Gestrandet bei Blaumeier

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K U LT U R
F Ü R
Gestrandet bei Blaumeier
Der Kritiker vor verrückten Horizonten
Als der Schauspieler seinen
Satz sucht, hält das Publikum den Atem
an. Man spürt das Stocken, die Blockade
füllt die Bühne. Die Generalpause könnte
als eines dieser Dramatisierungsvehikel
durchgehen, die das Schauspiel auf die
Werkstattebene heben und ins ruckelnde Zeugungsstadium befördern. Doch
sie hat andere Gründe. Der Schauspieler
ist ein normal Verrückter, seine
Mitteilungen dauern schon mal etwas
länger. Dann findet der Satz aber doch
noch seinen Weg. Wer bisher bereits
angerührt war, bekommt jetzt vielleicht
feuchte Augen. An bühnenhandwerklichen Kategorien lässt sich der Hänger
nicht messen. Dennoch bewirkt die
unfreiwillige Spannungssteigerung Theatererleben pur. Der Kritiker ist
gerührt. Aber darf er das sein, hier und
überhaupt, und vor allem, sollte er das
schreiben?
BlaumeierVeranstaltungen sind
Herausforderungen
für die Kritik. Über eine Leistung gibt es
keine Diskussion: Dass mehr und weniger psychisch Stabile in der künstlerischen Arbeit zusammenkommen, dass
künstlerisch begeisterte mehr oder
weniger Kranke in Ausstellungen und
Theatern auf künstlerisch begeisterte
mehr oder weniger Gesunde treffen, ist
großartig. Dass Kunst Begegnungen
ermöglicht, die das „normale“ gesellschaftliche Leben meint behindern zu
müssen, spricht für sie und für sich
selbst. Aber ist das normale Kunst, der
wir da applaudieren? Tut der Kritiker
den Künstlern mit einem Bonus einen
Gefallen oder bringen wir uns nicht vielmehr selbst damit um die Chance, auch
hier Kunst als Herausforderung zu
begreifen, Maßstäbe zu überdenken und
gegebenenfalls zurechtzurücken?
grativen Künstlergruppe aus Riga entstanden sind. 180 Exponate zeigen maritime Motive aus der lettischen
Hafenstadt Liepaja, aus Bremen und
Bremerhaven, Friedrichskoog und
Spiekeroog. Produziert haben die beteiligten normal Verrückten und verrückt
Normalen – so die BlaumeierSprachregelung, die dem Berichterstatter Unkorrektheit und selbstherrliches Verständnisgeklapper abnimmt –
sehr viel mehr. Die Auswahl trafen die
Mitarbeiter und Kursleiter, nach
Korrekturkategorien, die auch in der
laufenden gemeinsamen Atelierarbeit
und in den Workshops angelegt wurden.
Hier gibt es keinen Bonus. Die
Beteiligten beurteilen die Ergebnisse
nach Zielen, die angestrebt worden sind.
Das sind ganz normale künstlerische.
Zurzeit stellt das BlaumeierAtelier in der Städtische Galerie im
Buntentor Gemälde, Druckgrafiken,
Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien
und Texte aus, die im Rahmen eines
gemeinsamen Projekts mit einer inte-
Doch vor den Bildern kommt
er dann wieder, dieser angelernte,
angelesene, angeschaute Blick, der an
Neugeburts-visionen der klassischen
Kunst-Moderne in den Bädern der
Exotik, der Naivität und des Wahnsinns
andockt. Ist die Darstellung des
Strandlebens in den Zeichnungen von
Sabine Breitbach nicht Ausweis unverstellter und unverbildeter Einsicht?
Belegt das „Schiff mit Lichtern“ nicht
den Triumph schlichter Begeisterungsfähigkeit? Sind die Hafenbilder von
Arnold Hilken farbmächtiger Verweis auf
übermächtigen
Ordnungsbedarf?
Braucht es für die Darstellung solch
seliger Gesichter wie beim „Brautpaar
in Venedig“ von Colette nicht das simple
Gemüt einer eben doch sehr besonderen
Bildautorin? Aber ist eine Fotografie
desselben Arnold Hilken nicht auch ein
wunderbares Stillleben im Geist des
klassischen neuen fotografischen
Sehens? Und sind die Malreisen von Carl
F. nicht ein wunderbar verschlungenes
Labyrinth, das immer neue Schichten
freilegt und sich hartnäckig gegen
außerbildlich motivierte Ordnungsversuche wehrt? Mal ganz abgesehen von
dem entwaffnenden Witz, den Kunst
andernorts meist hartnäckig verweigert.
Die Besonderheiten der
Beteiligten zulassen und in gemeinsamer Arbeit und im Austausch fördern,
das war eines der Grundanliegen des
jüngsten maritimen Projekts und ist ein
Blaumeier- Zentralgedanke insgesamt.
Im Besonde-ren könnte auch die besondere Herausforderung an den Kritiker
liegen. Das Spezielle braucht Offenheit.
Die Bereitschaft, den eigenen Blick
immer neu am Einzelnen zu überprüfen,
Wachheit vor dem konkreten Werk,
Neugier auf die Autorenpersönlichkeit,
die Schulung des Blicks ohne
Diskurspfeiler, den Abschied vom Sehen
mit den Ohren und der Rückversicherung bei den Meinungsführern. Dann
verschwimmen produktiv die Grenzen
zwischen besonders und normal, in der
Kunst und auch sonstwo.
„Sind wir nicht alle ein bisschen Elisabeth“, hieß der Satz, der da
auf sich warten ließ. Er fiel in der jüngsten Theaterproduktion des BlaumeierAteliers. Klar sind wir das, scheinen die
Zuschauer stumm rufen zu wollen. Auch
die „Elisabeth-Suite“ begeisterte wieder
das treue Publikum. Manche Fans, die
das integrative Kunstprojekt schon länger begleiten, waren allerdings skeptisch. Ob den Darstellern da noch genügend Raum bleibe. Ob die Behinderung
hier nicht zum Stilmittel missbraucht
werde. Höhere Ansprüche, Feilen an der
Form, schön und gut, aber wo bleibe da
der authentische Akteur mit seinen
Besonderheiten? Untergrabe Professionalisierung nicht das ganze schöne
Vorhaben?
ein weiteres Fernsehforum in der Plantage
will dem Musikfilm Beine machen
Wie sieht man sich das denn
an? Vor dieser Frage stehen nicht wenige. Zumindest dann, wenn sie vor der
Aufgabe stehen, wenn sie Musik vor der
Kamera haben. Quo vadis, Musikfilm und
–Fernsehen? Fragte sich vor einigen
Jahren die ehemalige Galeristin und
immer noch amtierende Kulturverfechterin Katrin Rabus. Aus der Frage wurde
eine Idee. Aus der Idee eine
Veranstaltung. Und aus einer Veranstaltung eine regelrechte Einrichtung.
The Look of The
Sound
Beim Fernsehforum Musik –
das nach außen in 3 Sprachen „The Look
of The Sound“ heißt, können sich alle
treffen,
denen
es
um
die
Weiterentwicklung (oder auch um das
Gegenwärtigma-chen) des Musikfilms zu
tun ist. Die Ausgangslage ist dabei insofern paradox, als es reichlich Menschen
zu geben scheint, die als Praktiker in
ganz verschiedenen Feldern agieren
(Pro-grammdirektoren und Regisseure,
Orchesterleiter und Komponisten) – und
die alle vor dem gleichen Problem stehen. Der Film über zeitgenössische wie
über ältere Musik ist zu einem
Nischendasein gezwungen. Paradox,
weil es ja alte und junge Interessenten
gibt. Als Macher und als Zuschauer.
Davon zeugen nicht zuletzt
die über 150 Musikfilme, die nicht im
Hauptprogramm gezeigt werden, sondern im für die Festivalzeit geöffneten
Archiv auf Zuschauer warten. Indem das
Musikforum die verschiedenen Akteure
zusammenbringt, schafft es auch Platz
für die Frage, wie letztlich Zuschauer
und Filmemacher näher zusammen kommen.
Das Schwerpunkt-Thema in
diesem Jahr fragt nach alternativen
Schau- und Vertriebswegen. Konkret
meint das den boomenden DVD-Markt.
Lässt
sich
hier
ein
neues
Veröffentlichungs-Terrain abstecken –
eines, das von vornherein in die
Produktionsplanung sich hineindenken
lässt? Auch wenn mit Ulrich Mosch von
der Basler Paul-Sacher-Stiftung oder
dem Komponisten Helmut Lachenmann
Experten aus ganz verschiedenen Ecken
zum Vortragsmikro-phon greifen, dürften die interessantesten Gespräche
sich dort abspielen, wo nicht immer ein
Mikrophon dabei ist: Zwischendurch.
Hier sollen – das funktionierte bisher
ganz gut – Kontakte geknüpft werden.
Die sich bei einer der nächsten Auflagen
von „Look of the Sound“ vielleicht als
Film schon niederschlagen. Wer sich
einfach nur einen Überblick verschaffen
will über gegenwärtige Fragen und
Produktionen, mag seine Schritte
gleichwohl in die Plantage lenken. Denn
wirklich fachfremd ist hier niemand –
mindestens als potenzieller Zuschauer
gehört man zum Forum ja irgendwie
auch dazu.
<Tim Schomacker
he Look of The Sound findet vom 24. bis
27 in der Plantage 13 statt. Info:
Ein
www.fernsehforum-musik.de
Interview mit der Initiatorin Katrin
Rabus erschien in Schwankungen 12.
volle Festivalnächte also!
MIBnight Jazzfestival
allerhand in der Wundertüte
Die Musikerinitiative MIB hat
ihre Räumlichkeiten seit Jahren unter
der Städtischen Galerie im Buntentor.
Anfänglich wurden hier auch die jährlichen MIB-Jazzfestivals veranstaltet,
aber schnell waren die Räume dafür zu
klein. Also zog man ins Lagerhaus
Schildstraße um, wo ein paar sehr
erfolgreiche Festivals stattfanden. Eigentlich aber fühlt sich die MIB der
Schwankhalle zugehörig, und so wird
das diesjährige MIBnight Jazzfestival
nun erstmalig hier durchgeführt.
Fine Kwiatkowski
Die Schwankhalle bietet den
Vorteil zweier Säle, die es ermöglichen
immer abwechselnd Konzerte unmittelbar nacheinander beginnen zu lassen.
Außerdem bieten die jeweiligen Bühnen
die Chance, auch Sparten übergreifende
Projekte vorzustellen. In diesem Jahr
meint das vor allen Dingen eine
Tanzperformance mit der faszinierenden Berliner Tänzerin Fine Kwiatkowski
am Eröffnungsabend.
Wie in den vergangenen
Jahren üblich, sucht das MIBnight
Jazzfestival einerseits die Bremer
Szene zu dokumentieren, lädt aber
andererseits
auch
Bands
aus
Deutschland und in diesem Jahr mit dem
angesagten Christoph Stiefel Trio eine
Band aus der Schweiz ein.
Paul Lovens
Ansonsten dominiert in diesem Jahr der Kooperationsgedanke, will
sagen, das Zusammentreffen von
Bremer Musikern mit auswärtigen
Gästen. Das beginnt gleich bei der
erwähnten Tanzperfo-rmance „Cri du
Coeur-Collectif“, bei der Berlin und
Bremen zusammenfinden. Der Aachener
Perkussionist Paul Lovens, Urgestein
des deutschen Free-Jazz, trifft auf den
Bremer Flötisten Nils Gerold. Und
Euphoniumbläser Uli Sobotta begegnet
der ungewöhnlichen Stimmakrobatin
Sainkho Namtchylak aus Tuva. Mit der
P o e t r y - Tu r n t a b l e - A v a n t g a r d e Performance „Dichters Dansen Niet“
präsentiert sich schließlich ein belgischniederländisch-deutsche Troika. Der
Bremer Saxofonist Dirk Piezunka holt
sich seit langem immer wieder Gäste zu
seinem Quartett, jetzt hat sich die Band
mit dem Jazztrompe-ten-Monument
Dusko Goykovich verstärkt.
Ilka Siedenburg
Die rege Kölner Szene wird
durch Frank Wingolds Quartett
„Clairvoyance“ reprä-sentiert, aus
Münster und Essen kommt der respektlos kauzige Vierer „Das Böse Ding“ und
Dortmund schickt seine Salsa-JazzCombo „Bima“. Als Bremer Bands sind
vertreten „Voodoo Child“ mit groovender Hammond-Power und dieses Mal
ganz instrumental ohne Sängerin, Jens
Schöwing, zuletzt mit seinem BeatlesProjekt sehr erfolgreich, setzt sich mit
Bachs „Musikalischem Opfer“ auseinander, beim „Butterfly Project“ treffen
erfahrene Jazzer auf drei Rapper und
Saxerin Ilka Siedenburg stellt ihr EthnoJazz-Trio „timeline“ vor. Drei gespickt
volle Festivalnächte also!
<Christian Emigholz
www.sschwankhalle.de
Fee getroffen
IN ZEITEN WIE
DIESEN
In Zeiten wie diesen, ist ja
eigentlich alles neu. Nur das Alte nicht.
Und das Neue verspricht immer das
Größere und Schönere. Das Neue hat
auch neue Verkäufer mit neuen
Verkaufsstrategien
auf
neuen
Kommunikationskanälen - und darf es
noch etwas mehr sein? Mehr Geld, mehr
Informationen, mehr Trends, mehr
Termine, mehr Auswahl, mehr
Neuigkeiten mehr Produkte.
Was machen wir
denn nun?
Das Leben ist anders
In den Fotos von Boleslaw Jankowski
sind alle Horizontlinien schief. Das ist für
ihn völlig normal. Wer das
Verrückte zurechtrücken will, muss es
für sich selbst. Dabei ist empfehlenswert, die Waage an die eigene
Horizontlinie anzulegen. Dass diese
immer in der Ruhelage bleibt, muss man
sich nicht unbedingt wünschen wollen.
Man guckt vermutlich so gern auf das
Meer, weil die Natur dort eine
Idealbalance installiert hat. Das Leben
ist anders. Ohne Kriterien geht es nicht,
aber Kunst wird nicht zur Bestätigung
fixer Kategorien gemacht. Das zu vergegenwärtigen, gibt Blaumeier immer wieder Chancen. Auch deshalb braucht die
Blaumeier-Kunst
auch
keinen
Extrabonus.
< Rainer Beßling
Blaumeier-Veranstaltungen
sind Herausforderungen, nicht zuletzt
Ich sehe was,
was du nicht siehst
B R E M E N
Neues Musical, neues Schauspielhaus,
neues Konzerthaus, neues Kabaretthaus
neues Funkhaus, neuer schottischer
Spacepark an der Waterfront. Ich hab
genug, ich hab die Schnauze voll, und das
ist noch zu wenig! Ich bin furchtbar alt
und in meinem Kummer besuche ich
meine gute alte Fee und frage sie, „Was
machen wir denn nun mit einem nicht so
neuen Theater, wie dem Concordia, das
in seinem Gemäuer doch immer noch die
aktuellsten Ideen aufbewahrt und was
machen wir mit dem nicht so alten
Konzertsaal, der den schönsten Klang
hat? Wo und mit wem kann man denn
bitte „Mehr-Wert-Was“ noch besprechen?“
retten was noch zu
retten ist
„Ach meine Gute“, beruhigt sie mich,
„Wir verlassen uns da nicht auf die großen Schlachtschiffe und Supertanker.
Wir suchen uns die kleinen Boote, die
wissen, wohin sie steuern und dann noch
ganz, ganz viele Freunde und Kollegen
dazu, die wissen, was sie tun und mit
denen retten was noch zu retten ist ....“
Das ist aber auch schon wieder eine
ganze Menge. Aber wohl kein bisschen zu
viel.
Sind Sie dabei?
< Renate Heitmann
Schön wärs: Kreativ Altern
Den
denkmalgeschützten
Sendesaal von Radio Bremen halten
Künstler, Medienmenschen und Politiker
in seltener Eintracht für ein erhaltenswertes Bau- und Kulturdenkmal – zumal
eines, das nicht nur Erinnerungsfunktion, sondern mitten im Leben internationales Renommée und einen hohen
Nutzwert hat: als Konzertsaal, als
Studio und Produktionsstätte für
Klassik, Jazz und zu Pop, Rock und
Hörspiel. Obwohl das unstrittig ist, soll
der Saal seinen Denkmalschutz verlieren und, möglicherweise, abgerissen
werden.
kreative Stadt
Das ist ein hartes Signal zum
Auftakt einer neuen Kulturpolitik der
rot-grünen Koalition: Kultur soll in der
“kreativen Stadt“ (grün) ja als “Motor
der Stadtentwicklung“ (rot) behilflich
sein, den Strukturwandel vom Industriestandort hin zu Lebensqualität, Wissen,
Tourismus und Dienstleistung unterstützen, der alternden Gesellschaft das
Altern erleichtern.
Daraus einfach steigende
Kulturbudgets ableiten zu wollen, greift
zu kurz: Die (arg verspätete)
Beschäftigung
mit
“kreativen
Industrien“, “Ideenwirt-schaft“ und
“weichen Standortfaktoren“ dient
natürlich nicht allein der Förderung der
Kunst, geht über klassische Kulturpolitik
weit
hinaus:
Es
geht
um
Stadtentwicklung, Arbeitsmarkt und
Soziales, um Bildung und Wirtschaft.
Kultur bekommt im Geflecht des Staates
Aufgaben (wieder). Alleine lösen kann
Kunst gesellschaftliche Problemstellungen höchstens punktuell. Mit ihrer
Erfahrung und Kompetenz aber können
Kreative in der Gesellschaft beraten,
unterstützen, motivieren und vielleicht
auch vor Irrwegen bewahren.
Dass das Label “kreativ“ also nicht automatisch zur Überweisung von Millionenbeträgen an feilschende Investoren
führt, müsste daher nicht betrüblich
stimmen. Wenn denn sonst die Richtung
klar wäre für die “kreative Stadt“, wenn
denn klar wäre, dass Bremen um seine
Ressourcen wüsste und sie für die
Zukunft zu nutzen wüsste!
Wer aber in Bremen einen der
neuen “kreativen Berufe“ lernen will,
begibt sich auf eine frustrierende, oft
demütigende Tour durch Kultureinrichtungen, Hochschulen und Kammern, von
der Arbeitsagentur zu big zu bagis und
wieder zurück. Auch fürs Alter sind die
Perspektiven noch nicht verlockend: Die
“digitale Bohème“ - Sinnbild, Vorreiter
oder jedenfalls Stichwortgeber für den
angestrebten Strukturwandel - wird ja
auch alt: In 30 Jahren sind die kreativen
Freiberufler von heute angewiesen auf
altersangemessenes Wohnen, ein sie
akzeptierendes und von ihnen akzeptiertes Umfeld, zehn Jahre später vielleicht
auf Pflege. Ein MusicVillage auch für
alternde Kreative rund um den alten
Sendesaal
wäre
eine
schöne
Perspektive – schöner als die
Vorstellung, die Nachmittage bei
Seniorentalkshows im Überseemuseum
verbringen zu müssen, finde ich.
Erst einmal aber haben Radio
Bremen und die vergangene Große
Koalition den Sendesaal verschachert,
Verantwortli-che dafür prägen weiter
das Stadtleben. Und 30 Jahre (acht
Legislaturperioden) sind zu weit weg,
um heute politische Entscheidungen zu
bewegen. Ob Wirtschaft und Kultur weitsichtiger und nachhaltiger und zusammen arbeiten können, zeigt sich demnächst wohl auch am guten, alten
Sendesaal.
< Carsten Werner
bis 31.10.
theater für alle:
give as much as you can
Schwankhalle und anderswo
Auch das letzte Drittel
„Theater für alle“ hält noch allerlei
parat: Janek Müller (22.10.) adaptiert
Reinhard Jirgls Roman „Abtrünnig“, Veit
Sprenger
bringt
mit
seinen
Norton.Commanders (25.10.) schlicht
Märchen auf die Bühne. Rainald Grebe
(24.10.) tritt in einen musikalischgesanglichen Dialog mit dem Inseldasein
von Robinson Crusoe und die vormalige
Bremer Tänzerin Hanna Hegenscheidt
(26.10.) reduziert das Bühnengeschehen auf zwei Stühle und ein Mikrofon.
Mehr Tanz: Am 27.10. treffen die Keats
lesenden Two Fish auf zwei aufrechte
Bären, die sich in der Kunst des „conceptual dance“ versuchen. Mehr unter
www.schwankhalle.de und in der
Schwankungen-Sondernummer.
Die
hängt bestimmt noch irgendwo rum...
18.-28.10., verschiedene Zeiten
klezmerfestival:
jüdische Instrumentalmusik
Weserterassen und anderswo
Zum 5. Mal veranstaltet das
Bürgerhaus Weserterrassen nun sein
Bremer Klezmerfest, und hat sich dazu
durchaus namhafte Formationen aus
sechs Ländern eingeladen. Neben diversen deutschen Klezmergruppen gastieren nämlich Gruppen aus Frankreich,
Israel, Polen, Kanada, Russland. Dabei
riskieren die Veranstalter nun auch den
Schritt aus den Weserterrassen heraus. Das Eröffnungskonzert mit dem
„Ensemble Noisten“ findet nämlich in der
Domkapelle statt und für das abschließende Konzert mit der polnischen
Erfolgsband „Kroke“ wurde der
Schlachthof gebucht. An den zehn
Festivaltagen gibt es Garagen-Klezmer
aus Moskau, furiose Bläsersounds der
französischen Großband „Le train 7.45
h“, eine gewagte HipHop-KlezmerMixtur aus Kanada sowie den neuesten
CD-Streich
der
Bremer
Band
„Klezgoyim“.
So. 28.10., 20.30 Uhr
Gráda:
new irish folk
Schlachthof, Findorffstraße 51
Der Irish Folk hat sich in jüngerer Vergangenheit mehrfach neu definiert, jüngere Bands haben frischen
Wind in den strikt auf traditionelle
Melodien und Rhythmen festgelegten
Apparat gebracht. Zu diesen jungen
Bands gehört auch „Gráda“ aus Dublin.
Das Quintett hat mit Nicola Joyce eine
beeindruckende Sängerin und in dem
Multiinstrumentalisten Alan Doherty
einen echten Grenzgänger. Doherty war
nämlich musikalischer Direktor der
Filmmusik zum „Herren der Ringe“. Ein
weiteres „Gráda“-Mitglied rockt sonst
mit der Band „Reamonn“.
Di. 30.10., 20.30 Uhr
Don byron trio:
jazz
Theater Bremen, Goehteplatz
Der New Yorker Klarinettist
Don Byron hat viel für die Renaissance
seines Instruments fernab von Benny
Goodmans Swing-Seligkeit getan. Byron
mischt sehr gekonnt stilistische
Fundstücke aus Free- und Cool-Jazz,
garniert sie oft genug mit KlezmerZitaten, schließlich hat er als Twen jahrelang mit der exzellenten „Klezmer
Concervatory Band“ gearbeitet. Als
Jazzer hat er vor allen Dingen mit
Musikern der New Yorker DowntownSzene von Tom Cora über Bill Frisell bis
zu Bobby Previte und Cassandra Wilson
gearbeitet, aber auch mit dem Kronos
Quartet kooperiert.
Do.-Sa., 1.-3.11., jeweils 20 Uhr
mibnight:
jazzfestival
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
2.-4., 7.-9., 11.11., 20 Uhr
sagt lila:
theaterstück von chimo
Stauerei, Cuxhavener Straße 7
Die brillant auserzählte
Tristesse aus „La Haine“ trifft in diesem
Zweipersonenstück auf die Kodderschnäuzigkeit von Queneaus & Malles
„Zazie“. Im Pariser Plattenbau erkundet
Banlieue-Star Chimo nicht nur jede
Menge Milieu. Er versenkt hier auch eine
traurige Liebesgeschichte. Dass mit
Hendrik Pape ausgerechnet der Lehrer
aus „Spieltrieb“ inszeniert, ist nebenbei
auch ganz hübsch.
Mo., 5.11., 21 Uhr
sarah k:
hell or high water
Sendesaal, Radio Bremen
Es war eines der letzten
Konzerte, das die US-Songwriterin Sara
K. vor fünf Jahren im damals gerade
noch als Konzertraum existierenden
Club Moments gab. Und es war ein
Klang-Erlebnis der besonderen Art,
denn ihr deutsches Plattenlabel
Stockfisch hatte High-End-Boxen in den
Saal gestellt. Sara K. ist eine ergreifende Sängerin, die Folkmelodik favorisiert,
und diese mit gewissen Country-,
Bluegrass- und Blues-Elementen garniert, dabei führt Sara K. eine sehr
eigenwillige, weil nämlich autodikatisch
erlernte Gitarrentechnik auf ihrer viersaitigen(!) Gitarre vor.
5. bis 8.11., 9.30 Uhr
theater witt:
ellis biest
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
Dass
das
titelgebende
Mädchen des Prinzessinnen-Zeichnens
überdrüssig ist – kein schlechter Start
für ein Stück Kindertheater. Elli zeichnet
ein, nun ja: ein Etwas in Pink. In Schauund Figurenspiel erweckt Marion Witt
das Biest zum vergnügten Leben.
Mi. 7.11., 20.30 Uhr
loup (london):
ribbon
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
Dale Berning (F/SA) und Ute
Kanngiesser (D) sind „Loup“ aus London:
Das Duo zwischen Sound und Song präsentiert mit „Ribbon“ eine Performance
an der Grenze zwischen Improvisation
und Experiment, zwischen Konzert und
Performing Arts mit Stimme und
Glockenspiel, mit Cello, Gitarre und
manch anderem Objekt ... Ein Augenund Ohrenschmaus über das Suchen
und
Finden,
über
Spiel
und
Zu(sammen)fall.
Do. 8.11., 20 Uhr
ohrbooten:
babylon bei boot
Römer, Fehrfeld 31
Es ist kein Geheimnis mehr,
dass fett groovender Reggae mit deutschen Texten zurzeit vor allen Dingen in
Berlin Triumphe feiert. Die brillante
Crew von „Seeed“ hat längst die
Republik erobert. Im August kam es noch
beim Open-Air am Pier 2 zum
Gipfeltreffen der Reggae-GlamourTruppe mit einer anderen erfolgreichen
Berliner Alternativrockband, den
„Beatsteaks“. Mit dabei mit einem
Kurzset waren da auch schon die
„Ohrbooten“, noch so eine Berliner
Reggaeband mit Suchtcharakter. Jetzt
kommen die Berliner mit Vollprogramm
in den Club.
8. bis 11.11., 20.30 Uhr
baby buxters:
i want to rule the world
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
Gemeinsam mit einer guten
Handvoll junger Akteure untersucht
Augusto
Stepptext-Choreograf
Jaramillo Pineda, was Menschen in
Casting-Shows treibt. Ein TV-Sender
will ein 80er-Musical auf die Beine stellen. Mit den „Baby BuXters“ schauen wir
auf die Glitzerbühne – aber auch hinter
die Kulissen der vielversprechenden
Glamourwelt.
Fr.+Sa., 9.+10.11., jeweils 20 Uhr
gelber tiger streift raum:
kunst-dinner-performance
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
Jorge Luis Borges galt als der
Gralshüter der modernen lateinamerikanischen Literatur, der in seinen
Büchern das Surreale mit dem
Alltäglichen zusammenbringt. Auf den
Spuren von Borges bewegen sich 3
Musiker, 1 Literat und 1 Köchin unter
Anleitung der Regisseurin Monika B.
Beyer. Unter dem Titel „Gelber Tiger
streift Raum“ laden die Beteiligten Tim
(Wort),
Christoph
Schomaker
Ogiermann (Geige), Lilian von Haussen
(Flöte) und Reinhart Hammerschmidt
(Bass) zu einer Art „Kunst-Dinner“, bei
dem das Publikum mit Film, Wort, Klang
und Kulinarischem gefüttert wird: wohl
bekomm’s !
Fr. 9.11., 20.30 Uhr
volcano the bear &
luigi archetti + bo wiget
Güterbahnhof, Spedition
Volcano The Bear aus Glasgow
hat eine eigene Musiksprache aus experimenteller Musik, Free Jazz und
Avantgarde entwickelt und mit seltsam
absurden Formen abseitiger Popmusik
und verschrobenen Brit-Folks gepaart.
Live performen sie bizarre Schönheit,
ritualistisch und theatralisch - von
Vokalakrobatik bis Tonbandexzess. Das
Duo Luigi Archetti (Gitarre und
Electronics) und Bo Wiget (Cello und
Electronics) bewegt sich von Ambientzur
zeitgenössischen
Formen
Komposition und ist dabei in seinen
Frequenz- und Lautstärkewechselduschen extrem aufregend, geheimnisvoll und bewegend.
Sa. 10.11., 20.30 Uhr
sudio braun:
the brownies are back
Stauerei, Cuxhavener Straße 7
Do. 8.11., 20 Uhr
jens friebe:
das mit dem auto ist egal...
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
Dieser junge Mann gibt der
Formulierung „Von Null auf 100“ ein
neues Gesicht! So lang liegt die Zeit der
Mini-Clubs noch nicht zurück. Und plötzlich wollen alle ein Kind vom bildverliebten Liedermacher und Ausgehkolumnenschreiber. Etwas zu sagen hat er
auch: Dass er an Tokio Hotel gut findet,
dass Bill „als androgynes Erotiktopmodel für Teenies ein Gegenprogramm zu
der Vergewaltigungsästhetik der
Gangbangrapper darstellt“, verriet er
beispielsweise der „konkret“. Die wurde
gerade 50 – aber das ist eine andere
Geschichte. Back to Friebe: Bedenkenswertes anrührend darbieten, kann er ja.
Ein paar Jahre traten sie
Solopfade aus. Nun sind sie zurück!
Diesmal lassen die Herren Schamoni,
Strunk und Palminger alles daheim – bis
auf sich selbst. Kein Telefon, keine
Videobeamer oder Diaprojektoren. Die
drei sind sich und uns genug. Denn sabbeln, das können sie ja.
++++ BLOCKBUSTER ++++
+++ AUSWÄRTSSPIEL +++
Die Musikerinitiative MIB veranstaltet nun erstmalig ihr alljährliches
MIBnight-Jazzfestival in der Schwankhalle. So heterogen wie sich die stilistischen Vorlieben innerhalb des
Jazzerzusammenschlusses darstellen,
ist auch das Programm der drei Tage
gestrickt, in dem von der BachBearbeitung über groovende HammondSounds, klassischen Bebop, Ethno-Jazz
JazzRap-Attacken, Nu-Jazz-Varianten
und kubanisches Feuer bis zu Free-Jazz,
Freien Improvisation und avantgardistiuschem Experiment alles zu finden
ist. Sogar die Verquickung von Jazz,
Improvisation und Dichtung findet sich
im Verlauf der drei langen Jazznächte.
Mit einem Übersetzer und einer Setzerin
startet die schon fast altehrwürdige
LiteraTour Nord in die neue Saison. Das
Setzen von Worten und durch Figuren
verbindet die Romane der BerlinLichtenbergerin Katja Lange-Müller
(28.10., 20 Uhr, Ambiente) und des
gebürtigen
Oberösterreichers
Franzobel (11.11., 20 Uhr, Ambiente).
Sonst ist da nicht viel Verbindung. Denn
sie verarbeitet lakonisch-ironisch DDRErfahrungen, er stellt sich gern und
gekonnt in die Tradition der Wiener
Gruppe. Und das ist gut so. Aus
Unterschiedlichem zu wählen macht
mehr Spaß als aus Gleichem. Sechs
Autoren lesen in fünf Städten aus ihren
neuen Büchern. Am Ende gewinnt einer
und kriegt den Preis der LiteraTour
Nord. So einfach ist das.
Endlich sagt’s mal einer. Nämlich, dass
„die semantische Intransparenz von
Lehnwörtern ein Vorteil sein kann“.
Denn weil es sich „lautlich und orthografisch gut in die deutsche Sprache einfügt“, darf das Wort Mobbing weiterhin
Mobbing heißen. Den Umstand zu ändern
ist eh wichtiger. Das weiß die „Aktion
Lebendiges Deutsch“ nicht – aber Anatol
Stefanowitsch weiß es. Der ist
Juniorprofessor an der Bremer
Universität und betreut den Bremer
Sprachblog.
Gekonnt
in
der
Balancierung von sprachlicher Eleganz,
wissenschaftlicher Korrektheit und politikbewusster
Pointe
erkunden
Stefanowitsch und Kollegen das
Sprechen über die Sprache. Die Lektüre
bereitet Vergnügen und ist gleichwohl
lehrreich. Was will man mehr? Das einzig
Verquere ist die Internet-Adresse. Sie
lautet:
http://www.iaas.unibremen.de/sprachblog/
So. 28.
jan klug (Groningen):
gütertrennung
Güterbahnhof, Tor 48
Neben den verschiedensten
Saxophonen, Flöten und Bassklarinetten
spielt Jan Klug das von ihm selbst erfundene Pataphon und singt Obertongesang. In freier Improvisation und experimentierender Performance erfindet er
Töne – live gespielt, geloopt und gesampelt, interaktiv und immer wieder neu
das Verhältnis von Image und Sound
auslotend. Klug war in Bremen mehrfach
als Theatermusiker des Jungen
Theaters und mit den „Dichters uit
Epibreren“ zu Gast.
So. 11.11., 18 Uhr
otto:
das original
Weser Ems Halle, Oldenburg
K L A N G W E LT E N
HörZu - Zeichen und Wunder
Wird es wesentlich, geht es auf die Ohren: Im Fall von Gefahr oder
Verführung wird akustisch um unsere Aufmerksamkeit gebeten. Es bimmelt,
jingelt und klingelt, tutet, buzzert, trötet und piept um uns rum, wann immer
etwas zu sagen, zu tun oder auch nur einfach fertig ist: “Ping” macht die
Mikrowelle, “brrrr” der schnellste Quizkandidat, “Piep” der Kartenautomat.
Die “Home-Zone” kündigt sich mit “tscheininnnng” an, die Nachrichten trennt
ein Trenner mit “pöng”, damit sie nicht ineinanderrutschen, zum
Wetterbericht kuckuckt ein Synthetikkuckuck. Offenbar sind die Ohren noch
nicht so überreizt wie die Augen vom permanenten Lichtbilder-Overkill. Doch
die Signale werden kürzer, der Anruf unserer Aufmerksamkeit immer knapper. Sagte AOL vor 2,3 Jahren immerhin noch “Sie haben Post”, macht’s
heute nur noch “palöng” - oder, ganz individuell, Schni-Schna-Schnappi fängt
an zu krähen, das Schweinekrokodil. Wer den Ohren trauen, Gehör- und
Gedankengänge verkoppeln will, muss aber Pausen zulassen --- Stille --- und
die Instrumente wechseln, ein bisschen am Tempo drehen und Worten, Tönen,
Zeichen folgen.
Das Junge Theater Bremen lädt zum achten Mal Menschen ein, die Töne und
Zwischentöne interessieren - Sender und Empfänger, Künstler für's Ohr und
Hörer mit Sinn für Sound und Seele. Auf einem tönenden Spielplatz der Wort, Klang-, Hör- und Ohrenkunst kann das Publikum Öhrchen putzen, Ohrsinn
schulen und akustische Abenteuer erleben. Das Hörverhalten sinnsuchender
StattHörer wird gefördert und gefordert – ohrsinnig statt quotenhörig: Von
Worten, Sounds und Tönen, Zeichen eben und Wundern.
Tirili! Da könnte ja jeder kommen und auf Otto machen – also muss
man es schon dazu schreiben: Das
Original! Otto! Das soll man sich angukken. Weil Otto zeigt, dass Comedy nix
Neues ist und dass sie schon immer
albern sein durfte, gern auch mal gezielt
und bedacht tief unter der Gürtellinie,
aber doch nicht nur brachialdumm wie
Mario Barth und andere Zeitgeistsabbler. Außerdem zeigt Original-Otto, dass
auch Komiker in Würde und Profession
älter werden dürfen. Und die besten
alten Bekannten unter den Witzchen
sind sicher auch wieder dabei. Tirili!
Mo. 12.11., 20.30 Uhr
jeanne Balibar:
slalom dame
Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112
Ausgebildet am Conservatoire
National d'Art Dramatique in Paris, hat
die Schauspielerin Jeanne Balibar immer
wieder neue künstlerische Pfade
beschritten. Ihre neue CD „Slalom Dame“
ist Ergebnis einer musikalischen
Komplizenschaft mit dem TextdichterKomponisten-Duett Fred Poulet und
Sarah Murcia und mit Dominique A..
Balibar verführt in einer spielerischer
Atmosphäre zwischen Rock, Pop und
Soundexperiment und zelebriert ihre
Potentiale an Dramatik und Erzählkunst
dabei so raffniert wie ihre musikalische
Neugier und Reife.
Zu Hören
arnold schönberg:
dear miss silvers
Supposé Verlag
Vom 12- zum O-Ton ist es
manchmal nur ein kleiner Sprung.
Dachte sich vielleicht Clara Silvers. Und
schenkte dem Komponisten der
„Verklärten Nacht“ und der legendären
„Variationen für Orchester, op. 31“ zum
72. Geburtstag einen „Webster Wire
Recorder“. Darauf diktierte Arnold
Schönberg Briefe und notierte seine
Gedanken akustisch. Dazu finden sich
auf den beiden im just nach Berlin umgezogenen supposé-Verlag erschienenen
CDs Probenmitschnitte, Radiovorträge
und Interviews. Auf „Dear Miss Silvers“
begegnen wir einem humorvollen Vater,
anteilnehmenden Freund, überzeugenden Lehrer, einem der letzten Zeugen
einer untergegangenen Epoche. So
haben nun auch Musik-liebhaber einen
Grund, sich das Pro-gramm des derzeit
interessantesten Hörverlags einmal
genauer anzuschauen.
ZU Lesen
daheim:
online-magazin
www.daheim-magazin.de
Haben Sie gewusst, dass
Schweden das letzte Land war, in dem
der Rechtsverkehr eingeführt wurde?
Das war 1957. In nur noch 58 Ländern
wird seitdem linksherum gefahren. Man
darf dem Online-Magazin „Daheim“, das
alle drei Monate als PDF erscheint,
dankbar sein, dass die aktuelle Ausgabe
nicht mit Ernst Jandls berühmter
Verwechslung beginnt, sondern mit ein
paar Zahlen. Darunter die eingangs
genannten. Die folgenden gut vierzig
Seiten beschäftigen sich dann aber mit
weitreichenderen Politikthemen. St.
Paulis linkes Image steht auf dem
Prüfstand.
Konkret-Herausgeber
Gremliza erklärt elegant, was es heute
für ihn bedeutet, links zu sein. Weitere
Beiträge handeln von Linkshändern und
rechter Popkultur. Thematisch nicht
ausschließlich neu – aber ansprechend
zurecht gemacht und bisweilen hübsch
geschrieben.
Zur
weiteren
Beobachtung: Kosten- und verpflichtungslos abonnieren kann man unter
www.daheim-magazin.de
Wer sich im Alltag von Fahrstuhlmusik in Fahrstühlen und so genannten
Kulturradios stressen und bedudeln lassen muss, braucht auch mal markante
Töne. Wenn einen bei aller optischen Reizflut im 15-Minuten-Takt Werbetrailer
anbrüllen, ist Stille ein hohes Gut. Wo Wetterservices und Infotainer den notwendigen Wortanteil im Radio zuquatschen, fehlen Sinn und Konzentration.
Wir sollten öfter zuhören. Nur wem? “HörZu” versammelt ein paar Künstler,
denen man sein Ohr leihen kann – man bekommt es, um einige
Erfahrungsfacetten erweitert, garantiert wieder: Da erzählt jemand schwitzend und hysterisch im coolen Slang-Stakkato vom Einkauf von High-TechHardware: Konsumarbeit, bei der die Kaufentscheidung mystisch und religiös
anmutet – man muss die Werbung nur mal Ernst nehmen!
Künstler und Techniker verführen zum Hinhören: Die Multi-Instrumentalistin,
Sängerin und Komponistin Bev Lee Harling (15.11.), eine der aufregendsten
Figuren der jungen Londoner Songwriter-Szene, gehört mit wunderschönen
Songs aus Tango,- Folk-, Latin- und Filmmusikelementen ebenso dazu wie das
kultisch verehrte “Studio Braun” (10.11.). In einem Doppelprogramm zur
Entstehung von Klang durch Körper und Bewegung, zwischen analogen und
digitalen Techniken entstehen Töne, hochkomplex und eingängig: ThereminSpielerin Barbara Buchholz erzeugt bezaubernde Klangwelten auf diesem
ersten elektronischen Wunder-Instrument von 1920, das durch die berührungslose Spielweise von einzigartiger Faszination ist: Ein schwaches elektrisches Feld umgibt die Antennen des Theremins, und wer hineingreift, macht
auch schon Musik. Die intermedia performance group Palindrome verbindet
zeitgenössischen Tanz und elektronische Medien: Per Interactive Motion
Tracking erzeugen die Tänzer die Musik zu ihrer Choreographie erst selbst
(18.11.). Dale Berning macht Musik aus Instrumenten, Geräten und
Geräuschen fast aller Art (7.11.), der Groninger Jan Klug erfasst den
Güterbahnhof mit Blasinstrumenten, Tontechnik und Obertongesang (11.11.),
Markus Jeroch stellt mit WoWo die Frage zum DaDa (18.11.) und sowohl die
Dos Hermanes (13.11.) als auch die die Popette Betancor (16.11.) machen
Pop mit Geist und Sprachwitz. Die französische Schauspielerin Jeanne
Balibar kombiniert individuelle Klangkompositionen mit ihrem Gesang zu musikalischen “Kurzfilmen”. Jens Friebe, deutschpoprockender Poet, konstatiert:
“Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache Dir ist nichts passiert” - was nur
eine Zeile des gleichnamigen Songs seiner gleichnamigen CD ist, die viele solcher verrätselten, emotionalen und bilderreichen Zeilen enthält (8.11.). Die
Rüsselakrobaten des Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchesters mit
Klassikern von Bach bis Vader Abraham und der Grindchor mit Mark
Boombastik (17.11.) machen Spaß - im Kollektiv.
HörZu geht übrigens nicht nur auf der Bühne, sondern auch zuhause: “Call a
Poetry” ermöglicht Literaturgenuss in kleinen Dosen – exklusive Texte von
Autoren des Jungen Theaters, performt von drei hinreißenden Callcenteragents. In akustischen Notsituationen sind sie auch per Handy zu erreichen:
Literatur to go! Musik to go präsentiert HörZu in Kooperation mit dem
Bremer Label twisted knister: Von einigen HörZu-Konzerten gibt es im
Automaten in der Schwankhalle und in der Spedition Visitenkarten-CDs mit
Musik aus den Randbereichen des Undergrounds für den heimischen Genuss.
In der Schwankhalle, der Stauerei und im Güterbahnhof
Das komplette Programm und alle Links zu den Künstlern und Partnern ste hen im Internet unter www.jungestheater.de/hoerzu
Radiowelt
„Was bedeutet Zuwanderung für diejenigen, die zuwandern, was beinhaltet
sie für diejenigen, die zurückbleiben, was heißt sie für diejenigen, deren
Regionen Zuwanderer anziehen?“ Der Bayerischen Rundfunk kramt nach
„Migration im Hörspiel“ und sekundiert mit einer Radio-Reihe dem SpielzeitSchwerpunkt der Münchner Kammerspiele: DA KANN JA JEDER KOMMEN. Die
gesellschaftlich relevante Kunst-Kooperation beginnt mit acht Hörspielen aus
den letzten Jahren, produziert von verschiedenen ARD-Anstalten. Darunter
eine Uraufführung: Für „übersetzungen / translations“ (19.10., 20.30 Uhr)
kehrten der Schriftsteller Thomas Meinecke und der Elektro-Musiker Move D.
die Regeln ihr bisheriges Zusammenspiels um. Anders als in „Tomboy“ oder
„Freud’s Baby“ ist diesmal die Musik tonangebend. Kein übergeordneter Text
diesmal, eher clubtaugliche Tracks über die Migration von Wörtern. Deutlich
wortlastiger kommt die Radiofassung von Feridun Zaimoglus „Kanak Sprak“
(21.10.) daher. 1997 produziert, schon fast ein Hörspielklassiker. Gerade mal
21 Jahre alt war Faïza Guène als die deutsche Fassung ihres Hörspiels
„Paradiesische Aussichten“ (28.10.) entstand. Die im Banlieue Bobigny geborene Radiomoderatorin und Filmemacherin nimmt jene Orte akustisch in den
Blick, die vor zwei Jahren von schweren Unruhen erschüttert wurden. Noch
ein wenig globaler sind die Migrationsphänomene, von denen die O-TonArbeiten der Audio-Künstler Ultra Red aus San Francisco handeln. „Trabajo y
Dias – Arbeit und Leben“ (4.11.) setzte 2002 die Lebenssituation von
Immigranten in Deutschland mit den Erfahrungen lateinamerikanischer
Einwanderer in Los Angeles in Beziehung. Ebenfalls einen dokumentarischkünstlerischen Ansatz verfolgen Eberhard Petschinka und Herbert
Lauermann. In „Bis die Hunde uns finden“ (18.11.) verarbeiten sie
Reiseberichte von illegalen
Grenzüberschreitungen mit Ziel ‚Festung Europa’. Der dramatische Monolog
„Bashir Lazhar“ (11.11.) der Frankokanadierin Evelyne de la Chenelière und
Terézia Moras „Alle Tage“ (25.11.), die Geschichte eines unfreiwilligen
Deserteurs, der den Krieg in früheren Jugoslawien in Berlin erlebt, komplettieren das Programm.
Da kann ja jeder kommen – Migration im Hörspiel. Zu hören, wenn nicht
anders angegeben, jeweils sonntags um 15.15 Uhr auf Bayern2Radio.
Impressum:
Infos, Tickets, Service:
Herausgeber: kulturg.ut. e.V.
Künstlerhaus Schwankhalle
Buntentorsteinweg 112
D - 28201 Bremen
www.Schwankhalle.de
www.schwankhalle.de
www.weserterassen.com
www.theater-bremen.de
www.sendesaal-bremen.de
www.schlachthof-bremen.de
www.roemer-bremen.de
www.weser-ems-halle.de
www.suppose.de
www.spedition-bremen.org
Redaktion: Eva Oelker, Carsten Werner,
Tim Schomacker, Christian Emigholz
Gestaltung: www.b7ue.com
[email protected]
www.schwankungen.de
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