„Ernährungsbiografie gestern und heute: Was unser Essverhalten im Alter prägt “ Zürcher Trendthemen Langzeitpflege 17/1 22. Mai 2017 Pflegezentrum Mattenhof Christine Brombach, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft, Wädenswil Gliederung • • • • • Einleitung Essverhalten: Einfluss unserer Kultur Ernährungsbiografie: Prägungen im Lebensverlauf Einblicke aus zwei empirischen Studien Fazit und Schlussbemerkungen [email protected] Warum wir essen…. • «Die meisten Menschen essen, um zu leben, ich aber lebe, um zu essen!» (vermutlich Epikur) • Welche Rolle spielen dabei das Umfeld, die Kultur und die Familien, in die wir hineingeboren werden? Warum essen und trinken wir? • Essen und Ernährung sind lebensnotwendig. Da wir Menschen ohne Instinkte geboren werden, ist es biologisch nicht vorgegeben, welche Nahrung wir essen sollen. Wir sind von Natur aus Omnivoren, eben „AllesEsser“. • Im Verlaufe unseres Lebens lernen wir, welche Speisen wir wann, wie, wo und in welcher Abfolge verzehren können. Wir erlernen dabei den Umgang mit Lebensmitteln, Auswahl, Zeit, Geschmack... • Im Verlaufe unseres Lebens verändert sich unser Bedarf an Nährstoffen wie auch unsere Bedürfnisse, die die Nahrungswahl mit beeinflussen. Das «PUZZLE-Model» Essverhalten ist an folgende Prämissen geknüpft, die für alle Menschen gelten: • (P) eine Person isst, Personen essen gemeinsam • (U) Gegessen wird an einem Ort, in einer Umwelt, Raum • (Z) Essen ist zeitgebunden und abhängig von der historischen Zeit, z.B. 21. Jahrhundert, Saisonalität, Tageszeit • (Z) Essen ist mit Zielen verknüpft, die teilweise auch widersprüchlich sein können (Genuss, Gesundheit, Convenience…) • (L) gegessen werden Lebensmittel • (E) Essen wird je nach Einstellungen, Werten und Normen und Erwartungen unterschiedlich bewertet Entstehung des Essverhaltens im Lebensverlauf: „frames“ Die Kultur, in die wir hineingeboren werden: • • • • • Technische Entwicklungen Politische Entwicklungen Ökonomische Entwicklungen Neue Lebensmittel auf dem Markt Werte und Normen Niemand wird «voraussetzungslos» geboren, eine bestimmte Welt, Werte, Kultur und Umgebung sind bereits «gegeben». Prägungseinflüsse im Generationsverlauf (25-Jahre-Zyklus) Geburtsjahr Eltern minus 25 J Geburtsjahr heute 65+ plus 25 J Geburtsjahr Kinder 1926-1921 1951-1946 65-70 J 1976-1971 1920-1911 1945-1936 71-80 J 1970-1961 1910-1901 1935-1926 81-90 J 1960-1951 1900-1891 1925-1916 91>100J 1950-1941 Veränderungen hinsichtlich der Esskultur in den letzten 60 Jahren, im Überblick (Auswahl) • Auswahl: was ist essbar, was nicht (bestimmte Lebensmittel wie z.B. Innereien werden nicht mehr gegessen, neue kommen auf den Markt z.B. Wasabi, Moringa Chiasamen, Gojibeeren…) • Anbau- und Verarbeitungsverfahren der Produkte (technisierte Landwirtschaft, Züchtung und Produktion, Anbau ohne Boden, hors sol) • Vermarktungs- und Vertriebsstrategien (online-Werbung, online-Kauf, demnächst Auslieferung vielleicht via Drohnen) • Wissenschaftliches Wissen nimmt zu, Alltagskompetenzen verändern sich • Zubereitungsweisen verändern sich, im Haushalt und in Industrie (vom Herdfeuer zum Steamer, Handwerk ohne Hände) • Zeitarmut: Convenience-Produkte, Fast Food (eat – on - the – go), Bestellservice Bewertung, Moralisierung des Essens (Selbstverantwortung, Gesundheit, Ethik) • Internationalisierung der Küchen, Revitalisierung der lokalen Traditionen • Verknappung von Ressourcen, Peak Oil, Social media, web 2.0 • Globalisierung, bei uns 24h/7d-Verfügbarkeit von Lebensmitteln • Industrie 4.0 (z.B. personalisierte Lebensmittel, 3D-Druck, nutri-epigenetik) • Küchen als neuer Showroom und Essen als Lifestyle Quelle: Brombach et al, 2014, 14 9 Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel 1950er Jahre: «Wirtschaftswunder» • • • • • • • • • • • • • • • • LM-Marken werden abgeschafft Getreideprodukte ↓; Fleisch, Milch, Eier, Zucker, frisches Obst, Fette (Butter & Margarine, Speck, Schmalz) ↑ ->Nachholbedarf v.a. an Südfrüchten & Frischobst ->tierische Fette werden zunehmend durch pflanzliche Fette ersetzt Import von Kartoffeln und Getreidesorten ↓ ->Kunstdüngereinatz ->Ausweitung genutzter landwirtschaftlicher Flächen Kaffee-, Kakao- , Tee- & Tabakkonsum ↑ (Steuersenkungen) Bierkonsum ↑ sowie auch teure Alkoholika & Sekt Zapfbier (Kneipe) Flaschenbier (zu Hause) Kompakte EBK mit Kühlschrank für jedermann Instant Produkte (Gefriertrocknung) -Maggie-Slogan „schmeckt wie Hausgemacht“ -Instantgetränke (Kaffee, Kakao), Brühwürfel, Soßen, Suppen LM-Konserven (Kurzzeiterhitzung, Tiefkühlung, Vakuum-Trocknung) Abfüllung von „Tütenmilch“ um den Milchkonsum zu erhöhen (Entsorgung von Glasflaschen lästig und hoher Kostenfaktor) Erste Supermärkte mit SB (in USA) Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel 1960er Jahre • • • • • • • • • • • • • • • Genussmittelkonsum (Sekt) steigt weiter an Internationalisierung des Essens ->zahlreiche Pizzastuben, Balkan-Grills und China-Restaurants erobern Deutschland Lust darauf, Neues auszuprobieren ->Kochrezepte in Illustrierten/Frauenzeitschriften Erste Aufklärungsaktionen des BM für Ernährung Ausgefallene Spezialitäten aus In- & Ausland und Produktvielfalt ->Käsesortiment ->Brotsortiment mit verschiedenen Gewürzen Suppenindustrie ->verfeinerte Qualität von Trockenkonzantraten ->breites Spektrum an Dosensuppen Nescafe in Glasverpackung ->Ätherische Öle vertragen sich nicht mit Dosenblech TK-Ware wird immer beliebter, Einfrieren im Privathaushalt Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel 1970er Jahre • • • • • • • • • • • • Entdeckung von umweltbelasteter Nahrung ->Schweizer Käse mit Insektenvertilgungsmitteln belastet (Dieldrin, Lindan) ->Bayrische Milch mit Insektenvertilgungsmitteln und Antibiotika Bewusstsein für Hunger in der 3. Welt Wohlstandsbauch Schlankheitswahn ->Kalorientabellen Fast-Food-Ketten in Großstädten Gemeinsame Mahlzeiten keine Selbstverständlichkeit mehr ->Vorgefertigte Mahlzeiten ersetzen selbstgekochte Speisen ->fette snacks vorm TV statt warmer Mahlzeiten ->Fast-Food als schneller Snack unterwegs Jogurtschokolade ->Trinkmilchverbrauch ↓; Milchprodukte ↑↑ ->Kartoffelspezialitäten: Kroketten, Klöße, Rösti ->Exotische Früchte: Kiwi, Mango, Papaya, Passionsfrucht, Aubergine, Avocado Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel 1980er Jahre • • • • • • • • • • • • • • Lieber „gesündere“ Margarine statt Butter Geflügel & mageres Schweinefleisch statt Rindfleisch Mineralwasser wird „In“ „Bioprodukte“ erfahren wachsenden Zulauf ->Schadstoffe im Essen schrecken Bürger auf Naturkost- & Bioläden und Direktvermarktung vom Bauernhof Exklusive Imbissstände für Nobelesser ->Delikatessen wie Hummersuppe & Kaviar mit Champagner Vollwertkost liegt voll im Trend: Dinkel, Buchweizen, Grünkern, Hirse & Co. Erleben ein Comeback Dritte-Welt-Shops: Fair-Traid-LM Coca-Cola-Light erobern den Markt Weight-Watchers etablieren sich Mikrowelle zieht in die HH ein,kürzere Garzeiten, ungeklärt, ob Strahlung schädlich ist Überflutung von Kochbüchern für jeden Anspruch Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel 1990er Jahre • • • • • • • • • • • • • • • BSE-Skandal Salate in Fast-Foodketten Vollkornprodukte als Fertiggerichte Diät- & Alkoholfreie Biere etablieren sich „Trenn-Diät“ Buch „Köstliche Insekten“ „Tödliche Eier“ –Salmonellenvergiftungen Trend zur „neuen Bescheidenheit“ Novel-Foods wollen den Markt erobern LM aus neuartigen Preis wird für Kauf von LM immer wichtiger Discounter erobern den Markt Fastfood-Ketten & Lieferservices statt Restaurant Snack- & Convenience-Food Gesellschaft ->Snackshops jetzt auch in Tankstellen Mineralwasser in PET-Flaschen Beispiele aus dem Bereich der Lebensmittel 2000er Jahre • • • • • • • • • • • • • • Gentechnisch veränderte LM werden überwiegend von Gesellschaft abgelehnt Functional Food erobert den Markt ->Probiotische LM, cholesterinsenkende Margarine (Becel) Kaffee-Spezialitäten werden Trend Frischetheken in Supermärkten ->geschnittenes Obst, gewaschener Salat etc. Exotisches wird immer mehr zu Hause zubereitet ->Sushi, asiatisches im Wok etc. BIO-Siegel verliert an Glaubwürdigkeit Küchenklassiker kehren zurück ->kulinarisches Erbe bewahren ->Fettgehalt aber „modernisiert“ Junge Köche bringen neues Image für Kochsendungen: Kochen wird jung & wild, Jamie Oliver, Tim Mälzer & Co. Kochen, Selbermachen wird Trend (Internetforen, bloggs) 2010- Gegenwart • • • • • • • • • Steviaprodukte erobern den Markt 3D-Drucker für LM Smoothies Lassies Trinknahrung z.B. Soylent Personalisierte Ernährung Lebensmittel „frei von“ Vegane und vegetarische Lebensmittel Cradle to cradle, fair Essen im Verlauf des Lebens: was ändert sich, was bleibt? Zwei explorative und qualitative Studien sollen dazu vorgestellt werden: • Eine 3-Generationenstudie an vier Studienstandorten • Eine qualitative Familienbiografie zu Essen und Trinken im Verlauf mehrerer Generationen Einblicke aus einer 3-Generationenstudie* • In dieser Studie wurden Studierende der Friedrich-SchillerUniversität Jena, der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Wädenswil sowie deren Familien über drei Generationen befragt (2014)(hauptsächlich waren es D Teilnehmende). • Die F1-Generation steht dabei für die Grosseltern, die F2-Generation für die Eltern und die F3-Generation für die Kinder (Enkel). • 31 Fragen erfassten die Themen Essen, Lebensmittel, Kochen, Einkaufen, Vorratshaltung, Umgang mit Essen und Esstraditionen in der Kindheit und heute * Gemeinsam mit Prof. S. Bartsch, Karlsruhe, Prof. G. Winkler, Sigmaringen Ergebnisse der 3-Generationenstudie Grosseltern Eltern Kinder (F1) (F2) (F3) n = 52 n = 95 n = 100 n=247 Männlich 10 (19.2 %) 28 (29.5 %) 22 (22.0 %) 60 (24.3 %) Weiblich 42 (80.8 %) 67 (70.5 %) 78 (78.0 %) 187 (75.7%) Range [Jahre] 58 – 91 44 – 68 16 – 36 16 – 91 Variable Total Geschlecht Mahlzeitenmuster Brombach et al., 2015, 22 Dauer der Mahlzeiten wochentags Brombach et al., 2015, 22 Dauer der Mahlzeiten am Wochenende Brombach et al., 2015, 22 Umgang mit Lebensmittelresten Brombach et al., 2015, 22 Prozentualer Anteil der Befragten, der aus Grundzutaten folgende Gerichte zubereiten kann Brombach et al, 2014, 173 Unterschiede früher und heute bei den Befragten Brombach et al, 2014, 172 Familienbiografie der Familie von Martha und Michael aus Süddeutschland • Hierbei geht es darum, die Ernährungsmuster im Verlauf von drei Jahrhunderten und mehr als vier Generationen in einer Familie zu untersuchen. Dies erfolgt an dem matrilinearen Beispiel der Großmutter (1885-1957), deren 14. Kind, eine Tochter (1926-), Enkelin (1960-) und Urenkelin (1989-) sowie dem 15. Kind, die jüngste Tochter (1929-) und deren Tochter (1954-). • Heute leben noch zwei Töchter: • Laura, *1926, 5 Kinder, 14 Enkel, 1 Urenkel • => Interviews mit Tochter Susanne und Enkelin Alexa • Reinhild, *1929, 3 Kinder, 4 Enkel, 1 Urenkel • => Interview mit Tochter Hilda Die Familie von Martha und Michael Michael (1877-1954) und Martha (1885-1957) • Stammen aus einer Süddeutschen Stadt • Heirat 1905, insgesamt 15 Kinder • Geburt des 1. Kindes 1907 • Geburt des jüngsten Kindes 1929 22 Jahre • Geburt des ältesten Enkels 1932 • Geburt des jüngsten Enkels 1968 36 Jahre • Geburt der ältesten Urenkelin 1962 • Geburt des jüngsten Urenkels 2008 46 Jahre Martha und Michael 1905 bei ihrer Hochzeit Kinderreichtum: Martha (1885-1957) und Michael (1877-1954) mit ihren 15 Kindern um 1930 Martha (1885-1957) und Michael (1877-1954) um 1947 mit ihren dann noch 14 Kindern (1 Sohn war gefallen) Kochbuch von Luise Haarer • schon Martha verwendete ein Schwäbisches Kochbuch (Kochen und Backen nach Grundrezepten von Luise Haarer) welches 1932 erstmals erschien. • Dieses Kochbuch ist mittlerweile in 56 Auflagen und zuletzt in einer kompletten, bebilderten Überarbeitung als Schulbuch in der nun 8. Auflage vom Schneider Verlag Hohengehren erschienen. • In der hier untersuchten Großfamilie wurde und wird das Buch innerhalb der Generationen weitergegeben: so hatte bereits Martha ein 1932 erschienenes Exemplar, welches auch alle ihre Töchter kannten und bei Verheiratung mit in die Ehe bekamen. Sowohl die älteste Tochter von Reinhild (geb. 1954) als auch die beiden Töchter von Laura und deren Töchter (Urenkelinnen Marthas) verwenden das Kochbuch noch heute und führen damit eine bestimmte „Schwäbische Kochtradition“ fort Kochen im Verlauf der Generationen • Martha war eine praktische Frau, die über viele Kocherfahrungen verfügte. Was sie nicht kannte oder wusste, las sie in Kochbüchern nach. Ihre Töchter bezogen ihre Kenntnisse aus den praktischen Erfahrungen des Elternhauses, auch sie nutzen Kochbücher (hauptsächlich das Kochbuch von Luise Haarer). • Lauras Familie besass keinen Fernseher, so dass Laura hauptsächlich auf Kochbücher zurückgriff, wenn sie etwas Neues ausprobieren wollte. Ihre Töchter und vor allem ihre Enkelinnen nutzen hingegen Social Media, trotzdem verwenden auch sie entweder Rezepte aus Luise Haarers Kochbuch oder greifen auf Gelerntes von Mutter Laura zurück. Familiengerichte Spezielle Familientraditionen werden in dieser Großfamilie lebendig gehalten, bis in die vierte Generation gelebt. Sowohl Lauras Töchter und Enkelinnen als auch Reinhilds Tochter kochen und backen Gerichte, die schon Martha gepflegt hat: beispielsweise salziges Hefegebäck (Weißbrot) zu Sonn- und Feiertagen, den „Schwäbischen Kartoffelsalat“ oder „Schwäbisches Schnitzbrot“ (Früchtebrot) an Weihnachten. Martha kochte Gerichte an Weihnachten, die sowohl in Lauras Kindheit als auch von ihren Kindern heute an Weihnachten traditionell gekocht werden. Susanne berichtete, sie habe Weihnachten 2016 zu Mittag an Heilig Abend eine Griessklösschensuppe, abends Kartoffelsalat mit kaltem Aufschnitt und an Weihnachten Gans mit Rotkohl und Klößen zubereitet, wie es ihre Mutter Laura (und auch Martha) praktizierten. Zuständigkeiten für das Essen • In Marthas Haushalt: Generell erscheint die Essensvor- und Nachbereitung, das Kochen und Bevorraten nach wie vor eine weibliche Angelegenheit zu sein. Es waren vor allem die Frauen, die gekocht haben und auch das Kochwissen und die Kocherfahrungen, Familienrezepte matrilinear weitergaben. • Für Laura war es selbstverständlich, dass ihre beiden Töchter, nicht jedoch die Söhne, in diese Arbeit einbezogen wurden. • Die Männer, auch die Enkel und teilweise noch die Urenkel, waren kaum, jedoch immer weniger als die Töchter, in das Kochen und Haushalten eingebunden «Zeit» • Laura berichtete, dass es viel Zeit und Arbeit in Anspruch nahm, zu kochen und die Mahlzeiten vorzubereiten. Es gab keine Convenienceprodukte und auch die elektrischen Küchenmaschinen, die Laura nutzte, kannte und hatte ihre Mutter nicht. • So begann nach Lauras Erzählungen das Kochen von Martha schon am frühen Morgen, Gemüse musste gewaschen und gerüstet werden, der Holzherd befeuert werden. Im Verlauf der Generationen verkürzte sich die Kochzeit drastisch, einerseits weil die Küchengeräte Arbeit erleichtern, andererseits, weil (Teil-) Convenienceprodukte die Zubereitungszeit stark verkürzen. • Susanne und auch Alexa berichten von knapp 30 Minuten, die sie im Alltag für das Kochen aufgewendet werden. Speisen • Es gab fast nur regionale und saisonale Gerichte, Lebensmittel wurden aus dem Garten oder vom Bauern bezogen, nur das nötigste eingekauft. • Traditionelle Schwäbische Gerichte, Grundnahrungsmittel Kartoffeln und Weizenprodukte, Roggenvollkornbrot • Im Winter viel Sauerkraut, eingekochte Gemüse, oder in Erdmieten eingelagertes Gemüse • Fleisch nur am Sonntag • Auch unter der Woche gab es immer eine Suppe vorweg. Vorlieben der Männer • Alle hier vorgestellten Frauen richteten sich in ihrer Kochweise vorwiegend nach den Männern. • Susanne berichtete, als ihre Mutter Laura Anfang 80er Jahre Vollwertgerichte einführte, war der Vater nicht davon begeistert, so dass Laura bald dieses wieder aufgab • Susanne richtete sich aber zunehmend nach den Wünschen der Kinder Nachhaltigkeit • Essen war in der befragten Familie etwas Kostbares, eine Gabe, die Wert geschätzt wurde, vor allem nach den Erfahrungen der Knappheit und des Hungerns in der Nachkriegszeit (Laura; Reinhild). • Fragt man die heutigen Enkel/Urenkel, was Essen für sie bedeutet, so fällt auf, dass auch für sie das Essen nichts Selbstverständliches (mehr) ist. Allerdings werden dafür andere Begründungen, als bei den älteren, aufgeführt. Nicht mangelnde Ressourcen, sondern der Überfluss, die „Industrie-Lebensmittel“, „Globalisierung“, „mögliche Kontaminationen“, „ethisch nicht angemessene Lebensmittel“ oder auch „negative Umwelteinflüsse“ führen dazu, das „Essen“ zu hinterfragen. Gemeinsame Werte • Essen ist mehr als bloße Nährstoffzufuhr und biologische Notwendigkeit. Essen, so sind sich Jung und Alt einig, ist ein wichtiger Bestandteil von gelebter Gemeinschaft und Traditionen, was besonders bei Festessen oder jährlichen Feiern wie Weihnachten zelebriert wird. • Essen war in der befragten Grossfamilie immer zentral und Teil der Familientradition. Es wurde grossen Wert auf gutes (und gemeinsames) Essen gelegt. Dabei ging es nie um Exklusivität oder exotisches Essen, sondern um solide und bodenständige handwerkliche Qualität, die sich auch in dem grundständigen Kochen und sparsamen und ressourcenschonenden Umgang mit Speisen ausdrückte Begeisterung und Freude am Kochen • Sowohl Laura als auch Reinhild berichteten, dass Martha eine sehr gut Köchin gewesen sei und auch sehr fortschrittlich war (Haushalt hatte als erster im Ort Auto, Telefon, Gasherd, Küchenmaschinen). • Auch Laura hat gemäss Tochter Susanne immer mit grosser Freude und Engagement gekocht. Dies ist auch bei Susannes Kindern der Fall (ein Sohn lernt derzeit nach seinem Studium noch Koch) Essen ist Heimat und Identität • Spezielle Gerichte und Speisen schaffen Vertrautheit, Identität, Sicherheit und Zugehörigkeit • Essen schafft Erinnerung • Essen ist eine «einverleibte Kultur» • Essen ist eine Botschaft ohne Worte, die leiblich erfahren wird Schlussfolgerungen und Ausblicke (1) • Essverhalten entsteht im Lebensverlauf • Wir erlernen Essverhalten und Prägungen in der Kindheit • Ernährungsbiografie verschränkt Verhaltens- und Verhältnisaspekte • Bestimmte früh erlernte Muster des Essverhaltens werden an die nächste Generation tradiert • Mahlzeitenstrukturen werden ebenfalls weitergegeben jedoch in jeder Generation an individuelle Gegebenheiten angepasst Schlussfolgerungen und Ausblicke (2) • Ernährungsverhalten ist komplex und entsteht in sozialen Bezügen • Familienbiografische Zugänge könnten einen breiteren Zugang zum Verständnis des Essverhaltens bieten und damit ggf. auch einen Ansatz für Therapiemaßnahmen bilden Schlussfolgerungen und Ausblicke (3) Essverhalten ist immer Teil der individuellen Erfahrungen aber auch der gesellschaftlichen Prägungen. Wir erlernen bereits früh in unserer Kindheit die Muster und Strukturen des Essens: • Strukturierung des Tages durch Essen • Wertschätzung und Umgang mit Lebensmitteln • Traditionen wie z.B. beim Essen an Festtagen Ohne Verständnis der Ernährungsbiografie kann es kein Verständnis des Essverhaltens geben! Vielen Dank! Bibliografie • • • • • • • • • • • • • • • Bartsch, S. (2011): Familienmahlzeiten aus der Sicht der Jugendlichen. In: G. Schönberger & B. Methfessel (Hrsg.): Mahlzeiten. Alte Last oder neue Lust? S. 79 – 94. Wiesbaden: VS Verlag. Bartsch, S. (2008): Essstile von Männern und Frauen. Der Genderaspekt in der Gesundheitsprävention und Gesundheitsberatung. Artikel zur Online-Fortbildung in Ernährungs-Umschau 11/08. S. 672 – 681. Berg, I. und Rumm-Kreuter, D. (1996) Nahrungszubereitung im privaten Haushalt. In: Oltersdorf, U. und Preuss, T. (Eds.): Haushalte an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert: Aspekte hauswirtschaftlicher Forschung – gestern, heute, morgen. Campus Verlag Frankfurt/M Bode, S. (2016) Kriegsspuren. Die Deutsche Krankheit German Angst. Klett-Cotta, Stuttgart, 2016 Brombach, C.; Winkler, G., Bartsch, S. (2015) SZE, 5, 2015; 21-24 Brombach C.; Haefeli, D.; Bartsch, S.; Clauß, S.; Winkler, G. (2014) ErnährungsUmschau 61 (11): 171–177 Brombach, C. (2011) Soziale Dimensionen des Ernährungsverhaltens. ErnährungsUmschau 6: 318-324 Brombach, C. (2005) Der „lange Arm“ der Familie - Am Beispiel des Kochens. Ernährung im Fokus 5, 201-20. Brombach, C. (2001) Essen und Trinken im Familienalltag – eine qualitative Studie: Essen hessische Familien hessische Kost?. In: Gedrich, K. und Oltersdorf, U. (Eds.): Ernährung und Raum: Regionale und ethnische Ernährungsweisen in Deutschland. Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten e.V. (AGEV) Gibson, E., Wardle, J., and Watts, C. (1998) Fruit and vegetable consumption, nutritional knowledge and beliefs in mothers and children. Appetite, 31, 205–228 Jabs, J. and Devine, C.M. (2006) Time scarcity and food choices: An overview. Appetite 47, 196-204 Jingxiong, J., Rosenqvist, U., Huishan, W., Greiner, T., Guangli, L. and Sarkadi, A. (2007) Influence of grandparents on eating behaviors of young children in Chinese three-generation families. Appetite 48, 377-383 Spiekermann, U.: Esskultur heute. Was, wie und wo essen wir? In: Dr. Rainer Wild-Stiftung (Hg.): Gesunde Ernährung zwischen Natur- und Kulturwissenschaft. Münster 1999, S. 41-56. Stafleu, A., Van Staveren, W.A., de Graaf, C, Bura, J, and Hautvast, J.G. (1994) Family resemblance in energy, fat, and cholesterol intake: A study among three generations of women. Preventive Medicine 23, 474-480 Vauthier, J.-M., Lluch, A., Lecomte, E., Artur, Y. and Herbeth, B. (1996). Family Resemblance in Energy and Macronutrient Intakes: The Stanislas Family Study. 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