LOGFILE Nr. 03 / Januar 2014 Biotechnologische Wirkstoffe und ihre besonderen Risiken von Dr. Rainer Gnibl Was sind biotechnologische Wirkstoffe? Zu Beginn ist es erforderlich, biologische Wirkstoffe und biotechnologische Wirkstoffe gegeneinander abzugrenzen. Biologische Wirkstoffe werden gemäß Direktive 2001/83/EC Community code relating to medicinal products for human use Annex I, Part I, 3.2.2.1 aus Ausgangsstoffen biologischen Ursprungs gefertigt. Diese Ausgangsstoffe können Mikroorganismen, Organe, Gewebe sowohl pflanzlichen als auch tierischen Ursprungs, Zellen oder Flüssigkeiten (einschließlich Blut oder Plasma) menschlichen oder tierischen Ursprungs und biotechnologische Zellgebilde (Zellsubstrate, rekombinant oder nichtrekombinant, einschließlich Primärzellen) sein. Biologische Wirkstoffe bilden also einen Überbegriff, unter dem dann z. B. auch die biotechnologischen Wirkstoffe subsummiert sind. Die Charakterisierung oder Definition des Begriffs biotechnologischer Wirkstoff ist eng mit dem Begriff biotechnologischer Prozess verknüpft. Demnach zeichnen sich biotechnologische Wirkstoffe bei ihrer Herstellung durch den Gebrauch von Zellen oder Organismen aus, die durch rekombinante DNA, Hybridome oder andere Technologien generiert oder modifiziert wurden. Biotechnologische Wirkstoffe sind also durch die bei ihrer Herstellung angewendeten Technologien charakterisiert und werden aus lebenden Ausgangsstoffen (Zellen oder Organismen) gewonnen oder mit deren Hilfe hergestellt. Diese Ausgangsstoffe entsprechen nicht mehr der natürlich vorkommenden Quelle, sondern wurden mittels der oben genannten Technologien in ihrem Erbgut verändert. Sie werden mit Hilfe von Zellkulturen oder durch Fermentation hergestellt und bestehen meist aus Maas & Peither AG – GMP-Verlag hochmolekularen Substanzen wie Proteinen und Polypeptiden. Mit biotechnologischen Prozessen können aber auch niedermolekulare Wirkstoffe wie zum Beispiel Antibiotika, Aminosäuren, Vitamine oder Kohlehydrate produziert werden. Im Rahmen dieses Kapitels sollen die Besonderheiten bei der Herstellung von biotechnologischen Wirkstoffen dargestellt werden, die mikrobieller Herkunft sind (Mikroorganismen einschließlich Viren) oder die mit Hilfe von auf gentechnischem Wege veränderten Organismen hergestellt werden. Biotechnologische Wirkstoffe, welche aus Ausgangsstoffen menschlicher, tierischer oder pflanzlicher Herkunft produziert werden, sollen hier nicht erschöpfend behandelt werden. Die Ausführungen gelten auch für biologische Wirkstoffe, die nicht durch biotechnologisch veränderte Organismen (biotechnologischer Prozess), sondern durch natürlich vorkommende Organismen mittels Zellkulturen oder Fermentation produziert wurden (klassische biologische Prozesse, klassische Fermentation/Zellkultur). Das deutsche Arzneimittelgesetz spricht bei den hier behandelten Wirkstoffen von Wirkstoffen, die mikrobieller Herkunft sind oder auf gentechnischem Wege hergestellt werden. Arten biotechnologischer Wirkstoffe Eine eindeutige Kategorisierung biotechnologischer Wirkstoffe ist aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Produkten schwierig. Unterscheidungskriterien für eine Gliederung könnten beispielsweise sein: Herstellungsmethode oder –prozess (z.B. Zellkultur, Fermentation, Gentechnologie, Hybridomtechnik, Extraktion aus biologischen Geweben, Vermehrung von Agentien in Zellkulturen, Embryonen oder Tieren) Herkunft der Ausgangsstoffe (z.B. menschliche, tierische, mikrobielle, pflanzliche Herkunft) Molekulare Struktur (z.B. chemisch synthetisierte Verbindung, Aminosäure, Zucker, Protein, Nukleinsäure, Zelle, Gewebe) Physio- oder pharmakologischer Wirkmechanismus (z.B. antibiotisch, immunologisch, allergen, Erbgut verändernd) http://www.gmp-verlag.de © 2014 Maas & Peither AG – GMP-Verlag, Schopfheim, Deutschland, Alle Rechte vorbehalten Seite 1/3 LOGFILE Nr. 03 / Januar 2014 Eine eindeutige Zuordnung wird nicht immer gelingen und ist somit auch nicht zielführend. Vielmehr soll hier ein Eindruck über die hohe Varianz und Vielfalt innerhalb dieser Produktklasse vermittelt werden. Weitere Produktgruppen und dazugehörige Beispiele sind in Abbildung 1 zusammengestellt, wobei anzumerken ist, dass einige der dort genannten biotechnologischen Produkte durchaus auch mit konventionellen Methoden ohne biotechnologische Prozesstechniken hergestellt werden können, oder dass diese nach dem biotechnologischen Prozess noch chemisch-partialsynthetisch modifiziert werden können. Arten biotechnologischer Produkte Beispiele niedermolekulare rekombinante Produkte Antibiotika, Hormone, Aminosäuren, Vitamine, Kohlehydrate hochmolekulare rekombinante Produkte Monoklonale Antikörper, Interferone, Insulin, Allergene Hybridom-Produkte monoklonale Antikörper Blutprodukte Gerinnungsfaktoren, Immunsera, polyklonale Antikörper NukleinsäureProdukte Impfstoffe, Gentherapeutika Zellprodukte somatische Zelltherapeutika Gewebeprodukte Tissue Engineered Products Maas & Peither AG – GMP-Verlag Abbildung 1: Arten biotechnologischer Produkte Besondere Risiken Aufgrund der spezifischen Herstellungsprozesse im Vergleich zur klassischen chemischphysikalischen Wirkstoffsynthese und den dabei eingesetzten lebenden biologischen Materialien wie Zellen oder Mikroorganismen – einschließlich der ihnen natürlicherweise innewohnenden Variabilität – ergeben sich besondere Risiken bei der Produktion biotechnologischer Wirkstoffe. Um die daraus resultierenden GMPVorgaben besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, die Gründe für dieses erhöhte Risikopotential kurz zu betrachten. Da die Qualität der eingesetzten biologischen Ausgangsmaterialien, gerade vor dem Hintergrund der größeren Variabilität, häufig auch vom Lieferantenabhängig ist, stellt die sorgfältige Auswahl und Überwachung der Lieferanten dieser Materialien einen nicht zu vernachlässigenden Risikofaktor dar. Weiter können zum Beispiel Nebenprodukte eine größere Schwankungsbreite nach Art und Menge aufweisen als bei rein chemisch-physikalischen Synthesen, bei denen die Anzahl und Menge der Verunreinigungen oder unerwünschten Nebenprodukte deutlich besser über die eingesetzten Roh- und Ausgangsstoffe kontrolliert und auch detektiert werden können als bei lebendem biologischem Material mit seiner natürlichen Variabilität. Die eindeutige geno- und phänotypische Charakterisierung der eingesetzten Zellen oder Organismen ist erheblich aufwändiger und schwieriger als die eindeutige Charakterisierung einer chemischen Substanz. Demzufolge können Veränderungen deutlich schwerer erkannt werden. In diesem Zusammenhang sei auch die deutlich höhere biologische Ausgangsbelastung(Bioburden) der eingesetzten Materialien genannt, gerade wenn der am Ende zu erhaltende Wirkstoff als keimarm oder steril spezifiziert ist. Die häufige Protein- oder Polypeptidstruktur der Wirkstoffe erfordert für sterile Wirkstoffe einen aseptischen Herstellungsprozess, da eine Sterilisation im Endbehältnis aufgrund der Temperaturempfindlichkeit der Wirkstoffe meist nicht möglich ist. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der bei der Herstellung eingesetzten lebenden Organismen eine besondere Herausforderung an das Prozess-, Anlagen- und Raumdesign. Da bei der Produktion für das Wachstum von Mikroorganismen – selbstverständlich prozessbedingt – nahezu ideale Bedingungen herrschen, ist die Gefahr der Proliferation von Fremdorganismen allgegenwärtig. Aufgrund der hohen Sensibilität der eingesetzten Organismen bezüglich der Umgebungsbedingungen wie zum Beispiel pH-Wert, Temperatur oder Sauerstoffgehalt können geringe Abweichungen bei den Prozessbedingungen stärke- http://www.gmp-verlag.de © 2014 Maas & Peither AG – GMP-Verlag, Schopfheim, Deutschland, Alle Rechte vorbehalten Seite 2/3 LOGFILE Nr. 03 / Januar 2014 Maas & Peither AG – GMP-Verlag re Auswirkungen haben, als bei stabilen chemischen Syntheseprozessen. Der Überwachung der Prozessbedingungen fällt also eine hohe Bedeutung zu. Auch der Einsatz von teilweise pathogenen Mikroorganismen wie Bakterien oder Viren wirft ein ganz besonderes Augenmerk auf die Problematik der Kontamination oder Kreuzkontamination und macht die Inaktivierung oder Abreicherung dieser Organismen und die Aufreinigung des Wirkstoffes zu besonders risikobehafteten Prozessschritten. Die Inprozesskontrollen der einzelnen Prozessschritte im Rahmen der Herstellung aber auch die Qualitätskontrollen der Zwischen- und Endprodukte bedienen sich ebenfalls häufig biologischer Test- oder Wertbestimmungsmethoden. Auch diese haben meist eine höhere Variabilität als physikalisch-chemische Bestimmungsmethoden und damit eine gewisse Unschärfe der Ergebnisse. Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem GMPBERATER Kapitel 20.G Autor: Dr. Rainer Gnibl Regierung von Oberbayern Aus dem Inhalt: - Wirk- und Hilfsstoffe: Definitionen und Unterschiede - Zulassungsdokumente: z.B. EDMF, ASMF bzw. CEP - Audits von Wirkstoffherstellern: Vorbereitung, Durchführung, Vergabe von Third Party Audits - Bedeutung von Zertifikaten - Written confirmation - GMP für Hilfsstoffe - Supervision und Inspektion von Hilfsstofflieferanten Autoren: Dr. Rainer Gnibl, Regierung von Oberbayern Dr. Stefan Kettelhoit, blue inspection body GmbH Dr. Iain Moore, Vorsitzender des IPEC Europe Excipient Certtification Committee 254 Seiten | 79,00 €* zzgl. MwSt. Mehr Informationen & Bestellung: http://www.gmp-verlag.de/de/gmppaperback/gmp-fuer-wirk-und-hilfsstoffe-inder-pharmaindustrie.html http://www.gmp-verlag.de © 2014 Maas & Peither AG – GMP-Verlag, Schopfheim, Deutschland, Alle Rechte vorbehalten Seite 3/3