Angezüchtete Knorpelzellen

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Medizin Aktuell
Angezüchtete Knorpelzellen
Universeller Werkstoff für Hüfte, Knie und Wirbelsäule
Knorpeldefekte, die oftmals durch Verletzungen entstehen, können längerfristig eine Arthrose
verursachen. Um dies zu verhindern und den Betroffenen Beweglichkeit und Schmerzlosigkeit
wiederzubringen, können Verfahren zur Knorpelzelltransplantation genutzt werden.
W
enn ein technisches Gerät
nicht mehr richtig funktioniert, weil ein Teil defekt ist,
sollte zur Reparatur im Idealfall ein
Ersatzteil vom gleichen Fabrikat, in jedem Fall aber vom gleichen Aufbau verwendet werden. Durch die Möglichkeit,
Zellen im Labor zu vermehren, steht
dieses Prinzip bei einigen Erkrankungen auch im medizinischen Bereich zur
Verfügung. „Zellkulturen“ anzulegen,
das heißt, den Zellen durch entsprechende Nährböden und sterile Umgebung Voraussetzungen zur Vermehrung
zu geben, macht man sich in vielerlei
Hinsicht – sei es in der Forschung,
Pharmakologie oder in der Lebensmitteltechnik – zunutze. Dass es heute
auch möglich ist, Knorpelzellen auf
diese Weise zu vermehren, bedeutet
einen wesentlichen Fortschritt bei der
Behandlung von bestimmten Knorpeldefekten. Deren Problematik besteht
immer darin, dass Knorpel nur sehr
limitiert in der Lage ist, sich nach Verletzungen von selbst zu regenerieren.
Zur Versorgung von Knorpeldefekten
stehen verschiedene Möglichkeiten
zur Verfügung, die alle darauf abzielen, die defekte Stelle wieder adäquat,
das heißt möglichst mit stabiler Knorpelmasse zu verschließen und dadurch
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die Gelenkfunktion wiederherzustellen. Bei Verfahren wie der Mikrofakturierung, der Pridie-Bohrung oder der
Abrasionsarthroplastik, wird der Körper durch absichtlich hervorgerufene
Verletzungen und die dadurch hervorgerufenen Heilungsmechanismen im
Blut angeregt, neuen Knorpel (Ersatzknorpel = Faserknorpel) zu bilden.
Die sogenannte Mosaikplastik hingegen
ist nicht auf Knorpelneubildungen angewiesen, da hierbei Knorpelmasse an einer anderen, möglichst wenig belasteten
Körperstelle entnommen wird, um dann
in den Defekt eingepflanzt zu werden.
Neuer Knorpel aus dem Labor
Eine neuere Methode, die immer weiterentwickelt wird, ist die sogenannte
Autologe Knorpelzelltransplantation
(ACT), bei der körpereigene Knorpelzellen nachgezüchtet und dann in
den Knorpeldefekt eingesetzt werden. Dafür muss dem Patienten nur
eine viel geringere Knorpelmenge sozusagen als „Vor-“ oder „Grundlage“
entnommen werden. Bei Größenangaben dazu wird häufig ein Reiskorn
als Vergleich herangezogen und es ist
die Rede von ein bis mehreren reiskorngroßen gesunden Knorpelstücken
je nach Größe des Schadens, die für
dieses Verfahren entnommen werden.
Gewonnen wird diese Grundlage meist
arthroskopisch, also minimalinvasiv,
aus einer möglichst wenig belasteten
Knorpelstelle, damit der – wenn auch
geringe – Verlust möglichst konsequenzlos bleibt. Die so gewonnenen
Knorpelzellen werden dann in einem
speziellen Labor angezüchtet. Hierbei gibt es verschiedene Verfahren,
die sich bezüglich der Form, in der
die neuen Knorpelzellen hergestellt
werden, unterscheiden: Es gibt dreidimensionale Knorpelzellkügelchen,
gelförmige Knorpeltransplantate oder
die Möglichkeit, die neuen Knorpelzellen in eine Matrix bzw. ein Vlies
einzubringen. In einer Matrix einge-
Knorpelzelltransplantation = autologe Chondrozytentransplantation (ACT)
körpereigen
Knorpelzellen
Medizin Aktuell
Knorpelzell­
entnahme
Knorpel­
schaden
bunden und somit dreidimensional
beschaffen, entfällt die Notwendigkeit der zusätzlichen Abdeckung des
Defekts. Diese relative Stabilität soll
auch mit neueren Entwicklungen,
wie den dreidimensionalen Knorpelzellkügelchen (Sphäroiden) erreicht
werden. Bis die erforderliche Zellzahl
erreicht ist, kann es ca. sechs Wochen
dauern. Die genauen Termine werden
zwischen Arzt, Patienten und Labor
zuvor natürlich genau abgestimmt.
Knorpeldefekt einfach verschließen
Der zweite Eingriff dient dann dem Einbringen des „neuen“ Knorpels in den
Defekt und wird meist auch arthroskopisch durchgeführt. Nach Reinigung
und Abtragung von ausgefransten Defekträndern werden Gel oder die drei-
Wo kommt der gezüchtete Knorpel zum Einsatz
Die Gelenke, in denen die Knorpelzelltransplantation heute angewendet werden kann, sind Knie, Schultern, Ellenbogen, Hüfte und Sprunggelenk. An der
Wirbelsäule – zurzeit hauptsächlich im Hals- und Lendenwirbelbereich – kann
durch Zellzüchtung im Labor eine sogenannte autologe Bandscheibentransplantation durchgeführt werden. Geschädigte Bandscheiben können damit
wieder mehr Stabilität und somit ihre ursprünglichen Funktionen erlangen.
dimensionalen Kügelchen eingespritzt
oder die passend zugeschnittene Matrix eingelegt. Je nach Verfahren und
Form der neuen Knorpelzellen werden
diese dann mit einer Art Decke verschlossen. Diese besteht entweder
aus tierischen, autologen (Knochenhaut) oder synthetisch hergestelltem
Material (z. B. Kollagen). Mit dem Einbringen des Neuknorpels ist der Prozess aber noch nicht abgeschlossen,
denn die nachgezüchteten Knorpelzellen müssen dann noch in den folgenden Wochen in den Defekt einwachsen. Während dieser Zeit muss der
Patient noch auf eine entsprechende
Entlastung des Gelenks achten.
Welche Knorpelart durch die Verbindung der gezüchteten Knorpelzellen
und den Zellen im Defekt gebildet
Indikationen für eine ACT
am Beispiel Knie
Kontraindikationen für eine ACT
am Beispiel Knie
• (biologisches) Alter bis 55 Jahre
• das Wachstum ist bereits
abgeschlossen
• Defektgröße maximal 10 cm²
• die restlichen Gelenkteile (z. B. Menisken und Bänder), insbesondere
der gegenüberliegende Part, sind unbeschädigt und können Belastungen
standhalten
• physiologische Beinachse
(ggf. durch vorherige
Umstellung erreicht)
• physiologische Kniescheibe (ggf.
durch zuvor erfolgte Korrektur)
• höchstens zwei voneinander unabhängige Defekte
• zu hohes Alter
• sich gegenüberliegende Schäden
• Beinfehlstellungen
• Primärarthrose
• versteifte Gelenke
• Rheuma
• Arthrofibrose (vernarbte Gelenke)
• Gicht
• starkes Übergewicht
• schwerere Nebenerkrankungen wie
Krebs, Autoimmunerkrankungen,
Borreliose, chronische Infektionen
wird, ist von der Forschung noch nicht
ganz geklärt. Manche bezeichnen ihn
als hyalinartigen Knorpel (nicht aber
von Hyalinknorpel) andere geben an,
dass es sich um Ersatzknorpel handele. Diese Frage wird die Forschung in
den nächsten Jahren sicher weiter klären können.
Die ACT ist nur in wenigen Fällen als
eine direkte Alternative zum künstlichen Gelenk zu sehen, da dies sowieso erst bei einem viel größeren Defekt
zur Debatte steht. Jedoch kann mit diesem Verfahren ein Weiterfortschreiten
bis zur Arthrose verhindert, also die
Notwendigkeit einer Prothese hinausgezögert werden.
von Stefanie Zerres
ORTHOpress 4 /2011 27
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