Biomechanik - Universität Augsburg

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Universität Augsburg
Sportzentrum
Klaus Stillger
Stand: SS 2003
Gerätturnen
Biomechanik
studienbegleitendes Skriptum für die
praktisch didaktische Veranstaltung Gerätturnen
an der Universität Augsburg
Impressum:
Autor und
Zeichnungen: Klaus Stillger
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Universität Augsburg
Sportzentrum
Klaus Stillger
Gerätturnen - Biomechanik
Die Kenntnis biomechanischer Gesetzmäßigkeiten des Gerätturnens ist Voraussetzung dafür,
schwierige Bewegungsabläufe zu erfassen und zu erläutern, falsche von richtigen
Bewegungen besser zu unterscheiden und methodisch genauere Anweisungen beim Erlernen
der Übungen zu geben. Dadurch ist die Sportlehrkraft in der Lage, dem Schüler schneller und
sicherer bestimmte Bewegungsfertigkeiten zu vermitteln, d.h. der Übende erlangt eher ein
Erfolgserlebnis, die Freude am Gerätturnen wird geweckt.
Begriffsbestimmung
„Biomechanik“ ist die Lehre der Bewegung von Mensch und Tier, sie baut auf den Lehren der
Mechanik, der Anatomie und der Physiologie auf. Sie untersucht, unter welchen Bedingungen
Bewegungen, die immer dem Einfluss äußerer Kräfte ausgesetzt sind (z.B. der Schwerkraft),
bestmöglich ablaufen können“ (Söll, 1975). Ziel biomechanischer Analysen und
Untersuchungen ist es, das ökonomischste, rationellste Lösungsverfahren (Technik) zu
ermitteln.
Ø Statik
Wirkung von Kräften auf den Körper im Ruhezustand
Ø Kinematik
beschreibt oder stellt Bewegungen dar, ohne sie zu untersuchen (Weg,
Zeit, Geschwindigkeit, Beschleunigung).
Ø Dynamik
Der Zusammenhang zwischen den Kräften wird bezüglich Ursache und
Wirkung untersucht (Grundbegriffe Masse und Kraft).
Die Kräfte, die auf die Bewegungen des menschlichen Körpers Einfluss haben, werden in
innere und äußere Kräfte eingeteilt.
Innere Kräfte
Äußere Kräfte
Ø Zugkraft der Muskeln
Ø Schwerkraft des eigenen Körpers
Ø Innere Reaktionskräfte
Ø Kräfte der Stützreaktion
Ø Trägheitskraft der Körperteile
Ø Widerstand der Umgebung
Ø Passiver Widerstand der Gewebe
Ø Äußere Belastung (Geräte, Partner)
3
Wechselwirkung zwischen inneren und äußeren Kräften
Ø Die Muskelkontraktion kann zur Verkürzung der Muskeln führen und bewegt somit über
das Hebelsystem Knochen – Gelenke die einzelnen Körperteile. Dies ruft eine
Veränderung
der
Massenträgheit
hervor,
was
bei
einer
Rotation
zu
einer
Drehbeschleunigung (Verkleinerung der Massenträgheit) oder Drehverlangsamung
(Vergrößerung der Massenträgheit) führt.
Ø Die Muskelkontraktion dient der Verspannung und Festigkeit eines Gelenkes, wodurch
eine reaktive Kraftübertragung und Steuerung des Körperschwerpunktes möglich wird.
Drei Arten von Muskelarbeit sind für das Gerätturnen von Bedeutung:
Auxotone Muskelarbeit - Der Muskel verkürzt sich bei gleichzeitiger Erhöhung der
Spannung = Bewegungsarbeit.
Diese Arbeit steht vor allem bei dynamischen, schwunghaften Übungen, die einen deutlichen
Wechsel von Spannung und Entspannung zeigen, im Vordergrund. Es tritt allerdings keine
völlige Entspannung von Muskelgruppen während der Übung ein.
Isometrische Muskelarbeit – Die Spannung vergrößert sich, ohne Verkürzung des Muskels
= Haltearbeit.
Bedeutung der isometrischen Muskelarbeit:
Ø Straffe Haltung, z.B. beim Handstand, Standwaage
Ø Versteifung einzelner Gelenke gegeneinander bei Kraftübungen, z.B. Stützwaage, und bei
Schwungübungen, z.B. Kippe, Schwungstemme
Ø Übertragung von Impulsen, z.B. Schwungbeineinsatz
Ø Bremsende Arbeit, z.B. Kippe, langsames Senken aus dem Handstand
1 Äußere Kräfte
1.1 Die Schwerkraft
Sie hat eine entscheidende Wirkung auf den Ablauf einer Bewegung. Wirkt eine Kraft auf den
menschlichen Körper, so kann man sie sich aus vielen Teilkräften zusammengesetzt denken,
deren Resultierende in einem Punkt, dem Massenmittelpunkt oder Körperschwerpunkt (KSP)
angreift. Die Schwerkraft ist lotrecht nach unten gerichtet und ihre Größe ist gleich dem
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Gewicht des menschlichen Körpers. Der KSP befindet sich in symmetrischer Stellung, im
Stehen mit gesenkten Armen annähernd in der Körpermitte (mit Tendenz zur Lendenwirbelsäule) knapp auf Nabelhöhe (vgl. Fußballer tiefer KSP, Ruderer hoher KSP, Frauen
tiefer KSP).
Die Bewegung des Schwerpunktes
1. Bei einer Lageveränderung eines Masseteiles (z.B. Arm heben) in eine bestimmte
Richtung verlagert sich der KSP in die gleiche Richtung.
Beispiele:
Ø Spreizen eines Beines oder Heben eines Armes zur Seithalte (Abb. 1) bewirken ein Heben
des KSP seitwärts-aufwärts.
Abb. 1 – Verschiebung des KSP
Ø Beim Rollen beschreibt der KSP eine entsprechende Bahn im Raum im verkleinerten
Maßstab.
Ø Der KSP liegt hoch beim Hocksitz mit hoch gestreckten Armen
Ø Außerhalb des Körpers liegt der KSP (Abb. 2) bei extremen Rumpfbeugen mit
entsprechender Arm- und Beinhaltung, z.B. Bücke, Schwebesitz, Brücke.
Abb. 2 – KSP außerhalb des Körpers
2. Der Gesamtimpuls eines beliebigen Systems ist gleich dem Impuls des Schwerpunktes
(der Körper darf dabei nicht frei schwebend sein). Es muss also immer eine Gegenkraft
vorhanden sein (Boden, Holm, Reckstange).
Beispiele
Ø Bei der Hocke aus dem Stütz am Reck gibt das schwunghafte Anziehen der Beine einen
entscheidenden Impuls, um den Körper aufwärts-vorwärts zu bewegen, wie es zum
Überhocken erforderlich ist. Das schnelle Anhocken der Beine erleichtert jedes Heben des
Körpers, weil es eine Schwerpunktbeschleunigung zur Folge hat.
5
Ø Der Anfänger neigt deshalb dazu, beim Hangeln, Stützhüpfen, Strecken aus dem
Beugestütz, Klimmzug, Schwungstemmen, Aufstemmen, mit den Beinen zu „zucken“,
d.h. sie anzuhocken.
3. In einem freien System (ohne Einwirkung äußerer Kräfte) kann durch die Wirkung der
inneren Kräfte der Schwerpunkt nicht verschoben werden, d.h.,
Ø dass die inneren Kräfte allein eine Masse nicht in Bewegung bringen können, da sie sich
nach dem Newtonschen Prinzip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung
aufheben. Von Bedeutung ist dieses Prinzip, wenn der Körper frei schwebt, und dann gilt:
Ø dass die Bahn des Schwerpunktes eines Systems von Massen durch innere Kräfte nicht
geändert werden kann. Wenn wir also frei in der Luft schweben, so kann durch keine
Bewegung unserer Gliedmaßen die Bahn des KSP geändert werden. Der Körper
verschiebt sich gleichsam in einer kleinen Umgebung um die feste Schwerpunktbahn
umher (z.B. nach unten beim Anhocken oder nach oben beim Arme senken – Abb. 3)
Beispiele: beim Wasserspringen, Abgänge vom Reck und von den Ringen, Sprünge am
Boden.
Abb. 3 – Schwerpunktbahn im freien Raum
1.2 Die Trägheit
„Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen, geradlinigen
Bewegung, solange er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, diesen Zustand zu
ändern“ (erstes Grundgesetz, Newton, Trägheitsgesetz).
D.h. kein Körper bewegt sich ohne Krafteinwirkung von außen. Trägheit kann man auch mit
Beharrungsvermögen übersetzen, z.B. schnelles Anfahren mit dem Motorrad, plötzliches
Abstoppen mit dem Auto, enges Kurvenfahren etc. Die Körper wollen im Zustand der Ruhe
oder Bewegung oder der eingeschlagenen Fahrtrichtung (Bewegungsrichtung) verharren.
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Die Trägheit stellt also gewissermaßen einen Widerstand dar, zu dessen Überwindung Kräfte
nötig sind. Nach der Größe der Wirkung messen wir die Größe der Kraft und zwar nach dem
2. Newtonschen Axiom.
„Die Änderung der Bewegung ist der einwirkenden Kraft proportional und geschieht in
Richtung derjenigen geraden Linie, nach der jene Kraft wirkt“.
Wir messen die Kraft F durch das Produkt aus der Masse m des betreffenden Körpers und der
ihm erteilten Beschleunigung a.
Beispiele:
Ø Bedeutung für Stützsprünge: Von der Größe der Anlaufgeschwindigkeit hängt in erster
Linie die Sprungweite ab.
Ø Hüftaufzug - Hüftaufschwung: Beim Hüftaufzug haben die Arm- und Schultermuskulatur
die volle Wirkung der Schwerkraft und des Beharrungsvermögens zu überwinden.
Hüftaufschwung mit beidbeinigem Abstoß oder besser Schwungbeineinsatz bieten einen
zusätzlichen Kraftstoß zur Überwindung des Beharrungsvermögens.
1.3 Die Reaktionskräfte
„Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich; oder mit anderen Worten, die Wirkungen
zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegen gesetzter Richtung“ (Drittes
Grundgesetzt, Newton, Gegenwirkungsgesetz – Kurzform: actio = reactio).
Muskelkräfte führen nur zu Ortsveränderungen und Bewegungen des Körperschwerpunktes,
wenn ein äußerer Bezugspunkt vorhanden ist. Die Wirkung ist aber dann die gleiche, als ob
die Kraft von diesem äußeren Bezugspunkt herkäme und dort ihren Ausgangspunkt hätte.
Diese auftretenden Gegenkräfte bezeichnet man als Reaktionskräfte, in diesem Falle
Stützreaktion.
Beispiele:
Ø Abdruck oder Absprung von einer zu dünnen Eisdecke: Da die Eisdecke bricht, fehlt auch
die Gegenkraft. Eine Hochbewegung missglückt.
Ø Starten auf zu glatter Standfläche gelingt nicht, da eine Stützreaktion nicht erfolgt.
1.3.1 Druckveränderung durch Bewegung – Dynamische Stützreaktion
Durch Bewegung ändert sich der Druck des menschlichen Körpers auf seine Unterlage. Der
Zeiger einer Personenwaage kann hin und her schwanken, obwohl die auf der Waage
befindliche Körpermasse unverändert bleibt.
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Ø Aufwärtsbewegungen führen kurzzeitig zur Druckerhöhung – Entlastung findet im
letzten Teil der Hochbewegung statt.
Ø Abwärtsbewegungen führen kurzzeitig zur Druckminderung – Entlastung findet im
ersten Teil der Tiefbewegung statt.
Die Stärke der Erhöhung oder Verminderung ist abhängig:
Ø von der Geschwindigkeit der Bewegung
Ø von der Größe der an der Bewegung beteiligten Masse (vgl. auch Reaktion bei Gefahr des
Umkippens des Fußes)
1.3.1.1 Aufwärtsbewegungen
Ist die Beschleunigung dem Bezugspunkt (Stütz) entgegengesetzt, so erhöht sich die Kraft der
Stützreaktion, der Druck auf die Unterlage bzw. die Stützstelle wird größer. Im letzten Teil
der Aufwärtsbewegung ist der Körper dann entlastet.
Körperbewegungen lösen bei vorhandener Stützreaktion eine Veränderung derselben aus und
verursachen in elastischen Materialien wie Reckstange, Barrenholm, Sprungbrett,
Sprungboden
etc.
Spannungserhöhung
kurzzeitig
andauernde
resultierende
Spannungsveränderungen.
Federkraftwirkung
kann
beim
Die
aus
einer
Bewegungsvollzug
bestmöglich genutzt werden.
Beispiele:
Reck
Ø Hocke als Abgang: Beschleunigender Schwungbeineinsatz erhöht den Druck auf die
Reckstange (biegt sich durch).
Ø Riesenfelgaufschwung: Schwungbeinbeschleunigung in der Vertikalen bewirkt zunächst
Druckverstärkung an den Händen, dann Druckminderung (Entlastung), in diesem Moment
erfolgt das Vordrehen der Hände. Bei sämtlichen Übungsteilen mit kurzzeitigem Lösen
und Wiedergreifen der Hände erfolgt dies im letzten Teil der Aufwärtsbewegung.
Stufenbarren
Ø Aufgrätschen und Grätschsohlunterschwung mit ½ Drehung: Die ½ Drehung erfolgt im
höchsten Punkt, da hier der Körper kurzzeitig entlastet ist.
Sprung
Ø Sind die Gelenke in den Beinen (Sprung- und Kniegelenke) gegeneinander versteift, so
wird die Körpermasse gegen das Sprungbrett beschleunigt. Der Druck auf das Sprungbrett
wird kurzzeitig erhöht. Ein Nachgeben im Kniegelenk hingegen bewirkt eine
Druckminderung, d.h. die Federkraft des Bretts kann nicht genutzt werden.
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1.3.1.2 Abwärtsbewegungen (Druckminderung)
Richtet sich die Beschleunigung auf den äußeren Bezugspunkt (Stütz), so wird die auftretende
Gegenkraft (Stützreaktion) verringert, der Druck auf die Unterlage wird kleiner. Wichtig ist
diese Tatsache für alle Sprünge und Abgänge (Niedersprünge vom Gerät). Der richtige
Niedersprung erfolgt stets weich und federnd (Kniebeuge). Das Beugen im Moment der
Berührung des Bodens muss dabei so schnell geschehen, dass die Niedersprunggeschwindigkeit überschritten und noch eine Beschleunigung des KSP in Richtung
Niedersprungstelle erreicht wird. Beim Aufprall tritt dann nicht sofort die volle Belastung
(Masse zuzüglich der Fallbeschleunigung) auf. Am Ende (Strecken und Aufrichten) wird der
Druck allerdings entsprechend der Fallbeschleunigung größer (vgl. Standsicherheit).
1.3.2 Reaktive Kraftübertragung auf benachbarte Körperteile
„Beschleunigungen der Körperteile rufen Widerstände der Masse dieser Körperteile hervor;
diese Widerstände äußern sich als Trägheitskräfte der Masse. Die Trägheitskräfte werden als
Reaktionskräfte auf die Gewebe übertragen, die diese Beschleunigung in Form von Reißen,
Stoßen, Ziehen, Drücken bewirkt haben. Solche Reaktionskräfte werden aber nicht nur auf die
benachbarten Körperteile übertragen. Sie können sich auch über eine Kette von Gliedern auf
entfernte Körperteile auswirken …“ (Donskoi).
Eine Wirkung tritt nur bei einem äußeren Bezugspunkt (Stützstelle) auf, und wenn die
Gliederpartien gegeneinander versteift sind (vgl. Haltung im Gerätturnen).
Beispiele:
Ø Der Schwungbeineinsatz: Bei allen Übungen mit aktivem Schwungbeineinsatz
(Hüftaufschwung,
Unterschwung,
Riesenfelgumschwung,
Handstandschwingen,
Schwungstemme, 1/2 und 1/1 Drehungen auf dem Schwebebalken etc.) wird aus der
Ruhestellung das Schwungbein (oder beide) durch Muskelkraft in eine beschleunigte
Bewegung versetzt, die vorwärts, rückwärts oder seitwärts gerichtet sein kann. Da an der
Reckstange (Barrenholm, Boden etc.) bzw. an den Griffstellen der Geräte entsprechende
Gegenkräfte (Stützreaktion) wirken, ist eine Bewegungsübertragung auf benachbarte
Körperteile möglich.
So hat das mit großer Geschwindigkeit vorschwingende Bein beim Hüftaufschwung
infolge seiner Trägheit die Tendenz, diese Bewegung beizubehalten. Wird dieser
Vorschwung aber durch Muskelkraft (Antagonisten) aktiv wieder abgebremst, so
überträgt sich durch die bremsenden Muskeln die Wirkung der Trägheit als Reaktionskraft
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auf den Rumpf, der gegen Ende des Schwungbeinvorschwunges ebenfalls eine ruckhafte
vor-hoch Bewegung ausführt.
Ø Kippbewegung: Die Streckbewegungen der Hüftgelenke führen zu einem vor-hoch
Schwingen der Beine. Dies muss mit möglichst hoher Geschwindigkeit geschehen. Ist die
Beschleunigung ausreichend groß, wird sie durch Muskelkraft plötzlich abgebremst. Die
Trägheit der Beine führt auch hier zu Reaktionskräften, die über die Hüftgelenke dem
Oberkörper ebenfalls eine Beschleunigung vorwärts-aufwärts erteilen und ihn, unterstützt
durch die Kraft der Arme (Stütz-Stemmfunktion), in den Stütz heben.
Ø Vor- und Rückschwünge am Reck und Barren: Während des Vorschwingens wird der
Beinvorschwung beschleunigt, gegen Ende des Vorschwingens aber abgebremst. Trägheit
und Reaktionskräfte (plus Annäherung des KSP an die Drehachse) verstärken den
Vorschwung des Rumpfes. Während der Rückbewegung liegen die Verhältnisse
umgekehrt. Die Bewegungsübertragung erfolgt z.T. zwangsläufig (passiv – Bertinisches
Band).
1.3.3 Druckwirkung eines Körpers auf einer schiefen Ebene
Der Druck des Körpers auf die Unterlage ist abhängig vom Neigungswinkel der Unterlage. Je
steiler die Unterstützungsfläche, desto geringer ist der Druck auf diese. Demgemäß erleichtert
die schiefe Ebene dem Anfänger – aufgrund der Hangabtriebskraft und des geringeren
Druckes – die Ausführung turnerischer Bewegungsformen.
Beispiele:
Ø Rolle vorwärts oder rückwärts von einer schiefen Ebene
Ø Kippe am schräg gestellten Barren
H = Hangabtriebskraft
N = Normalkraft (Druck auf
die Unterstützungsfläche)
P = Gewicht der Masse
Abb. 4 – Schiefe Ebene
1.4 Die Fliehkraft
Die Kraft, die auf einen Körper einwirken muss, damit er eine Kreisbahn beschreibt, ist die
Zentripetalkraft; sie wirkt in Richtung Drehpunkt.
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Die Zentrifugalkraft ist der Zentripetalkraft der Größe nach gleich, wirkt jedoch
entgegengesetzt, also nach außen. Die Zentrifugalkraft ist die Reactio auf die Zentripetalkraft.
Wirkt die Zentripetalkraft nicht mehr auf den Körper ein (Lösen des Griffs), so ist damit auch
die Zentrifugalkraft aufgehoben. Der Körper bewegt sich nach dem Trägheitsgesetz (KSP)
geradlinig (tangential) weiter. Die Rotation um die Breitenachse wird davon nicht betroffen.
Im Umkehrpunkt einer sagittal verlaufenden Pendelbewegung sind Zentripetalkraft und
damit auch die Zentrifugalkraft momentan aufgehoben. Ihren größten Wert erreicht die
Zentrifugalkraft im tiefsten Punkt der Pendelbewegung.
Die Kenntnis der Wirkung dieser Kräfte ist bezüglich der Schulung der Grifffestigkeit
(Gefahr des Lösens der Hände vom Gerät), der Stellung des Helfers (Sicherheitsstellung),
der Durchführung von schwierigen Übungsteilen mit Lösen und wieder Greifen der Hände
am Gerät (Salto, Pirouetten) sowie der Festigkeit der Geräte (Seile an den Ringen) äußerst
wichtig. Bei einer Schwungweite von 60° von der Senkrechten ist, durch die Fliehkraft
bedingt, die Last im Tiefstpunkt des Schwunges für die Seile so groß, dass sie der doppelten
Last des Körpers entspricht. Wir können daraus folgende Schlüsse ziehen:
Ø Die Gefahr des Lösens der Hände ist bei zu geringer Grifffestigkeit im Tiefstpunkt des
Schwunges am größten, da dort die Zentrifugalkraft am stärksten ist. Bei den
Pendelschwüngen ist die Geschwindigkeit an den Umkehrpunkten gleich Null (keine
Zentrifugalkraft), so dass ein Loslassen und wieder Fassen des Gerätes gut möglich ist.
An den Schaukelringen werden deshalb die Übungselemente stets im Bereich der
Umkehrpunkte geturnt. Die Gefahr des Abstürzens ist im Tiefstpunkt aber besonders
groß, wenn ein Übungsteil an den Umkehrpunkten nicht richtig gelungen ist
(Nichterreichen der technisch zweckmäßigsten Haltung (Streckhang oder Kipphang) im
Tiefstpunkt).
Ø Die Helfer müssen die Gefahrenstelle kennen und beim Misslingen eines Übungsteiles an
den Umkehrpunkten den Schüler während des nachfolgenden Vor- oder Rückschwunges
sofort erfassen und den Schwung abbremsen. Ebenso verhält es sich am Reck oder
Stufenbarren.
Ø Die Kraftanstrengung ist im Tiefstpunkt eines Schwunges bedeutend größer als an den
Umkehrpunkten. Deutlich wird diese Tatsache, wenn sich der Übende am Ende des
Vorschwunges in den Beugehang hebt. Während des nachfolgenden Rückschwunges hat
er meist große Mühe, sich im Beugehang zu halten( Abb. 5). Die Übung wird erschwert,
wenn sich der KSP außerhalb der Haltepunkte befindet.
11
KSP
KSP
Abb. 5 – KSP außerhalb der Stützstelle
Ø Bei allen Übungen, die eine Annäherung des KSP an die Drehachse zur Folge haben, wird
die Beanspruchung der Hände beim Festhalten noch durch den Betrag vermehrt, der von
der Vergrößerung des Kraftaufwandes (Abb. 21) beim Heben des KSP herrührt
(Stützreaktion). Er wächst, da er von der Beschleunigung abhängt, mit der der KSP
gehoben wird, proportional der Beschleunigung der Streckbewegung. Wegen der während
des Schwunges auftretenden Fliehkräfte und der damit erhöhten Beanspruchung der Seile
sollen diese regelmäßig auf ihre Festigkeit überprüft werden.
1.5 Energieformen
Nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie bleibt in einem abgeschlossenen System die
Energie erhalten. Es findet lediglich eine Umwandlung der Energieformen statt. In der
Mechanik und Biomechanik interessieren die Formen
Lageenergie
?
Bewegungsenergie
?
Reibungsenergie
?
Spannungsenergie
1.5.1 Lageenergie (Potentielle Energie)
Hebt man einen Körper der Masse m aus einer Ruhelage um die Höhe h gegen die
Erdbeschleunigung g, so hat dessen Energie um Ep = mgh zugenommen.
Die Masse m hat nun die Möglichkeit, die Energie (potentiell) wieder abzugeben
(Herabfallen). Im Gerätturnen ist eine hohe Ausgangslage mit großer potentieller Energie für
viele Übungen sehr wichtig (z.B. bei Umschwüngen und Felgbewegungen).
1.5.2. Bewegungsenergie (Kinetische Energie)
Bewegt sich der Körper der Masse m mit der Geschwindigkeit v , so besitzt er die kinetische
Energie Ek = ½ mv2
Im Gerätturnen findet ein permanenter Wechsel zwischen potentieller und kinetischer Energie
statt.
12
Beispiel:
Ø Der herabschwingende Körper des Turners erreicht eine bestimmte kinetische Energie, die
zum Heben auf eine gewisse Höhe ausgenützt wird. Die so geschaffene potentielle
Energie wird beim Fallen wieder in kinetische Energie umgewandelt.
Ø Alle schwunghaften Übungen gliedern sich biomechanisch in zwei Abschnitte:
Abschnitt 1 - Schaffung einer hohen Ausgangslage – Besonders wichtig für alle hohen
Ausholbewegungen, d.h. ungenügend hohe Ausholbewegung ist häufig Ursache für ein
Misslingen der Hauptfunktionsphase, da die erforderliche Energie fehlt: z.B.
Ausholbewegung für Umschwung, Knieumschwung, Auswerfen zum Riesenfelgumschwung etc..
Ø Abschnitt 2 - Ausnützen der kinetischen Energie - Im tiefsten Punkt des Abschwunges
erreicht die kinetische Energie ihren höchsten Wert, sie wird ausgenützt, die Bewegung
weiterzuführen und zu vollenden. Der Energieverlust durch Reibung (Wärme) wird mit
Beinbeschleunigung, d.h. reaktive Kraftübertragung und Annäherung des KSP an die
Drehachse, kompensiert.
1.5.3 Reibungsenergie
Verschiebt man einen Körper der Masse m um eine Strecke s, so leistet man die
Reibungsarbeit Wr = f · mg · s. f ist der Reibungskoeffizient (Griffigkeit der Unterlage).
Jede Reibungsarbeit geht in Form von Wärme „verloren“.
Wir unterscheiden Haft-, Gleit- und Rollreibung. Für das Turnen ist die Gleitreibung von
Bedeutung. Ihre Größe ist abhängig:
Ø vom Druck
Ø von der Beschaffenheit der Oberfläche (glatt, rau)
Ø von der Geschwindigkeit
Von Bedeutung ist die Reibungskraft,
Ø da zu große Reibung den Bewegungsablauf hemmt, z.B. krampfhaftes Festhalten der
Reckstange bei Umschwüngen (Blasenbildung an den Händen!). Das feste Halten der
Reckstange ist deshalb nur im Moment der größten Fliehkraft (ca. 45° vor und nach der
Vertikalen) notwendig. Davor und danach kann der Griff locker sein.
Ø zu geringe Reibung die Gefahr des Abrutschens erhöht, z.B. feuchte Hände. Abhilfe
schafft man, indem man Magnesia verwendet und glatte Stangen und Holme aufraut.
13
1.5.4 Spannungsenergie
Drückt man eine Feder um eine Strecke s zusammen, so besitzt die Feder die Spannungsenergie WSp = ½ D s2. D ist die Federkonstante und gibt die jeweilige Federhöhe an.
Lageenergie und Spannungsenergie werden unter der Bezeichnung potentielle Energie Ep
zusammengefasst.
Auf Grund des federnden Materials der meisten Geräte sind wir oftmals in der Lage,
zusätzliche Kräfte zur Wirkung zu bringen.
Beispiele:
Ø Die bei Umschwüngen auftretenden Zentrifugalkräfte haben zur Folge, dass sich die
Reckstange oder der Holm nach unten durchbiegt, wenn der Körper den unteren Abschnitt
der Drehbewegung durchläuft. Das Bestreben der Stange, sich wieder aufwärts zu
bewegen, kommt einem Kraftimpuls gleich, der die Aufwärtsbewegung des KSP
unterstützt und erleichtert.
Ø Die gleiche Wirkung entsteht am Barren (Kippen, Stemmen und Schwünge mit
Federwirkung) und am Stufenbarren (Hocke, Grätsche), (vgl. Federwirkung von
Olympiabarren
Steckbarren).
Ø Die Federwirkung am Federbrett wird durch einen besonderen Impuls hervorgerufen. Der
Sprung auf das Brett darf nicht zu flach (geringe Wurfwirkung) und nicht zu hoch
(Absprungkraft verpufft in die Höhe). Je höher der Einsprung ins Brett ist, desto mehr
Kraft wird der Vorwärtsbewegung entzogen. Die Federwirkung wird nur dann genutzt,
wenn die Sprunggelenke „verspannt“ sind. Ein Nachgeben in den Kniegelenken bewirkt
eine kurzzeitige Entlastung (vgl. „Druckveränderung durch Bewegung“ S. 7/8).
2 Formen der Bewegung
Bewegen sich die einzelnen Punkte des Körpers auf parallelen Bahnen, so handelt es sich um
eine
Translation (fortschreitende Bewegung)
Behält die Körperachse ihre Lage im Raum bei, während die anderen Punkte des Körpers
konzentrische Kreisbahnen um die Achse beschreiben, so sprechen wir von einer
14
Rotation (Drehbewegung)
Wenn bei einer Drehbewegung die Achse noch eine fortschreitende Bewegung ausführt
(Stützsprünge, Überschlagbewegungen, Felgbewegungen etc.) dann bewegt sich der Körper
gleichzeitig
rotatorisch und translatorisch
Mehrere Drehbewegungen um verschiedene Achsen führt der Körper bei Schraubensalti aus.
2.1 Die Translation
„Zwei Kräfte, die am gleichen Massepunkt angreifen, setzen sich zur Diagonalen des von
ihnen gebildeten Parallelogramms zusammen“.
Bedeutung für das Gerätturnen: bei Stützsprüngen für die Zusammenstellung der aus
Anlauf und Absprung resultierenden Kraft und bei den Abgängen.
Während des Anlaufs erreicht der Turner in horizontaler Richtung eine bestimmte
Geschwindigkeit V1 . Zu dieser Komponente tritt im Moment des Absprunges eine vertikale
Komponente hinzu V2 . Der KSP bewegt sich dann im Flug zunächst in Richtung der
Resultierenden VR .
VR
V2
V1
KSP
Abb. 6 – Kräfteparallelogramm - Translation
Für die Bestimmung der Richtung der Absprungkraft sind folgende Faktoren wichtig:
Ø Anlaufgeschwindigkeit V1 (Horizontalbewegung)
Ø Absprungkraft V2 (Richtung und Größe der Vertikalbewegung)
Ø Zeitliche Dauer der Absprungbewegung
1. Die Anlaufgeschwindigkeit und der Absprung bewirken ein Drehmoment nach vorn
(Brettberührung bedeutet Verzögerung und damit eine Gegenkraft). Je höher die
Anlaufgeschwindigkeit und je „länger“ die Absprungbewegung dauert, desto größer wird
15
dieses Drehmoment und umgekehrt. Damit das Drehmoment nicht zu groß wird, ist es
notwendig, in Rücklage (Abb. 7) anzuspringen = großer Aufsprungwinkel a (ca. 20°).
Fw
Gegenkraft
Abb. 7 – Drehmoment
2. Der KSP schiebt sich also eine gewisse Strecke s nach vorn (= Einleitung der
Drehbewegung). Der Körper neigt sich aus einer Rücklage in eine Vorlage, der KSP
befindet sich vor der Senkrechten durch die Füße, d.h. Absprungkomponente nach vorne –
oben (Absprungwinkel ß 4 – 12°, bei Schülern ca. 20°).
Absprungkomponente V2 und Anlaufgeschwindigkeit V1 ergeben die Resultierende
VR = Richtung des KSP nach dem Absprung.
VR
V2
V1
ß
Abb. 8 – Richtung KSP nach dem Absprung
Dabei bestehen folgende Zusammenhänge:
Ø Großer Aufsprungwinkel a bedingt einen kleinen Absprungwinkel ß , somit einen großen
Winkel ? = hohe Flugphase
Ø Kleiner Aufsprungwinkel a führt zu einem großen Absprungwinkel ß und zu einem
kleinen Winkel ? = flache Flugphase
16
V2
V2/1
VR
a/1
VR/1
?
ß
?1
V1
KSP
ß/1
V1/1
KSP/1
a
Abb. 9
Abb. 10
Großer Aufsprungwinkel = hohe Flugphase
Kleiner Aufsprungwinkel = flache Flugphase
3.
Ferner
besteht
eine
Korrelation
zwischen
Anlaufgeschwindigkeit,
Auf-
und
Absprungwinkel sowie Dauer der Absprungbewegung.
Beispiel: Eine hohe Anlaufgeschwindigkeit schiebt den KSP bei gleich lang dauernder
Absprungbewegung weiter nach vorn, als dies bei geringerer Geschwindigkeit der Fall ist.
Folgerung: Je höher die Anlaufgeschwindigkeit ist, desto weiter muss man vor dem Brett
abspringen oder den Aufsprungwinkel a vergrößern (in Rücklage einspringen).
Bezüglich der jeweiligen Bedingungen des Sprunges müssen die entsprechenden Faktoren
berücksichtigt werden.
4. Ein verstärkter Absprung (Absprungkraft V2/1) führt zu einem größeren Winkel der
Resultierenden ? und damit zu einer höheren Flugbahn (Abb. 11).
VR/1
V2/1
VR
V1
V2
?1 ?
Abb. 11 – unterschiedliche Absprungkraft
Folgerung für die Praxis:
Ø Für eine hohe Flugbahn ist ein kräftiger Absprung (Kraftstoß) erforderlich.
Ø Ein relativ großer Aufsprungwinkel ist Voraussetzung für einen kleinen Absprungwinkel,
d.h. in Rücklage gegen das Brett springen.
17
2.2. Die Rotation
Greift an einem drehbar gelagerten Hebel eine genügend große Kraft an, die nicht in Richtung
des Drehpunktes zeigt, dann erfährt der Hebel eine Drehbewegung.
Das Produkt aus der Kraft F und der Länge des Hebels r nennt man Drehmoment M.
Bei vertikalen Kreisbewegungen um eine feste Achse wirkt das Gewicht des Körpers umso
drehwirksamer, je größer der seitliche (horizontale) Abstand des KSP zur Drehachse ist
(Kraftarm ist demnach groß), z.B. Riesenfelgumschwung.
An die Stelle der Lineargeschwindigkeit tritt bei der Rotation die Winkelgeschwindigkeit.
Ø Die Winkelgeschwindigkeit aller Massenteilchen ist gleich.
Ø Die einzelnen Massenteilchen bewegen sich bei der Drehung um eine feste Achse (z.B.
Reck) auf konzentrischen Bahnen, doch die Geschwindigkeit der einzelnen Teilchen ist
auf ihren Bahnen umso größer, je weiter sie vom Drehpunkt entfernt sind (Abb. 12).
A
A1
a
B1
B
Abb. 12 – Bewegung der Massenteilchen
Der entscheidende Faktor bei der Drehbewegung ist das Trägheitsmoment. Es stellt den
Widerstand eines starren Körpers (infolge seiner Masse) gegen die Drehkraft dar. Die gleiche
Masse kann verschiedene Trägheitsmomente besitzen, entsprechend dem Abstand vom
Drehpunkt. Beim menschlichen Körper handelt es sich um ein bewegliches System von
Massenteilchen. Jede Lageveränderung der Körperteile im Verlauf einer Drehung um eine
feste oder freie Achse bewirkt eine Veränderung des Trägheitsmomentes.
Ø Masse weit vom Drehpunkt entfernt - große Trägheit
Ø Masse nah am Drehpunkt - kleine Trägheit
Beispiele:
Ø Bei Umschwüngen (Masse nah am Drehpunkt) wie Knie-, Hüft-, Sitzumschwung sind
weniger Kräfte erforderlich als bei Riesenfelgen.
Ø Rolle am Boden = geringe Trägheit, Überschlag am Boden = große Trägheit
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Trägheitsmoment (J) und Winkelgeschwindigkeit (w) stehen in Wechselbeziehung zueinander
und verändern sich umgekehrt proportional.
Dies bedeutet:
Je kleiner das Trägheitsmoment ist (die Masse wird dem Drehpunkt genähert), desto größer
ist die Winkelgeschwindigkeit und umgekehrt.
Folgende Schlüsse lassen sich ziehen:
1. Da der menschliche Körper kein starrer Körper ist, können durch Muskelkraft und
Beweglichkeit die Gelenke und somit die Massenverteilung geändert und die Winkelgeschwindigkeit verlangsamt oder beschleunigt werden (z.B. Salto gehockt oder
gestreckt). Schnelles und enges Anhocken der Beine erhöht die Winkelgeschwindigkeit
(Annäherung der Masse an die Drehachse), beim Strecken wird sie verlangsamt
(Entfernung der Masse von der Drehachse). Auch das Herabreißen der Arme aus der
Hochhalte beschleunigt die Drehung. Wichtig dabei ist: Das Zusammenhocken und
Herabreißen der Arme muss ruckartig erfolgen (dadurch wird die Beschleunigung der
Drehung größer), die Streckbewegung darf erst nach Beendigung der Drehung erfolgen
(Verringerung der Winkelgeschwindigkeit).
Das Verhältnis zwischen Massenträgheit und Winkelgeschwindigkeit liegt beim
menschlichen Körper annähernd wie folgt:
Ø Ein „Zusammenballen“ des gestreckten, sich im Flug drehenden Körpers bewirkt eine
ca. 2 ½ bis 3fache Drehgeschwindigkeit um die Breitenachse. Verhältnis: gestreckter
Körper 1, gebückt 2, gehockt 3.
Ø Nach dem Tief- oder Hochnehmen der seitwärts gehaltenen Arme dreht sich der
Körper mit annähernd doppelter Winkelgeschwindigkeit um die Längsachse.
Ø Bei gleicher Drehgeschwindigkeit erfordert eine Drehung um die Breitenachse
(gestreckte Haltung) im Vergleich zur Drehung um die Längsachse bei angelegten
Armen annähernd die zehnfache Energiemenge.
2. Dreht sich der menschliche Körper um eine feste Achse, so kann die Masse der Drehachse
genähert werden = Änderung des Trägheitsmoments = Erhöhung der Winkelgeschwindigkeit. Diese Kenntnis ist vor allem wichtig, wenn wir an den Energieverlust durch Reibung
denken.
19
Beispiel: Spreizumschwung (Abb. 13)
Der KSP wird durch Armstrecken und Beinheben des vorderen Beines in der
Ausgangsposition so hoch wie möglich angehoben, d.h. vom Drehpunkt entfernt (hohe
potentielle Energie – vgl. Bild 2), der Kraftarm ist somit bis zur Horizontalen möglichst
groß (großes Kraftmoment). Befindet sich der Körper in der Waagrechten, erfolgt durch
eine Annäherung des vorderen Beines zum hinteren Bein (vgl. Bild 4 / 5) die Annäherung
des KSP an die Drehachse. Kurz vor Erreichen des Höchstpunktes wird die Winkelgeschwindigkeit durch Spreizen der Beine (vorderes Bein wieder anheben – vgl. Bild 7)
wieder abgebremst.
1
2
3
4
5
6
7
Abb. 13 – Spreizumschwung – Änderung des Trägheitsmoments
Bei Riesenfelgen erfolgt die Schwungverstärkung durch die Bein-Hüftbewegung (reaktive
Bewegungsübertragung + Schwerpunktsannäherung).
3. Auslösendes Moment bei Rotationen im freien Flug: Es herrscht heute keine einheitliche
Meinung darüber, ob bzw. inwieweit bestimmte Drehungen des im freien Raum
fliegenden menschlichen Körpers auch ohne erfolgte Stützreaktion, d.h. erst im Flug,
eingeleitet werden können.
Begrifflich können wir unterscheiden:
Drehung
= echte Rotation
Drehbewegung
= Scheinrotation
Drehung ist eine sich (theoretisch) unendlich fortsetzende Bewegung des menschlichen
Körpers um Achsen. Auslösendes Moment für die Drehung ist der durch die Stützreaktion
erzielte Drehimpuls. Bei einer Drehung handelt es sich um eine echte Rotation.
Eine Drehbewegung ist eine zeitlich begrenzt ablaufende Drehung des menschlichen
Körpers um Achsen. Die Drehbewegung wird ausgelöst durch Bewegungen des Rumpfes
oder der Extremitäten und hört mit der Beendigung dieser Bewegungen auf.
20
Bezüglich des Auslösemomentes bei Drehungen und Drehbewegungen des menschlichen
Körpers im freien Flug bei sportmotorischen Bewegungsabläufen ist folgender
Sachverhalt als gesichert anzunehmen:
Ø Drehungen (im oben genannten Sinn) sind ohne Drehenergie, die durch die
Stützreaktion gewonnen wurde, nicht möglich.
Ø Durch eine Kräfteverlagerung (im Sinne einer Übertragung), durch Verlagerungen
der Drehachsen, durch Veränderung des Trägheitsmomentes und mittels der
Scheinrotationen sind Drehungen steuerbar und Kombinationen von Drehungen um
verschiedene Achsen realisierbar.
Ø Drehbewegungen (im oben genannten Sinn) können im freien Flug durch
Muskelkraft bewirkt werden, und zwar um die Längs-, Breiten- und Tiefenachse. Das
Trägheitsmoment bei der Drehung um die Längsachse ist relativ gering. Es ist
deshalb möglich, den ohne Drehimpuls frei fliegenden menschlichen Körper durch
Muskelaktivitäten erfolgreich um die Längsachse zu drehen (eine Beweisführung
gelingt besonders leicht beim Springen am Trampolin).
Rotationen des menschlichen Körpers um freie Achsen werden in der Sportpraxis im
Regelfall bereits durch den Absprung- oder Abdruckimpuls ausgelöst. Eine Erhöhung der
Drehgeschwindigkeit durch Scheinreaktionen ist möglich und oftmals notwendig.
Je geringer die Flugzeit und je größer das Trägheitsmoment bei einer Drehung ist, desto
stärker und drehwirksamer muss der Abdruck erfolgen.
2.3 Der Stoß
Trifft ein in Bewegung befindlicher Körper auf einen anderen, so erfolgt eine
Krafteinwirkung auf den Letzteren, die als Stoß bezeichnet wird.
Ø Liegt die Verbindungslinie KSP und Stoßrichtung auf einer Geraden, so bezeichnet man
den Stoß als zentral, ansonsten exzentrisch.
Ø Greift eine Kraft im KSP an, so resultiert daraus eine fortschreitende Bewegung
(Translation).
Ø Greift eine Kraft nicht im KSP an, so ruft sie eine Drehbewegung hervor (+Translation).
Im Gerätturnen hat der Stoß, besonders der exzentrische Stoß, bei den Sprüngen eine große
Bedeutung. Der Körper muss dabei gleich beim Absprung den nötigen Drehimpuls um die
Breitenachse erhalten, der Stoß deswegen exzentrisch sein. Wir müssen deshalb den Körper
in eine Lage bringen, bei der der Impuls des Stoßes am Schwerpunkt vorbei gerichtet ist.
21
Möglichkeiten des Stoßes beim Absprung
1. Der Stoß erfolgt in Richtung KSP = zentraler Stoß = keine Drehung. Er kommt für
Stützsprunge nicht in Frage.
2. Der Stoß erfolgt vor dem KSP = exzentrischer Stoß = Drehrichtung rückwärts (bei
zusätzlicher Horizontalbewegung = + Translation).
3. Die Stoßrichtung liegt hinter dem KSP = exzentrischer Stoß = Drehrichtung vorwärts +
Translation.
4. Die Stoßrichtung liegt seitwärts vom KSP = exzentrischer Stoß = Drehrichtung seitwärts
+ Translation.
5. Ebenso wirkt der Stoß beim Stütz der Hände.
KSP
1
2
3
4
5
Abb. 14 - Zentraler Stoß (Bild 1) und exzentrischer Stoß (Bilder 2 – 5)
Beispiel Stüzsprünge:
Bei den Stützsprüngen (Abb. 15 ) wird der Körper aus einer annähernd senkrechten Lage in
die waagrechte Lage über das Gerät gebracht. Um beim Niedersprung (Landung) wieder in
die senkrechte Lage zu gelangen, muss eine Gegendrehung erfolgen, d.h. der Abdruck mit
den Händen (2. exzentrischer Stoß) muss erfolgen, bevor der KSP die Vertikale erreicht hat
(Schulter hinter der Stützfläche der Hände – z.B. Sprunghocke).
V2
VR
KSP
KSP
V1
Abb. 15 - erster exzentrischer Stoß
zweiter exzentrischer Stoß
22
Beispiel Salto vw:
Ein kräftiger Absprung verbunden mit einem exzentrischen Stoß hebt den Körper und leitet
die Drehung ein. Bei Verlassen des Bodens kann die Bahn des KSP nicht mehr beeinflusst
werden (freies System). Der Körper dreht sich dann nach der Theorie der freien Achsen um
eine Achse durch den KSP. Die Drehgeschwindigkeit (Winkelgeschwindigkeit) kann nur
durch Verringerung der Massenträgheit noch beeinflusst werden.
Fehler:
Ø Der Einsprungwinkel ist zu klein (Vorlage), dadurch wird der Absprungwinkel zu groß =
niedrige, weite Flugbahn.
Ø Die
Arme
sind
nicht
in
Hochhalte
=
vgl.
Verhältnis
Massenträgheit
zu
Winkelgeschwindigkeit
Ø Zu hoher Einsprung – kurzzeitige Druckminderung, der Körper wird zu lange vorgehebelt
= großer Absprungwinkel = niedere Flugphase.
Großer Einsprungwinkel – hohe Flugkurve
Kleiner Einsprungwinkel – flache, weite Flugkurve
Abb. 16 – Flugkurve in Abhängigkeit vom Einsprungwinkel
Beispiel Handstützüberschlag vorwärts:
Beschleunigter Anlauf und Hopser (Horizontalgeschwindigkeit), Arme gestreckt und nahezu
in Verlängerung des Oberkörpers bei fixiertem Schultergelenk (Hülse) auf den Boden
aufsetzen = 1. Exzentrischer Stoß.
Schnellkräftiges rück-hoch Schwingen des gestreckten Schwungbeines = zusätzliche
Drehbeschleunigung durch Abbremsen des Schwungbeines = reaktive Kraftübertragung. Die
23
Schwung(Dreh)verstärkung ist notwendig, da der Handstützüberschlag mit gestrecktem
Körper ausgeführt wird – was ein maximales Trägheitsmoment bedeutet – die
Drehgeschwindigkeit also nur sehr gering ist (vgl. Trägheitsmoment Handstützüberschlag
Salto vw gehockt). Beschleunigt wird die Drehung noch durch plötzliches Anhocken vor der
Landung (vgl. Anfänger).
Der 2. exzentrische Stoß erfolgt mit den Händen nach überschreiten der Vertikalen (Phase 5)
und ermöglicht eine weitere Drehbeschleunigung.
1
2
3
Abb. 17 - erster exzentrischer Stoß (Phase 1)
4
5
6
7
8
zweiter exzentrischer Stoß (Phase 5)
Fehler:
1. Der Abdruck erfolgt entschieden zu spät (Bild 1)
2. Die Arme sind stark gebeugt. Der Streckvorgang dauert zu lange. Der KSP ist zu tief =
flache Flugbahn (Bild 2)
3. Die Schultern sind stark vorgeschoben. Der Kraftstoß der Arme trägt nicht zur
gewünschten Beschleunigung bei. Der KSP ist zu tief = flache Flugbahn (Bild 3).
1
2
3
Abb. 18 – Fehler beim Handstützüberschlag
4 Die Pendelbewegung
Bei einem physikalischen Pendel (Schaukel, Ringe, Trapez, Reck), versucht jedes
Massenteilchen, je nach Abstand vom Drehpunkt, verschieden schnell zu schwingen, wird
aber durch die starre Verbindung mit den übrigen Teilen gehemmt oder beschleunigt. Durch
die erzwungenen Schwingungen der verschiedenen Punkte entstehen im starren Körper
24
gewisse Spannungen. Der menschliche Körper hingegen kann in vielen Gelenken diesen
Spannungskräften nachgeben.
Beispiel:
Schwingendes Klettertau – oberes Tauende schwingt schneller, das Tau krümmt sich.
Ein gleichmäßiges Schwingen unseres Körpers ist also ohne straffe Haltung (Schulter-, Hüft-,
Kniegelenke) nicht möglich. Die straffe Haltung erfordert einen bestimmten Krafteinsatz
(Anfängerschwierigkeiten). Die Beine „schlenkern“ häufig und führen somit Schwung
dämpfende und bremsende Bewegungen aus, die der Schwungverstärkung entgegenwirken.
Nachdem die Pendelbewegung ein Teil der Drehbewegung ist, kann auch hier eine
Schwungverstärkung (Beschleunigung) durch Annäherung des KSP an die Drehachse erreicht
werden.
R
R
r1
r
r
r
B
A1
A
A1
A
h
C
Abb. 19 - Normales Pendel
C
Abb. 20 - Pendelverkürzung
Pendelschwung – 1. Versuch - Abb. 19
Die Masse M des Pendels ist in einer Entfernung RA = r (Radius) in R aufgehängt. Lässt
man das Pendel aus der Ausgangsstellung A in freier Bewegung schwingen, so wird es sich
über C bis in die Stellung A1 bewegen. Beim Vorgang wird die Größe des Luft- und
Reibungswiderstandes mit 0 angenommen.
Erklärung:
Um das Pendel aus der Ruhestellung C in die Stellung A zu bringen, muss die Masse M
des Pendels gegen die Anziehungskraft der Erde um die Strecke BC = h gehoben werden.
Die dafür notwendige Arbeit W = G · h (Gewicht mal Höhe) wurde in dem Pendel in der
Stellung A als Energie der Lage Epot aufgespeichert. Bei Freigabe des Pendels bewegt sich
die Masse zurück nach C (Gravitationsbeschleunigung g ). Die umgewandelte Energie Ekin
reicht gerade aus, um die Masse M des Pendels um die Strecke H bis A1 zu heben. Die
Punkte A und A1 liegen also auf gleicher Höhe.
25
Pendelschwung – 2. Versuch - Abb. 20
Im 2. Versuch erfolgt beim Passieren der Senkrechten (in C) eine kontinuierliche
Pendelverkürzung, d.h. Annäherung des KSP an die Drehachse. Das dadurch verminderte
Trägheitsmoment hat zur Folge, dass die Pendelmasse nun nach A2 schwingt. Der Betrag
entspricht der Verkürzung des Pendels mit dem Radius r1 .
Beispiel Schaukelringe:
Beim Turnen an den Schaukelringen wird die Wirkung der beteiligten Kräfte ganz besonders
spürbar und transparent.
Folgende Kräfte sind zu untersuchen:
Ø Die Schwerkraft
Ø Die Zentrifugalkraft
Ø Die Muskelkraft
Die Schwerkraft wirkt auf die Bewegung:
Ø beschleunigend im abwärts führenden Teil des Pendelschwunges
Ø neutral in der Senkrechten unter dem Aufhängepunkt, da sie ständig in Erdrichtung wirkt
Ø hemmend im aufwärts führenden Teil des Pendelschwunges.
Die Zentrifugalkraft ist:
Ø neutral (gleich null) in den Umkehrpunkten (Winkelgeschwindigkeit gleich null)
Ø am größten im tiefsten Punkt des Pendelschwunges, da die Winkelgeschwindigkeit auf
Grund der Schwerkraftwirkung ihren größten Wert erreicht hat.-
Die Muskelkraft ist:
Ø am stärksten beansprucht im Tiefstpunkt, da hier sowohl gegen die maximal wirkende
Zentrifugalkraft, als auch gegen die „normal“ erdwärts ziehende Schwerkraft zu wirken ist
Ø relativ am wenigsten beansprucht in den Umkehrpunkten
Ø nicht beansprucht, wenn sich der KSP im Umkehrpunkt in Höhe der Drehachse befindet.
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In der Praxis ist eine Schwungverstärkung an den Schaukelringen realisierbar z.B. durch
einen Wechsel
Ø vom Beugesturzhang (Kipplage) in den Strecksturzhang und zurück (Abb. 21)
Theoretisch ist die Beschleunigung am größten, wenn der KSP ab dem Tiefstpunkt des
Schwunges dem Drehpunkt genähert wird (so weit wie möglich), d.h. Strecken der Hüfte
und Beugen der Arme. Diese Form bereitet erhebliche Schwierigkeiten sowohl kräftemäßig als auch hinsichtlich der Erhaltung des Gleichgewichtes.
Ø vom Beugesturzhang über eine vorwärts-aufwärts gerichtete Streckung in den Hang
(Abb. 22).
Ø
6
1
7
5
4
2
3
Abb. 21 – Schwungverstärkung
Abb. 22 – Schwungverstärkung
27
Inhaltsverzeichnis
Seite
Begriffsbestimmung
2
1 Äußere Kräfte
3
1.1 Die Schwerkraft
3
1.2 Die Trägheit
5
1.3 Die Reaktionskräfte
6
1.3.1 Druckveränderung durch Bewegung – Dynamische Stützreaktion
6
1.3.1.1 Aufwärtsbewegungen
7
1.3.1.2 Abwärtsbewegungen
8
1.3.2 Reaktive Kraftübertragung auf benachbarte Körperteile
8
1.3.3 Druckwirkung eines Körpers auf einer schiefen Ebene
9
1.4 Die Fliehkraft
9
1.5 Energieformen
11
1.5.1 Lageenergie
11
1.5.2 Bewegungsenergie
11
1.5.3 Reibungsenergie
12
1.5.4 Spannungsenergie
13
2 Formen der Bewegung
13
2.1 Die Translation
14
2.2 Die Rotation
17
2.3 Der Stoß
20
2.4 Die Pendelbewegung
23
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