4.4 Mustererkennung: Graphoelemente und Wellen

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Zunge ist, wie der Bulbus, ein Dipol und zeigt eine
negative Ladung an der Zungenspitze sowie eine
positive Ladung am Zungengrund.
Muskelartefakte
Durch unzureichende Entspannung des Patienten
können Muskelartefakte entstehen, die die Beurteilbarkeit, insbesondere der vorderen und temporalen Ableitgebiete, erheblich stören können.
Durch frühzeitige Hyperventilation (HV) kann
eine verbesserte Entspannung des Patienten induziert werden. Deshalb empfiehlt es sich manchmal
bei schlecht entspannten Patienten, die HV an den
Anfang der Ableitung zu legen.
Bei schlecht entspannten Patienten sollte vorsichtig mit der Filterung im Hochfrequenzbereich
umgegangen werden, da bei dieser Filterung insbesondere die charakteristischen Muskelspitzen
herausgefiltert werden und dadurch die Abgrenzung von Beta-Aktivität kaum noch möglich ist. In
der Regel gelingt die Identifikation von Muskelartefakten besser, wenn der Hochfrequenzfilter inaktiviert ist. Erst dann lassen sich unter Umständen
die Muskelspitzen sicher erkennen bzw. von BetaAktivität trennen (Beta-Aktivität zeigt keine „Spitzen“ im Gegensatz zu Muskelpotenzialen).
EKG-Artefakte/Herzartefakte
EKG-Artefakte können v. a. in der Ohrreferenz zu
deutlichen Artefakteinstreuungen führen, die allerdings durch die Mitregistrierung des EKG leicht als
Artefakt erkannt werden können. Durch die positive Ladung des Herzens an der Herzspitze und die
negative Ladung an der Herzbasis wird die positive
Ladung zu den Elektroden am linken Ohr und zu
den links temporalen Ableitelektroden fortgeleitet.
Die negative Ladung wird wiederum nach rechts
temporal geleitet. Sollte die Zuordnung zum EKG
einmal schwierig sein, so ist das EKG-Artefakt auch
gut an der typischen Polarität zu identifizieren.
Artefakte durch Herzschrittmacher sind an besonders hochamplitudigen Ausschlägen mit strichartiger Anstiegssteilheit gut zu erkennen.
Pulsartefakte
Pulsartefakte sind vor allem in den bipolaren
Längsreihen gut zu erkennen. Sie entstehen durch
die direkt über einer Arterie platzierte Elektrode,
durch deren pulsierende Schwingung ein mechanisches Artefakt auf die Elektrode übertragen wird.
Das Artefakt ist gut an der meist recht rhythmischen Ausprägung, die zeitliche Koppelung an die
R-Zacken im mitregistrierten EKG und die Phasenumkehr an der betroffenen Elektrode gekennzeichnet.
Bei einer absoluten Arrhythmie kann die Zuordnung aufgrund der arrhythmischen Frequenz und
der unterschiedlichen Ausschläge der Oszillationen
durch sehr variable Füllungsvolumina des Herzens
erschwert werden. Die dann beobachtete Phasenumkehr in der Längsreihe kann einer polymorph
konfigurierten herdförmigen Störung sehr ähneln.
Auffällig ist in diesem Fall nur das elektrische Feld,
welches sich einzig auf die betroffene Elektrode
projiziert. Bei einer Herdstörung wäre ein weiteres
Potenzialfeld und eine graduelle Amplitudenminderung in den angrenzenden Elektroden zu erwarten.
Schwitzartefakte
Schwitzartefakte führen zu charakteristischen
langsamen und trägen Wellen in einer Frequenz
von etwa 0,5 pro Sekunde oder langsamer. Sie liegen damit im unteren Delta- bzw. Subdelta-Bereich.
Komplexe Bewegungsartefakte
Das Spektrum der möglichen bewegungsinduzierten Artefakte ist außerordentlich groß und reicht
von komplexen motorischen Reaktionen (z. B. Bewegungen der Hände oder Tremorartefakte) bis
hin zu kaum sichtbaren Kopfbewegungen auf der
Unterlage mit Bewegungs– und Elektrodenartefakten, Kau– sowie Schluckartefakten.
4.4
Mustererkennung:
Graphoelemente und Wellen
Neben den Artefakten stehen nicht nur einzelne
Graphoelemente, sondern auch komplexe Muster
(Komplexe) sowie rhythmische Aktivitäten (Rhythmen) im Blickpunkt des Interesses. Diese werden
in den folgenden Abschnitten beschrieben.
Innerhalb eines EEG ist unter normalen Bedingungen grundsätzlich eine übersichtliche Anzahl
unterschiedliche Muster zu erkennen. Dies sind
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4.4 Mustererkennung: Graphoelemente und Wellen
4 Grundlagen der EEG-Beurteilung und -Befundung
Wellen bzw. isolierte Graphoelemente, Komplexe,
Rhythmen, periodische und spezifische Muster.
Das Komplexe an der Beurteilung des EEG ist,
dass diese überschaubare Anzahl an Mustern
manchmal ein erhebliches Maß an Variabilität in
Bezug auf Morphologie und Umstände des Auftretens aufweist. Dies kann insbesondere die differenzialdiagnostische Zuordnung erheblich erschweren. Dies soll jedoch hauptsächlich das Thema des
zweiten Teils dieses Buches sein.
Beschreibung der EEG-Wellen
4
Ein wichtiger Schritt in der Befunderstellung eines
EEG ist zunächst die möglichst objektive Beschreibung der beobachteten Wellen. Hierfür sollen zunächst die wichtigsten Merkmale exemplarisch erläutert werden.
Die Polarität der Wellen
Die Bedingungen der Polaritätskonvention wurden
bereits erläutert. Hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung: Bezüglich der Polarität von Wellen im EEG gilt folgende willkürlich festgelegte
Konvention:
● nach oben gerichteter Potenzialausschlag: (oberflächen-)negativ,
● nach
unten gerichteter Potenzialausschlag:
(oberflächen-)positiv.
Konfiguration und Morphologie
Die Konfiguration von EEG-Mustern beinhaltet und
beschreibt das Erscheinungsbild von Wellen im
EEG. Die Wellen bzw. Graphoelemente werden zunächst genau beschrieben. Anhand der Beschreibung gelingt häufig eine verbesserte Zuordnung
der Wellen im Rahmen der Beurteilung und letztlich auch die Beantwortung der Frage, ob es sich
um physiologische oder pathologische Muster handelt. Im Folgenden werden die Nomenklatur und
diagnostische Kriterien der Musterbeschreibung
erklärt sowie weitere Möglichkeiten der Wellenkonfiguration schematisiert beschrieben.
Wellen/Graphoelemente können folgendermaßen konfiguriert sein:
● monomorph = sehr gleichförmig (z. B. triphasische Wellen, Alpha-Wellen);
polymorph = unterschiedlich (polymorphe
Delta-Wellen einer regionalen Verlangsamung
= „Delta-Herd“);
● sinusoidal = wellenförmig aneinandergereiht,
häufig in einer bestimmten Frequenz mit sehr
ähnlichem Erscheinungsbild auftretend (Steilheit, Amplituden); dabei können die Wellen am
oberen Ende etwas schärfer sein (typisches sinusoidales Muster = Alpha-Aktivität um 9 / Sekunde (Abb. 4.2);
● arkadenförmig = ebenfalls wellenförmig aneinandergereiht, jedoch eher schärfer konfigurierte
Basis (Arkaden, typisches Beispiel: µ-Rhythmus,
Abb. 4.2);
● sägezahnähnlich = an- und absteigender Schenkel zeigen eine unterschiedliche Anstiegssteilheit, manchmal stufenförmig abfallend (typisches Beispiel FIRDA, Abb. 4.2);
● monophasisch: Wellen lediglich nach einer
Seite, oben oder unten gerichtete Potenzialschwankung;
● biphasisch: Wellen zeigen eine meist zunächst
nach oben gerichtete negative und nachfolgend
eine nach unten gerichtete (häufig mit höherer
Amplitude) positive Potenzialauslenkung;
● triphasisch: Wellen zeigen 3 Potenzialauslenkungen in die 2 möglichen Richtungen in alternierender Abfolge. Meist findet sich eine niedrigamplitudige negative Komponente zu Beginn,
gefolgt von einer amplitudenstarken positiven
Auslenkung. Anschließend findet sich eine
dritte, wiederum negative Potenzialauslenkung.
●
Frequenz
Der klassische Alpha-Grundrhythmus hat eine Frequenz von 8–13 / Sekunde. Dies ist eine rein empirische Einteilung. Die häufigste Frequenz liegt bei
10 / Sekunde. Die Frequenz der Alpha-Tätigkeit ist
genetisch festgelegt. Alternativ kann die Frequenz
auch in Hz angegeben werden, was eigentlich nicht
ganz korrekt ist, da die EEG-Wellen nicht im physikalischen Sinne Schwingungen sind.
Die Unterteilung der Wellen richtet sich teilweise nach physiologischen Kriterien (Verteilung,
Funktionszustand des Gehirns), sie ist jedoch auch
zu einem großen Teil willkürlich festgelegt.
Für die Bestimmung der Frequenz ist – unabhängig von der Art und Verteilung der Wellen –
ein Bereich auszuwählen, möglicherweise auch an
verschiedenen Stellen, in dem die interessierende
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4.4 Mustererkennung: Graphoelemente und Wellen
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Abb. 4.2 Monophasische, biphasische und triphasische Welle. Links: monophasische Welle. Die Welle
durchläuft nicht oder maximal einmal die (gedankliche) Grundlinie (grüne Markierung). Mitte: biphasi-
Frequenz stabil und einfach auszuzählen ist. Dann
wird einfach die Anzahl der Wellen pro Sekunde
angegeben. Dabei ist nach Möglichkeit festzuhalten, ob die Frequenz stabil oder unregelmäßig ist
(z. B. deutlichen Schwankungen unterliegt). Dazu
ist anzugeben, ob sie kontinuierlich oder unterbrochen (diskontinuierlich) auftritt.
Auch einzelne Wellen können bezüglich der Frequenz eingeordnet werden (4.6, S. 75).
Amplitude
Die Amplituden der Wellen im EEG liegen bei bis
zu 100–200 µV. Da die Amplituden sehr von den
technischen Bedingungen abhängen (z. B. Elektrodenabstände), haben sie in der Befundung keine
besondere Bedeutung. Die Bestimmung der Amplituden erfolgt am besten in der Ohrreferenz, weil
sie hier aus ableitungstechnischen Gründen realistisch abgebildet werden. Die Amplitude wird vom
Minimum zum Maximum (Peak to Peak) gemessen.
Die absolute Höhe der Amplituden ist meist nur
von geringer Relevanz, sie kann dann in µV im
Seitenvergleich angegeben werden, wobei zu beachten ist, dass die verschiedenen Frequenzbereiche schon unter physiologischen Bedingungen sehr
unterschiedliche Amplituden haben (z. B. Betaversus Deltaaktivität). Deshalb sollte man stets angeben, um welchen Frequenzbereich es in dem
speziellen Fall geht. Zu beachten sind deutliche
Amplitudendifferenzen, z. B. im Seitenvergleich an
korrespondierenden Kortexarealen.
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sche Welle. Die Welle durchläuft zweimal die Grundlinie. Rechts: triphasische Welle. Die Welle durchläuft
dreimal die Grundlinie. Die Ziffern bezeichnen die
Phasen.
Modulation
Geringe, irreguläre und physiologische Modulation. Der Begriff der Modulation bezeichnet die
Dynamik der Amplituden der rhythmischen Aktivität. Eine rhythmische Folge von Wellen kann
kaum abweichende Amplituden zeigen. In diesem
Zusammenhang spricht man von gering modulierter Aktivität (Abb. 4.3).
Wenn sich die Dynamik der Amplituden von
Welle zu Welle sehr rasch ändert, spricht man
von einer irregulären Modulation.
Physiologische Aktivität ist häufig spindelförmig
moduliert. Darunter versteht man an- und abschwellende Amplituden.
Zeitliche Dynamik
Kontinuierliche oder diskontinuierliche Aktivität.
Je nachdem, ob es sich um eine durchgehende oder
unterbrochene Aktivität handelt, spricht man von
einer kontinuierlichen oder diskontinuierlichen
Aktivität. Bei längeren Abständen zwischen den
Ereignissen werden auch häufig die Begriffe „intermittierend“, „abschnittsweise“ oder „flüchtig“ verwandt.
Repetitive Ereignisse. Wiederkehrende Ereignisse
werden als „repetitiv“ bezeichnet. Wenn sich zwischen den einzelnen Ereignissen eine gewisse feste
zeitliche Beziehung abzeichnet, so spricht man von
„episodischen“ Ereignissen. Wenn das dazwischen
liegende Intervall relativ kurz ist (wenige Sekunden), handelt es sich um ein periodisches Auftreten.
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4 Grundlagen der EEG-Beurteilung und -Befundung
10μV
Abb. 4.4 Frequenzen und Ausprägung. Die Abbildung zeigt denjenigen Anteil an Alpha-Wellen, deren
Amplitude > als 10 µV beträgt (in den Kästchen befindliche Aktivität). Wellen langsamerer (Theta- bzw. Delta-
Wellen) oder rascherer Frequenzbereiche (Betawellen)
gehen in die Schätzung nicht mit ein. Ebenso werden
keine Alpha-Wellen berücksichtigt, deren Amplitude
weniger als 10 µV betragen.
Die kürzeste zeitliche Abfolge repetitiver Muster ist
eine rhythmische Folge.
Der Begriff „paroxysmal“ wird verwandt, wenn
eine Aktivität (z. B. 3 / Sekunde sharp-wave- (SW-)
Komplexe) plötzlich aus völlig unauffälliger Grundtätigkeit auftritt.
Es muss allerdings die dominierende Grundaktivität nicht zwangsläufig kontinuierlich vorhanden
sein. Sie kann unterbrochen werden, fluktuierend
oder nur streckenweise im Wechsel mit anderen
eingelagerten Frequenzen auftreten.
Ausprägung
Jede Grundtätigkeit (nicht nur der Alpha-Grundrhythmus, sondern auch die Grundrhythmusvarianten) kann bezüglich ihrer Ausprägung (sog. Alpha-Index) quantifiziert werden. Auch wenn der
Grad der Ausprägung für klinische Fragestellungen
von untergeordneter Rolle ist, sollte in jedem EEGBefund auch die Ausprägung der Grundtätigkeit
erwähnt werden (Abb. 4.4). Dabei wird der Anteil
der im Fokus stehenden Aktivität in Prozent an der
Gesamtaktivität abgeschätzt.
Die Alpha-Grundtätigkeit kann je nach Anteil der
entsprechenden Wellen pro Zeiteinheit
● gut (Anteil an Alphaaktivität > 60 %),
● mäßig ( Anteil an Alphaaktivität 30-60 %),
● gering (Anteil an Alphaaktivität < 30 %)
ausgeprägt sein. Dabei spielt auch die Amplitude
eine wichtige Rolle. Es werden nur diejenigen Alpha-Wellen berücksichtigt, deren Amplitude
> 10 µV beträgt.
Topografie
Räumliche Verteilung der Muster. Topografische
Aspekte beziehen sich auf die räumliche Verteilung
der dargestellten Muster auf der Kopfoberfläche.
Dabei kann man im Prinzip 3 wesentliche Grundformen der räumlichen Verteilung unterscheiden.
Dies sind umschriebene, diffus und generalisiert
auftretende Muster. Dabei werden die Begriffe „diffus“ und „generalisiert“ häufig synonym verwendet, was streng genommen nicht ganz zutreffend
ist. Dabei spielt auch die zeitliche Beziehung zwischen den auftretenden Wellen eine wichtige Rolle.
Diffuse Verteilung. Bei einer diffusen Verteilung
kommt es zu einer unterschiedlich ausgedehnten
Verteilung der Muster über beide Hemisphären,
die Muster zeigen dabei aber in der Regel kein
synchrones Auftreten.
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Maßstab
Abb. 4.3 Modulation. Die Abbildung zeigt ein gering moduliertes
(unten) bzw. gut oder spindelförmig
moduliertes EEG (oben).
Generalisierte und bilateral-synchrone Muster. Bei
den generalisierten Mustern kommt es ebenfalls zu
einer bilateralen Verteilung, wobei die Muster in
der Regel – aber nicht zwangsläufig – in allen Kanälen sichtbar sind. In diesem Fall zeigen die Muster
aber ein synchrones Auftreten. Man spricht dann
auch von einem „bilateral-synchronen“ Muster.
Die bilateral-synchronen (bzw. generalisierten)
Muster werden häufig von tiefer liegenden mittelliniennahen Strukturen in beide Hemisphären projiziert. Wenn dabei eine Seitenbetonung auffällt,
dann spricht man von einer „Lateralisierung“.
Umschriebene Muster. Umschriebene Muster hingegen zeigen ein lokal begrenztes Auftreten. Dabei
ist das Muster meistens nur in wenigen Kanälen
nachweisbar, die eine enge räumliche Beziehung
zueinander haben. Meistens stellt sich dabei auch
ein plausibles elektrisches Feld dar, das einen physiologischen Gradienten über die abgebildeten Kanäle zeigt. Dies ist ein wichtiges Kriterium in der
Abgrenzung gegenüber Artefakten (insbesondere
Elektrodenartefakten), die entweder ein ungewöhnliches elektrisches Feld zeigen oder manchmal auch nur unter einer Elektrode auftreten. Dieser Fall ist bis zum Beweis des Gegenteils verdächtig auf ein Elektrodenartefakt.
Seitenbetonung und Lateralisierung
Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt,
kann jede Aktivität (Tätigkeit) einseitig, bilateral
mit wechselnder Seitenbetonung, beidseits-unabhängig oder bilateral-synchron (generalisiert) auftreten. Dies spielt eine wichtige Rolle in der Differenzialdiagnose der Muster, denn wenn eine verlangsamte Aktivität wiederholt (z. B. rhythmische
Theta-Aktivität links temporal) streng einseitig
auftritt, dann ist sie verdächtig auf eine herdförmige Störung (z. B. bei Temporallappenepilepsie).
Eine wechselseitige Betonung (z. B. kurze rhythmische Verlangsamung in den Theta-Frequenzbereich temporal mit wechselnder Seitenbetonung)
kann durchaus das Korrelat einer „physiologischen“ Verlangsamung z. B. im Rahmen von Vigilanzeffekten sein.
Ein beidseits bzw. bilateral-unabhängiger Befund spricht für eine Störung, die zeitlich und
räumlich unabhängig voneinander und beide Hemisphären einbeziehend auftritt (z. B. bitalerale
Spike-wave-Aktivität bei Temporallappenepilepsie
oder im Rahmen von sog. BiPLEDs (Beidseitige lateralisierte epileptiforme Entladungen)) Hier handelt es sich nicht um eine Fort- oder Überleitung
der Aktivität, sondern um ein multilokuläres Geschehen. Der Begriff der „Lateralisierung“ wurde
bereits erläutert und bezeichnet einen aus subkortikalen Strukturen (z. B. Thalamus) projizierten Ursprung der Aktivität mit einseitiger Betonung.
Eine Seitenbetonung der Amplituden kann ohnehin physiologisch bedingt auftreten. Zum Beispiel
hat der okzipitoparietale Alpha-Grundrhythmus
häufig eine physiologische Amplitudendifferenz
zugunsten der rechten Seite. Da jedoch die Höhe
der Amplituden auch von den Ableitbedingungen
(Elektrodenabstände) abhängig ist, ist diese Information mit Zurückhaltung zu bewerten.
4.5
Mustererkennung: Komplexe
Komplexe
Unter Komplexen im EEG versteht man kombinierte bzw. zusammengesetzte Muster aus mehreren Wellen bzw. Wellenbestandteilen. Diese haben
meist eine typische Konfiguration mit mehr oder
weniger gutem Wiedererkennungswert (z. B.
Spike-Wave-Komplexe, K-Komplexe). Dabei handelt es sich meist um Muster, die durch eine bestimmte physiologische oder pathophysiologische
Reaktion des Gehirns hervorgerufen werden. Bei
der Entstehung können aktivierende (exzitatorische) und hemmende (inhibitorische) Mechanismen (meist synaptische Potenziale) eine wichtige
Rolle spielen.
Spezifische Muster
Spezifische Muster sind charakteristische Wellen/
Graphoelemente, meist jedoch Komplexe, die ein
charakteristische Konfiguration, ein „typisches“
Auftreten bezüglich der regionalen Verteilung des
Potenzialfeldes sowie eine physiologisch bzw. klinisch relevante Bedeutung haben (z. B. epilepsietypische Muster, schlafspezifische Muster).
Epilepsietypische Muster
Epilepsietypische Muster sind Potenzialschwankungen, die aufgrund ihrer Konfiguration, Lokalisation und Potenzialfeldverteilung charakteristi-
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