S P E C I A L I N T E R E S T S C H WA N K U N G E N UNNAHBAR # 1 8 I 2 2 . O K T O B E R | 2 0 0 7 KÜHN I 2 1 | WAC H T A G E K U LT U R F Ü R Gestrandet bei Blaumeier Der Kritiker vor verrückten Horizonten Als der Schauspieler seinen Satz sucht, hält das Publikum den Atem an. Man spürt das Stocken, die Blockade füllt die Bühne. Die Generalpause könnte als eines dieser Dramatisierungsvehikel durchgehen, die das Schauspiel auf die Werkstattebene heben und ins ruckelnde Zeugungsstadium befördern. Doch sie hat andere Gründe. Der Schauspieler ist ein normal Verrückter, seine Mitteilungen dauern schon mal etwas länger. Dann findet der Satz aber doch noch seinen Weg. Wer bisher bereits angerührt war, bekommt jetzt vielleicht feuchte Augen. An bühnenhandwerklichen Kategorien lässt sich der Hänger nicht messen. Dennoch bewirkt die unfreiwillige Spannungssteigerung Theatererleben pur. Der Kritiker ist gerührt. Aber darf er das sein, hier und überhaupt, und vor allem, sollte er das schreiben? BlaumeierVeranstaltungen sind Herausforderungen für die Kritik. Über eine Leistung gibt es keine Diskussion: Dass mehr und weniger psychisch Stabile in der künstlerischen Arbeit zusammenkommen, dass künstlerisch begeisterte mehr oder weniger Kranke in Ausstellungen und Theatern auf künstlerisch begeisterte mehr oder weniger Gesunde treffen, ist großartig. Dass Kunst Begegnungen ermöglicht, die das „normale“ gesellschaftliche Leben meint behindern zu müssen, spricht für sie und für sich selbst. Aber ist das normale Kunst, der wir da applaudieren? Tut der Kritiker den Künstlern mit einem Bonus einen Gefallen oder bringen wir uns nicht vielmehr selbst damit um die Chance, auch hier Kunst als Herausforderung zu begreifen, Maßstäbe zu überdenken und gegebenenfalls zurechtzurücken? grativen Künstlergruppe aus Riga entstanden sind. 180 Exponate zeigen maritime Motive aus der lettischen Hafenstadt Liepaja, aus Bremen und Bremerhaven, Friedrichskoog und Spiekeroog. Produziert haben die beteiligten normal Verrückten und verrückt Normalen – so die BlaumeierSprachregelung, die dem Berichterstatter Unkorrektheit und selbstherrliches Verständnisgeklapper abnimmt – sehr viel mehr. Die Auswahl trafen die Mitarbeiter und Kursleiter, nach Korrekturkategorien, die auch in der laufenden gemeinsamen Atelierarbeit und in den Workshops angelegt wurden. Hier gibt es keinen Bonus. Die Beteiligten beurteilen die Ergebnisse nach Zielen, die angestrebt worden sind. Das sind ganz normale künstlerische. Zurzeit stellt das BlaumeierAtelier in der Städtische Galerie im Buntentor Gemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien und Texte aus, die im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit einer inte- Doch vor den Bildern kommt er dann wieder, dieser angelernte, angelesene, angeschaute Blick, der an Neugeburts-visionen der klassischen Kunst-Moderne in den Bädern der Exotik, der Naivität und des Wahnsinns andockt. Ist die Darstellung des Strandlebens in den Zeichnungen von Sabine Breitbach nicht Ausweis unverstellter und unverbildeter Einsicht? Belegt das „Schiff mit Lichtern“ nicht den Triumph schlichter Begeisterungsfähigkeit? Sind die Hafenbilder von Arnold Hilken farbmächtiger Verweis auf übermächtigen Ordnungsbedarf? Braucht es für die Darstellung solch seliger Gesichter wie beim „Brautpaar in Venedig“ von Colette nicht das simple Gemüt einer eben doch sehr besonderen Bildautorin? Aber ist eine Fotografie desselben Arnold Hilken nicht auch ein wunderbares Stillleben im Geist des klassischen neuen fotografischen Sehens? Und sind die Malreisen von Carl F. nicht ein wunderbar verschlungenes Labyrinth, das immer neue Schichten freilegt und sich hartnäckig gegen außerbildlich motivierte Ordnungsversuche wehrt? Mal ganz abgesehen von dem entwaffnenden Witz, den Kunst andernorts meist hartnäckig verweigert. Die Besonderheiten der Beteiligten zulassen und in gemeinsamer Arbeit und im Austausch fördern, das war eines der Grundanliegen des jüngsten maritimen Projekts und ist ein Blaumeier- Zentralgedanke insgesamt. Im Besonde-ren könnte auch die besondere Herausforderung an den Kritiker liegen. Das Spezielle braucht Offenheit. Die Bereitschaft, den eigenen Blick immer neu am Einzelnen zu überprüfen, Wachheit vor dem konkreten Werk, Neugier auf die Autorenpersönlichkeit, die Schulung des Blicks ohne Diskurspfeiler, den Abschied vom Sehen mit den Ohren und der Rückversicherung bei den Meinungsführern. Dann verschwimmen produktiv die Grenzen zwischen besonders und normal, in der Kunst und auch sonstwo. „Sind wir nicht alle ein bisschen Elisabeth“, hieß der Satz, der da auf sich warten ließ. Er fiel in der jüngsten Theaterproduktion des BlaumeierAteliers. Klar sind wir das, scheinen die Zuschauer stumm rufen zu wollen. Auch die „Elisabeth-Suite“ begeisterte wieder das treue Publikum. Manche Fans, die das integrative Kunstprojekt schon länger begleiten, waren allerdings skeptisch. Ob den Darstellern da noch genügend Raum bleibe. Ob die Behinderung hier nicht zum Stilmittel missbraucht werde. Höhere Ansprüche, Feilen an der Form, schön und gut, aber wo bleibe da der authentische Akteur mit seinen Besonderheiten? Untergrabe Professionalisierung nicht das ganze schöne Vorhaben? ein weiteres Fernsehforum in der Plantage will dem Musikfilm Beine machen Wie sieht man sich das denn an? Vor dieser Frage stehen nicht wenige. Zumindest dann, wenn sie vor der Aufgabe stehen, wenn sie Musik vor der Kamera haben. Quo vadis, Musikfilm und –Fernsehen? Fragte sich vor einigen Jahren die ehemalige Galeristin und immer noch amtierende Kulturverfechterin Katrin Rabus. Aus der Frage wurde eine Idee. Aus der Idee eine Veranstaltung. Und aus einer Veranstaltung eine regelrechte Einrichtung. The Look of The Sound Beim Fernsehforum Musik – das nach außen in 3 Sprachen „The Look of The Sound“ heißt, können sich alle treffen, denen es um die Weiterentwicklung (oder auch um das Gegenwärtigma-chen) des Musikfilms zu tun ist. Die Ausgangslage ist dabei insofern paradox, als es reichlich Menschen zu geben scheint, die als Praktiker in ganz verschiedenen Feldern agieren (Pro-grammdirektoren und Regisseure, Orchesterleiter und Komponisten) – und die alle vor dem gleichen Problem stehen. Der Film über zeitgenössische wie über ältere Musik ist zu einem Nischendasein gezwungen. Paradox, weil es ja alte und junge Interessenten gibt. Als Macher und als Zuschauer. Davon zeugen nicht zuletzt die über 150 Musikfilme, die nicht im Hauptprogramm gezeigt werden, sondern im für die Festivalzeit geöffneten Archiv auf Zuschauer warten. Indem das Musikforum die verschiedenen Akteure zusammenbringt, schafft es auch Platz für die Frage, wie letztlich Zuschauer und Filmemacher näher zusammen kommen. Das Schwerpunkt-Thema in diesem Jahr fragt nach alternativen Schau- und Vertriebswegen. Konkret meint das den boomenden DVD-Markt. Lässt sich hier ein neues Veröffentlichungs-Terrain abstecken – eines, das von vornherein in die Produktionsplanung sich hineindenken lässt? Auch wenn mit Ulrich Mosch von der Basler Paul-Sacher-Stiftung oder dem Komponisten Helmut Lachenmann Experten aus ganz verschiedenen Ecken zum Vortragsmikro-phon greifen, dürften die interessantesten Gespräche sich dort abspielen, wo nicht immer ein Mikrophon dabei ist: Zwischendurch. Hier sollen – das funktionierte bisher ganz gut – Kontakte geknüpft werden. Die sich bei einer der nächsten Auflagen von „Look of the Sound“ vielleicht als Film schon niederschlagen. Wer sich einfach nur einen Überblick verschaffen will über gegenwärtige Fragen und Produktionen, mag seine Schritte gleichwohl in die Plantage lenken. Denn wirklich fachfremd ist hier niemand – mindestens als potenzieller Zuschauer gehört man zum Forum ja irgendwie auch dazu. <Tim Schomacker he Look of The Sound findet vom 24. bis 27 in der Plantage 13 statt. Info: Ein www.fernsehforum-musik.de Interview mit der Initiatorin Katrin Rabus erschien in Schwankungen 12. volle Festivalnächte also! MIBnight Jazzfestival allerhand in der Wundertüte Die Musikerinitiative MIB hat ihre Räumlichkeiten seit Jahren unter der Städtischen Galerie im Buntentor. Anfänglich wurden hier auch die jährlichen MIB-Jazzfestivals veranstaltet, aber schnell waren die Räume dafür zu klein. Also zog man ins Lagerhaus Schildstraße um, wo ein paar sehr erfolgreiche Festivals stattfanden. Eigentlich aber fühlt sich die MIB der Schwankhalle zugehörig, und so wird das diesjährige MIBnight Jazzfestival nun erstmalig hier durchgeführt. Fine Kwiatkowski Die Schwankhalle bietet den Vorteil zweier Säle, die es ermöglichen immer abwechselnd Konzerte unmittelbar nacheinander beginnen zu lassen. Außerdem bieten die jeweiligen Bühnen die Chance, auch Sparten übergreifende Projekte vorzustellen. In diesem Jahr meint das vor allen Dingen eine Tanzperformance mit der faszinierenden Berliner Tänzerin Fine Kwiatkowski am Eröffnungsabend. Wie in den vergangenen Jahren üblich, sucht das MIBnight Jazzfestival einerseits die Bremer Szene zu dokumentieren, lädt aber andererseits auch Bands aus Deutschland und in diesem Jahr mit dem angesagten Christoph Stiefel Trio eine Band aus der Schweiz ein. Paul Lovens Ansonsten dominiert in diesem Jahr der Kooperationsgedanke, will sagen, das Zusammentreffen von Bremer Musikern mit auswärtigen Gästen. Das beginnt gleich bei der erwähnten Tanzperfo-rmance „Cri du Coeur-Collectif“, bei der Berlin und Bremen zusammenfinden. Der Aachener Perkussionist Paul Lovens, Urgestein des deutschen Free-Jazz, trifft auf den Bremer Flötisten Nils Gerold. Und Euphoniumbläser Uli Sobotta begegnet der ungewöhnlichen Stimmakrobatin Sainkho Namtchylak aus Tuva. Mit der P o e t r y - Tu r n t a b l e - A v a n t g a r d e Performance „Dichters Dansen Niet“ präsentiert sich schließlich ein belgischniederländisch-deutsche Troika. Der Bremer Saxofonist Dirk Piezunka holt sich seit langem immer wieder Gäste zu seinem Quartett, jetzt hat sich die Band mit dem Jazztrompe-ten-Monument Dusko Goykovich verstärkt. Ilka Siedenburg Die rege Kölner Szene wird durch Frank Wingolds Quartett „Clairvoyance“ reprä-sentiert, aus Münster und Essen kommt der respektlos kauzige Vierer „Das Böse Ding“ und Dortmund schickt seine Salsa-JazzCombo „Bima“. Als Bremer Bands sind vertreten „Voodoo Child“ mit groovender Hammond-Power und dieses Mal ganz instrumental ohne Sängerin, Jens Schöwing, zuletzt mit seinem BeatlesProjekt sehr erfolgreich, setzt sich mit Bachs „Musikalischem Opfer“ auseinander, beim „Butterfly Project“ treffen erfahrene Jazzer auf drei Rapper und Saxerin Ilka Siedenburg stellt ihr EthnoJazz-Trio „timeline“ vor. Drei gespickt volle Festivalnächte also! <Christian Emigholz www.sschwankhalle.de Fee getroffen IN ZEITEN WIE DIESEN In Zeiten wie diesen, ist ja eigentlich alles neu. Nur das Alte nicht. Und das Neue verspricht immer das Größere und Schönere. Das Neue hat auch neue Verkäufer mit neuen Verkaufsstrategien auf neuen Kommunikationskanälen - und darf es noch etwas mehr sein? Mehr Geld, mehr Informationen, mehr Trends, mehr Termine, mehr Auswahl, mehr Neuigkeiten mehr Produkte. Was machen wir denn nun? Das Leben ist anders In den Fotos von Boleslaw Jankowski sind alle Horizontlinien schief. Das ist für ihn völlig normal. Wer das Verrückte zurechtrücken will, muss es für sich selbst. Dabei ist empfehlenswert, die Waage an die eigene Horizontlinie anzulegen. Dass diese immer in der Ruhelage bleibt, muss man sich nicht unbedingt wünschen wollen. Man guckt vermutlich so gern auf das Meer, weil die Natur dort eine Idealbalance installiert hat. Das Leben ist anders. Ohne Kriterien geht es nicht, aber Kunst wird nicht zur Bestätigung fixer Kategorien gemacht. Das zu vergegenwärtigen, gibt Blaumeier immer wieder Chancen. Auch deshalb braucht die Blaumeier-Kunst auch keinen Extrabonus. < Rainer Beßling Blaumeier-Veranstaltungen sind Herausforderungen, nicht zuletzt Ich sehe was, was du nicht siehst B R E M E N Neues Musical, neues Schauspielhaus, neues Konzerthaus, neues Kabaretthaus neues Funkhaus, neuer schottischer Spacepark an der Waterfront. Ich hab genug, ich hab die Schnauze voll, und das ist noch zu wenig! Ich bin furchtbar alt und in meinem Kummer besuche ich meine gute alte Fee und frage sie, „Was machen wir denn nun mit einem nicht so neuen Theater, wie dem Concordia, das in seinem Gemäuer doch immer noch die aktuellsten Ideen aufbewahrt und was machen wir mit dem nicht so alten Konzertsaal, der den schönsten Klang hat? Wo und mit wem kann man denn bitte „Mehr-Wert-Was“ noch besprechen?“ retten was noch zu retten ist „Ach meine Gute“, beruhigt sie mich, „Wir verlassen uns da nicht auf die großen Schlachtschiffe und Supertanker. Wir suchen uns die kleinen Boote, die wissen, wohin sie steuern und dann noch ganz, ganz viele Freunde und Kollegen dazu, die wissen, was sie tun und mit denen retten was noch zu retten ist ....“ Das ist aber auch schon wieder eine ganze Menge. Aber wohl kein bisschen zu viel. Sind Sie dabei? < Renate Heitmann Schön wärs: Kreativ Altern Den denkmalgeschützten Sendesaal von Radio Bremen halten Künstler, Medienmenschen und Politiker in seltener Eintracht für ein erhaltenswertes Bau- und Kulturdenkmal – zumal eines, das nicht nur Erinnerungsfunktion, sondern mitten im Leben internationales Renommée und einen hohen Nutzwert hat: als Konzertsaal, als Studio und Produktionsstätte für Klassik, Jazz und zu Pop, Rock und Hörspiel. Obwohl das unstrittig ist, soll der Saal seinen Denkmalschutz verlieren und, möglicherweise, abgerissen werden. kreative Stadt Das ist ein hartes Signal zum Auftakt einer neuen Kulturpolitik der rot-grünen Koalition: Kultur soll in der “kreativen Stadt“ (grün) ja als “Motor der Stadtentwicklung“ (rot) behilflich sein, den Strukturwandel vom Industriestandort hin zu Lebensqualität, Wissen, Tourismus und Dienstleistung unterstützen, der alternden Gesellschaft das Altern erleichtern. Daraus einfach steigende Kulturbudgets ableiten zu wollen, greift zu kurz: Die (arg verspätete) Beschäftigung mit “kreativen Industrien“, “Ideenwirt-schaft“ und “weichen Standortfaktoren“ dient natürlich nicht allein der Förderung der Kunst, geht über klassische Kulturpolitik weit hinaus: Es geht um Stadtentwicklung, Arbeitsmarkt und Soziales, um Bildung und Wirtschaft. Kultur bekommt im Geflecht des Staates Aufgaben (wieder). Alleine lösen kann Kunst gesellschaftliche Problemstellungen höchstens punktuell. Mit ihrer Erfahrung und Kompetenz aber können Kreative in der Gesellschaft beraten, unterstützen, motivieren und vielleicht auch vor Irrwegen bewahren. Dass das Label “kreativ“ also nicht automatisch zur Überweisung von Millionenbeträgen an feilschende Investoren führt, müsste daher nicht betrüblich stimmen. Wenn denn sonst die Richtung klar wäre für die “kreative Stadt“, wenn denn klar wäre, dass Bremen um seine Ressourcen wüsste und sie für die Zukunft zu nutzen wüsste! Wer aber in Bremen einen der neuen “kreativen Berufe“ lernen will, begibt sich auf eine frustrierende, oft demütigende Tour durch Kultureinrichtungen, Hochschulen und Kammern, von der Arbeitsagentur zu big zu bagis und wieder zurück. Auch fürs Alter sind die Perspektiven noch nicht verlockend: Die “digitale Bohème“ - Sinnbild, Vorreiter oder jedenfalls Stichwortgeber für den angestrebten Strukturwandel - wird ja auch alt: In 30 Jahren sind die kreativen Freiberufler von heute angewiesen auf altersangemessenes Wohnen, ein sie akzeptierendes und von ihnen akzeptiertes Umfeld, zehn Jahre später vielleicht auf Pflege. Ein MusicVillage auch für alternde Kreative rund um den alten Sendesaal wäre eine schöne Perspektive – schöner als die Vorstellung, die Nachmittage bei Seniorentalkshows im Überseemuseum verbringen zu müssen, finde ich. Erst einmal aber haben Radio Bremen und die vergangene Große Koalition den Sendesaal verschachert, Verantwortli-che dafür prägen weiter das Stadtleben. Und 30 Jahre (acht Legislaturperioden) sind zu weit weg, um heute politische Entscheidungen zu bewegen. Ob Wirtschaft und Kultur weitsichtiger und nachhaltiger und zusammen arbeiten können, zeigt sich demnächst wohl auch am guten, alten Sendesaal. < Carsten Werner bis 31.10. theater für alle: give as much as you can Schwankhalle und anderswo Auch das letzte Drittel „Theater für alle“ hält noch allerlei parat: Janek Müller (22.10.) adaptiert Reinhard Jirgls Roman „Abtrünnig“, Veit Sprenger bringt mit seinen Norton.Commanders (25.10.) schlicht Märchen auf die Bühne. Rainald Grebe (24.10.) tritt in einen musikalischgesanglichen Dialog mit dem Inseldasein von Robinson Crusoe und die vormalige Bremer Tänzerin Hanna Hegenscheidt (26.10.) reduziert das Bühnengeschehen auf zwei Stühle und ein Mikrofon. Mehr Tanz: Am 27.10. treffen die Keats lesenden Two Fish auf zwei aufrechte Bären, die sich in der Kunst des „conceptual dance“ versuchen. Mehr unter www.schwankhalle.de und in der Schwankungen-Sondernummer. Die hängt bestimmt noch irgendwo rum... 18.-28.10., verschiedene Zeiten klezmerfestival: jüdische Instrumentalmusik Weserterassen und anderswo Zum 5. Mal veranstaltet das Bürgerhaus Weserterrassen nun sein Bremer Klezmerfest, und hat sich dazu durchaus namhafte Formationen aus sechs Ländern eingeladen. Neben diversen deutschen Klezmergruppen gastieren nämlich Gruppen aus Frankreich, Israel, Polen, Kanada, Russland. Dabei riskieren die Veranstalter nun auch den Schritt aus den Weserterrassen heraus. Das Eröffnungskonzert mit dem „Ensemble Noisten“ findet nämlich in der Domkapelle statt und für das abschließende Konzert mit der polnischen Erfolgsband „Kroke“ wurde der Schlachthof gebucht. An den zehn Festivaltagen gibt es Garagen-Klezmer aus Moskau, furiose Bläsersounds der französischen Großband „Le train 7.45 h“, eine gewagte HipHop-KlezmerMixtur aus Kanada sowie den neuesten CD-Streich der Bremer Band „Klezgoyim“. So. 28.10., 20.30 Uhr Gráda: new irish folk Schlachthof, Findorffstraße 51 Der Irish Folk hat sich in jüngerer Vergangenheit mehrfach neu definiert, jüngere Bands haben frischen Wind in den strikt auf traditionelle Melodien und Rhythmen festgelegten Apparat gebracht. Zu diesen jungen Bands gehört auch „Gráda“ aus Dublin. Das Quintett hat mit Nicola Joyce eine beeindruckende Sängerin und in dem Multiinstrumentalisten Alan Doherty einen echten Grenzgänger. Doherty war nämlich musikalischer Direktor der Filmmusik zum „Herren der Ringe“. Ein weiteres „Gráda“-Mitglied rockt sonst mit der Band „Reamonn“. Di. 30.10., 20.30 Uhr Don byron trio: jazz Theater Bremen, Goehteplatz Der New Yorker Klarinettist Don Byron hat viel für die Renaissance seines Instruments fernab von Benny Goodmans Swing-Seligkeit getan. Byron mischt sehr gekonnt stilistische Fundstücke aus Free- und Cool-Jazz, garniert sie oft genug mit KlezmerZitaten, schließlich hat er als Twen jahrelang mit der exzellenten „Klezmer Concervatory Band“ gearbeitet. Als Jazzer hat er vor allen Dingen mit Musikern der New Yorker DowntownSzene von Tom Cora über Bill Frisell bis zu Bobby Previte und Cassandra Wilson gearbeitet, aber auch mit dem Kronos Quartet kooperiert. Do.-Sa., 1.-3.11., jeweils 20 Uhr mibnight: jazzfestival Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 2.-4., 7.-9., 11.11., 20 Uhr sagt lila: theaterstück von chimo Stauerei, Cuxhavener Straße 7 Die brillant auserzählte Tristesse aus „La Haine“ trifft in diesem Zweipersonenstück auf die Kodderschnäuzigkeit von Queneaus & Malles „Zazie“. Im Pariser Plattenbau erkundet Banlieue-Star Chimo nicht nur jede Menge Milieu. Er versenkt hier auch eine traurige Liebesgeschichte. Dass mit Hendrik Pape ausgerechnet der Lehrer aus „Spieltrieb“ inszeniert, ist nebenbei auch ganz hübsch. Mo., 5.11., 21 Uhr sarah k: hell or high water Sendesaal, Radio Bremen Es war eines der letzten Konzerte, das die US-Songwriterin Sara K. vor fünf Jahren im damals gerade noch als Konzertraum existierenden Club Moments gab. Und es war ein Klang-Erlebnis der besonderen Art, denn ihr deutsches Plattenlabel Stockfisch hatte High-End-Boxen in den Saal gestellt. Sara K. ist eine ergreifende Sängerin, die Folkmelodik favorisiert, und diese mit gewissen Country-, Bluegrass- und Blues-Elementen garniert, dabei führt Sara K. eine sehr eigenwillige, weil nämlich autodikatisch erlernte Gitarrentechnik auf ihrer viersaitigen(!) Gitarre vor. 5. bis 8.11., 9.30 Uhr theater witt: ellis biest Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 Dass das titelgebende Mädchen des Prinzessinnen-Zeichnens überdrüssig ist – kein schlechter Start für ein Stück Kindertheater. Elli zeichnet ein, nun ja: ein Etwas in Pink. In Schauund Figurenspiel erweckt Marion Witt das Biest zum vergnügten Leben. Mi. 7.11., 20.30 Uhr loup (london): ribbon Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 Dale Berning (F/SA) und Ute Kanngiesser (D) sind „Loup“ aus London: Das Duo zwischen Sound und Song präsentiert mit „Ribbon“ eine Performance an der Grenze zwischen Improvisation und Experiment, zwischen Konzert und Performing Arts mit Stimme und Glockenspiel, mit Cello, Gitarre und manch anderem Objekt ... Ein Augenund Ohrenschmaus über das Suchen und Finden, über Spiel und Zu(sammen)fall. Do. 8.11., 20 Uhr ohrbooten: babylon bei boot Römer, Fehrfeld 31 Es ist kein Geheimnis mehr, dass fett groovender Reggae mit deutschen Texten zurzeit vor allen Dingen in Berlin Triumphe feiert. Die brillante Crew von „Seeed“ hat längst die Republik erobert. Im August kam es noch beim Open-Air am Pier 2 zum Gipfeltreffen der Reggae-GlamourTruppe mit einer anderen erfolgreichen Berliner Alternativrockband, den „Beatsteaks“. Mit dabei mit einem Kurzset waren da auch schon die „Ohrbooten“, noch so eine Berliner Reggaeband mit Suchtcharakter. Jetzt kommen die Berliner mit Vollprogramm in den Club. 8. bis 11.11., 20.30 Uhr baby buxters: i want to rule the world Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 Gemeinsam mit einer guten Handvoll junger Akteure untersucht Augusto Stepptext-Choreograf Jaramillo Pineda, was Menschen in Casting-Shows treibt. Ein TV-Sender will ein 80er-Musical auf die Beine stellen. Mit den „Baby BuXters“ schauen wir auf die Glitzerbühne – aber auch hinter die Kulissen der vielversprechenden Glamourwelt. Fr.+Sa., 9.+10.11., jeweils 20 Uhr gelber tiger streift raum: kunst-dinner-performance Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 Jorge Luis Borges galt als der Gralshüter der modernen lateinamerikanischen Literatur, der in seinen Büchern das Surreale mit dem Alltäglichen zusammenbringt. Auf den Spuren von Borges bewegen sich 3 Musiker, 1 Literat und 1 Köchin unter Anleitung der Regisseurin Monika B. Beyer. Unter dem Titel „Gelber Tiger streift Raum“ laden die Beteiligten Tim (Wort), Christoph Schomaker Ogiermann (Geige), Lilian von Haussen (Flöte) und Reinhart Hammerschmidt (Bass) zu einer Art „Kunst-Dinner“, bei dem das Publikum mit Film, Wort, Klang und Kulinarischem gefüttert wird: wohl bekomm’s ! Fr. 9.11., 20.30 Uhr volcano the bear & luigi archetti + bo wiget Güterbahnhof, Spedition Volcano The Bear aus Glasgow hat eine eigene Musiksprache aus experimenteller Musik, Free Jazz und Avantgarde entwickelt und mit seltsam absurden Formen abseitiger Popmusik und verschrobenen Brit-Folks gepaart. Live performen sie bizarre Schönheit, ritualistisch und theatralisch - von Vokalakrobatik bis Tonbandexzess. Das Duo Luigi Archetti (Gitarre und Electronics) und Bo Wiget (Cello und Electronics) bewegt sich von Ambientzur zeitgenössischen Formen Komposition und ist dabei in seinen Frequenz- und Lautstärkewechselduschen extrem aufregend, geheimnisvoll und bewegend. Sa. 10.11., 20.30 Uhr sudio braun: the brownies are back Stauerei, Cuxhavener Straße 7 Do. 8.11., 20 Uhr jens friebe: das mit dem auto ist egal... Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 Dieser junge Mann gibt der Formulierung „Von Null auf 100“ ein neues Gesicht! So lang liegt die Zeit der Mini-Clubs noch nicht zurück. Und plötzlich wollen alle ein Kind vom bildverliebten Liedermacher und Ausgehkolumnenschreiber. Etwas zu sagen hat er auch: Dass er an Tokio Hotel gut findet, dass Bill „als androgynes Erotiktopmodel für Teenies ein Gegenprogramm zu der Vergewaltigungsästhetik der Gangbangrapper darstellt“, verriet er beispielsweise der „konkret“. Die wurde gerade 50 – aber das ist eine andere Geschichte. Back to Friebe: Bedenkenswertes anrührend darbieten, kann er ja. Ein paar Jahre traten sie Solopfade aus. Nun sind sie zurück! Diesmal lassen die Herren Schamoni, Strunk und Palminger alles daheim – bis auf sich selbst. Kein Telefon, keine Videobeamer oder Diaprojektoren. Die drei sind sich und uns genug. Denn sabbeln, das können sie ja. ++++ BLOCKBUSTER ++++ +++ AUSWÄRTSSPIEL +++ Die Musikerinitiative MIB veranstaltet nun erstmalig ihr alljährliches MIBnight-Jazzfestival in der Schwankhalle. So heterogen wie sich die stilistischen Vorlieben innerhalb des Jazzerzusammenschlusses darstellen, ist auch das Programm der drei Tage gestrickt, in dem von der BachBearbeitung über groovende HammondSounds, klassischen Bebop, Ethno-Jazz JazzRap-Attacken, Nu-Jazz-Varianten und kubanisches Feuer bis zu Free-Jazz, Freien Improvisation und avantgardistiuschem Experiment alles zu finden ist. Sogar die Verquickung von Jazz, Improvisation und Dichtung findet sich im Verlauf der drei langen Jazznächte. Mit einem Übersetzer und einer Setzerin startet die schon fast altehrwürdige LiteraTour Nord in die neue Saison. Das Setzen von Worten und durch Figuren verbindet die Romane der BerlinLichtenbergerin Katja Lange-Müller (28.10., 20 Uhr, Ambiente) und des gebürtigen Oberösterreichers Franzobel (11.11., 20 Uhr, Ambiente). Sonst ist da nicht viel Verbindung. Denn sie verarbeitet lakonisch-ironisch DDRErfahrungen, er stellt sich gern und gekonnt in die Tradition der Wiener Gruppe. Und das ist gut so. Aus Unterschiedlichem zu wählen macht mehr Spaß als aus Gleichem. Sechs Autoren lesen in fünf Städten aus ihren neuen Büchern. Am Ende gewinnt einer und kriegt den Preis der LiteraTour Nord. So einfach ist das. Endlich sagt’s mal einer. Nämlich, dass „die semantische Intransparenz von Lehnwörtern ein Vorteil sein kann“. Denn weil es sich „lautlich und orthografisch gut in die deutsche Sprache einfügt“, darf das Wort Mobbing weiterhin Mobbing heißen. Den Umstand zu ändern ist eh wichtiger. Das weiß die „Aktion Lebendiges Deutsch“ nicht – aber Anatol Stefanowitsch weiß es. Der ist Juniorprofessor an der Bremer Universität und betreut den Bremer Sprachblog. Gekonnt in der Balancierung von sprachlicher Eleganz, wissenschaftlicher Korrektheit und politikbewusster Pointe erkunden Stefanowitsch und Kollegen das Sprechen über die Sprache. Die Lektüre bereitet Vergnügen und ist gleichwohl lehrreich. Was will man mehr? Das einzig Verquere ist die Internet-Adresse. Sie lautet: http://www.iaas.unibremen.de/sprachblog/ So. 28. jan klug (Groningen): gütertrennung Güterbahnhof, Tor 48 Neben den verschiedensten Saxophonen, Flöten und Bassklarinetten spielt Jan Klug das von ihm selbst erfundene Pataphon und singt Obertongesang. In freier Improvisation und experimentierender Performance erfindet er Töne – live gespielt, geloopt und gesampelt, interaktiv und immer wieder neu das Verhältnis von Image und Sound auslotend. Klug war in Bremen mehrfach als Theatermusiker des Jungen Theaters und mit den „Dichters uit Epibreren“ zu Gast. So. 11.11., 18 Uhr otto: das original Weser Ems Halle, Oldenburg K L A N G W E LT E N HörZu - Zeichen und Wunder Wird es wesentlich, geht es auf die Ohren: Im Fall von Gefahr oder Verführung wird akustisch um unsere Aufmerksamkeit gebeten. Es bimmelt, jingelt und klingelt, tutet, buzzert, trötet und piept um uns rum, wann immer etwas zu sagen, zu tun oder auch nur einfach fertig ist: “Ping” macht die Mikrowelle, “brrrr” der schnellste Quizkandidat, “Piep” der Kartenautomat. Die “Home-Zone” kündigt sich mit “tscheininnnng” an, die Nachrichten trennt ein Trenner mit “pöng”, damit sie nicht ineinanderrutschen, zum Wetterbericht kuckuckt ein Synthetikkuckuck. Offenbar sind die Ohren noch nicht so überreizt wie die Augen vom permanenten Lichtbilder-Overkill. Doch die Signale werden kürzer, der Anruf unserer Aufmerksamkeit immer knapper. Sagte AOL vor 2,3 Jahren immerhin noch “Sie haben Post”, macht’s heute nur noch “palöng” - oder, ganz individuell, Schni-Schna-Schnappi fängt an zu krähen, das Schweinekrokodil. Wer den Ohren trauen, Gehör- und Gedankengänge verkoppeln will, muss aber Pausen zulassen --- Stille --- und die Instrumente wechseln, ein bisschen am Tempo drehen und Worten, Tönen, Zeichen folgen. Das Junge Theater Bremen lädt zum achten Mal Menschen ein, die Töne und Zwischentöne interessieren - Sender und Empfänger, Künstler für's Ohr und Hörer mit Sinn für Sound und Seele. Auf einem tönenden Spielplatz der Wort, Klang-, Hör- und Ohrenkunst kann das Publikum Öhrchen putzen, Ohrsinn schulen und akustische Abenteuer erleben. Das Hörverhalten sinnsuchender StattHörer wird gefördert und gefordert – ohrsinnig statt quotenhörig: Von Worten, Sounds und Tönen, Zeichen eben und Wundern. Tirili! Da könnte ja jeder kommen und auf Otto machen – also muss man es schon dazu schreiben: Das Original! Otto! Das soll man sich angukken. Weil Otto zeigt, dass Comedy nix Neues ist und dass sie schon immer albern sein durfte, gern auch mal gezielt und bedacht tief unter der Gürtellinie, aber doch nicht nur brachialdumm wie Mario Barth und andere Zeitgeistsabbler. Außerdem zeigt Original-Otto, dass auch Komiker in Würde und Profession älter werden dürfen. Und die besten alten Bekannten unter den Witzchen sind sicher auch wieder dabei. Tirili! Mo. 12.11., 20.30 Uhr jeanne Balibar: slalom dame Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112 Ausgebildet am Conservatoire National d'Art Dramatique in Paris, hat die Schauspielerin Jeanne Balibar immer wieder neue künstlerische Pfade beschritten. Ihre neue CD „Slalom Dame“ ist Ergebnis einer musikalischen Komplizenschaft mit dem TextdichterKomponisten-Duett Fred Poulet und Sarah Murcia und mit Dominique A.. Balibar verführt in einer spielerischer Atmosphäre zwischen Rock, Pop und Soundexperiment und zelebriert ihre Potentiale an Dramatik und Erzählkunst dabei so raffniert wie ihre musikalische Neugier und Reife. Zu Hören arnold schönberg: dear miss silvers Supposé Verlag Vom 12- zum O-Ton ist es manchmal nur ein kleiner Sprung. Dachte sich vielleicht Clara Silvers. Und schenkte dem Komponisten der „Verklärten Nacht“ und der legendären „Variationen für Orchester, op. 31“ zum 72. Geburtstag einen „Webster Wire Recorder“. Darauf diktierte Arnold Schönberg Briefe und notierte seine Gedanken akustisch. Dazu finden sich auf den beiden im just nach Berlin umgezogenen supposé-Verlag erschienenen CDs Probenmitschnitte, Radiovorträge und Interviews. Auf „Dear Miss Silvers“ begegnen wir einem humorvollen Vater, anteilnehmenden Freund, überzeugenden Lehrer, einem der letzten Zeugen einer untergegangenen Epoche. So haben nun auch Musik-liebhaber einen Grund, sich das Pro-gramm des derzeit interessantesten Hörverlags einmal genauer anzuschauen. ZU Lesen daheim: online-magazin www.daheim-magazin.de Haben Sie gewusst, dass Schweden das letzte Land war, in dem der Rechtsverkehr eingeführt wurde? Das war 1957. In nur noch 58 Ländern wird seitdem linksherum gefahren. Man darf dem Online-Magazin „Daheim“, das alle drei Monate als PDF erscheint, dankbar sein, dass die aktuelle Ausgabe nicht mit Ernst Jandls berühmter Verwechslung beginnt, sondern mit ein paar Zahlen. Darunter die eingangs genannten. Die folgenden gut vierzig Seiten beschäftigen sich dann aber mit weitreichenderen Politikthemen. St. Paulis linkes Image steht auf dem Prüfstand. Konkret-Herausgeber Gremliza erklärt elegant, was es heute für ihn bedeutet, links zu sein. Weitere Beiträge handeln von Linkshändern und rechter Popkultur. Thematisch nicht ausschließlich neu – aber ansprechend zurecht gemacht und bisweilen hübsch geschrieben. Zur weiteren Beobachtung: Kosten- und verpflichtungslos abonnieren kann man unter www.daheim-magazin.de Wer sich im Alltag von Fahrstuhlmusik in Fahrstühlen und so genannten Kulturradios stressen und bedudeln lassen muss, braucht auch mal markante Töne. Wenn einen bei aller optischen Reizflut im 15-Minuten-Takt Werbetrailer anbrüllen, ist Stille ein hohes Gut. Wo Wetterservices und Infotainer den notwendigen Wortanteil im Radio zuquatschen, fehlen Sinn und Konzentration. Wir sollten öfter zuhören. Nur wem? “HörZu” versammelt ein paar Künstler, denen man sein Ohr leihen kann – man bekommt es, um einige Erfahrungsfacetten erweitert, garantiert wieder: Da erzählt jemand schwitzend und hysterisch im coolen Slang-Stakkato vom Einkauf von High-TechHardware: Konsumarbeit, bei der die Kaufentscheidung mystisch und religiös anmutet – man muss die Werbung nur mal Ernst nehmen! Künstler und Techniker verführen zum Hinhören: Die Multi-Instrumentalistin, Sängerin und Komponistin Bev Lee Harling (15.11.), eine der aufregendsten Figuren der jungen Londoner Songwriter-Szene, gehört mit wunderschönen Songs aus Tango,- Folk-, Latin- und Filmmusikelementen ebenso dazu wie das kultisch verehrte “Studio Braun” (10.11.). In einem Doppelprogramm zur Entstehung von Klang durch Körper und Bewegung, zwischen analogen und digitalen Techniken entstehen Töne, hochkomplex und eingängig: ThereminSpielerin Barbara Buchholz erzeugt bezaubernde Klangwelten auf diesem ersten elektronischen Wunder-Instrument von 1920, das durch die berührungslose Spielweise von einzigartiger Faszination ist: Ein schwaches elektrisches Feld umgibt die Antennen des Theremins, und wer hineingreift, macht auch schon Musik. Die intermedia performance group Palindrome verbindet zeitgenössischen Tanz und elektronische Medien: Per Interactive Motion Tracking erzeugen die Tänzer die Musik zu ihrer Choreographie erst selbst (18.11.). Dale Berning macht Musik aus Instrumenten, Geräten und Geräuschen fast aller Art (7.11.), der Groninger Jan Klug erfasst den Güterbahnhof mit Blasinstrumenten, Tontechnik und Obertongesang (11.11.), Markus Jeroch stellt mit WoWo die Frage zum DaDa (18.11.) und sowohl die Dos Hermanes (13.11.) als auch die die Popette Betancor (16.11.) machen Pop mit Geist und Sprachwitz. Die französische Schauspielerin Jeanne Balibar kombiniert individuelle Klangkompositionen mit ihrem Gesang zu musikalischen “Kurzfilmen”. Jens Friebe, deutschpoprockender Poet, konstatiert: “Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache Dir ist nichts passiert” - was nur eine Zeile des gleichnamigen Songs seiner gleichnamigen CD ist, die viele solcher verrätselten, emotionalen und bilderreichen Zeilen enthält (8.11.). Die Rüsselakrobaten des Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchesters mit Klassikern von Bach bis Vader Abraham und der Grindchor mit Mark Boombastik (17.11.) machen Spaß - im Kollektiv. HörZu geht übrigens nicht nur auf der Bühne, sondern auch zuhause: “Call a Poetry” ermöglicht Literaturgenuss in kleinen Dosen – exklusive Texte von Autoren des Jungen Theaters, performt von drei hinreißenden Callcenteragents. In akustischen Notsituationen sind sie auch per Handy zu erreichen: Literatur to go! Musik to go präsentiert HörZu in Kooperation mit dem Bremer Label twisted knister: Von einigen HörZu-Konzerten gibt es im Automaten in der Schwankhalle und in der Spedition Visitenkarten-CDs mit Musik aus den Randbereichen des Undergrounds für den heimischen Genuss. In der Schwankhalle, der Stauerei und im Güterbahnhof Das komplette Programm und alle Links zu den Künstlern und Partnern ste hen im Internet unter www.jungestheater.de/hoerzu Radiowelt „Was bedeutet Zuwanderung für diejenigen, die zuwandern, was beinhaltet sie für diejenigen, die zurückbleiben, was heißt sie für diejenigen, deren Regionen Zuwanderer anziehen?“ Der Bayerischen Rundfunk kramt nach „Migration im Hörspiel“ und sekundiert mit einer Radio-Reihe dem SpielzeitSchwerpunkt der Münchner Kammerspiele: DA KANN JA JEDER KOMMEN. Die gesellschaftlich relevante Kunst-Kooperation beginnt mit acht Hörspielen aus den letzten Jahren, produziert von verschiedenen ARD-Anstalten. Darunter eine Uraufführung: Für „übersetzungen / translations“ (19.10., 20.30 Uhr) kehrten der Schriftsteller Thomas Meinecke und der Elektro-Musiker Move D. die Regeln ihr bisheriges Zusammenspiels um. Anders als in „Tomboy“ oder „Freud’s Baby“ ist diesmal die Musik tonangebend. Kein übergeordneter Text diesmal, eher clubtaugliche Tracks über die Migration von Wörtern. Deutlich wortlastiger kommt die Radiofassung von Feridun Zaimoglus „Kanak Sprak“ (21.10.) daher. 1997 produziert, schon fast ein Hörspielklassiker. Gerade mal 21 Jahre alt war Faïza Guène als die deutsche Fassung ihres Hörspiels „Paradiesische Aussichten“ (28.10.) entstand. Die im Banlieue Bobigny geborene Radiomoderatorin und Filmemacherin nimmt jene Orte akustisch in den Blick, die vor zwei Jahren von schweren Unruhen erschüttert wurden. Noch ein wenig globaler sind die Migrationsphänomene, von denen die O-TonArbeiten der Audio-Künstler Ultra Red aus San Francisco handeln. „Trabajo y Dias – Arbeit und Leben“ (4.11.) setzte 2002 die Lebenssituation von Immigranten in Deutschland mit den Erfahrungen lateinamerikanischer Einwanderer in Los Angeles in Beziehung. Ebenfalls einen dokumentarischkünstlerischen Ansatz verfolgen Eberhard Petschinka und Herbert Lauermann. In „Bis die Hunde uns finden“ (18.11.) verarbeiten sie Reiseberichte von illegalen Grenzüberschreitungen mit Ziel ‚Festung Europa’. Der dramatische Monolog „Bashir Lazhar“ (11.11.) der Frankokanadierin Evelyne de la Chenelière und Terézia Moras „Alle Tage“ (25.11.), die Geschichte eines unfreiwilligen Deserteurs, der den Krieg in früheren Jugoslawien in Berlin erlebt, komplettieren das Programm. Da kann ja jeder kommen – Migration im Hörspiel. Zu hören, wenn nicht anders angegeben, jeweils sonntags um 15.15 Uhr auf Bayern2Radio. Impressum: Infos, Tickets, Service: Herausgeber: kulturg.ut. e.V. Künstlerhaus Schwankhalle Buntentorsteinweg 112 D - 28201 Bremen www.Schwankhalle.de www.schwankhalle.de www.weserterassen.com www.theater-bremen.de www.sendesaal-bremen.de www.schlachthof-bremen.de www.roemer-bremen.de www.weser-ems-halle.de www.suppose.de www.spedition-bremen.org Redaktion: Eva Oelker, Carsten Werner, Tim Schomacker, Christian Emigholz Gestaltung: www.b7ue.com [email protected] www.schwankungen.de NO LOGO