION: Gerda Kuhn
ERZÄHLERIN:
Es ist eine kuriose Szene: Ein Mann liegt bäuchlings auf einem Tisch und rudert mit
Armen und Beinen. An seiner Seite: Sein „Schwimmlehrer“, der ihn im
Trockenschwimmen unterweist und ihn dazu anhält, Froschbewegungen
nachzuahmen. Von neugierigen Besuchern nach dem Sinn seines Treibens gefragt,
antwortet der Schwimmer:
ZITATOR:
„Ich interessiere mich nicht für den praktischen Nutzen. Daran liegt mir nichts. Wissen
ist mein letztes Ziel.“
ERZÄHLER:
Sir Nicholas ist der Titelheld des Theaterstücks „Der Virtuose“ von Thomas Shadwell,
dem Bühnenschlager der Saison im London des Jahres 1676. Eine Komödie über die
Auswüchse experimenteller Wissenschaft. Der wunderliche Forscher soll, so sah es das
zeitgenössische Publikum, einem realen Wissenschaftler nachempfunden sein.
ZITATOR:
„Einem Dummkopf, der 2000 Pfund für Mikroskope ausgegeben hat, um die Natur von
Aalen in Essig zu erforschen, von Milben im Käse, die er feinsinnig als lebendige
Wesen erkannt hat.“
ERZÄHLERIN:
Ähm… Entschuldigung… Sollte es hier denn nicht um die Zelle gehen?
ERZÄHLER:
Ganz richtig, ja. –
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ERZÄHLERIN:
Warum dann dieser Exkurs zu einem Theaterstück über einen verrückten Forscher?
ERZÄHLER:
Gemach, gemach, das kommt gleich! Wir tasten uns vor, vom großen Sichtbaren, zum
kleinen Unsichtbaren. Genauso hat es die Wissenschaft ja auch gemacht. Also: Modell
für die lächerliche Komödien-Figur war Robert Hooke. Ein Tausendsassa und das wohl
berühmteste Universalgenie des 17. Jahrhunderts in England. Er war Astronom und
Architekt, Mathematiker und Geologe; er baute Uhren, Teleskope und Mikroskope; er
war ein meisterhafter Zeichner, genauer Natur-Beobachter und bei der
neugegründeten Royal Society betraut mit der Durchführung von Experimenten. Nur
wenige Jahre vor der Uraufführung des Theaterstücks vor nunmehr 350 Jahren hatte
er das breite Publikum durch ein aufsehenerregendes Werk begeistert: „Micrographia“,
ein Buch mit detaillierten Zeichnungen und akribischen Beschreibungen kleinster
Lebewesen. Es erschien 1665 im Auftrag König Charles II., dem Hooke sein Werk
widmete:
ZITATOR:
„Hiermit erlaube ich mir, diesem mächtigen König, … etwas darzubieten, das der
Unerheblichkeit meiner Fähigkeiten angemessener ist: einige der geringsten aller
sichtbaren Dinge.“
ERZÄHLERIN:
Die „Micrographia“ machte Furore, nicht nur in der Welt der Wissenschaften. Das Werk
und vor allem die darin enthaltenen Zeichnungen erschlossen ihren Lesern nichts
weniger als eine faszinierende neue Welt. Eine Welt, die mit bloßem Auge nicht zu
erkennen war. Mithilfe eines selbstgebauten Mikroskops gelang es Robert Hooke, unter
die Oberfläche der sichtbaren Dinge vorzudringen. Er legte Flöhe, Läuse, Schwämme,
Vogelfedern, ja selbst gefrorenen Urin unter den Vergrößerungsapparat und zeichnete,
was er sah. Und was er entdeckte, nahm den Lesern den Atem.
ZITATOR:
„Ehe ich zu Bett ging, saß ich bis 2 Uhr morgens in meinem Zimmer und las Mr.
Hookes Mikroskopische Beobachtungen.“
ERZÄHLERIN:
…vermerkte sein berühmter Zeitgenosse und Chronist Samuel Pepys in seinem
Tagebuch. Sein Fazit:
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ZITATOR:
„Das genialste Buch, das ich je gelesen habe.“
ERZÄHLER:
Bei bis zu 50-facher Vergrößerung wurden organische Strukturen sichtbar, von denen
man bis dahin nichts ahnte. Als Hooke eine hauchdünne Scheibe Kork unter sein
Mikroskop legt, entdeckt er ein auffälliges Muster:
ZITATOR:
„Ich konnte ganz klar erkennen, dass es ganz perforiert und porös war, sehr ähnlich
einer Honigwabe, nur dass die Poren nicht regelmäßig waren; diese Poren, oder
Zellen, waren nicht sonderlich tief, doch bestanden sie aus sehr vielen kleinen
Kästchen.“
ERZÄHLERIN:
Mit dieser Beschreibung prägte Robert Hooke einen Grundbegriff der Biologie: Die
Bezeichnung „Zelle“ für die kleinste Einheit des Lebens. Er mutmaßte, dass es sich bei
diesen wabenähnlichen Kämmerchen um das Transportsystem für Pflanzensäfte
handle. Eine Fehlinterpretation, wie wir heute wissen. Was Hooke da unter dem
Mikroskop sah, waren die Zellwände des Korks.
ERZÄHLER:
Die Zelle, von lateinisch cellula, kleine Kammer. Sie bildet den Grundbaustein von
sämtlichen pflanzlichen und tierischen Organismen. An der Zelle erkennt man, dass
alle Lebewesen auf der Erde miteinander verwandt sind. Die Zelle ist der
Ausgangspunkt des Lebens auf diesem Planeten und auch Ursprung jedes individuellen
Lebewesens, erklärt die Leiterin der Hauptabteilung Naturwissenschaften im
Deutschen Museum, Sabine Gerber.
O-TON Sabine Gerber
Immer am Anfang steht diese Einzelzelle, auch letztendlich die Entstehung von uns
Menschen, wir bestehen aus einer Ei- und einer Samenzelle und damit geht es los und
aus dieser befruchteten Eizelle entsteht dann der ganze Mensch mit allen seinen
verschiedenen Zellen, und das heißt also auch hier geht das Leben bei seiner
Entstehung wieder zurück auf die einzelne Zelle, die dann eben zu dem ganzen
Organismus heranwächst. Also an der Zelle kommt man nicht vorbei.
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ERZÄHLERIN:
Die Zelle ist die kleinste selbständig lebende Einheit aller Organismen. Sie kann sich
ernähren und Abfallstoffe wieder ausscheiden, sie erzeugt ihre eigene Energie,
reagiert auf Reize und kann sich fortpflanzen. So wie alle Lebewesen.
ERZÄHLER:
Der menschliche Körper setzt sich aus rund 75 Billionen Zellen zusammen. Ihre Größe
wird in Mikrometern gemessen, also Millionstel Meter. Eine durchschnittliche
kugelförmige menschliche Zelle hat einen Durchmesser von rund 25 Mikrometern, also
einem 400stel Zentimeter. Das bedeutet: 60 Millionen Zellen lassen sich bequem in
einen kleinen Würfel von einem Kubikzentimeter packen. Wir können menschliche
Zellen also nicht sehen. Mit einer Ausnahme: der weiblichen Eizelle, der größten
menschlichen Zelle. Sie misst ein Zehntel Millimeter und ist damit für geübte Augen
gerade noch erkennbar.
O-TON Sabine Gerber
Wir stehen hier vor einer Zelle im Deutschen Museum, es ist eine menschliche Zelle,
die 350.000-fach vergrößert ist, d. h. sie ist knappe 3m hoch und sie ist etwa knapp
10m lang, das ist also ein sehr, sehr großes Gebilde, das wir auch gleich begehen
werden, also eine begehbare menschliche Zelle.
ERZÄHLERIN:
Eine begehbare Zelle führt im Deutschen Museum Aufbau und Bestandteile einer
Körperzelle vor Augen. Für das Modell musste man die Zelle aber nicht nur
vergrößern, man hat sie auch stark vereinfacht und beschränkt auf ihre
Grundelemente, so die Biologin Sabine Gerber:
O-TON Sabine Gerber
Eigentlich ist eine Zelle vollgestopft bis oben hin. Wir haben einen – ja – fast leeren
Raum erschaffen, in den man eben auch hineingehen kann, wo man sich umgucken
kann, aber eigentlich müsste man sich vorstellen, wir sind noch ein bisschen kleiner
und wir quetschen uns zwischen dem – ja – endoplasmatischen Ritikulum, also dem in
der Zelle liegenden Netz, quetschen wir uns vorbei und gucken uns alles an, was man
hier sieht.
SPRECHER:
Willkommen auf der Expedition in die Zelle! Wir befinden uns jetzt im
Zellzwischenraum, in der wässrigen Umgebung der Körperzellen. Alles, was die Zellen
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zum Leben brauchen, ist in dieser Flüssigkeit enthalten: Wasser, Nährstoffe und Salze.
Eine Zelle ähnelt in ihrem Aufbau - grob gesagt - einer Kirsche. Wie eine Kirsche ist
auch die Zelle von einer Haut umgeben – der Membran. Die Membran kontrolliert
streng, welche Stoffe hinein- und herausgelangen. Sie schirmt das Zellinnere ab vor
den chemischen Reaktionen, die außerhalb der Zelle ablaufen. Wenn wir nun durch die
Membran ins Zellinnere treten, sehen wir den Zellkern. Er ist eingebettet in eine
wabernde gallertartige Masse, das Zellplasma. Der Zellkern bildet das Herzstück der
Zelle. In ihm befindet sich die gesamte Erbinformation, der komplette Bauplan für
sämtliche Körperzellen. Im Zellkern steht die genetische „Bibliothek“ des Menschen,
die sogenannte DNA. Die Aufgabe des Kerns: Er muss die Bestände der genetischen
Bibliothek erhalten und gegebenenfalls reparieren. Wird ein Fehler übersehen, kann
das schwerwiegende Folgen für den gesamten Organismus haben. Wird die DNA bei
der Zellteilung zum Beispiel falsch kopiert, wird dieser Fehler an die Tochterzellen
weitergegeben. Krebs oder Erbdefekte können entstehen. Wie wir sehen, herrscht in
der Zelle rege Betriebsamkeit. Es geht zu wie in einer kleinen Fabrik. Die
Zellbestandteile werden fortwährend ab- und wieder aufgebaut, elektrische Signale
werden erzeugt, Informationen weitergegeben. Während die DNA im Zellkern steuert
und kontrolliert, stehen für die Ausführung der verschiedenen Aufgaben etliche
„Maschinen“ bereit, die sogenannten Organellen. Unter ihnen herrscht strikte
Arbeitsteilung, alles läuft mit höchster Präzision.
ERZÄHLER:
Damit jedoch überhaupt etwas läuft, braucht die Zelle Energie. Die wird in den
sogenannten Mitochondrien erzeugt, den Kraftwerken der Zelle. Wie das funktioniert,
erklärt die Biologin Sabine Gerber:
O-TON Sabine Gerber:
Die Zelle nimmt Zuckermoleküle auf und Sauerstoff dazu, die über die Blutbahn
angeliefert werden, bzw. aufgenommen werden, und eben durch die Oxidation von
Zucker entsteht Wasser und CO2 und Energie. Und diese Energie wird in der Zelle
oder im Organismus in Form von ATP gehalten, also Adenosintriphosphat, und das ist
der universelle Energiespeicher der Zelle, der an allen Stellen des Körpers verwendet
wird, d.h. alles wird erst einmal so in zuckerartige Moleküle umgewandelt, die werden
dann oxidiert und zu ATP gemacht und dieses ATP ist überall im Körper, wo Energie
verbraucht wird. Und die werden in diesen Mitochondrien gemacht.
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ERZÄHLERIN:
Die Umwandlung von Energie in ATP nennt man „Zellatmung“. Je energiehungriger
eine Zelle ist, desto mehr Mitochondrien besitzt sie. Die meisten Mitochondrien haben
Herzmuskelzellen. Aber auch Nerven- und Sinneszellen brauchen sehr viel Energie und
verfügen daher über besonders viele Kraftwerke.
ERZÄHLER:
Die Energie wird zum Beispiel hier dringend gebraucht: in den Ribosomen. Die
Ribosomen sind quasi die Werkbank für die Herstellung von Proteinen, den Baustoffen,
aus denen die Zelle besteht. Verknüpft sind die Ribosomen – Achtung, noch mehr
Fachlatein - mit dem endoplasmatischen Riticulum. Was das ist und welche Funktion
es hat, erklärt Sabine Gerber.
O-TON Sabine Gerber:
Das endoplasmatische Riticulum, auf Deutsch übersetzt: das im Plasma liegende
Netzchen, das ist also ein Transportsystem, ein Kanalsystem, was die ganze Zelle
durchzieht und was eben tatsächlich Proteine, die an der Stelle A hergestellt worden
sind, auf die Stelle B transportiert, sie nochmal verändert, verpackt – das
endoplasmatische Riticulum ist eng verbunden mit dem Golgi Apparat, diesem grünen
Gebilde dort, hier also auch wieder membranumhüllte Hohlräume. Das Ganze wird
weitertransportiert, verändert, befüllt, „getagt“ – wie man so schön sagt, also mit
einem Aufkleber versehen „Das soll da hin“ – und geht dann am Ende – wie man auch
hier sieht – aus der Zellmembran wieder hinaus.
SPRECHER:
Der Reinigung der Zelle von Reststoffen dienen die Lysosomen, die zelleigene
Müllabfuhr. Sie sammeln das nicht mehr benötigte Material ein und bauen es ab.
Soweit also unsere kurze Führung durch die Zelle.
ERZÄHLER/ERZÄHLERIN:
Eizellen, Samenzellen, Nervenzellen, Blutzellen, Hautzellen, Muskelzellen,
Bindegewebszellen, Epithelzellen, Lungenzellen, Leberzellen, Gehirnzellen,
Drüsenzellen…
ERZÄHLER:
Ob wir atmen, uns bewegen oder denken, stets sind an diesen Prozessen Zellen
beteiligt. Unser Körper besteht aus mehr als 200 Zelltypen mit jeweils bis zu Billionen
Einzelzellen. Zellen eines Typs arbeiten meist in Verbänden zusammen, in Organen
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oder Geweben. Nahezu alle diese Zelltypen haben zwar den gleichen Grundbauplan,
unterscheiden sich aber trotzdem deutlich voneinander, Sabine Gerber:
O-TON Sabine Gerber:
Also man sieht, dass Zellen in ihrer differenzierten, fertigen Form je nach ihren
Aufgaben unterschiedliche Größen, unterschiedliche Formen, unterschiedliche
Inhaltsstoffe haben, Unterschiedliches machen. Jetzt haben wir links von uns vielleicht
die Zelle, die über ihre Funktion am meisten von außen verrät. Ist eine Nervenzelle.
Die hat einen Kopf mit so ein paar Auswüchsen dran, einen langen Stängel, wenn man
so will, und unten nochmal Füßchen, die sich ausbreiten, das Ganze ist ein
Motorneuron, also eine Nervenzelle, die am Ende der Nervenleitung ist und an einem
Muskel sitzt. D. h., bei ihren Füßchen kann man sich vorstellen, dass die einen Muskel
umgreift, und dem Muskel letztendlich sagt, er soll sich zusammenziehen oder nicht.
ERZÄHLERIN:
Nervenzellen mit ihren Fortsätzen sind die längsten Körperzellen. Bis zu einem Meter
lang sind die Nervenzellen, die vom Gehirn bis ins Rückenmark reichen.
ERZÄHLER:
Fast alle Zellen können sich durch Zellteilung vermehren. Die Zelle kopiert die
Erbinformation und es bilden sich zwei exakt gleiche Zellen. Auf die Weise wächst der
Organismus, Gewebe und Organe werden nach Verletzungen regeneriert und
abgestorbene oder geschädigte Zellen ersetzt. Das Knochenmark beispielsweise bildet
annähernd 160 Millionen rote Blutkörperchen in der Minute. Und das ein Leben lang.
Andere Zelltypen dagegen teilen sich nur während einer bestimmten
Entwicklungsphase und bleiben dann lebenslang erhalten, z.B. Nerven- oder
Muskelzellen.
ERZÄHLERIN:
Zellen beherrschen das Multitasking. Zum einen erfüllen sie ihre üblichen Aufgaben im
Organismus - Hautzellen beispielsweise wehren Bakterien ab, Nervenzellen empfangen
und senden Signale und Flimmerzellen befördern Fremdstoffe aus den Bronchien
heraus. Zum anderen sind Zellen aber damit beschäftigt, sich zu teilen. Zunächst so,
dass sie nur Kopien von sich selbst erzeugen. Einige davon produzieren dann jedoch
Abweichungen. In der Entwicklung des Menschen beginnt diese Differenzierung der
Zellen schon wenige Teilungen nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.
Zellbiologe Frank Schnorrer vom Münchner Max-Planck-Institut für Biochemie:
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O-TON Frank Schnorrer:
Die verschiedenen Zelltypen entstehen dann in verschiedenen Stadien während dieser
Entwicklung, zu bestimmten Entwicklungszeitpunkten werden dann Entscheidungen
getroffen, ob man jetzt zum Beispiel in Richtung Nervenzelle differenzieren soll oder
Richtung Gliazelle, das ist eine unterstützende Zelle, die die Neuronen mit Nährstoffen
versorgt. Und diese Neuron und Glia, die haben eben eine gemeinsame Vorläuferzelle,
die dann durch eine asymmetrische Zellteilung, wo dann wirklich die Zelle sich nicht
einfach nur in der Mitte durchschnürt, sondern asymmetrisch teilt, das heißt
bestimmte Zelldeterminanten gehen sozusagen in den rechten Teil der Zelle, andere
Determinanten gehen in den linken Teil der Zelle und wenn dann sich die Zelle
durchschnürt bei der Teilung, die dann festlegen können: O. k., diese linke wird jetzt
die Gliazelle zum Beispiel und die rechte Zelle wird die neuronale Zelle.
ERZÄHLER:
Während sich die ersten Zellen des Embryos also noch zu jedem beliebigen
Körpergewebe weiterentwickeln können – man nennt sie deshalb „pluripotente
Stammzellen“ - sind sie nach zirka einem Tag weitgehend in ihrer Entwicklung
festgelegt. Je mehr der Embryo wächst, desto spezialisierter werden seine
Körperzellen. Sie kommunizieren miteinander und beeinflussen sich gegenseitig.
ERZÄHLERIN:
Was in den einzelnen Zellen im individuellen Organismus während seiner Entwicklung
passiert, hat sich auch in der Evolution des Lebens auf der Erde generell vollzogen.
Auch hier haben sich die Organismen immer weiter differenziert und spezialisiert und
mit ihnen ihre jeweiligen einzelnen Zellen. Sie mussten sich immer wieder neu
anpassen, an die Umgebung und aneinander. Was sich bewährte, wurde beibehalten.
Deshalb finden wir in der gesamten Fauna ähnliche Zellen. Typische Muskel- und
Nervenzellen gibt es auch bei Fischen, Insekten und Würmern. Doch was war der
Ausgangspunkt, womit fing die Familien-Geschichte der Zellen an? Frage an den
Entwicklungsbiologen Frank Schnorrer.
O-TON Frank Schnorrer:
Ich schätze, also dass es wahrscheinlich auf eine Zelle zurückgeht, weil alle Zellen den
gleichen Mechanismus jetzt benutzen im Prinzip, vom Bakterium zur einzelligen Hefe
über die komplexeren Organismen zum Menschen, läuft im Prinzip – wie ne Zelle sich
vermehrt, wie sie sich teilt – alles nach dem gleichen Prinzip ab, und deswegen kann
man davon ausgehen, dass eine einzige Zelle der Start war.
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ERZÄHLER:
Und woher kam diese eine Urzelle? Wie konnte auf der Erde, die doch vor vier
Milliarden Jahren noch wüst und leer war, die Vorstufe des Lebens entstehen? Diese
Frage trieb Anfang der 50er-Jahre auch den Chemie-Studenten Stanley Miller an der
Universität von Chicago um.
ERZÄHLERIN:
Methan, Ammoniak, Kohlenmonoxid, Wasserdampf. Das waren die Zutaten zur
„Ursuppe“, die Stanley Miller im Labor zusammenrührte. Dazu hohe Temperaturen und
viele elektrische Entladungen, um Blitze zu imitieren. Sein Ziel: Einmal Schöpfer
spielen, etwas schaffen, das es vorher noch nicht gab: etwas Lebendiges. Nach nur
einer Woche dann das atemberaubende Ergebnis:
O-TON Frank Schnorrer:
Die Sensation war da, dass man eben in relativ kurzer Zeit aus sehr einfachen
Bestandteilen wie Methan und Wasser natürlich und ne Stickstoffquelle, dass man
dadurch komplexe organische Moleküle aufbauen kann und eben auch welche, eben
die Aminosäuren, die in Zellen auch vorhanden sind.
ERZÄHLER:
Der Versuch bewies also, dass die Ur-Atmosphäre dazu geeignet war, wichtige
Lebensbausteine hervorzubringen. Aminosäuren alleine machen jedoch noch keine
Zelle. Sogar die primitivste Zelle muss aus mehreren Protein-Molekülen bestanden
haben und – vor allem – in der Lage gewesen sein, sich selbst zu vermehren. Zufälle
und viel Zeit waren dazu wohl nötig. Man nimmt an, dass die Moleküle im Laufe der
Evolution irgendwann in winzige Fettbläschen eingeschlossen wurden, die ihnen
Schutz boten und aus denen sich dann später die Membran bildete. Derartige einfache
einzellige Lebewesen, die sich reproduzieren konnten, entstanden vor knapp vier
Milliarden Jahren. Im Laufe ihrer Geschichte haben sie sich immer weiter
auseinanderentwickelt. Der riesige Schritt von der sogenannten Einzelligkeit zur
Vielzelligkeit hat den Weg geebnet für die Entstehung der überwältigenden Fülle von
komplexen Lebensformen auf der Erde. Dieser Prozess vollzog sich vor 800 Millionen
Jahren, so Thomas Junker, Biologiehistoriker an der Universität Tübingen.
O-TON Thomas Junker
Das Erstaunliche ist, dass es so spät passiert ist. Das heißt, es ist offensichtlich relativ
kompliziert. Jede unserer Zellen hat ja ein eigenes Erbmaterial und jetzt müssen Sie
die dazu bringen, zusammenzuarbeiten, zusammenzubleiben und sich arbeitsteilig an
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dieser Fortpflanzung und an diesem Leben zu beteiligen. Das heißt, sie müssen
Kontrollmechanismen haben, sie müssen Mechanismen haben, wie die sich
absprechen, kommunizieren untereinander, und das ist sehr, sehr kompliziert und ist
deshalb wahrscheinlich erst so spät entstanden – eben nach fast drei Milliarden Jahren
der Evolution.
ERZÄHLERIN:
Die Zellen, diese kleinsten lebendigen Organismen in unserem Körper, bewältigen
Aufgaben von immenser Komplexität und das ununterbrochen und mit hoher
Präzision. Das Innenleben der Zelle findet auf unvorstellbar kleinem Raum statt. Darin
sind etwa zwei Meter DNA-Strang in einem Zellkern untergebracht, der nur einen
Durchmesser von wenigen Tausendstel Millimetern hat. Die menschliche DNA
wiederum besteht aus 25.000 Genen. Sie enthalten die Anleitung für die Ausbildung
von Protein-Molekülen, den winzigen Baustoffen und Maschinen unseres Körpers.
Zigtausende davon gibt es in jeder Zelle, sie erledigen lebenswichtige Aufgaben.
ERZÄHLER:
Tag für Tag arbeiten die Zellen so für (ihr und) unser Überleben. Sie sind dabei
ständigen Angriffen aus der Umwelt ausgesetzt: Strahlen, Chemikalien oder Giften, die
unser Genmaterial schädigen können. Die meisten dieser Schädigungen oder
Mutationen erkennt die Zelle und bessert sie aus. Versagt der Reparaturmechanismus,
können Proteine in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Ein einziges fehlerhaftes
Protein kann den gesamten Organismus gefährden und zu Krankheiten wie Krebs,
Alzheimer oder Parkinson führen. Trotzdem, so betont Sabine Gerber, ist für uns nicht
eine Gen-Mutation die größte Gefahr.
O-TON Sabine Gerber:
Woran wir heute sterben, ist im Wesentlichen Verschleiß, irgendwann kommt der
Mechanismus des Nachbildens nicht mehr nach, die Zellteilung wird langsamer, das ist
vielleicht die größte Gefahr jetzt für uns heute.
ERZÄHLERIN:
Wie für unseren ganzen Organismus ist Leben auch für alle unsere Zellen ein ständiger
Kampf, ein Ringen um die bestmögliche Anpassung an die Erfordernisse der Umwelt.
Zellen habe sich als Erfolgsmodell der Evolution erwiesen. Ein Erfolgsmodell mit einer
vier Milliarden Jahre alten Tradition, das jenseits unserer Aufmerksamkeit unermüdlich
weiter an seiner Perfektion arbeitet.
stopp
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