Spaemann, Robert: Moralische Grundbegriffe.

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Ethik einsetzend) erweist, daß es da etwas gibt,
um das sich sinnvoll, d.h. aber mit Aussicht auf
konsistente und vernünftige Klärung, streiten
läßt. Im übrigen macht Spaemann darauf aufmerksam, daß es immerhin einen beträchtlichen
gemeinsamen Bestand interkulturell geltender
Normen gebe: »In allen Kulturen gibt es Pflichten
der Eltern gegen ihre Kinder, der Kinder gegen
ihre Eltern, überall gilt Dankbarkeit als »gut«,
überall ist der Geizige verächtlich und der Großherzige geachtet, fast überall gilt Unparteilichkeit
Spaemann, Robert: Moralische Grundbegriffe.
als Tugend des Richters und Tapferkeit als TuBeck, München 1982. 8°, 112 S. - Kart.
gend des Kämpfers.« (S. 15 f.) Schließlich verwikDM 14,80.
kele sich - so Spaemann - die Position des ethischen Relativismus zwangsläufig in innere WiderDas schöne Büchlein Spaemanns, das in ansprüche, müsse sie doch für sich selbst eine Art
schaulicher und auch dem philosophischen Laien
Unbedingtheit in Anspruch nehmen, wenn sie
verständlicher Sprache in einige Grundprobleme
denn überhaupt sinnvoll behauptet werden soll.
der Ethik einführt, geht zurück auf eine Reihe von
2. Der Mensch ist in allem Handeln auf Realität
Rundfunkvorträgen, die der Autor Anfang 1981
verwiesen. Wie immer auch seine inneren Antriefür den Bayerischen Rundfunk hielt. Als besonde- be, Wünsche und Vorlieben strukturiert sein möres Verdienst Spaemanns darf hervorgehoben
gen, sie finden Erfüllung und Sinn doch nur, inwerden, daß er ohne großen Aufwand an philoso- dem der Mensch aus sich selbst heraustritt und
phischer Esoterik dem wissenschaftlich unverbil- sich dem zuwendet, was auch ohne ihn ist, wie es
deten Gemüt die Bedeutung sittlicher Fragestel- ist. Sinnerfüllte menschliche Existenz lebt in belungen zu verdeutlichen weiß. Philosophisch wußtem Bezug zum Wertgehalt erfahrender und
ethische Systematik ist, indem sie etwa den Prin- erfahrbarer Wirklichkeit. Es gilt zu verstehen,
zipien der Sittlichkeit, den Kriterien der Unter- »daß das Gute etwas damit zu tun hat, Wirklichscheidung von »gut« und »böse«, dem Problem
keit zu erfahren und der Wirklichkeit gerecht zu
der Vermittlung von Allgemeinheit und Beson- werden« (S. 34). Sich selbst wird der Mensch am
derheit usw. nachfragt, im Grunde nur eine Proehesten dann gerecht, wenn er anderem gerecht
longation jener Fragen, die der im Alltag Orienwird. Dazu bedarf es der Einübung, der Dispositierung und Sinn suchende Mensch immer schon
tion, ja lebenslanger Anstrengung. Interessen bestellt. Robert Spaemann will weniger konkrete
dürfen allererst der Entwicklung. Die Intensität
inhaltliche Gesichtspunkte solcher Orientierung
der Lebensfreude wächst schließlich mit der
an die Hand geben, als den Fragehorizont so
Selbsttätigkeit des Menschen in Hinrichtung auf
schärfen, daß der Orientierungsuchende zunächst
die Wertqualitäten der Wirklichkeit, an denen der
einmal klarer sieht, wonach es denn eigentlich zu
Mensch seine geistigen Kräfte und Fähigkeiten
suchen gilt. Da an diesem Ort unmöglich auf alle
schulen kann.
erwähnenswerten Details der 8 Kapitel des Bu3. Auf den ersten Blick erscheint es frappieches eingegangen werden kann, sei wenigstens
rend, daß am Ende einer Abhandlung über moraauf drei Einzelthemen kurz hingewiesen.
lische Grundbegriffe das Thema »Gelassenheit«
1.
Oft wurde (und wird) aus der scheinbar steht. Aber tatsächlich leuchtet ein, daß die Nagelprobe jeder gelebten Sittlichkeit dort bestanoffenkundigen Verschiedenheit der sittlichen Beden werden muß, wo die Gewalt der Dinge den
wertungsmaßstäbe einander fremder Kulturkreise
Menschen
übermächtigt, wo sein Machen-können
der voreilige Schluß gezogen, es gebe keine allgeein Ende findet und er sich nurmehr schicken
meingültige und unbedingte Bedeutung der Workann in das, was zu ändern seine Kräfte überte »gut« und »böse«. Doch ist - wie Spaemann
steigt. Mit »Gelassenheit« bezeichnet Spaemann
zeigt - die Feststellung der Kulturrelativität aller
(im Unterschied zu den Verirrungen des FanatisSittlichkeit nicht das Ende, sondern gerade erst
mus und des Zynismus) die Haltung jenes Mender Anfang des ethischen Raisonnements: »Das
schen, der erkannt hat, wie wenig es für die
vernünftige Nachdenken über die Frage nach eiKonstitution des Sinngehaltes der Wirklichkeit
nem allgemein gültigen Guten begann überhaupt
insgesamt auf ihn und sein Tun ankommt, der
erst auf Grund der Entdeckung dieser Tatsache.«
aber auch begriffen hat, daß es lohnenswert ist,
(S. 14) Die Möglichkeit theoretischen Streitens
sich
in dieser und für diese Wirklichkeit zu engaüber Prinzipien der Sittlichkeit (mit der antiken
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gieren: »Der Gelassene handelt mit Entschiedenheit, aber er hat den Lauf der Dinge, der sein
Handeln ermöglicht, und damit auch sein mögliches Scheitern akzeptiert; denn er weiß, daß der
Sinn nicht erst durch ihn und sein Handeln in die
Welt kommt« (S. 107).
Resümierend sei gesagt: Spaemanns »Moralische Grundbegriffe« wissen Nachdenklichkeit zu
erzeugen, ohne zu verunsichern. Im Gegenteil:
der immer schon im Alltag nach dem richtigen
Leben Fragende wird darin bestärkt, daß sein
Fragen und Suchen einen guten Sinn hat und
jedenfalls nicht ergebnislos bleiben muß.
Burkhard Haneke, Essen
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