Ernährungsbiografie gestern und heute

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„Ernährungsbiografie
gestern und heute: Was unser
Essverhalten im Alter prägt “
Zürcher Trendthemen
Langzeitpflege 17/1
22. Mai 2017
Pflegezentrum Mattenhof
Christine Brombach,
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft,
Wädenswil
Gliederung
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Einleitung
Essverhalten: Einfluss unserer Kultur
Ernährungsbiografie: Prägungen im Lebensverlauf
Einblicke aus zwei empirischen Studien
Fazit und Schlussbemerkungen
[email protected]
Warum wir essen….
• «Die meisten Menschen essen, um zu leben, ich aber lebe,
um zu essen!» (vermutlich Epikur)
• Welche Rolle spielen dabei das Umfeld, die Kultur und die
Familien, in die wir hineingeboren werden?
Warum essen und trinken wir?
• Essen und Ernährung sind lebensnotwendig. Da wir
Menschen ohne Instinkte geboren werden, ist es
biologisch nicht vorgegeben, welche Nahrung wir essen
sollen. Wir sind von Natur aus Omnivoren, eben „AllesEsser“.
• Im Verlaufe unseres Lebens lernen wir, welche Speisen wir
wann, wie, wo und in welcher Abfolge verzehren können.
Wir erlernen dabei den Umgang mit Lebensmitteln,
Auswahl, Zeit, Geschmack...
• Im Verlaufe unseres Lebens verändert sich unser Bedarf an
Nährstoffen wie auch unsere Bedürfnisse, die die
Nahrungswahl mit beeinflussen.
Das «PUZZLE-Model»
Essverhalten ist an folgende Prämissen geknüpft, die für alle
Menschen gelten:
• (P) eine Person isst, Personen essen gemeinsam
• (U) Gegessen wird an einem Ort, in einer Umwelt, Raum
• (Z) Essen ist zeitgebunden und abhängig von der historischen
Zeit, z.B. 21. Jahrhundert, Saisonalität, Tageszeit
• (Z) Essen ist mit Zielen verknüpft, die teilweise auch
widersprüchlich sein können (Genuss, Gesundheit,
Convenience…)
• (L) gegessen werden Lebensmittel
• (E) Essen wird je nach Einstellungen, Werten und Normen
und Erwartungen unterschiedlich bewertet
Entstehung des Essverhaltens im Lebensverlauf:
„frames“
Die Kultur, in die wir hineingeboren werden:
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Technische Entwicklungen
Politische Entwicklungen
Ökonomische Entwicklungen
Neue Lebensmittel auf dem Markt
Werte und Normen
Niemand wird «voraussetzungslos» geboren,
eine bestimmte Welt, Werte, Kultur und
Umgebung sind bereits «gegeben».
Prägungseinflüsse im Generationsverlauf
(25-Jahre-Zyklus)
Geburtsjahr Eltern
minus 25 J Geburtsjahr heute 65+ plus 25 J Geburtsjahr Kinder
1926-1921
1951-1946
65-70 J
1976-1971
1920-1911
1945-1936
71-80 J
1970-1961
1910-1901
1935-1926
81-90 J
1960-1951
1900-1891
1925-1916
91>100J
1950-1941
Veränderungen hinsichtlich der Esskultur in den
letzten 60 Jahren, im Überblick (Auswahl)
• Auswahl: was ist essbar, was nicht (bestimmte Lebensmittel wie z.B. Innereien
werden nicht mehr gegessen, neue kommen auf den Markt z.B. Wasabi, Moringa
Chiasamen, Gojibeeren…)
• Anbau- und Verarbeitungsverfahren der Produkte (technisierte Landwirtschaft,
Züchtung und Produktion, Anbau ohne Boden, hors sol)
• Vermarktungs- und Vertriebsstrategien (online-Werbung, online-Kauf, demnächst
Auslieferung vielleicht via Drohnen)
• Wissenschaftliches Wissen nimmt zu, Alltagskompetenzen verändern sich
• Zubereitungsweisen verändern sich, im Haushalt und in Industrie (vom Herdfeuer
zum Steamer, Handwerk ohne Hände)
• Zeitarmut: Convenience-Produkte, Fast Food (eat – on - the – go), Bestellservice
Bewertung, Moralisierung des Essens (Selbstverantwortung, Gesundheit, Ethik)
• Internationalisierung der Küchen, Revitalisierung der lokalen Traditionen
• Verknappung von Ressourcen, Peak Oil, Social media, web 2.0
• Globalisierung, bei uns 24h/7d-Verfügbarkeit von Lebensmitteln
• Industrie 4.0 (z.B. personalisierte Lebensmittel, 3D-Druck, nutri-epigenetik)
• Küchen als neuer Showroom und Essen als Lifestyle
Quelle: Brombach et al, 2014, 14
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Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel
1950er Jahre: «Wirtschaftswunder»
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LM-Marken werden abgeschafft
Getreideprodukte ↓; Fleisch, Milch, Eier, Zucker, frisches Obst, Fette (Butter & Margarine, Speck,
Schmalz) ↑
->Nachholbedarf v.a. an Südfrüchten & Frischobst
->tierische Fette werden zunehmend durch pflanzliche Fette ersetzt
Import von Kartoffeln und Getreidesorten ↓
->Kunstdüngereinatz
->Ausweitung genutzter landwirtschaftlicher Flächen
Kaffee-, Kakao- , Tee- & Tabakkonsum ↑ (Steuersenkungen) Bierkonsum ↑ sowie auch teure
Alkoholika & Sekt
Zapfbier (Kneipe) Flaschenbier (zu Hause)
Kompakte EBK mit Kühlschrank für jedermann
Instant Produkte (Gefriertrocknung)
-Maggie-Slogan „schmeckt wie Hausgemacht“
-Instantgetränke (Kaffee, Kakao), Brühwürfel, Soßen, Suppen
LM-Konserven (Kurzzeiterhitzung, Tiefkühlung, Vakuum-Trocknung)
Abfüllung von „Tütenmilch“ um den Milchkonsum zu erhöhen (Entsorgung von Glasflaschen
lästig und hoher Kostenfaktor)
Erste Supermärkte mit SB (in USA)
Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel
1960er Jahre
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Genussmittelkonsum (Sekt) steigt weiter an
Internationalisierung des Essens
->zahlreiche Pizzastuben, Balkan-Grills und China-Restaurants
erobern Deutschland
Lust darauf, Neues auszuprobieren
->Kochrezepte in Illustrierten/Frauenzeitschriften
Erste Aufklärungsaktionen des BM für Ernährung
Ausgefallene Spezialitäten aus In- & Ausland und
Produktvielfalt
->Käsesortiment
->Brotsortiment mit verschiedenen Gewürzen
Suppenindustrie
->verfeinerte Qualität von Trockenkonzantraten
->breites Spektrum an Dosensuppen
Nescafe in Glasverpackung
->Ätherische Öle vertragen sich nicht mit Dosenblech
TK-Ware wird immer beliebter, Einfrieren im Privathaushalt
Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel
1970er Jahre
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Entdeckung von umweltbelasteter Nahrung
->Schweizer Käse mit Insektenvertilgungsmitteln belastet (Dieldrin,
Lindan)
->Bayrische Milch mit Insektenvertilgungsmitteln und Antibiotika
Bewusstsein für Hunger in der 3. Welt
Wohlstandsbauch Schlankheitswahn
->Kalorientabellen
Fast-Food-Ketten in Großstädten
Gemeinsame Mahlzeiten keine Selbstverständlichkeit mehr
->Vorgefertigte Mahlzeiten ersetzen selbstgekochte Speisen
->fette snacks vorm TV statt warmer Mahlzeiten
->Fast-Food als schneller Snack unterwegs
Jogurtschokolade
->Trinkmilchverbrauch ↓; Milchprodukte ↑↑
->Kartoffelspezialitäten: Kroketten, Klöße, Rösti
->Exotische Früchte: Kiwi, Mango, Papaya, Passionsfrucht, Aubergine, Avocado
Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel
1980er Jahre
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Lieber „gesündere“ Margarine statt Butter
Geflügel & mageres Schweinefleisch statt Rindfleisch
Mineralwasser wird „In“
„Bioprodukte“ erfahren wachsenden Zulauf
->Schadstoffe im Essen schrecken Bürger auf
Naturkost- & Bioläden und Direktvermarktung vom Bauernhof
Exklusive Imbissstände für Nobelesser
->Delikatessen wie Hummersuppe & Kaviar mit Champagner
Vollwertkost liegt voll im Trend: Dinkel, Buchweizen, Grünkern, Hirse & Co. Erleben
ein Comeback
Dritte-Welt-Shops: Fair-Traid-LM
Coca-Cola-Light erobern den Markt
Weight-Watchers etablieren sich
Mikrowelle zieht in die HH ein,kürzere Garzeiten, ungeklärt, ob Strahlung schädlich ist
Überflutung von Kochbüchern für jeden Anspruch
Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel
1990er Jahre
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BSE-Skandal
Salate in Fast-Foodketten
Vollkornprodukte als Fertiggerichte
Diät- & Alkoholfreie Biere etablieren sich
„Trenn-Diät“
Buch „Köstliche Insekten“
„Tödliche Eier“ –Salmonellenvergiftungen
Trend zur „neuen Bescheidenheit“
Novel-Foods wollen den Markt erobern
LM aus neuartigen Preis wird für Kauf von LM immer wichtiger
Discounter erobern den Markt
Fastfood-Ketten & Lieferservices statt Restaurant
Snack- & Convenience-Food Gesellschaft
->Snackshops jetzt auch in Tankstellen
Mineralwasser in PET-Flaschen
Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel
2000er Jahre
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Gentechnisch veränderte LM werden überwiegend von Gesellschaft abgelehnt
Functional Food erobert den Markt
->Probiotische LM, cholesterinsenkende Margarine (Becel)
Kaffee-Spezialitäten werden Trend
Frischetheken in Supermärkten
->geschnittenes Obst, gewaschener Salat etc.
Exotisches wird immer mehr zu Hause zubereitet
->Sushi, asiatisches im Wok etc.
BIO-Siegel verliert an Glaubwürdigkeit
Küchenklassiker kehren zurück
->kulinarisches Erbe bewahren
->Fettgehalt aber „modernisiert“
Junge Köche bringen neues Image für Kochsendungen: Kochen wird jung & wild, Jamie
Oliver, Tim Mälzer & Co.
Kochen, Selbermachen wird Trend (Internetforen, bloggs)
2010- Gegenwart
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Steviaprodukte erobern den Markt
3D-Drucker für LM
Smoothies
Lassies
Trinknahrung z.B. Soylent
Personalisierte Ernährung
Lebensmittel „frei von“
Vegane und vegetarische
Lebensmittel
Cradle to cradle, fair
Essen im Verlauf des Lebens: was ändert
sich, was bleibt?
Zwei explorative und qualitative Studien sollen dazu vorgestellt
werden:
• Eine 3-Generationenstudie an vier Studienstandorten
• Eine qualitative Familienbiografie zu Essen und Trinken
im Verlauf mehrerer Generationen
Einblicke aus einer 3-Generationenstudie*
• In dieser Studie wurden Studierende der Friedrich-SchillerUniversität Jena, der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe,
der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und der Zürcher
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Wädenswil
sowie deren Familien über drei Generationen befragt
(2014)(hauptsächlich waren es D Teilnehmende).
• Die F1-Generation steht dabei für die Grosseltern,
die F2-Generation für die Eltern und
die F3-Generation für die Kinder (Enkel).
• 31 Fragen erfassten die Themen Essen, Lebensmittel,
Kochen, Einkaufen, Vorratshaltung, Umgang mit Essen und
Esstraditionen in der Kindheit und heute
* Gemeinsam mit Prof. S. Bartsch, Karlsruhe, Prof. G. Winkler, Sigmaringen
Ergebnisse der 3-Generationenstudie
Grosseltern
Eltern
Kinder
(F1)
(F2)
(F3)
n = 52
n = 95
n = 100
n=247
Männlich
10 (19.2 %)
28 (29.5 %)
22 (22.0 %)
60 (24.3 %)
Weiblich
42 (80.8 %)
67 (70.5 %)
78 (78.0 %)
187 (75.7%)
Range [Jahre]
58 – 91
44 – 68
16 – 36
16 – 91
Variable
Total
Geschlecht
Mahlzeitenmuster
Brombach et al., 2015, 22
Dauer der Mahlzeiten wochentags
Brombach et al., 2015, 22
Dauer der Mahlzeiten am Wochenende
Brombach et al., 2015, 22
Umgang mit Lebensmittelresten
Brombach et al., 2015, 22
Prozentualer Anteil der Befragten, der aus
Grundzutaten folgende Gerichte zubereiten kann
Brombach et al, 2014, 173
Unterschiede früher und heute bei den
Befragten
Brombach et al, 2014, 172
Familienbiografie der Familie von
Martha und Michael aus Süddeutschland
• Hierbei geht es darum, die Ernährungsmuster im Verlauf von drei
Jahrhunderten und mehr als vier Generationen in einer Familie zu
untersuchen. Dies erfolgt an dem matrilinearen Beispiel der
Großmutter (1885-1957), deren 14. Kind, eine Tochter (1926-),
Enkelin (1960-) und Urenkelin (1989-)
sowie dem 15. Kind, die jüngste Tochter (1929-) und deren Tochter
(1954-).
• Heute leben noch zwei Töchter:
• Laura, *1926, 5 Kinder, 14 Enkel, 1 Urenkel
• => Interviews mit Tochter Susanne und Enkelin Alexa
• Reinhild, *1929, 3 Kinder, 4 Enkel, 1 Urenkel
• => Interview mit Tochter Hilda
Die Familie von Martha und Michael
Michael (1877-1954) und Martha (1885-1957)
• Stammen aus einer Süddeutschen Stadt
• Heirat 1905, insgesamt 15 Kinder
• Geburt des 1. Kindes 1907
• Geburt des jüngsten Kindes 1929
22 Jahre
• Geburt des ältesten Enkels 1932
• Geburt des jüngsten Enkels 1968
36 Jahre
• Geburt der ältesten Urenkelin 1962
• Geburt des jüngsten Urenkels 2008
46 Jahre
Martha und Michael 1905 bei ihrer
Hochzeit
Kinderreichtum: Martha (1885-1957) und Michael
(1877-1954) mit ihren 15 Kindern um 1930
Martha (1885-1957) und Michael (1877-1954) um 1947 mit
ihren dann noch 14 Kindern (1 Sohn war gefallen)
Kochbuch von Luise Haarer
• schon Martha verwendete ein Schwäbisches Kochbuch (Kochen
und Backen nach Grundrezepten von Luise Haarer) welches 1932
erstmals erschien.
• Dieses Kochbuch ist mittlerweile in 56 Auflagen und zuletzt in
einer kompletten, bebilderten Überarbeitung als Schulbuch in der
nun 8. Auflage vom Schneider Verlag Hohengehren erschienen.
• In der hier untersuchten Großfamilie wurde und wird das Buch
innerhalb der Generationen weitergegeben: so hatte bereits
Martha ein 1932 erschienenes Exemplar, welches auch alle ihre
Töchter kannten und bei Verheiratung mit in die Ehe bekamen.
Sowohl die älteste Tochter von Reinhild (geb. 1954) als auch die
beiden Töchter von Laura und deren Töchter (Urenkelinnen
Marthas) verwenden das Kochbuch noch heute und führen damit
eine bestimmte „Schwäbische Kochtradition“ fort
Kochen im Verlauf der Generationen
• Martha war eine praktische Frau, die über viele
Kocherfahrungen verfügte. Was sie nicht kannte oder wusste,
las sie in Kochbüchern nach. Ihre Töchter bezogen ihre
Kenntnisse aus den praktischen Erfahrungen des
Elternhauses, auch sie nutzen Kochbücher (hauptsächlich das
Kochbuch von Luise Haarer).
• Lauras Familie besass keinen Fernseher, so dass Laura
hauptsächlich auf Kochbücher zurückgriff, wenn sie etwas
Neues ausprobieren wollte. Ihre Töchter und vor allem ihre
Enkelinnen nutzen hingegen Social Media, trotzdem
verwenden auch sie entweder Rezepte aus Luise Haarers
Kochbuch oder greifen auf Gelerntes von Mutter Laura
zurück.
Familiengerichte
Spezielle Familientraditionen werden in dieser Großfamilie
lebendig gehalten, bis in die vierte Generation gelebt. Sowohl
Lauras Töchter und Enkelinnen als auch Reinhilds Tochter
kochen und backen Gerichte, die schon Martha gepflegt hat:
beispielsweise salziges Hefegebäck (Weißbrot) zu Sonn- und
Feiertagen, den „Schwäbischen Kartoffelsalat“ oder
„Schwäbisches Schnitzbrot“ (Früchtebrot) an Weihnachten.
Martha kochte Gerichte an Weihnachten, die sowohl in Lauras
Kindheit als auch von ihren Kindern heute an Weihnachten
traditionell gekocht werden. Susanne berichtete, sie habe
Weihnachten 2016 zu Mittag an Heilig Abend eine
Griessklösschensuppe, abends Kartoffelsalat mit kaltem
Aufschnitt und an Weihnachten Gans mit Rotkohl und Klößen
zubereitet, wie es ihre Mutter Laura (und auch Martha)
praktizierten.
Zuständigkeiten für das Essen
• In Marthas Haushalt: Generell erscheint die Essensvor- und
Nachbereitung, das Kochen und Bevorraten nach wie vor
eine weibliche Angelegenheit zu sein. Es waren vor allem die
Frauen, die gekocht haben und auch das Kochwissen und die
Kocherfahrungen, Familienrezepte matrilinear weitergaben.
• Für Laura war es selbstverständlich, dass ihre beiden Töchter,
nicht jedoch die Söhne, in diese Arbeit einbezogen wurden.
• Die Männer, auch die Enkel und teilweise noch die Urenkel,
waren kaum, jedoch immer weniger als die Töchter, in das
Kochen und Haushalten eingebunden
«Zeit»
• Laura berichtete, dass es viel Zeit und Arbeit in Anspruch
nahm, zu kochen und die Mahlzeiten vorzubereiten. Es gab
keine Convenienceprodukte und auch die elektrischen
Küchenmaschinen, die Laura nutzte, kannte und hatte ihre
Mutter nicht.
• So begann nach Lauras Erzählungen das Kochen von Martha
schon am frühen Morgen, Gemüse musste gewaschen und
gerüstet werden, der Holzherd befeuert werden. Im Verlauf
der Generationen verkürzte sich die Kochzeit drastisch,
einerseits weil die Küchengeräte Arbeit erleichtern,
andererseits, weil (Teil-) Convenienceprodukte die
Zubereitungszeit stark verkürzen.
• Susanne und auch Alexa berichten von knapp 30 Minuten,
die sie im Alltag für das Kochen aufgewendet werden.
Speisen
• Es gab fast nur regionale und saisonale Gerichte,
Lebensmittel wurden aus dem Garten oder vom Bauern
bezogen, nur das nötigste eingekauft.
• Traditionelle Schwäbische Gerichte, Grundnahrungsmittel
Kartoffeln und Weizenprodukte, Roggenvollkornbrot
• Im Winter viel Sauerkraut, eingekochte Gemüse, oder in
Erdmieten eingelagertes Gemüse
• Fleisch nur am Sonntag
• Auch unter der Woche gab es immer eine Suppe vorweg.
Vorlieben der Männer
• Alle hier vorgestellten Frauen richteten sich in ihrer
Kochweise vorwiegend nach den Männern.
• Susanne berichtete, als ihre Mutter Laura Anfang 80er Jahre
Vollwertgerichte einführte, war der Vater nicht davon
begeistert, so dass Laura bald dieses wieder aufgab
• Susanne richtete sich aber zunehmend nach den Wünschen
der Kinder
Nachhaltigkeit
• Essen war in der befragten Familie etwas Kostbares, eine
Gabe, die Wert geschätzt wurde, vor allem nach den
Erfahrungen der Knappheit und des Hungerns in der
Nachkriegszeit (Laura; Reinhild).
• Fragt man die heutigen Enkel/Urenkel, was Essen für sie
bedeutet, so fällt auf, dass auch für sie das Essen nichts
Selbstverständliches (mehr) ist. Allerdings werden dafür
andere Begründungen, als bei den älteren, aufgeführt. Nicht
mangelnde Ressourcen, sondern der Überfluss, die
„Industrie-Lebensmittel“, „Globalisierung“, „mögliche
Kontaminationen“, „ethisch nicht angemessene
Lebensmittel“ oder auch „negative Umwelteinflüsse“ führen
dazu, das „Essen“ zu hinterfragen.
Gemeinsame Werte
• Essen ist mehr als bloße Nährstoffzufuhr und biologische
Notwendigkeit. Essen, so sind sich Jung und Alt einig, ist ein
wichtiger Bestandteil von gelebter Gemeinschaft und
Traditionen, was besonders bei Festessen oder jährlichen
Feiern wie Weihnachten zelebriert wird.
• Essen war in der befragten Grossfamilie immer zentral und
Teil der Familientradition. Es wurde grossen Wert auf gutes
(und gemeinsames) Essen gelegt. Dabei ging es nie um
Exklusivität oder exotisches Essen, sondern um solide und
bodenständige handwerkliche Qualität, die sich auch in dem
grundständigen Kochen und sparsamen und
ressourcenschonenden Umgang mit Speisen ausdrückte
Begeisterung und Freude am Kochen
• Sowohl Laura als auch Reinhild berichteten, dass Martha eine
sehr gut Köchin gewesen sei und auch sehr fortschrittlich war
(Haushalt hatte als erster im Ort Auto, Telefon, Gasherd,
Küchenmaschinen).
• Auch Laura hat gemäss Tochter Susanne immer mit grosser
Freude und Engagement gekocht. Dies ist auch bei Susannes
Kindern der Fall (ein Sohn lernt derzeit nach seinem Studium
noch Koch)
Essen ist Heimat und Identität
• Spezielle Gerichte und Speisen schaffen Vertrautheit,
Identität, Sicherheit und Zugehörigkeit
• Essen schafft Erinnerung
• Essen ist eine «einverleibte Kultur»
• Essen ist eine Botschaft ohne Worte, die leiblich erfahren
wird
Schlussfolgerungen und Ausblicke (1)
• Essverhalten entsteht im Lebensverlauf
• Wir erlernen Essverhalten und Prägungen in der
Kindheit
• Ernährungsbiografie verschränkt Verhaltens- und
Verhältnisaspekte
• Bestimmte früh erlernte Muster des Essverhaltens
werden an die nächste Generation tradiert
• Mahlzeitenstrukturen werden ebenfalls weitergegeben
jedoch in jeder Generation an individuelle
Gegebenheiten angepasst
Schlussfolgerungen und Ausblicke (2)
• Ernährungsverhalten ist komplex und entsteht in sozialen
Bezügen
• Familienbiografische Zugänge könnten einen breiteren
Zugang zum Verständnis des Essverhaltens bieten und damit
ggf. auch einen Ansatz für Therapiemaßnahmen bilden
Schlussfolgerungen und Ausblicke (3)
Essverhalten ist immer Teil der individuellen Erfahrungen aber
auch der gesellschaftlichen Prägungen. Wir erlernen bereits
früh in unserer Kindheit die Muster und Strukturen des Essens:
• Strukturierung des Tages durch Essen
• Wertschätzung und Umgang mit Lebensmitteln
• Traditionen wie z.B. beim Essen an Festtagen
Ohne Verständnis der Ernährungsbiografie kann
es kein Verständnis des Essverhaltens geben!
Vielen Dank!
Bibliografie
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