M E D I Z I N Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereichs Miriam Katharina Steuer-Vogt1 Viktor Bonkowsky1 Michael Scholz2 Wolfgang Arnold1 Mistellektin-1-normierte Viscumtherapie Zusammenfassung Im Rahmen einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten Multicenterstudie bei Patienten mit resektablen Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen, bei denen der Einfluss einer adjuvanten ML-1-normierten Mistelextrakttherapie (Eurixor) auf die rezidivfreie Überlebensrate überprüft werden sollte, wurden 495 Patienten randomisiert und 477 entsprechend dem Studienprotokoll behandelt. Patienten der Therapiegruppen erhielten neben der Operation und gegebenenfalls Radiatio über 60 Wochen lang zweimal pro Woche subkutane Injektionen des Extraktes (1 ng ML-1 pro kg KG) in Therapiezyklen von drei Monaten und vier Wochen Therapiepause. Weder bezüglich des krankheitsfreien Überlebens, der krankheitsspezifischen Überlebensrate, hinsichtlich ausgewählter Immunparameter oder der Lebensqualität konnte nach einer medianen Nachbeobachtung von 40 Monaten ein signifikanter Unterschied in den Vergleichs- gruppen gefunden werden. Aus der Untersuchung können weder Rückschlüsse auf andere Tumorentitäten noch auf andere Viscumextrakte oder Dosierungen gezogen werden. Schlüsselwörter: ML-1-normierter Mistelextrakt, adjuvante Therapie, Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinom, krankheitsfreie Überlebensrate Summary ML-1 Standardized Mistletoe Treatment in Patients with Head and Neck Squamous Cell Carcinoma A prospective, randomized, multicentre trial in patients with head and neck squamous cell carcinoma was conducted. A total of 495 patients were enrolled to undergo either surgery with or without adjuvant mistletoe treatment or surgery and radiotherapy with or without adjuvant D ie Zahl kontrollierter Studien, die zu Prävalenz, Kosten und Beweggründen für die Wahl komplementärmedizinischer Behandlungsmethoden bei Tumorerkrankungen durchgeführt werden, ist im Vergleich zur Vielzahl der Publikationen sehr gering. Dennoch besitzen unkonventionelle Therapiekonzepte weltweit, vor allem aber in den hoch entwickelten Industrieländern Europas sowie den Vereinigten Staaten von Amerika eine hohe Popularität (10, 14, 36). Die derzeitige Beliebtheit der Komplementärmedizin ist, nach der Ansicht von E. Ernst (1998), eine ernst zu nehmende Kritik am heutigen Medizinbetrieb: Enttäuschte und verzweifelte Patienten wenden sich dorthin, wo es (vermeintlich) Hoffnung und Verständnis gibt (12). Von den zahlreichen unkonventionellen Methoden, die bei der Krebsbekämpfung eingesetzt werden, nimmt die Behandlung mit Mistelextrakten aufgrund historischer Entwicklungen vor allem in der Schweiz und in Deutschland eine herausragende Stel- A 3036 lung ein (18, 28). Wissenschaftliche Beweise für den Effekt einer Therapie mit Viscumextrakt bei einer definierten Tumorentität fehlen bis zum heuti1 Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Arnold), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München 2 Institut für Medizinische Statistik und Epidemiologie (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Albrecht Neiß), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München mistletoe treatment. Patients who were randomly but unblinded assigned to the adjuvant mistletoe treatment received subcutaneous injections of a mistletoe lectin-1 (ML-1) standardized mistletoe extract (1 ng ML-1 per kilogram of body weight twice a week over one year, in treatment cycles of three months followed by a break of four weeks). The median follow up after enrollment was 40 months. In the main analysis based on 477 patients (202 treated with surgery, 275 treated with surgery and radiotherapy) no statistically significant differences in the disease free survival, in the overall survival, in defined immune parameters or quality of life parameters could be detected. Further controlled clinical trials concerning other cancers have to clarify the mistletoe efficacy. Key words: ML-1 standardized mistletoe preparation, adjuvant treatment modality, head and neck squamous cell carcinoma, disease free survival gen Zeitpunkt (13). Dabei liegen fast 1 000 Publikationen vor, die Viscumextrakte oder deren Inhaltsstoffe betreffen und die in sechs relevanten medizinischen Datenbanken gefunden werden können. Die weitaus größte Zahl der Publikationen, die die Behandlung mit Viscumextrakten oder deren Inhaltsstoffen zum Thema haben, beinhaltet Untersuchungen aus dem Bereich der Grundlagenforschung. Die Zahl kontrollierter klinischer Studien, die Rezidiv- und Überlebensrate als Zielkriterium behandeln, ist seit der 1994 erstellten Übersicht von Kleijnen und Knipschild (29) kaum gestiegen. Die Gesamtkosten für Mistelextrakte werden in Deutschland auf circa 70 bis 80 Millionen DM jährlich geschätzt. Exakte Angaben liegen nur für Präparate von drei Herstellern vor, da deren Umsatz sozioökonomisch relevant erscheint (22). ✁ ½ Jg. 98½ ½ Heft 46½ ½ 16. November 2001 Deutsches Ärzteblatt½ M E D I Z I N ´ Tabelle 1 C C ´ Registrierte Mistelextrakte auf dem deutschen Arzneimittelmarkt Handelsname Abietis*1 Wirtsbaum Firma/Zulassung Lektingehalte (8, 25, 31, 35, 41, 48, 51)*1 Tanne Abnoba Heilmittel GmbH/1972 n.b.*2 1 ABNOBA viscum 2 ABNOBA viscum Aceris*1 Ahorn n.b. 3 ABNOBA viscum Amygdali*1 Mandelbaum Stufe 2 – 3 000 ng Lektin/ml ABNOBA viscum Betulae*1 Birke n.b. 5 ABNOBA viscum Crataegi*1 Weißdorn n.b. 6 ABNOBA viscum Fraxini*1 Esche Verd. Stufe 2 – 10 700 ng Lektin/ml 7 ABNOBA viscum Mali*1 Apfelbaum Verd. Stufe 2 – 6 000 mg Lektin/ml; Verd. Stufe 3 – 1 000 mg Lektin/ml; enthält nur wenig ML-1, v.a. ML-2/3 8 ABNOBA viscum Pini*1 Kiefer Verd. Stufe 2 – 300 ng Lektin/ml; 50 mal weniger Gesamtlektin als Quercus; enthält nur ML-2/3 9 ABNOBA viscum Quercus*1 Eiche Verd. Stufe 2 – 8 500 ng Lektin/ml; Gesamtlektingehalt 7 000 ng/ml 10 Cefalektin*3 Apfel Cefak KG/1999 n.b. 11 Eurixor*3 Pappel Biosyn Arzneimittel GmbH/1990 70 ng ML-1/ml Extrakt (Biosyn Arzneimittel GmbH) Tanne Helixor Heilmittel GmbH & Co./1982 50 mg – 4 400 ng Lektin/ml; 100 mg – 2 600 ng Lektin/ml; 650 – 6 400 ng Mistellektine/ml 4 A*1 12 Helixor 13 Helixor M*1 Apfelbaum 20 mg – 230 ng Lektin/ml; 30 mg – 675 ng Lektin/ml 50 mg – 1 040 – 4 050 ng Lektin/ml; 100 mg – 1500 ng Lektin/ml; enthält nur ML-2/3 5 200 ng Gesamtlektin/ml 14 Helixor P*1 Kiefer 50 mg – 50 ng Lektin/ml; 100 mg – 2 000 – 6 400 ng Lektin/ml; enthält nur ML-2/3 8 500 ng Gesamtlektin/ml 15 Iscador M*1 Apfelbaum 16 Iscador P*1 Kiefer 8 ng Lektin/ml; 2 ng ML-2/ml, enthält keine Mistellektine (ML-1,2, 3) Eiche 565 ng Lektin/ml; 5% – 400 ng Lektin/ml, 866 ng Gesamtlektin/ml n.b. Qu*1 17 Iscador 18 Iscador U*1 Ulme 19 Isucin Mali*1 Apfelbaum 20 Isucin Quercus*1 Weleda AG/ca. 1930 Wala-Heilmittel GmbH ca. 1960 402 ng Lektin/ml; enthält nur ML-2/3; Iscador 5%; 145 – 920 ng Gesamtlektin/ml, 580 ng Gesamtklektin/ml n.b. Eiche n.b. Isucin Pini*1 Kiefer n.b. 22 Isucin Tiliae*1 Linde n.b. 23 Isucin Crataegi*1 Weißdorn n.b. 24 Isucin Abietis*1 Tanne n.b. 25 Isucin Salicis*1 Weide n.b. Isucin Populi*1 Pappel n.b. 27 Lektinol L*3 Pappel Madaus AG/1996 ML-1 normierter wässriger Extrakt [15 ng ML-1/0,5 ml Extrakt] (Madaus AG) 28 Vysorel A*4 Tanne Novipharm GmbH 1983 n.b. 29 Vysorel M*4 Apfelbaum Stärke 24 – 12 ng Lektin/ml; Stärke 36 – 16 ng Lektin/ml Stärke 60 – 750 ng Lektin/ml 30 Vysorel P*4 Kiefer n.b. 21 26 *1 Anthroposophische Monographie; *2 n.b. = nicht bekannt/publiziert; *3 Phytotherapeutische Monographie; *4 Entzug der Zulassung zum 1. Juli 2000, *5 weitere Verdünnungsstufen als die angeführten sind der Roten Liste zu entnehmen ½ Jg. 98½ ½ Heft 46½ ½ 16. November 2001 Deutsches Ärzteblatt½ A 3037 M E D I Z I N Heterogenität der Mistelpräparate Bis Juli 2000 waren auf dem deutschen Arzneimittelmarkt 30 Viscumextrakte von acht Herstellern verfügbar (Tabelle 1), die als Vielgemischsubstanzen teilweise sehr unterschiedliche und größtenteils unbekannte Zusammensetzungen aufwiesen (Tabelle 2). Diese rühren sowohl vom Wirtsbaum, vom Zeitpunkt der Ernte als auch von differenten Herstellungsverfahren her (48). Zwei unterschiedliche Denkansätze existieren innerhalb der Misteltherapie (46). Zum einen wurde und wird postuliert, dass nur die jeweilige Gesamtkomposition des nativen Wirkstoffgemisches eine positive Wirkung beim Tumorpatienten entfalten kann, auf der anderen Seite wurde das Hauptmistellektin ML-1, welches identisch ist mit dem Viscum album L. Agglutinin 1 (VAA-1), als wirksamkeitsbestimmende Substanz im Gesamtextrakt definiert. Bei den verschiedenen Viscumextrakten besteht keine Phytoäquivalenz, kein einziges Präparat eines Herstellers ist mit dem eines anderen identisch. Deshalb sollte bei Untersuchungen mit Mistelextrakten stets der Handelsname unter Einschluss der Wirtspflanze angegeben werden, da die Mittel der verschiedenen Hersteller nicht gegeneinander austauschbar sind (11). So umgeben bei einem Hersteller Vesikel die Wirkstoffe, wässrige Auszüge zeigen unterschiedliche Konzentrationen der Extrakte oder die Angabe der Konzentration erfolgt durch Angabe der Frischpflanzenmenge. Teilweise werden fermentierte Auszüge basierend auf einer Milchsäuregärung verwandt oder aber der Saft von acht Wirtsbäumen unter Wärmeeinwirkung und Mischung zu einem Präparat verarbeitet. Bei einem Hersteller wird die biologische Aktivität anhand der Wirkung des Präparates an Zellkulturen bestimmt, bei einem anderen wiederum werden die Präparate auf den Viscotoxingehalt standardisiert. Im phytochemischen Bereich wird innerhalb der Europäischen Union zwischen normieren und standardisieren unterschieden. Ist bei dem Phytotherapeutikum eine wirksamkeitsbestim- A 3040 ´ Tabelle 2 C C ´ Hauptinhaltsstoffe von Mistelextrakten Strukturtypen Verbindungen niedermolekulare Verbindungen Sterine, Triterpene b-Sitosterin, b-Amyrin (a-Viscol), Oleanolsäure Flavonoide Mono-, Di-, Trimethylether des Quercetins; zum Teil als Glycoside Aminosäuren c-Aminobuttersäure, Valin, Leucin, Arginin, Asparagin u. a. Amine Cholin, Acetylcholin, b-Phenylamin, Tyramin, Histamin Zuckeralkohole Mannit, Inosit Pflanzensäuren Kaffee-, Vanillin-, Sinapin-, Ferula-, Syrings-, Protocatechusäure, Gentisin-, Shikimi-, Anissäure Phenylpropanderivat Syringin hochmolekulare Verbindungen Polypeptide ( Molekulargewicht ca. 5 000 Da) Viscotoxine A1, A2, A3, B, 1-Ps, U-PS Polysaccharide Pektine, Arabinogalaktan Glykoproteine Lektine (ML-1, ML-2, ML-3, VisalbCBA) modifiziert nach (47) mende Substanz bekannt, so erfolgt eine Einstellung (Normierung) auf einen festgelegten Normwert (entspricht dem Wirkstoffgehalt), um eine gleichbleibende Wirkung zu erzielen. Es kommt hier darauf an, eine ausreichende Menge der Wirksubstanz zu rezeptieren (bezogen auf Mistelextrakte beispielsweise ML-1) und nicht eine definierte Menge an nativem Extrakt, um die pharmakologische Wirkung zu erzielen. Bei Drogenzubereitungen ohne wirksamkeitsbestimmende Substanzen ist der gesamte Anteil des nativen Extraktes maßgebend und qualitätsbestimmend, eine Normierung auf einen Inhaltsstoff kann nicht erfolgen. Die Standardisierung ergibt sich aus der Spezifikation der Extraktzubereitung, des so genannten Standards, der reproduzierbar erreicht werden muss. Das Verhältnis von nativem Extrakt zu technischen Hilfsmitteln muss bei allen Chargen konstant bleiben (17). Zwischenzeitlich wurden sowohl die Aminosäurensequenz als auch die dreidimensionale Struktur des Mistellektins ML-1 beschrieben (39, 40, 45). Auch rekombinant hergestelltes ML-1 (rML-1) steht für Forschungszwecke bereits zur Verfügung (38). Dieses müsste allerdings sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen, um als Arzneimittel registriert werden zu können, da es nun – chemisch klar definiert – nicht mehr zu den Phytotherapeutika zählt. Eine solche Zulassung würde zwischen 300 und 500 Millionen DM kosten. Lektin-normierter Extrakt als Immunmodulator 1990 war das erste Viscumpräparat zugelassen worden, welches entsprechend den Untersuchungen von Gabius (16), auf ML-1 normiert war (1). Da ML-1 als der wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoff angesehen wurde (5, 20, 21), muss hier pharmakologisch von einer Normierung und nicht von einer Standardisierung gesprochen werden (17). Der ML-1-normierte Mistelextrakt war aus folgenden Gründen für den Einsatz bei den Kopf-Hals-Tumorpatienten mit bekannter Immunsuppression (19, 49, 50) ausgewählt worden: Sowohl In- ½ Jg. 98½ ½ Heft 46½ ½ 16. November 2001 Deutsches Ärzteblatt½ M E D I Z I N vitro- als auch In-vivo-Untersuchungen sowie klinische Anwendungsbeobachtungen wiesen auf die immunologische/antitumoröse Aktivität von ML-1 beziehungsweise Eurixor hin. Hierbei wurde in den klinischen Studien vorwiegend Eurixor, im Tierversuch vorwiegend ML-1 untersucht. Um im Vielstoffgemisch die Wirkung auf das Lektin zurückführen zu können, wurden Versuche bei Mäusen als auch bei freiwilligen Probanden mit Extrakten ohne Lektin durchgeführt, wobei sich in letzteren die ML-1-spezifischen immunologischen Wirkungen nicht zeigten (5, 21). Es wurde nachgewiesen, dass ML-1 die fiel auf Eurixor, da es das am besten definierte, normierte und untersuchte Präparat darstellte und positive Wirkungen bei seiner Anwendung am wahrscheinlichsten erschienen. Studiendesign 1992 wurde zusammen mit dem Institut für Medizinische Statistik und Epidemiologie der Technischen Universität München eine multizentrische Studie bei Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen zur Bewertung einer adjuvanten Misteltherapie geplant (44). Sie setzte Grafik 1 Adjuvante Viscumtherapie Mit den Eurixor-Injektionen (70 ng ML1 in 1 ml ML-1-normiertem Extrakt für die Dauer von 60 Monaten mit vierwöchigen Injektionspausen nach jeweils drei Monaten in den Wochen 12 bis 16, 28 bis 32 und 44 bis 48) wurde entsprechend der Randomisierung nach histologischer Bestätigung und Festlegung der cTNM-Klassifikation begonnen. Patienten der Kontrollgruppen erhielten keine additive Viscumtherapie, die Behandlung war ansonsten identisch. Auf die Injektion eines Placebopräparates wurde nach Rücksprache mit der Ethikkommission verzichtet. Gründe hierfür waren zum einen die bekannten Nebenwirkungen von Eurixor vor allem zu Therapiebeginn. Zum anderen erschien die Wahrscheinlichkeit, dass Rezidivrate und Überlebenszeit von den Injektionen wesentlich beeinflusst würden, vernachlässigbar klein zu sein. Die Tumornachsorge im Rahmen der Studien erfolgte bis Woche 252 innerhalb der onkologischen Sprechstunden der vier teilnehmenden Universitäts-HNO-Kliniken, die Injektionen wurden von den mitbetreuenden Haus- oder HNO-Ärzten vorgenommen. Studienergebnisse Anzahl der registrierten Patienten im Zeitraum von September 1993 bis Januar 1997 Aktivität des unspezifischen Immunsystems steigerte (21), bei Mammakarzinompatientinnen stieg die Zahl definierter Lymphozytensubpopulationen unter der Therapie (6, 23), ML-1 führte zu einer Erhöhung der CD8+-Zellzytotoxizität (2), die Sekretion von TNF-a wurde induziert (30). Untersuchungen mit Eurixor zeigten eine transiente Freisetzung von Interleukin 1 (IL-1), eine länger andauernde IL-2-Sekretion, aber keine Induktion von IL-6 (4). Im Tierversuch wurde eine Hemmung der Metastasierung nachgewiesen (7). Die Wahl des Mistelextraktes für die vorliegende prospektiv geplante Studie A 3042 sich aus insgesamt vier Behandlungsarmen zusammen, wobei Patienten, die ausschließlich operativ versorgt wurden, als auch Patienten, die eine postoperative Radiatio erhielten, ab 1993 in die Gruppen mit und ohne Misteltherapie randomisiert wurden. Die behandelnden Ärzte hatten keinen Zugang zu den Randomisierungslisten. Die erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung einer kontrollierten klinischen Studie (32) mit Genehmigung durch die Ethikkommission, Patientenaufklärung, Einverständniserklärung und Abschluss einer Patientenversicherung waren erfüllt. Zwischen September 1993 und Januar 1997 wurden 588 Patienten an vier HNO-Universitätskliniken registriert; 477 Patienten erhielten eine Therapie innerhalb der Studie (Grafik 1; 202 Patienten, die ausschließlich operativ versorgt wurden [105/97; ohne/mit Eurixor], 275 Patienten, die operativ und radiotherapeutisch behandelt wurden [137/138; ohne/mit Eurixor]. Das Durchschnittsalter betrug im Median 56 Jahre [29 bis 70], die Geschlechtsverteilung weiblich/männlich betrug 8 Prozent/92 Prozent. 185 [95/90; ohne/mit Eurixor] Larynx-, 136 [68/68] Oropharynx-, 78 [39/32] Mundhöhlen- und 78 [40/38] Hypopharynxkarzinome wurden eingeschlossen [UICC 1992: I (n = 103), II (n = 95), III (n = 82), IV (n = 197)] (24). Auch bezogen auf die Größe der Primärtumoren, die regionäre Halslymphknotenmetastasierung und den Resektionsstatus fand sich in ½ Jg. 98½ ½ Heft 46½ ½ 16. November 2001 Deutsches Ärzteblatt½ M E D I Z I N ´ Tabelle 3 C ´ Inzidenz von Rezidiven, Zweitkarzinomen, Fernmetastasen und Todesfällen bei einem medianen Follow-up von vier Jahren Gesamtzahl (n = 477) n (%) Operation Kontrollgruppe (n = 105) n (%) Operation Mistelgruppe (n = 97) n (%) OP + Radiatio Kontrollgruppe (n = 137) n (%) OP + Radiatio Mistelgruppe (n = 138) n (%) Gesamtzahl der Ereignisse 200 (42) 35 (33) 24 (25) 66 (48) 75 (54) Rezidive*1 Lokales Rezidiv einseitig beidseitig 118 (25) 97 23 26 23 (22) 16 7 4 14 (14) 13 2 0 32 (23) 25 7 9 49 (36) 43 7 13 Fernmetastasen*1 Lunge Knochen Leber Gehirn Andere Organe*2 57 (12) 36 16 12 6 6 3 (3) 3 0 0 0 0 2 (2) 1 0 1 0 0 30 (22) 17 9 8 2 4 22 (16) 15 7 3 4 2 Zweitkarzinom*1 Lunge Kopf-Hals-Region*3 Ösophagus Pankreas 46 (10) 18 17 13 2 10 (10) 4 4 3 1 9 (9) 4 4 1 0 15 (11) 6 5 5 0 12 (9) 4 4 4 1 Tod 167 (35) 21 (20) 16 (16) 59 (43) 71 (51) Tod durch Karzinom 157 (33) 20 (19) 14 (14) 54 (39) 69 (50) *1 Patienten mit simultan aufgetretenen Rezidiven sind in dieser Tabelle eingeschlossen; *2 Haut, Niere, Chorioidea, Mediastinum, Peritoneum; *3 Mundhöhle, Oropharynx, Hypopharynx, Larynx. den beiden jeweiligen Gruppen (mit und ohne Misteltherapie) eine ausgewogene Verteilung als Zeichen einer nicht beeinflussten externen Randomisierung. Tabelle 3 enthält die Inzidenz der onkologischen Ereignisse (lokale/lokoregionäre Rezidive, Zweitkarzinome sowie Fernmetastasen) nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von vier Jahren. Die Grafik 2 zeigt die nach Kaplan-Meier geschätzte kumulative „Rezidivfreiheitsrate“, die das Hauptzielkriterium darstellte. Zum Zeitpunkt der Endauswertung bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den 242 Patienten ohne komplementäre Therapie und den 235 mit Eurixor behandelten Patienten (Log-rank-Test, a-Adjustierung nach O`Brien, Fleming, Intention-to-treat-Analyse) (43). Im Patientenkollektiv der Autoren wurden in 33 Prozent tumorbedingte, in zwei Prozent nicht tumorbedingte Todesfälle registriert. Die Verteilung der onkologischen Ereignisse dieser Untersuchung deckt sich mit Daten aus der Literatur (9, 26, 37), wobei berücksich- A 3044 tigt werden muss, dass in der vorliegenden Studie nur Erstereignisse registriert wurden und inoperable Tumoren nicht eingeschlossen wurden. Neben einer fehlenden Beeinflussung der krankheitsfreien Überlebensrate fanden sich weder Veränderungen definierter zellulärer Immunparameter noch der Lebensqualität, gemessen mit dem EORTC-QLQ-C30-Instrument (42). Dieses wurde jedem Patienten entsprechend dem Rhythmus der Injektionszyklen und Pausen über drei Jahre insgesamt 18-mal vorgelegt (Publikationen in Vorbereitung). Bisher wurde in keiner klinischen Studie mit Viscumextrakten dieses EORTC-Instrument angewandt. men (43). Die durch Eurixor bedingte Abbruchrate lag bei 18,3 Prozent. Insgesamt war die Therapie gut verträglich und eignete sich für die ambulante Therapie oder Selbstmedikation. Generalisierte Nebenwirkungen in Form eines anaphylaktischen Schocks, wie sie kürzlich bei einem Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom beschrieben wurden (15), konnten nicht beobachtet werden. Bei subkutaner Anwendung der beschriebenen ML-1-Dosierung im Nanogrammbereich konnte durch Untersuchung von 19 Laborparametern eine systemische Toxizität ausgeschlossen werden (42). Auswahl der Dosierung und des Behandlungszeitraums Lokale und systemische Nebenwirkungen Bei 43 Prozent der Patienten wurden am Ende der ersten Therapiewoche vorwiegend lokale, seltener systemische Nebenwirkungen beobachtet, die kontinuierlich mit Dauer der Injektionen abnah- In der Auswahl der Dosierung, die eine Immunstimulierung bewirken soll (0,5 und 1 ng ML-1/kg KG), wurde den in der Literatur beschriebenen Angaben gefolgt (3, 21). Das in der Studie eingesetzte Präparat Eurixor enthält in 1 ml Injektionslösung 70 ng ML-1, sodass ei- ½ Jg. 98½ ½ Heft 46½ ½ 16. November 2001 Deutsches Ärzteblatt½ M E D I Z I N Grafik 2 Kaplan-Meier-Kurve der Ereignisse – Gesamtprojekt (nach Kaplan-Meier geschätzte kumulative „Rezidivfreiheitsrate“) ne Dosierung von 1 ng ML-1/kg KG eingesetzt wurde. Mittlerweile ist seit 1996 Lektinol als zweiter ML-1-normierter Pappelmistelextrakt zugelassen, der sich von Eurixor lediglich in einer niedrigeren ML-1-Konzentration unterscheidet (Tabelle 1). Ob bei Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen eine andere ML-1-Dosierung unter Umständen immunstimulierend/modulierend wirkt, wurde bisher nicht untersucht. Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass in Ampullen der verwendeten Eurixor-Chargen nach Ablauf eines Jahres keine ML-1-Konzentrationsänderungen bei vorgeschriebener Aufbewahrung stattfinden (42). Konsequenzen aus den Studienergebnissen Für den Einsatz von Mistelextrakten wird unter dem Gesichtspunkt einer ganzheitlichen Behandlung bei Tumorpatienten geworben. Es wird suggeriert, dass der wachsende Einsatz dieser Präparate in der Behandlung maligner A 3046 Tumoren auf der Basis erfahrungsheilkundlicher Erkenntnisse beruhe. Im Förderzeitraum 1983 bis 1996 etablierte das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie den Förderschwerpunkt „Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung“ (UMK) (27), um wissenschaftlich valide Untersuchungen zur Wirksamkeit dieser Verfahren zu ermöglichen. Von den insgesamt 23 geförderten Projekten betrafen sieben Forschungsvorhaben Viscumextrakte oder deren Inhaltsstoffe. Leider wurden nur zwei Anträge zur Durchführung von kontrollierten klinischen Studien eingereicht, da letztlich nur diese bezüglich der Wirksamkeit einer Therapie aussagefähig sind. Mit der vorliegenden Endauswertung liegt die erste große kontrollierte klinische Studie zur adjuvanten Viscumtherapie vor. Das zweite Projekt, eine adjuvante Phase-3-Studie beim Melanom, mit Laufzeit vom 01. August 1989 bis zum 31. Dezember 1994 (BMBF-Förderkennzeichen 01 KB 8901/1) ist derzeit noch nicht publiziert. Bei Kopf-Hals-Karzinomen zeigte der untersuchte Extrakt in der gewählten Dosierung im Nanogrammbereich weder einen Einfluss auf das rezidivfreie Überleben, noch auf die FünfJahres-Überlebensrate, noch auf ausgewählte zelluläre Immunparameter oder die Lebensqualität. Diese Forschungsergebnisse sollten nicht auf andere Tumorentitäten oder auf andere Mistelextrakte mit unterschiedlicher Zusammensetzung übertragen werden (11, 42). Angesichts der bekannten Immunsuppression der geprüften Tumorentität wäre zu untersuchen, ob höhere Dosierungen das Immunsystem stimulieren könnten. Allerdings darf von einer nachgewiesenen immunmodulierenden Wirkung bei einer Tumorentität nicht zwingend auf einen sich auf die onkologische Erkrankung positiv auswirkenden Nutzen geschlossen werden (33). Somit ist zu fordern, dass bei der großen Zahl von Grundlagenuntersuchungen mit positiven Ergebnissen weitere kontrollierte Studien initiiert und gefördert werden. Es bleibt zu hoffen, dass die vorliegenden Ergebnisse diese auf streng wissenschaftlichen Regeln begründete vorurteilsfreie Forschung zum Wohle der Patienten entfachen, ohne dass negative Ergebnisse unter dem Druck wirtschaftlicher Interessen verheimlicht werden. Die vorliegende Studie wurde durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF, Förderkennzeichen 01 KB 9304), die Wilhelm Sander-Stiftung (Förderkennzeichen 93054.1, 93054.2) sowie die Firma biosyn Arzneimittel GmbH gefördert. Die Durchführung der Studie erfolgte in den Kliniken und Polikliniken für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der TU München, Klinikum rechts der Isar (Direktor: Prof. Dr. W. Arnold) sowie der Universität Regensburg (Direktor: Prof. Dr. J. Strutz) und Göttingen (Direktor: Prof. Dr. W. Steiner) sowie an der MH Hannover (Direktor: Prof. Dr. T. Lenarz). ❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 2001; 98: A 3036–3046 [Heft 46] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser: Priv.-Doz. Dr. med. habil. Miriam Katharina Steuer-Vogt Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der TU München, Klinikum rechts der Isar Ismaningerstraße 22, 81675 München ½ Jg. 98½ ½ Heft 46½ ½ 16. November 2001 Deutsches Ärzteblatt½